Kann Gemeindezucht liebevoll sein?
In einem Zeitalter der grenzenlosen Toleranz stellt sich für viele die Frage, wie Gemeindezucht liebevoll sein kann. Menschen mit Fehlverhalten zu konfrontieren, gilt als respektlos, da dies die Identität, Würde und Freiheit einer Person infrage stellt. Gemeindeleiter, die Menschen für ihre Sünde zur Rechenschaft ziehen – und dies sogar als Kennzeichen einer gesunden Gemeinde bezeichnen –, scheinen daher lieblos zu sein.
Eine Metapher kann hier helfen: Wenn ein Wolf eine Herde angreift und anfängt, die Schafe zu reißen, ist es dann liebevoll, wenn der Hirte ihn ungehindert zuschlagen lässt? Oder wenn sich ein Schaf in Gefahr begibt, ist es dann ein Zeichen von Fürsorge, es einfach gehen zu lassen? Im Gegenteil: Der Hirte hat die Pflicht, die Schafe vor feindlichen Angriffen oder der Trennung von ihrer Herde zu schützen.
Dieses Bild findet sich in einer bekannten Bibelstelle wieder. Der Psalmist bekennt, dass der Herr sein Hirte ist, und fährt dann fort: „[D]ein Stecken und dein Stab, die trösten mich“ (Ps 23,4). Diese beiden Werkzeuge weisen auf die zweifache Aufgabe unseres Hirten hin, die auch seine treuen Unterhirten wahrnehmen sollen.
Der schützende Stab des Trostes
Die Hirten der Antike trugen einen stabilen Holzstab bei sich, mit dem sie wilde Tiere vertreiben konnten. Dieser Knüppel steht für den Schutz des Herrn über sein Volk. Der Herr tut alles, um seine Herde zu schützen.
Paulus warnte die Ältesten in Ephesus vor dieser Gefahr, als er sagte, dass „räuberische Wölfe zu euch hineinkommen werden, die die Herde nicht schonen“ (Apg 20,28–29). Er erklärte, dass diese Irrlehrer „verkehrte Dinge“ reden würden, um „die Jünger abzuziehen“ (Apg 20,30). Die Ältesten sollen wachsam sein und die Gemeinde vor solchem Übel schützen. Paulus forderte, dass man diesen Wölfen „den Mund stopfen [muss], denn sie bringen ganze Häuser durcheinander“ (Tit 1,11).
„Die Ältesten der Gemeinde sollen stolzen, rebellischen Menschen entgegentreten, die als Wölfe im Schafspelz daherkommen.“
Die Ältesten der Gemeinde sollen stolzen, rebellischen Menschen entgegentreten, die als Wölfe im Schafspelz daherkommen. Wenn sie die Lehren der Heiligen Schrift verdrehen, Gesetzlichkeit fördern oder sich gegen die Gemeindeleitung auflehnen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Lehren zu unterbinden, ihren Einfluss zu stoppen und sie nötigenfalls sogar auszuschließen. Solche Handlungen zeigen die Liebe zum Herrn und seiner Herde.
Der rettende Stab des Trostes
Das andere Werkzeug des Hirten war sein Hirtenstab. Dieser lange, schmale Stab wies den Weg zu grünen Weiden und rettete auch Schafe in Not. Der große Haken wurde unter dem Bauch eines Schafes angelegt, um es aus einem Loch oder von einer Klippe zu heben, wo es möglicherweise heruntergefallen war oder sich verirrt hatte.
„Wie der Hirte, der neunundneunzig Schafe verlässt, um das eine verlorene zu finden, sollen sich die Ältesten eifrig bemühen, verirrte Menschen zurückzugewinnen.“
Wie der Hirte, der neunundneunzig Schafe verlässt, um das eine verlorene zu finden, sollen sich die Ältesten eifrig bemühen, verirrte Menschen zurückzugewinnen. Sie fordern diejenigen zur Umkehr auf, die im Begriff stehen, vom Gottesdienst und den Gnadenmitteln abzufallen, und warnen sie davor, ihre Seelen zu vernachlässigen. Älteste gehen einer Person nach, die in der Finsternis der Sünde wandelt. Sie weisen zurecht, korrigieren und stellen wieder her, damit sie ins Licht zurückfindet. Gottes Hirten begleiten diejenigen, die in Konflikt geraten sind, damit sie lernen, zu vergeben, sich zu versöhnen und in Frieden zu leben.
Liebe ist nicht die Abwesenheit von Strenge, sondern kann sich als solche zeigen, denn „wen der Herr lieb hat, den züchtigt er“ (Hebr 12,6).