Öffentliche Gebete mit Substanz
Ich bin mir sicher, dass meine Gebete im Gottesdienst manchmal nichtssagend und oberflächlich waren. Betrachte diesen Artikel daher nicht als die Lektion eines eingebildeten Lehrers, sondern als den Rat eines Freundes, der sich selbst bemüht, Oberflächlichkeit zu vermeiden, um andere besser auferbauen zu können.
Es scheint zwei Extreme zu geben, wenn wir uns mit dem öffentlichen Gebet – von der Kanzel, beim Gebetstreffen oder im Gottesdienst – befassen. Einerseits sind einige so sehr an ihr Manuskript gebunden, dass man nicht sicher ist, ob sie eine Bitte vorbringen oder einen Vortrag halten. Man bewundert die Rhetorik, aber es fällt schwer, danach „Amen“ zu sagen.
Andererseits sind manche Gebete so voller „ähs“ und „ähms“, dass man sich fragt, ob der Betende selbst überhaupt weiß, worum er bittet. Richard Sibbes mag recht haben: „Gott kann aus einem verwirrten Gebet einen Sinn herauslesen.“ Aber Gott hat diese Fähigkeit vielleicht nicht mit der Mehrheit der Anwesenden im Gottesdienst geteilt. Etwas mehr Substanz würde uns guttun!
Diese zweite Gruppe möchte ich mit diesem Artikel ermutigen. Wir wollen vermeiden, dass unsere Gebete „nichtssagend“ und „oberflächlich“ klingen.
1. Bete die Bibel
Wenn unsere Gebete stumm und wortkarg sind, liegt das oft daran, dass wir uns nur selten vor dem Wort Gottes niedergekniet haben. Das gilt besonders für diejenigen von uns, die predigen. Wenn wir eine Stunde lang zu einer Gemeinde über einen einzigen Vers sprechen können, dann sollten wir auch in der Lage sein, ein paar Minuten lang mit Gott über das zu sprechen, was wir in seinem Wort lesen.
Wir sollten nie ohne Gedanken sein, die wir vor Gott bringen können. Er hat uns ein Buch voller Worte gegeben, die es wert sind, sie auf den Lippen zu haben. Denken wir an Psalm 119,13: „Mit meinen Lippen verkünde ich alle Bestimmungen deines Mundes.“ Jemand, der seine Bibel nicht kennt, kann nicht gut beten, weil er seinen Gott nicht kennt.
„Jemand, der seine Bibel nicht kennt, kann nicht gut beten, weil er seinen Gott nicht kennt.“
Wenn aber die Worte Christi reichlich in uns wohnen, wenn seine Lehren unsere Freude sind, wenn wir über seine Gebote nachdenken und unsere Augen auf seine Wege richten, dann fließt sein Wort im Gebet aus uns, denn aus der Fülle des Herzens redet der Mund.
2. Bete wie Jesus
Manchmal ist die mangelnde Fähigkeit des Betens mit Substanz nur ein Beweis für unser mangelndes Gebetsleben. Wenn wir es nicht regelmäßig tun, fällt uns das Sprechen mit Gott schwer.
Bedenke in diesem Zusammenhang einige Aspekte des Gebetslebens von Jesus. Er betete regelmäßig. Er sprach regelmäßig mit seinem Vater. Die Menschen suchten nach Jesus, konnten ihn aber nicht finden, weil er sich zum Gebet zurückgezogen hatte (vgl. Mk 1,35–37). Er wiederholte seine Bitten sogar. Jesus hatte nicht immer das Bedürfnis, um neue Dinge zu bitten. Manchmal bat er immer wieder um die gleichen Dinge – wie im Gleichnis von der hartnäckigen Witwe (vgl. Lk 18,1–18).
Die Bibel verrät uns, dass Jesus einmal mit betrübter Seele betete: „Abba, Vater! Alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ (Mk 14,36). Wenn du weiterliest, kommst du zu Markus 14,39: „Und er ging wiederum hin, betete und sprach dieselben Worte.“ Manchmal tun wir so, als ob jedes Gebet neu sein sollte, als ob Jesus nicht gelehrt und vorgelebt hätte, dass wir die richtigen Dinge immer wieder beten sollten. In Matthäus 6,9–13 hat er uns sogar ein Gebet vorgegeben, das wir verwenden können.
Ist es nicht wunderbar, dass wir Jesu Antwort auf die Frage, wie wir beten sollen, bereits kennen? Wir täten gut daran, den Rat unseres Herrn häufiger zu befolgen.
3. Bete zu Gott
Jesus sagt uns, dass wir nicht wegen unserer vielen Worte erhört werden. Dennoch stellen wir den Wahrheitsgehalt dieser Anweisung häufig auf die Probe. Viel zu oft sind wir Heuchler, die mehr auf die Ohren und Augen der Sünder als auf die Ohren und Augen Gottes bedacht sind. In unseren gemeinsamen Gebeten sollten wir deutlich machen, dass wir nicht zu der Gemeinde beten – vielmehr beten wir für sie.
Wir beten nicht zu Menschen, wir beten zu unserem Vater im Himmel. Ob sieben Menschen oder 7.000 – das kumulative Ohr unserer Gemeinde ist unendlich weniger wichtig als das Ohr unseres Vaters im Himmel. Unsere Brüder und Schwestern in Christus hören unsere Gebete und sagen „Amen“ mit uns, aber es ist unser Vater im Himmel, der unsere Gebete hört und erhört.
Viele würden entspannter beten, wenn sie sich nur auf ihren Vater im Himmel konzentrieren würden. Wir sollten zuversichtlich sein wie der Psalmist, der sagte: „Doch wahrlich, Gott hat erhört, er hat geachtet auf die Stimme meines Flehens“ (Ps 66,19).
„Wir beten nicht zu Menschen, wir beten zu unserem Vater im Himmel. Ob sieben Menschen oder 7.000 – das kumulative Ohr unserer Gemeinde ist unendlich weniger wichtig als das Ohr unseres Vaters im Himmel.“
Wenn jemand der Meinung ist, dass das unvorbereitete Gebet vor der Gemeinde zu seelischer Faulheit führt, dann versteht er unter spontanem, von Glauben erfülltem Handeln etwas ganz anderes als ich. Wenn es einen solchen Leser gibt, dann möchte ich ihn auf Charles Spurgeon und seine Kommentare in The Faculty of Impromptu Speech (dt. Die Fähigkeit der spontanen Rede) hinweisen. Ich bin sicher, du wirst ihm von Herzen zustimmen:
„Wenn ein Mensch ohne direkt vorausgegangenes Studium sprechen will, muss er im Allgemeinen viel studieren. Das klingt vielleicht paradox, aber die Erklärung liegt auf der Hand. Wenn ich ein Müller bin und mir ein Sack vor die Tür gebracht wird und ich gebeten werde, diesen Sack innerhalb der nächsten fünf Minuten mit gutem, feinem Mehl zu füllen, kann ich das nur tun, indem ich dafür sorge, dass der Mehlbehälter meiner Mühle immer gefüllt ist, sodass ich den Sack sofort öffnen, füllen und ausliefern kann. Ich mahle nicht zufällig zu dieser Zeit, sondern ich habe vorher gemahlen, und so habe ich das Mehl, um es dem Kunden zu geben. Also, Brüder, ihr müsst gemahlen haben, sonst habt ihr kein Mehl. Ihr werdet nicht in der Lage sein, gute Gedanken zu formulieren, wenn ihr nicht die Gewohnheit habt, zu denken und euren Geist mit reichhaltiger Nahrung zu versorgen. Arbeitet in jedem verfügbaren Moment hart. Lagert eure Gedanken ein, und dann werdet ihr Waren für eure Kunden bereithalten – wie Kaufleute mit überfüllten Lagerhäusern. Nachdem ihr eure guten Dinge in den Regalen eures Geistes angeordnet habt, werdet ihr sie jederzeit weitergeben können, ohne den mühsamen Prozess des Einkaufens, Sortierens und Vorbereitens. Ich glaube nicht, dass es jemandem gelingen kann, die Gabe der Stegreifrede dauerhaft aufrechtzuerhalten, es sei denn, er wendet gewöhnlich viel mehr Arbeit auf, als es bei denen üblich ist, die ihre Reden schreiben und auswendig lernen. Nehmt es als eine Regel ohne Ausnahme, dass ihr voll sein müsst, um spontan überlaufen zu können.“
Beten ohne Vorbereitung sollte für uns so selbstverständlich sein wie das Weitergeben des Evangeliums an andere. Es ist einfach das, was wir als Christen tun. Kein Christ sollte ein Manuskript brauchen, um das Evangelium zu verkünden, und kein Christ sollte ein Manuskript brauchen, um zu beten!
Natürlich bedarf es ständiger Mühe und Eifer, um von seinem Wort erfüllt zu sein, und ein sorgfältiges Streben danach, sich von seinem Geist leiten zu lassen. Aber unsere Zuversicht im Gebet liegt nicht in der Darbringung unserer Gebete, sondern in den Verheißungen Gottes, die Jesus uns im Evangelium zugesichert hat. Hör auf seine Worte: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch zuteilwerden“ (Joh 15,7).
Mögen wir, im Glauben an Christus und mit Herzen, die von seinem Wort erfüllt sind, um alles bitten, was wir wünschen – mit Substanz, auch ohne schriftliche Vorlage.