Studenten willkommen
Es ist wieder so weit. Es ist Oktober. Für fast alle Studenten in Deutschland hat ein neues akademisches Jahr begonnen. Das Wintersemester hat angefangen. Vielleicht fragst du dich, was das mit dir zu tun hat, wenn du nicht studierst? Hier ist die Antwort: Wenn du in einer Stadt mit einer Hochschule oder Universität lebst, dann leben ein paar von den deutschlandweit 2,87 Millionen Studenten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch in deiner Stadt. Einige von ihnen sind vielleicht gerade erst dort hingezogen und fangen ganz frisch zu studieren an. Vielleicht werden sie dir in den nächsten Wochen über den Weg laufen – in deiner Nachbarschaft, im Bus oder im Supermarkt um die Ecke. Vielleicht begegnest du einigen von ihnen sogar am Sonntag in deiner Gemeinde.
Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, wer eigentlich genau hinter diesem jungen Menschen steckt, der da vor dir steht, sitzt oder läuft? Weißt du, wie besonders diese Studentenphase ist, in der er sich gerade befindet? Ist dir bewusst, wie wertvoll eine gute Gemeinde für diese Studenten ist und welche wichtige Rolle du in seinem Leben einnehmen könntest? Falls nicht, dann möchte ich dich gern auf eine kleine „Vorstellungsrunde“ einladen.
Das Besondere an der Studentenphase
Jemand sagte einmal: „Bei Studenten ist der Beton noch nass.“ Was heißt das? Ganz einfach: In der Einfahrt zu unserem Hinterhof gibt es eine Stelle im Betonboden, in der man deutliche Schuhabdrücke sieht. Ich vermute, dass diese Abdrücke dort eigentlich nicht geplant waren, aber sie sind da. Wie sind sie dort hingekommen und geblieben? Wahrscheinlich sind sie zu einem Zeitpunkt dort hineingeraten, als der Beton noch nass genug war, um dort etwas einzuprägen, aber schon so kurz vor dem Verfestigen, dass man ihn nicht mehr rechtzeitig ausglätten konnte. Der Beton ist fest geworden, mitsamt der eingeprägten Fußspur. Die bekommt man so ohne Weiteres nicht mehr heraus.
Studenten sind in so einer ähnlich „nassen“ Phase. Laut wissenschaftlichen Studien wächst und verändert sich der Gehirnlappen, der für Gefühle, Handlungen und Einsichten eines Menschen zuständig ist, am meisten in der Pubertät. Doch erst mit ca. 25 Jahren ist dieser Umbauprozess im Hirn völlig abgeschlossen. Das Studentenalter (18–25 Jahre) nimmt also einen beträchtlichen Anteil dieser sensiblen Formungsphase ein.
Aber auch geistlich ist diese Phase unglaublich wertvoll. Warum? Hier kommen drei Hauptgründe aus eigener Erfahrung und Beobachtung.
1. Zum ersten Mal aus dem eigenen Elternhaus heraus
Für viele ist der Studienbeginn mit dem Auszug aus dem eigenen Elternhaus verbunden. Das ist ein großer Einschnitt im Leben. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich fürs Studium von zu Hause auszog und von heute auf morgen vieles lernen musste: Selber einkaufen, kochen, Wäsche waschen, Miete bezahlen, Menschen kennenlernen und mein Studium organisieren.
Alles war neu und fremd für mich. Ich kannte weder die Stadt, die Uni noch die Menschen. Wenn mir ein Gefühl aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben ist, dann ist es eine Mischung aus Ehrgeiz und Panik. Dazu kam die Einsamkeit. Es ist erstaunlich, wie einsam man sich in der Masse fühlen kann, wenn man ganz neu in eine Stadt kommt, in der man keine Menschenseele wirklich kennt und von niemandem gekannt wird. Ich weiß noch, wie mir nach einer meiner ersten Vorlesungen, die ich fachlich sehr anspruchsvoll fand, bewusst wurde: „Bianca, du bist hier wirklich ganz allein auf dich gestellt. Deine Eltern sind jetzt nicht mehr hier, um dir zu helfen. Auch die Professoren interessiert es wahrscheinlich nur oberflächlich, wie es dir gerade geht. Und die Studenten um dich herum werden auch nicht viel ausrichten können, um dich hier durchzubringen.“ Dann kam aber noch ein weiterer Gedanke, den ich seither nie mehr vergessen werde: „Der Einzige, der dir jetzt helfen kann, ist Gott.“
„Mein Glaube reifte auf einmal wirklich zu einer Beziehung heran, unabhängig von meinen Eltern oder alten Freunden. Jesus wurde zum wichtigsten Bezugspunkt für mein Leben. Mit ihm durfte ich alles bereden, ihm alles anvertrauen und von ihm alles erwarten.“
Das war’s. Mit dem Studium begann für mich eine ganz neue „Ära“ für mein Glaubensleben. Ich glaubte schon lange an Jesus als meinen Retter, aber mein Glaube reifte auf einmal wirklich zu einer Beziehung heran, unabhängig von meinen Eltern oder alten Freunden. Jesus wurde zum wichtigsten Bezugspunkt für mein Leben. Mit ihm durfte ich alles bereden, ihm alles anvertrauen und von ihm alles erwarten.
Ich würde sagen, so ähnlich geht es vielen Studenten, die in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen sind. Sie stehen zum ersten Mal vor der großen Chance, Gott noch viel tiefer und persönlicher als ihren eigenen Hirten kennenzulernen, der sie durch alle Höhen und Tiefen des Lebens trägt. Ihr Glaube „wird erwachsen“.
2. Auf der Suche nach Antworten
Studenten sind zudem in der besonderen Phase, in der die ganz großen Fragen und Sehnsüchte des Lebens hin und her gewälzt werden: „Wer bin ich? Warum und wofür lebe ich? Was gibt mir Wert? Wer liebt mich? Wen liebe ich?“
Obwohl das Fragen sind, die natürlich alle Menschen betreffen, sind Studenten meiner Meinung nach am intensivsten mit diesen Fragen beschäftigt. Vielleicht gerade, weil sie zum ersten Mal von den Eltern unabhängig geworden sind und das alles neu für sich selbst klar bekommen müssen. Es ist die große Phase der Abnabelung und der Identitätsfindung. Die Phase, in der man immer mehr über sein eigenes Leben nachdenkt, wichtige Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen muss – sowohl berufs- als auch beziehungsmäßig. Ich würde sogar behaupten, dass die Studentenphase die Zeit ist, in der einige der wichtigsten Weichen für die Zukunft gestellt werden können. Wie genial ist es, wenn Jesus in dieser Zeit zum Dreh- und Angelpunkt aller Entscheidungen wird!
3. In der Höhle des Löwen
Meine ersten Studienwochen machten mir noch etwas anderes klar: Ich bin hier vielleicht weit und breit der einzige Christ. Zumindest kam es mir zuerst so vor. Wenn meine Kommilitonen miteinander über Themen redeten, die ich unangenehm fand, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Wenn an der Uni über Kirche, Glauben und Gott gelästert wurde, kam ich mir blöd vor. Meinen Glauben in einer akademischen, oft antichristlichen Umgebung allein zu bekennen, geschweige denn zu verteidigen, fiel mir schwer. Manche Dinge verstand ich auch selbst noch nicht richtig. Auch da brauchte ich dringend Hilfe.
Studenten von heute geht es ganz genauso. Durch die allgegenwärtigen sozialen Medien ist der Kampf wahrscheinlich sogar noch härter geworden. Wo finden Studenten nun Antworten und Orientierung für all ihre wichtigen Themen, wenn sie noch keine geistliche Heimat haben?
Was Studenten brauchen
Jeder Mensch braucht Freunde und Vorbilder. So hat uns Gott geschaffen. Wir sind auf Beziehungen angelegt. Sie formen und prägen uns. Studenten brauchen das auch. Dringend.
„Viele meiner geistlichen Überzeugungen, die ich auch heute noch habe, wurden in dieser Phase neu sortiert und geprägt.“
Ich bin dankbar für die christliche Hochschulgruppe, die Gott mir vor 24 Jahren an der Uni schenkte. Es war eine Gruppe von Christen, die den Glauben und die Bibel ernst nahmen und fröhlich mit Jesus lebten, ohne dabei ihren Verstand an der Hörsaaltür abzugeben. Das beeindruckte mich. Ich lernte so viel Neues und Gutes über Jesus und sein Wort in dieser Zeit. Viele meiner geistlichen Überzeugungen, die ich auch heute noch habe, wurden in dieser Phase neu sortiert und geprägt. Außerdem lernte ich, im Unialltag über meinen Glauben zu reden, Freunde zum Glaubenskurs einzuladen und mit ihnen bei mir zu Hause die Bibel zu lesen.
Aber ich fand vor allem auch Freunde dort. Freunde, die mit mir durch dick und dünn in meinem Studienchaos gingen, mit mir beteten, mich trösteten und mich korrigierten. Für all das bin ich Gott unendlich dankbar.
Die Rolle der Gemeinde für Studenten
Jetzt fragst du dich vielleicht: Gut, und was hat das jetzt mit der Gemeinde zu tun? Sind christliche Hochschulgruppen nicht schon genug für Studenten? Brauchen sie noch eine Gemeinde? Ja. So sehr ich durch die Hochschularbeit in meinem Glauben gewachsen bin, es gab dennoch Dinge, die ich dort höchstwahrscheinlich nicht gelernt hätte. In der Gemeinde lernte ich hautnah kennen, wie Christsein jenseits des Studiums aussieht.
Da war das junge Ehepaar, das sich gerade neu mit seiner Ehe und dem Berufsleben beschäftigte. Oder da war die alleinstehende ältere Schwester, von der ich lernte, wie sie damit umgeht, auch im Alter alleinstehend zu sein. Sie kochte oft nach dem Gottesdienst Mittagessen mit uns Studenten.
Ich erinnere mich auch noch gut an ein Picknick mit einer länger verheirateten Frau, die mir erzählte, wie sie und ihr Mann es verkraften, dass sie höchstwahrscheinlich nie eigene Kinder bekommen könnten. Daneben bekam ich aber auch mit, wie eine Familie jeden Sonntag ihre sieben Kinder (vom Baby bis zur 17-Jährigen) mit zur Gemeinde karrte. Ein anderer Familienvater ermutigte mich immer wieder darin, meinen Glauben an der Uni bewusst zu bezeugen, da er selbst als Student zum Glauben gekommen war. Und eine andere Mutter freute sich über mich, da ich für ihre Teenager ein Vorbild sei. Die Liste an wertvollen Beziehungen könnte noch viel länger gehen. Es sind kleine Dinge, aber sie haben meine Sicht vom langlebigen Christsein und Gemeinschaft geprägt und vergrößert.
Leider ist das jedoch nicht immer so. Für manche Studenten sieht es sonntags vielleicht eher so aus, dass sie sich permanent nach dem Gottesdienst fragen: „Soll ich gehen oder bleiben? Mit wem soll ich reden? Soll ich mir einfach noch länger alle Flyer an der Pinnwand durchlesen, bis mich jemand anspricht?“
Eine Studentin meinte neulich sogar zu mir: „Sonntage sind eigentlich die einsamsten Tage der Woche für mich. Ich sehe, wie alle anderen Christen nach dem Gottesdienst etwas miteinander machen, nur ich gehe allein nach Hause in mein stilles Zimmer, wo niemand ist.“
Mein Mann machte wiederum ganz andere Erfahrungen zu seiner Studentenzeit. In seiner Gemeinde gab es eine Familie, die fast jeden Sonntag ein paar Studenten zu sich nach Hause zum Mittagessen einlud. Für ihn war Sonntag immer einer der schönsten Tage der Woche.
Was können wir also tun?
Ein Rat an Studenten
Wenn du Student bist, such dir zuerst eine Gemeinde, in der du der Lehre vertrauen kannst. Wird Jesus treu als der Retter und Herr der Welt verkündigt? Wird die Bibel als sein Wort verkündigt? Wenn ja, dann gib der Gemeinde eine Chance, deine Gemeinde zu werden.
Ich weiß, wie es ist, nach dem Gottesdienst nicht zu wissen, mit wem man reden soll und wie doof man sich vorkommt, so allein mit seiner Teetasse herumzustehen. Aber lass dir sagen: Du bist sicher nicht allein. Schau dich mal um! Vielleicht siehst du jemanden, der dasselbe tut. Sprich die Person an, frag sie, woher sie kommt, was ihre Geschichte ist …
Bring dich ein, wo es dir möglich ist. Es wird eigentlich immer jemand gebraucht, der noch beim Abbauen von Dingen hilft, oder der für irgendeine Veranstaltung etwas backt.
Sprich jemanden an, ob er für dich beten kann, um in dieser Stadt und Gemeinde Fuß zu fassen und Gottes Willen zu tun.
Lade andere Studenten in deine Gemeinde ein. Gerade zu Semesterbeginn gibt es viele, die noch auf der Suche nach einer Gemeinde sind. Warum lädst du sie nicht in deine Gemeinde ein? Sei für sie der Gastgeber, den du dir selbst wünschst.
Hab Geduld und tu all dies für Jesus! Und schau, was Gott daraus macht!
Ein Rat an die Gemeinde
Auch wenn du kein Student (mehr) bist, ist es wichtig zu hören und zu verstehen, was an den Hochschulen deiner Stadt los ist und wie es den Studenten dort geht.
Für manche Gemeinden steht im Weg, dass Studenten nur „kurz“ oder nicht durchgängig da sind. Lohnt es sich überhaupt, in sie zu investieren? Falls das deine Gedanken sind, dann lass dich davon ermutigen, dass trotz allem gerade diese 3 bis 5 Jahre die prägendsten Jahre ihres Lebens sein könnten.
Sieh Studenten nicht einfach nur als die „namenlose Studentenriege“ in eurem Gottesdienst an. Rede persönlich mit ihnen, merk dir ihre Namen und Gesichter! Geh bewusst auf sie zu! Frag danach, wie es ihnen im Studium geht! Bete mit ihnen für ihre Belange! Ermutige sie! Lade sie zum Essen ein und lass sie in dein Leben hineinschauen! Es lohnt sich – der Beton ist noch nass!