Gott aller Dinge

Rezension von John-Michael Warkentin
12. September 2024 — 7 Min Lesedauer

Mich hat es schon immer fasziniert, wenn Autoren oder Dichter es schaffen, tiefe geistliche Realitäten anhand alltäglicher Beobachtungen zu veranschaulichen. Barthold Hinrich Brockes zum Beispiel malte in seiner Gedichtsammlung Irdisches Vergnügen in Gott anhand seiner Naturbeobachtungen geniale Bilder von Gottes Größe, Allmacht und Kreativität. Während Brockes im Gedicht „Kirschblühte bei der Nacht“ eine solche bestaunt, war er sich dabei dennoch stets im Klaren:

„Wie sehr ich mich am Irdischen ergetze,
Dacht’ ich, hat Gott dennoch weit größre Schätze.“

Nicht ganz so poetisch, aber genauso eindrücklich und kreativ schafft Pastor und Autor Andrew Wilson das in seinem neuen Buch Gott aller Dinge: Die Wiederentdeckung des Heiligen in einer alltäglichen Welt.

Alltägliche Dinge

Schon beim Blick ins Inhaltsverzeichnis ist Wilsons Anliegen auffallend erfrischend erkennbar. Er möchte dem Leser das Wesen Gottes und sein heilsgeschichtliches Wirken nicht in erster Linie anhand hochtheologischer Begriffe und Konzepte, sondern durch alltägliche Beobachtungen der Natur eindrücklich vor Augen malen.

Wilson erläutert verschiedene Wesenszüge Gottes sowie wichtige theologische Wahrheiten anhand alltäglicher „Dinge“ wie Staub, Steine oder Städte. Ein Blick auf kleinste Teilchen (wie beispielsweise ein Staubkorn) zeigt dem Menschen seine Endlichkeit auf. Die Betrachtung der Weiten zahlloser Galaxien gibt einen kleinen Einblick in die unfassbare Größe Gottes als Schöpfer. Anhand des Regenbogens erklärt er die Treue Gottes (Kapitel 12). Um Jesus als den Sohn Gottes zu beschreiben, gebraucht er das Bild des Brotes (Kapitel 22).

Heilsgeschichtliche Anordnung

Gott aller Dinge umfasst ca. 200 Seiten und beinhaltet zwei große Abschnitte, einen für das Alte, einen für das Neue Testament. Beide Teile sind jeweils in 15 Kapitel aufgebrochen, welche nie mehr als acht Seiten umfassen – also auch optimal fürs Lesen zwischendurch. Das Buch ist für jedermann sprachlich verständlich geschrieben. Wenn Wilson theologische Begriffe verwendet, erklärt er sie auch. Seine zentrale Botschaft, die Wesenszüge Gottes (wie etwa seine Allgegenwart oder Souveränität) und Gottes Rettungsplan für die Menschheit, vermag er anhand einfacher Begriffe äußerst anschaulich zu erklären. Gerade Eltern und Sonntagsschulmitarbeiter finden hier sehr bildhafte Beispiele, um Kindern scheinbar abstrakte Wahrheiten anschaulich zu erklären. Als Brite schreibt Wilson vorwiegend für den englischsprachigen Raum. Daher sind leider viele Illustrationen und manche Wortspiele für den deutschsprachigen Leser nicht immer nachvollziehbar. Redaktionelle Anmerkungen in den Fußnoten erklären bestimmte Passagen oder Wortspiele, wo dies für notwendig erachtet wurde.

„Gerade Eltern und Sonntagsschulmitarbeiter finden hier sehr bildhafte Beispiele, um Kindern scheinbar abstrakte Wahrheiten anschaulich zu erklären.“
 

Wilson führt die verschiedenen Themen grob entlang der kanonischen Reihenfolge der biblischen Bücher aus. Daher ist beim Lesen ein grundlegendes Vorwissen über die biblische Heilsgeschichte vorauszusetzen. Wer den roten Faden durch die Bibel noch nicht sicher gefunden hat, wird es an manchen Stellen schwer haben, bestimmte Ereignisse und Konzepte, von denen Wilson schreibt, richtig einordnen zu können. Das Buch eignet sich also eher für Christen, die schon etwas mit dem heilsgeschichtlichen Verlauf der Bibel vertraut sind. Wilsons Ausführungen werden dabei helfen, manche Lücken zu füllen und viele Themen tiefer zu verstehen.

Interessante Kapitelüberschriften

Die manchmal seltsam anmutenden Kapitelüberschriften wecken eine gewisse Neugier und laden zum Weiterlesen ein, da nicht immer sofort ersichtlich ist, wie Wilson von einer bestimmten Sache zur dahinterliegenden geistlichen Wahrheit gelangen sollte. Am Ende von Kapitel 14 („Esel – der Friede Gottes“) schreibt Wilson etwa:

„Ich habe zu Beginn des Kapitels gesagt, dass die meisten von uns (mich eingeschlossen) niemals auf die Idee kommen würden, das Problem mit dem Bösen mit einem Esel zu lösen. Aber indem Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzog und damit das Versprechen gab, sein Volk nicht durch Gewalt oder Krieg, sondern in Demut und Frieden zu retten, hat er genau das getan. Schalom.“ (S. 105)

Alte Wahrheiten in neuen Worten (und Bildern)

Für Studenten, Theologen und Pastoren mag Gott aller Dinge inhaltlich nicht viel Neues bieten. Aber die Art und Weise, wie Wilson theologische Begriffe oder Zusammenhänge sprachlich vermittelt, kann ungemein helfen, altbekannte Wahrheiten aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und anstatt abgedroschener theologischer Floskeln neue Worte und Bilder für die Wahrheiten der Bibel zu formulieren.

In Kapitel 11 etwa geht Wilson kurz auf die verschiedenen Bundesschlüsse Gottes ein. Doch anstatt lediglich von einem „Werkebund“, „noachitischen Bund“ oder „Gnadenbund“ zu sprechen, nimmt er den dritthöchsten Berg der Welt, den Kangchendzönga, mit seinen fünf Gipfeln als eindrucksvolles Parallelbeispiel für fünf biblische Berge, auf denen Gott Bünde mit den Menschen schloss.

Die verändernde Kraft Christi im Leben des Besessenen aus Markus 5 vergleicht er in Kapitel 3 („Schweine – Die Einladung Gottes“) mit der Verwandlung eines stinkenden Schweins in wohlriechenden Speck! Das formuliert Wilson dann so:

„In Christus wird das Schwein Speck. Das ist die Einladung Gottes. Die, die niemand im Garten haben wollte, weil sie stinkend und grunzend herumwühlten, sterben und werden in der Küche willkommen geheißen, allen zum Genuss. Der beißende Gestank stirbt, die Unreinheit wird abgewaschen, und wir, die wir unrein waren, werden zu einer angenehmen, knusprigen, wohlschmeckenden und aromatischen Opfergabe für Gott.“ (S. 37)

Impulse für die Predigt

Angesichts der Kürze der Kapitel ist eine umfassende Behandlung vieler Themen – wie dem Problem des Bösen oder der Endzeit – natürlich nicht zu erwarten. Die Kapitel bieten aber hervorragende Startpunkte zur Vertiefung eines Themas und in vielen Fällen sogar praktische Predigtgliederungen und eindrückliche Illustrationen. So führt Wilson etwa in Kapitel 24 („Posaunen – Der Sieg Gottes“) sieben biblische Bedeutungen der Posaune oder in Kapitel 16 („Salz – Das Volk Gottes“) fünf Merkmale des Salzes an.

„Die Art und Weise, wie Wilson theologische Begriffe oder Zusammenhänge sprachlich vermittelt, kann ungemein helfen, altbekannte Wahrheiten aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und anstatt abgedroschener theologischer Floskeln neue Worte und Bilder für die Wahrheiten der Bibel zu formulieren.“
 

Als Pastor findet Wilson stets einen seelsorgerlichen und ermutigenden Ton. Dies schafft er, indem er in den meisten Kapiteln nicht nur auf das Wesen Gottes im Allgemeinen eingeht, sondern schließlich auch den Blick auf die ultimative Offenbarung Gottes in Jesus Christus oder auf die glorreiche Hoffnung einer erneuerten Schöpfung lenkt. Durch seine, wie Wilson sie nennt, „theomorphe“ Beschreibung alltäglicher Dinge (S. 18), erinnert er daran, sich als Christ nicht in der irdischen Wirklichkeit zu verlieren. Geht es zum Beispiel in Kapitel 10 um Sex, besteht die Gefahr „so sehr mit dem Sinnbild beschäftigt zu sein, dass wir die eigentliche Realität dahinter vergessen … Er ist nur ein Vorgeschmack auf … eine Freude, die größer und tiefer ist als alles, was wir uns vorstellen können“ (S. 81).

Zahlreiche Wegweiser

In der Lektüre dieses Buches lernt der Leser also nicht nur ganz neu schätzen, wie außerordentlich kreativ Gott ist. Vielmehr noch bekommt er in einer Welt, die oft immer fremder und kaputter scheint, einen Blick für die vielen kleinen oder großen „Wegweiser“, die auf einen großen Gott und eine herrliche Zukunft verweisen. Wilson schreibt schließlich:

„Wir beten einen Gott der Dinge an … ob leise oder laut, sie weisen über sich selbst hinaus auf den Gott, der die materiellen Dinge geschaffen hat.“ (S. 210)

Wilson scheint damit mit Brockes übereinzustimmen, der sein Gedicht mit folgenden Worten abschließt:

„Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.“

Buch

Andrew Wilson, Gott aller Dinge: Die Wiederentdeckung des Heiligen in einer alltäglichen Welt, Lage: Permission Verlag, 2024, 224 Seiten, 16,90 EUR.