Sollten wir im, um oder zum Heiligen Geist beten?

Artikel von Fred Sanders
28. Oktober 2024 — 8 Min Lesedauer

„Der Heilige Geist ist zugleich Sphäre und Atmosphäre des Gebets“, schrieb W.H. Griffith Thomas (1861–1924).[1] Auch wenn Christen, wie er im Kontext dieser Bemerkung erläutert, zum Geist und um den Geist beten können, fokussiert sich die Bibel weitgehend auf das Gebet im Geist. Das Gebet im Heiligen Geist – verstanden in seinem vollen trinitarischen Kontext – ist die eigentliche Form neutestamentlicher Spiritualität. Die „Strömung“ des christlichen geistlichen Lebens fließt stark und stetig auf den Vater hin zu. Die untrennbaren Werke Gottes kommen vom Vater, durch den Sohn, im Heiligen Geist. Unsere Rückkehr zu Gott, die sich fest darauf gründet, bewegt sich in der Trias „im Heiligen Geist, durch den Sohn, zum Vater“ zurück. Dieses trinitarische Muster ist das Grundmuster des christlichen Gebets, das vom Heiligen Geist gewebt wird. Das müssen wir uns klarmachen und als Hauptsache im Gedächtnis behalten.

Trotzdem stellt sich die Frage: Können wir auch zum Heiligen Geist beten? Genauer gefragt, ist es für Christen angemessen, ihre Aufmerksamkeit auf die besondere Person des Heiligen Geistes zu konzentrieren und Gebete an ihn zu richten? Die kurze Antwort lautet: Ja. Man kann zu jeder Person beten, die Gott ist, und darum natürlich auch zum Heiligen Geist.

Die lange Antwort lautet, dass das Gebet zum Heiligen Geist, auch wenn es legitim ist, immer etwas Exzentrisches an sich hat. Exzentrisch kann „seltsam“ bedeuten, aber seine Grundbedeutung ist „außerhalb der Mitte“. Wir wissen, dass das Zentrum des Gebets der Vater ist, auf den wir uns durch den Sohn im Geist zubewegen. Das Gebet, das der Heilige Geist ermächtigt und befähigt, ist radikal konzentrisch und führt den Beter immer in das Herz einer Begegnung mit dem Vater. Welche Stellung nimmt der Heilige Geist in dieser Begegnung ein? Hier wollen wir – der biblischen Anleitung folgend – sicherstellen, dass wir uns darüber im Klaren sind, was mit uns im Gebet geschieht.

Wenn wir Gott im Gebet begegnen, sind der Sohn und der Heilige Geist niemals ausgeschlossen. Sie auszuschließen hieße praktisch, sie als Mittel zum Zweck oder als optionale Stützen zu benutzen, die uns lediglich dabei helfen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Das würde bedeuten, sie auf einen nicht-göttlichen Status herunterzustufen; sie wären ein Weg zu Gott, aber nicht Gott selbst. Aber der eine wahre Gott ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Wir haben es niemals mit „Gott minus den Geist“ zu tun. Wir verehren, anbeten und lieben den Heiligen Geist selbst. Darauf bestehen wir zu Recht, wir verehren die Dreieinigkeit als Ganzes. Trotzdem kann es passieren, dass wir uns dabei von der Dreieinigkeit auf eine bestimmte Art und Weise mental distanzieren, nämlich indem wir sie als das „Zielobjekt“ unseres Gebets begreifen. Das ist jedoch etwas zu abstrakt gedacht. Es entsteht der Eindruck, dass sich trinitarisches Gebet lediglich auf ein Ziel richtet – und dieses Ziel ist die Dreieinigkeit. Beim trinitarischen Gebet handelt es sich jedoch vielmehr um eine innere Angelegenheit. Tatsächlich ist trinitarisches Gebet bereits Teil der Dynamik der Dreieinigkeit; es geht nicht um eine auf Abstand gehaltene Dreieinigkeit „dort drüben“, sondern um die unmittelbar-überwältigende Dreieinigkeit, die den Gläubigen durch den Sohn im Heiligen Geist in eine Beziehung zum Vater gebracht hat.

Beachte die tiefe Bedeutung des kleinen Wörtchens in für unser Verständnis des Gebets und des Heiligen Geistes. Im Geist zu beten heißt in der Dreieinigkeit zu beten – und zwar konzentrisch. Deshalb sagt Andrew Murray: „Von den Ämtern des Heiligen Geistes ist dasjenige, das uns am tiefsten in das Verständnis seiner Stellung in der göttlichen Gnadenökonomie und in das Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit hineinführt, das Werk, das er als Geist des Gebetes tut“.[2] Die Tiefendimension der Gegenwart des Geistes im Gebet ist von entscheidender Bedeutung; und es ist diese Dimension, die wir zu übersehen Gefahr laufen, wenn wir von der zentralen, konzentrischen Realität des Gebetes zur lediglich optionalen, exzentrischen Anbetung übergehen.

„Tatsache ist, dass es in der Bibel keine eindeutigen Gebete an den Heiligen Geist gibt.“
 

Ein weiterer Teil der langen Antwort auf unsere Frage nach dem Gebet zum Heiligen Geist betrifft das biblische Zeugnis und seine traditionelle Auslegung. Tatsache ist, dass es in der Bibel keine eindeutigen Gebete an den Heiligen Geist gibt. Was ist davon zu halten? Nur einige sehr buchstabengetreue christliche Traditionen haben das Schweigen der Bibel an dieser Stelle als abschließenden bzw. zwingenden Grund dafür interpretiert, nicht zum Heiligen Geist zu beten. Die meisten der großen christlichen Denominationen und Konfessionen kennen Gebete zum Heiligen Geist, vor allem in Form von Liedern. Es gibt sehr alte griechische Hymnen an den Geist, die lateinische Hymne „Komm, Schöpfer Geist“ von Rabanus Maurus (ca. 780–856) und auch Charles Wesleys „Come, Holy Ghost, Our Hearts Inspire“ mit seiner tiefsinnigen letzten Strophe, die sich an den Heiligen Geist richtet:

„God, through himself, we then shall know,
if thou within us shine;
and sound, with all thy saints below,
the depths of love divine.“[3]
„[Gott, durch sich selbst, wir erkennen dann,
wenn in uns leuchtest du;
und klingen, mit allen deinen Heiligen hier,
die Tiefen der göttlichen Liebe.]“

Im Lauf der Jahrhunderte finden wir in den verschiedenen Liturgien der Kirchen auch zahlreiche Gebete, die sich an den Heiligen Geist richten (vor allem als Unterabschnitte längerer Gebete, in denen abwechselnd zu jeder der drei Personen gebetet wird). Die besten dieser Gebete sind wunderbar ausgearbeitet und rufen fast immer auch den Vater und den Sohn an und lenken die Gedanken des Beters so auf die Fülle der trinitarischen Beziehungen. Und das sind nur die schriftlichen Dokumente christlicher Anbetung; man stelle sich all die nicht aufgezeichneten Zeiten und Orte vor, an denen Gläubige Gebete an den Heiligen Geist gerichtet haben.

„Gebete zum Heiligen Geist sind legitim und können sogar wichtig sein, wenn es darum geht, die volle Gottheit und ausgeprägte Persönlichkeit des Heiligen Geistes zu bekräftigen oder das Wirken des Geistes zu verdeutlichen. Aber die Proportionen müssen stimmen.“
 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir als Christen das Fehlen von Gebeten zum Heiligen Geist in der Bibel intuitiv als eine Art Leitlinie für unser Beten begreifen. Gebete zum Heiligen Geist sind legitim und können sogar wichtig sein, wenn es darum geht, die volle Gottheit und ausgeprägte Persönlichkeit des Heiligen Geistes zu bekräftigen oder das Wirken des Geistes zu verdeutlichen. Aber die Proportionen müssen stimmen. Sowohl als Einzelpersonen als auch als Gemeindeversammlungen sollten Christen versuchen, ihr Gebetsleben den biblischen Proportionen anzupassen. Wenn du hauptsächlich zum Heiligen Geist betest, verstößt du zwar nicht gegen ein biblisches Gebot, aber dein geistliches Leben ist in seinen Proportionen auffallend unbiblisch. Der Heilige Geist selbst tritt dieser Exzentrik entschieden entgegen, sowohl als Person als auch in dem von ihm geschriebenen Buch. H.C.G. Moule fasste die weise Position so zusammen:

„Wir wollen uns wachsam und ehrfürchtig an die Gesetze der Schriftproportionen erinnern; und auch daran, dass im biblischen Verständnis die Beziehung des Gläubigen zum Heiligen Geist nicht so sehr von direkter Anbetung, sondern von abhängigem Vertrauen gekennzeichnet ist. Lasst uns ihn vertrauensvoll und dankbar anbeten und ihn um Segen bitten, während unser Geist unter seiner Gnade zu einer solchen Handlung bewegt wird.“[4]

Kann ich zum Heiligen Geist beten? Die vollständige Antwort auf die Frage lautet: Ja, aber in erster Linie solltest du im Geist, durch den Sohn, zum Vater beten.

„Ein Christ, der im Heiligen Geist lebt und wandelt, redet hauptsächlich über Jesus Christus und spricht hauptsächlich mit Gott, dem Vater.“
 

Diese Frage zum Gebet ist ein perfekter Mikrokosmos für unsere gesamte Lehre vom Heiligen Geist. Wie üblich erweist sich das, was in der Pneumatologie als belastend oder verkomplizierend erscheinen mag, als Segen. Spricht die Bibel unpersönlich vom Heiligen Geist? Ja, denn er ist persönlich in uns am Werk. Erscheint der Name des Heiligen Geistes eher wie kein Name? Ja, denn es braucht die ganze Bibel, um seinen vielfältigen Namen zu entwickeln. Mangelt es in der Bibel an Gebeten zum Heiligen Geist? Ja, denn alle biblischen Gebete sind im Heiligen Geist. Auf all diese Arten und mehr ruft uns der Geist selbst dazu auf, von ihm zu lernen, wer er ist, und nicht von unseren zufälligen und eigenwilligen Erwartungen. „Gott, durch sich selbst, wir erkennen dann.“

Wenn wir dem Heiligen Geist in der von ihm gewünschten Weise unsere Aufmerksamkeit schenken, stellen wir fest, dass er nicht nur unsere Anbetung empfangen, sondern auch unsere Aufmerksamkeit souverän auf den Vater und den Sohn gelenkt hat. Ein Christ, der im Heiligen Geist lebt und wandelt, redet hauptsächlich über Jesus Christus und spricht hauptsächlich mit Gott, dem Vater.


1 H. Griffith Thomas, The Holy Spirit, Grand Rapids, MI: Kregel, 1986, S. 283.

2Andrew Murray, Spirit of Christ, S. 195.

3John und Charles Wesley, Hymns and Sacred Poems, London: Strahan, 1740, S. 43.

4H.C.G. Moule, Veni Creator, S. 18.