Crisis of Confidence
Was sollen Christen tun, wenn es scheint, dass die Welt verrückt geworden ist? Viele Gläubige im Westen stehen täglich vor dieser Frage. Einfach zu handeln scheint effektiver zu sein im Umgang mit dem Wahnsinn der Mehrheit, als nach theologischer Präzision zu streben. Ist theologische Präzision nicht ein Luxus, den man sich leistet, wenn es der Kirche gut geht? Diese Frage setzt voraus, dass rigorose theologische Reflexion und das Beharren auf einer streng formulierten Lehre zwar ganz nett sind, aber nicht wirklich das, was die Kirche für das geistliche Wohlergehen des Volkes Gottes tun muss.
„Sorgfältige theologische Reflexion und historische Verwurzelung sind für das Wohlergehen der Kirche gerade in Momenten der kulturellen Entfremdung notwendig.“
In Crisis of Confidence: Reclaiming the Historic Faith in a Culture Consumed with Individualism and Identity argumentiert Carl Trueman, dass sorgfältige theologische Reflexion und historische Verwurzelung für das Wohlergehen der Kirche gerade in Momenten der kulturellen Entfremdung notwendig sind. Diese leicht überarbeitete Ausgabe seines 2012 erschienenen Buches The Creedal Imperative vertieft Truemans Argumentation, dass das bekenntnisorientierte Christentum biblisch ist und im Einklang mit der historischen Praxis der Kirche steht. Es ist ein Gegenmittel für vieles, was die Kirche heute plagt.
Was bedeutet Bekenntnisorientierung?
Ein Glaubensbekenntnis ist der Versuch, die Lehre der Bibel in einer öffentlichen Erklärung unserer Überzeugungen zusammenzufassen. Wie Trueman, Professor für historische Theologie und Kirchengeschichte, feststellt, „ist ein Bekenntnis eine positive Glaubenserklärung“, die „zwangsläufig diejenigen ausschließt, die mit ihrem Inhalt nicht einverstanden sind“. Ein Bekenntnis zu schreiben bedeutet, sich zu bemühen, transparent und überzeugend darzulegen, was wir nach Gottes Wort für wahr halten. Es ist der Versuch, Rechenschaft darüber abzulegen, wie wir die Bibel und ihre Implikationen verstanden haben.
„Wenn kulturelle Überzeugungen Druck auf die grundlegenden Lehren ausüben, sind Bekenntnisse besonders wichtig.“
Die meisten Glaubensbekenntnisse in der Kirchengeschichte wurden in Zeiten des kulturellen und theologischen Aufruhrs wie dem unseren verfasst. Wie die Schriftstellerin und Essayistin Dorothy L. Sayers in ihrem Essay „Creed or Chaos“ treffend feststellt: „Ich glaube, Lehrer und Prediger machen nie deutlich genug, dass Dogmen keine willkürlichen Vorschriften sind, die von einem Komitee von Theologen, die sich an einem dialektischen Ringkampf erfreuten, a priori erfunden wurden. Die meisten von ihnen wurden unter dem Druck einer dringenden praktischen Notwendigkeit ausgearbeitet, um eine Antwort auf Ketzerei zu geben.“ Daher sind Bekenntnisse besonders wichtig, wenn kulturelle Überzeugungen Druck auf die grundlegenden Lehren ausüben.
Glaubensbekenntnisse sind auch für die geistliche Bildung in der Gemeinde von entscheidender Bedeutung. Trueman zufolge „kennt derjenige, der das (Apostolische oder Nicäische) Glaubensbekenntnis kennt, den grundlegenden Handlungsstrang der Bibel und hat somit ein potentiell tiefes Verständnis der Theologie“. Historische Bekenntnisse helfen bei der heutigen moralischen Bildung, weil sie „sowohl einen Rahmen für ethisches Denken als auch hilfreiche Beispiele dafür bieten, wie Christen früherer Epochen dieses Denken auf die Probleme ihrer eigenen Zeit angewandt haben“. Dies sind einige Gründe, warum die Reformation mit ihrem zentralen Grundsatz sola scriptura Dutzende Bekenntnisse und Katechismen hervorgebracht hat, um zu erklären, was die Schrift bedeutet.
Wie Trueman argumentiert, ist der Slogan „Kein Glaubensbekenntnis; nur die Bibel“ irreführend und untergräbt die Autorität der Bibel. Jeder Prediger, jeder Lehrer und jede Gemeinde legt die Bibel aus, um lehrmäßige und ethische Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn es kein Bekenntnis gibt, das diesen Interpretationen einen Rahmen gibt, werden sie durch die Behauptung „kein Glaubensbekenntnis“ tatsächlich mit der Schrift gleichgesetzt. Ferner entziehen sich diese Schlussfolgerungen der Kritik und sogar der Selbstprüfung, da sie nicht öffentlich dargelegt werden. Aus dieser Perspektive sind Bekenntnisse wichtig, „um die Macht der Kirche und ihrer Amtsträger zu begrenzen“.
Bekenntnisse können Missbrauch verhindern
Bekenntnisorientierung schützt alle Mitglieder in der Gemeinde. In unserer Zeit haben fehlende Bekenntnisse und fehlende Verhaltensnormen seelsorgerlichen Missbrauch ermöglicht, der viele Formen annehmen kann. Ohne eine lehrmäßige Erklärung, die Leiter gegenüber einem Korpus von Lehren rechenschaftspflichtig macht, können sie die theologischen Werte einer Gemeinde nach Belieben neu erfinden. Sie können Anwendungen auferlegen, die über die Bibel und sogar über die öffentlich bekräftigten Verpflichtungen der Kirche hinausgehen.
Trueman schreibt: „Nehmen wir zum Beispiel einen Pastor, der entscheidet, dass die Bibel lehrt, dass alle Christen einen bestimmten Kleidungsstil tragen sollten.“ In solchen Fällen erlaubt die lehrmäßige Unklarheit einer Gemeinde einem Leiter, seine Vorlieben – und sogar die Treue der Mitglieder zu sich selbst – in geforderte Lehrverpflichtungen zu verwandeln.
Zweideutigkeit und fehlende Rechenschaftspflicht sind wichtige und miteinander verbundene Faktoren, die einen Missbrauchstäter unterstützen. Das Fehlen eines öffentlichen Glaubensbekenntnisses begünstigt Probleme, die missbräuchliches Verhalten von Pastoren ermöglichen. Wenn eine Gemeinde kein klares und spezifisches Glaubensbekenntnis hat, sind die Lehre und das Verhalten einer Gemeinde der Willkür des Pastors oder der Mitglieder ausgeliefert.
Die Bekenntnisorientierung mag nicht alle Probleme verhindern, aber ohne eine solche wird jede Reaktion auf Übergriffe „viel undurchsichtiger und viel anfälliger für Missbrauch und Fehlinterpretationen sein, als wenn es eine klar formulierte Zusammenfassung der biblischen Lehre in Form eines Bekenntnisses gibt, auf das die Gemeinde zurückgreifen kann.“
Ohne ein öffentlich erklärtes Glaubensbekenntnis, das auch moralische Lehren enthält, ist der offensichtliche Mechanismus, mit dem Pastoren für ihre Lehren, ihr Verhalten und den Umgang mit Menschen zur Rechenschaft gezogen werden können, schwer greifbar. Ein Bekenntnis mag nicht perfekt dazu dienen, alle Fälle von Missbrauch zu verhindern, aber es ist eine Hilfe. Truemans Argument ist daher relevant, um ein großes Problem der Kirche anzusprechen.
Bekenntnisse sind immer noch erwünscht
Als The Creedal Imperative veröffentlicht wurde, befand sich die „Young, Restless, Reformed“-Bewegung an einem entscheidenden Punkt: Sie erkannte, dass die Begeisterung für die wiederentdeckten Wahrheiten über Gottes Souveränität in der Erlösung sich zu einer umfassenderen Akzeptanz von Lehre und Theologie allgemein ausweiten musste, einschließlich ihrer Verbindung zur Ekklesiologie. Vor über einem Jahrzehnt sprach Trueman mit seinem Plädoyer für die Bekenntnisorientierung ein wachsendes Problem für die Kirche an. Er rief junge Theologen dazu auf, historisch protestantisch und in der Kirche verwurzelt zu sein, und dieses Argument bleibt auch in Crisis of Confidence erhalten.
„Der expressive Individualismus behauptet, dass der authentischste Ausdruck dessen, was subjektiv aus unserem Inneren kommt, die Wahrheit ist. Im Gegensatz dazu bekräftigt die Bekenntnisorientierung, dass die Wahrheit objektiv außerhalb von uns existiert und uns prägen sollte.“
Wer Truemans Werk zum ersten Mal liest, wird von der Schnittmenge zwischen seiner kulturellen Analyse und seinem Eintreten für die klassische Theologie profitieren. Obwohl sich die Situation von Kirche und Kultur seit 2012 drastisch verändert hat, zeigt Truemans aktualisierte Argumentation, dass die Bekenntnisorientierung immer noch die richtige Medizin für die Probleme ist, mit denen wir in einer sich schnell verändernden Kultur konfrontiert sind. Das Buch knüpft an seine Arbeit aus The Rise and Triumph of the Modern Self an, da es zeigt, wie die Bekenntnisorientierung Christen in biblischen Lebensweisen schult, die vielen der beunruhigendsten Themen der westlichen Gesellschaft entgegenwirken.
Der expressive Individualismus behauptet, dass der authentischste Ausdruck dessen, was subjektiv aus unserem Inneren kommt, die Wahrheit ist. Im Gegensatz dazu bekräftigt die Bekenntnisorientierung, dass die Wahrheit objektiv außerhalb von uns existiert und uns prägen sollte. Die christliche Weltanschauung verlangt, dass wir uns der Realität und der Wahrheit anpassen, wie sie uns von Gott durch die allgemeine und besondere Offenbarung vermittelt wird. Die Bekenntnisorientierung hilft uns bei diesem Bestreben. In Crisis of Confidence zeigt Trueman, wie Bekenntnisse unseren Glauben gegenüber den vorherrschenden ideologischen Trends stärken können. Das ist eine willkommene Ermutigung in einer verrückt gewordenen Welt.
Buch
Carl Trueman, Crisis of Confidence: Reclaiming the Historic Faith in a Culture Consumed with Individualism and Identity, Wheaton: Crossway Books, 2024, 216 Seiten, ca. 26,15 EUR.