Auf der Suche nach echter Freundschaft?

Rezension von Boris Giesbrecht
21. November 2024 — 8 Min Lesedauer

Jemand bezeichnete die Jahre zwischen 35 und 50 als Todeszone für Freundschaften. Wenn ich mich umschaue, dann glaube ich, eine gewisse Entwicklung zu erkennen: Viele Menschen, die sich mit mir in dieser schwierigen Lebensphase befinden, pflegen leider einen Lebensstil, der für Freundschaften nicht gerade förderlich ist. Selbstverständlich kann man die Herausforderungen auf diese besondere Lebensphase schieben. Beruf, Ehe, Kinder und Haus machen alte Beziehungen aus der Jugend- oder Schulzeit leider etwas rar. Ein Umzug kann das Ganze noch erschweren. Man verliert sich einfach aus den Augen. Hast du dir auch schon mal die Frage gestellt, wie lange es her ist, dass du ein ernsthaftes Gespräch mit einem guten Freund oder einer guten Freundin geführt hast?

Es ist nicht immer einfach, neue Freundschaften aufzubauen. Als Erwachsene tun wir uns damit noch schwerer als Kinder, was auch durch Studien bestätigt wird.[1] Tiefe Freundschaften geschehen nicht einfach so – auch nicht innerhalb der Gemeinde. Ja, für manche kann die Gemeinde sogar wie ein einsamer Ort sein, an dem man von vielen Menschen umgeben ist.

Ein weiteres Hindernis stellt das mangelnde Bedürfnis vieler Menschen dar, überhaupt tiefgründige und bedeutsame Freundschaften zu pflegen. Sie werden eher als ein Aspekt des Lebens betrachtet, der nicht unbedingt erforderlich ist, als eine Form von Luxus.

„Hast du dir auch schon mal die Frage gestellt, wie lange es her ist, dass du ein ernsthaftes Gespräch mit einem guten Freund oder einer guten Freundin geführt hast?“
 

Eine Nebenbemerkung Carl Truemans zur Freundschaft erregte auf der E21-Konferenz 2024 meine Aufmerksamkeit: Er bezeichnete das „Auslöschen von nichtsexuellen Freundschaften als eine der schlimmsten Auswirkungen der sexuellen Revolution“.[2] Kein Prediger habe früher in seiner Auslegung über die Beziehung zwischen David und Jonathan darauf hinweisen müssen, dass es sich hierbei nicht um eine homosexuelle Beziehung handelte. Damals wurde Freundschaft noch richtig verstanden, aber dies sei heute leider nicht mehr vorauszusetzen.

Viele von uns müssen zugeben, dass Freundschaft also ein Thema ist, mit dem wir oft zu kämpfen haben, über das wir aber (sogar in der Gemeinde) nur selten sprechen. Das muss nicht so sein und schon gar nicht so bleiben. Hier kommt das Buch von Jonathan Holmes Auf der Suche nach echter Freundschaft? Was geistliche Freundschaft ist und wie sie unser Leben verändert ins Spiel.

Jonathan Holmes ist der Leiter einer seelsorgerlichen Einrichtung und gehörte mehrere Jahre zum Pastorenteam der Parkside Church in Cleveland (USA), welche von Alistair Begg geleitet wird. Das Buch besticht durch eine spürbar seelsorgerliche Note. Holmes stellt fest, dass Freundschaften zwischen Christen leider nicht wesentlich anders aussehen als Freundschaften außerhalb der Gemeinde. Sein Hauptanliegen ist es, darauf hinzuweisen, dass die göttliche Auffassung von Freundschaft bislang nur unzureichend Beachtung gefunden hat. Mit diesem Buch verfolgt er das Ziel, das Verständnis von Freundschaft, wie die Bibel sie versteht, beschreibt und empfiehlt, zu erweitern.

Inhalt

Zu Beginn seines Buches stellt Holmes klar, dass eine echte Freundschaft eine auf Christus ausgerichtete Freundschaft ist, was er anhand der Schöpfung, des Sündenfalls und der Neuschöpfung durch Christus verdeutlicht. Schon bei der Schöpfung wird deutlich, dass der Mensch durch Freundschaften das Wesen Gottes als Beziehungswesen widerspiegelt. Jedoch hat der Sündenfall sowohl die Beziehung zum dreieinen Gott als auch zu den Mitmenschen erschwert. Unsere Motivation, eine Freundschaft aufzubauen, ist nicht länger die Verherrlichung Gottes, sondern vielmehr die Erwartung eines persönlichen Vorteils. In Jesus Christus wird uns ein Freund der Sünder vorgestellt. Ein Zitat bringt es auf den Punkt: „Am Kreuz wurde die Freundschaft der Gottheit zerbrochen, damit unsere Freundschaft wiederhergestellt werden konnte“ (S. 23). Holmes präsentiert im Folgenden seine Definition von echter Freundschaft:

„Biblische Freundschaft besteht, wenn zwei oder mehr Menschen, die durch den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus verbunden sind, ihm und seinem Reich gemeinsam, bewusst und in aller Verletzlichkeit folgen. Biblische Freundschaft ist kein Selbstzweck, sondern dient in erster Linie dazu, Christus zu verherrlichen und seine Herrlichkeit darzustellen, der uns in die Freundschaft mit dem Vater gebracht hat. Sie ist für das Wirken des Evangeliums auf Erden unverzichtbar und ein wesentliches Element dessen, wozu Gott uns geschaffen hat“ (S. 26).

Darauf aufbauend zeigt Holmes im zweiten Kapitel auf, dass es sich bei vermeintlich wahren biblischen Freundschaften in Wahrheit um Fälschungen handelt. Dazu gehören Freundschaften, die lediglich auf der gemeinsamen Lebensphase (Single, Familie, Rentner) oder dem gemeinsamen Interesse (z.B. Sport) basieren. Des Weiteren hinterfragt er virtuelle Freundschaften und Beziehungen, die lediglich auf eigennützigen Motiven basieren. Holmes möchte uns eine bessere Vision für Freundschaft vermitteln: eine Freundschaft, die auf den Lehren von Christus basiert.

„Biblische Freundschaft dient in erster Linie dazu, Christus zu verherrlichen und seine Herrlichkeit darzustellen, der uns in die Freundschaft mit dem Vater gebracht hat.“
 

Biblische Freundschaft äußert sich in vier Kennzeichen: Beständigkeit, Offenheit, Einsicht und Rat. Hier teilt Holmes persönliche Erfahrungen während seiner Studienzeit mit und bezieht sich zudem auf den reichen Schatz an Weisheiten aus dem alttestamentlichen Sprüchebuch. Die liebevolle Konfrontation eines Freundes spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle, denn schließlich ist „biblische Freundschaft nicht einfach ein Bemühen um Selbstverwirklichung, sondern eine gemeinsame Reise hin zu Christusähnlichkeit“ (S. 67).

Aber wie werden biblische Freundschaften gepflegt? Die gemeinsame Ausübung von Aktivitäten und das Vorhandensein von Interessen können den Rahmen für die Entstehung einer biblischen Freundschaft bieten. Die Entscheidung, ob eine Beziehung in diesem Kontext auf das „nächste Level“ gehoben wird, hängt von den richtigen Einstellungen und Zielen ab. Holmes schließt aus dem Vorbild von Jesus, dass für die Entwicklung einer echten Freundschaft auch ein gewisses Maß an Opferbereitschaft nötig ist. Er bleibt jedoch Realist und stellt fest: Biblische Freundschaft stellt in der Regel eine Überforderung für uns dar (vgl. S. 96).

In seinem fünften Kapitel widmet Holmes sich den Gefahren, die biblische Freundschaften bedrohen. Dabei sollte nicht überraschen, dass der Teufel ein großes Interesse daran hat, biblische Freundschaften zu unterbinden. Geistliche Angriffe treten häufig in einer Form auf, in der sie auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar sind. Ein unvorsichtiges Wort, eine schnelle Unterstellung oder unbewusste Erwartungen, die unerfüllt bleiben, können ebenso wie Schmeichelei oder Eifersucht die Beziehung belasten. Als eine wesentliche Bedrohung identifiziert er ein unzureichendes Verständnis des Evangeliums. Dies führt nämlich dazu, dass das Evangelium nicht sichtbar wird, weil der Mensch darauf bedacht ist, selbst vor Freunden ein gutes Bild abzugeben. Hierauf widmet er sich ausführlicher dem Thema „Homophobie“, welche die Entstehung gesunder gleichgeschlechtlicher Freundschaften erschwert.

Im letzten Kapitel erläutert der Autor den Zweck der biblischen Freundschaft. Er verdeutlicht, dass die Kraft des Evangeliums im zwischenmenschlichen Bereich am besten durch eine biblische Freundschaft veranschaulicht werden kann. Folglich ist es nicht erforderlich, dass solch eine Freundschaft perfekt ist. Maßgeblich ist, dass sie sich als echt erweist, indem sie durch Höhen und Tiefen, Erfolge und Misserfolge hindurch besteht. Das Buch schließt mit einem Ausblick auf die ewige Herrlichkeit, in der wir unseren wahren Freund treffen werden.

Fazit

Das Buch ist sicher keine christliche Version von Dale Carnegies Bestseller Wie man Freunde gewinnt. Es ist aber auch keine theologische Abhandlung über Freundschaft in der Bibel. Vielmehr ist es ein praktisches Buch darüber, wie wir Gott in und durch unsere Freundschaften verherrlichen und als Nebenprodukt eine verbesserte Tiefe und Qualität in unseren Freundschaften finden können. Jedes Kapitel schließt mit ein paar kurzen Anwendungsfragen. Im Anhang des Buches geht der Autor auch auf ein paar praktische Fragen zur Freundschaft ein.

Das Buch ist von überschaubarer Dicke, überzeugt jedoch durch eine fundierte und nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Thema. Es präsentiert eine konzentrierte Sammlung praktischer Weisheiten, die auf biblischen Erklärungen basieren. Der Autor bezieht sich auf andere christliche Schreiber wie beispielsweise Augustinus, C.S. Lewis oder Timothy Keller. Ein besonderes Augenmerk legt Holmes auf die Bedeutung von Freundschaften unter Gläubigen, die er im Kontext des Evangeliums beleuchtet. Das Buch eignet sich daher gut als Einführung in das Thema. Für eine vertiefte und umfassende Auseinandersetzung mit der Thematik wird die Verwendung weiterer Werke empfohlen, von denen einige im Anhang aufgeführt sind. Die eine oder andere (englische) Neuerscheinung zu dem Thema hätte hier aufgelistet werden können.

Holmes schreibt mit Wärme und Freude. Man spürt ihm die persönliche Leidenschaft ab. Das macht dieses Buch sowohl informativ als auch ermutigend. Besonders hervorzuheben ist Holmes’ Sensibilität für gleichgeschlechtlich angezogene Personen. Er versteht die Schwierigkeiten, die manche aufgrund dieser Versuchung haben, wenn sie mit anderen in Beziehung treten. Er gibt weise Ratschläge sowohl denen, die mit dieser Versuchung zu kämpfen haben, als auch denen, die sich mit ihnen anfreunden.

Der Theologe in mir hätte sich an der einen oder anderen Stelle eine genauere Abgrenzung zu anderen Formen der Beziehung gewünscht (z.B. Jüngerschaft oder Ehe). Der Pastor in mir freut sich über die Einfachheit der Definition. Denn schließlich ist Freundschaft etwas, dass alle angeht und keinen ausschließt.

Für diejenigen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen von Büchern haben, ist dies eine sehr einfache und unkomplizierte Lektüre. Somit erfüllt das Buch exakt seinen Zweck. Es eignet sich daher als ideales Geschenk für einen Freund, um die gemeinsame Beziehung zu fördern.

Buch

Jonathan Holmes, Auf der Suche nach echter Freundschaft? Was geistliche Freundschaft ist und wie sie unser Leben verändert, Leun: Herold Mission, 2024, 153 Seiten, 9,90 €. Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden


1 Jakub Samochowiec et al., „In guter Gesellschaft – Die grosse Schweizer Freundschaftsstudie“, Rüschlikon (CH): GDI 2023, online unter: https://gdi.ch/publikationen/studien/in-guter-gesellschaft#attr (Stand: 20.11.2024).

2 Evangelium21, „Carl R. Trueman – Die fremde neue Welt verstehen | E21-Hauptkonferenz 2024“, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=RukcxNmt3dE (Stand: 20.11.2024).