Von der Gastfreundschaft zum Evangelium
Vor einigen Jahren war ich in einem streng muslimischen Land auf einem Missionseinsatz. Wir verbrachten den ersten Teil unserer Reise als Touristen, um unserer Reise einen Anlass zu geben. Den zweiten Teil der Woche verbrachten wir dann in der Stadt mit Straßenevangelisation, ausgestattet waren wir mit Videos vom Evangelium in arabischer Sprache auf unseren Smartphones und der Hoffnung, dass jemand zum Glauben finden würde.
Am ersten Abend saßen wir in einem Restaurant und warteten auf einen Tisch, als ein zwanzigjähriger Jurastudent zu uns herüberkam, weil er sein Englisch auffrischen wollte. Nennen wir ihn Ahmed. Von anderen Mitarbeitern wurden wir bereits gewarnt, dass es durchaus sein könne, dass sich die erste Person, der wir begegnen, für den Rest der Reise an uns heften würde. In der Landeskultur war es eine Ehrensache in Namen des Landes sicherzustellen, dass wir als Ausländer eine großartige Reise haben. Wie Gott es so wollte, war in dieser Woche das Eid al-Adha, das zweite und weitaus größte Fest im Islam. Eid al-Adha ist das Äquivalent von Weihnachten im Westen.
In dieser Nacht aß Ahmed mit uns im Restaurant, am nächsten Tag gingen wir mit ihm Kajaken, am dritten Tag bereiteten seine Mutter und Schwestern ein traditionelles Eid-Fest für uns vor. Er öffnete sein Haus und diente uns. An diesem Abend gab es mehr Essen als 20 erwachsene Männer verdrücken konnten.
So etwas hatten wir noch nicht erlebt. Für mich war das eine große Lektion und ich verließ das Fest zutiefst beeindruckt. Wären die Rollen vertauscht und hätte ich Ahmed in Downtown Housten getroffen – niemals hätte ich ihm dieselbe Gastfreundschaft geboten.
Dem Fremden zur Liebe
Der Fremdling lag Gott schon immer am Herzen. In 3. Mose 19,34 befiehlt er dem Volk Israel, den Fremdling so zu behandeln, als sei dieser in Israel geboren. Sie sollten ihn lieben wie sich selbst, als Erinnerung an ihre Zeit als Fremdlinge in Ägypten.
Auch im Neuen Testament wird die Liebe für den Fremdling hochgehalten. Im Lukasevangelium wird von einem Gespräch zwischen Jesus und einem Gelehrten berichtet. Der Gesetzesgelehrte fragt Jesus, was er tun müsse, um ewiges Leben zu erlangen. Jesus dreht die Frage um und fragt den Gelehrten, was denn im Gesetz dazu zu finden sei. Der Gelehrte zitierte spontan 5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Lk 10,27). Dies, so bestätigt es Jesus, sei die korrekte Antwort, doch weil die Nächstenliebe kein Selbstläufer ist, möchte der Gelehrte wissen, wer denn der Nächste sei. Jesus antwortet mit einer äußerst erstaunlichen Geschichte über jemanden, den die Juden für eine äußerst merkwürdige Person gehalten hätten. Nicht merkwürdig im Sinne von seltsam, sondern merkwürdig im Sinne von anders. Jesus erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Die Samariter waren so anders, wie man nur anders sein konnte. Sie waren ein Juden-Heiden-Mischvolk, das nicht nur anders war, sondern verdorben. Jesus wählte das geschmackloseste und anstößigste Beispiel für Fremdheit, das er sich vorstellen konnte.
„Die Gemeinde sollte von allen Menschen auf dieser Welt am besten wissen, was Gastfreundschaft bewirkt.“
Und gerade die Samariter werden unser Vorbild für Gastfreundschaft. Warum? Weil es genau die Art von Liebe darstellt, die wir selbst erlebt haben. Wir waren Fremde, von Christus getrennt, vom Bündnis mit Gott ausgeschlossen, ganz allein und ohne Hoffnung in dieser Welt. Doch Christus hat uns durch die Kraft seines Blutes zu sich gezogen. Wir sind nun keine Fremdlinge mehr, sondern Mitbürger und Mitglieder der Familie Gottes (vgl. Eph 2,12–13).
Die Gemeinde sollte von allen Menschen auf dieser Welt am besten wissen, was Gastfreundschaft bewirkt. Das Evangelium ist eine Geschichte der Gastfreundschaft, eine Geschichte von Jemandem, der aufopfernd Fremde liebt, bis sie Teil der Familie werden.
Geh hin und handle ebenso!
Jesus beendet das Gespräch mit dem Gelehrten mit folgenden Worten: „So geh du hin und handle ebenso!“ (Lk 10,37). Der Befehl zur Gastfreundschaft impliziert einen Befehl zur Evangelisation. Schließlich möchte Liebe immer, was am besten für den Nächsten und am besten für Gott ist. Wie können wir, die wir so eine unverdiente Liebe erlebt haben, uns nicht umdrehen und es ebenso tun: den Nächsten mit allem lieben, was wir sind und was wir haben.
„Gastfreundschaft ist eine Herzenshaltung, die berücksichtigt, was es bedeutet, geliebt worden zu sein und danach strebt, die Liebe in derselben Weise weiterzugeben.“
Gastfreundschaft bedeutet nicht lediglich unser Haus zu öffnen und Kuchen zu backen. Es ist so viel mehr. Gastfreundschaft ist eine Herzenshaltung, die berücksichtigt, was es bedeutet, geliebt worden zu sein und danach strebt, die Liebe in derselben Weise weiterzugeben. Je mehr du dein Anderssein verstehst, desto mehr wirst du fähig sein, andere zu lieben, die dir fremd sind.
Ein praktischer Vorschlag
Mit diesem Artikel möchte ich keine Anleitung zur Gastfreundschaft geben, sondern den Horizont zu unserer Vorstellung von Gastfreundschaft erweitern. Dennoch habe ich einen praktischen Vorschlag: Als ich über meine Erfahrungen im Nahen Osten nachdachte, wurde mir klar, dass ich mein Haus als einen Ort der Einsamkeit und nicht des Einsatzes betrachtet hatte. Mein Haus war meine Burg und ich war mehr damit beschäftigt, mein Haus zu schützen als es zu teilen.
Wie denkst du über dein Haus? Gastfreundschaft ist schwer. Es steckt eine ganze Menge Opfer drin. Man opfert Zeit, Ressourcen und Privatsphäre, um Menschen in sein Zuhause zu bringen. Doch egal, wie viel wir opfern, wir werden niemals dem Opfer der Gastfreundschaft Christi gerecht.
Fazit
Ahmed war ein besserer Evangelist als ich. Er präsentierte sein Land und seine Leute besser als ich meinen König. Seine Gastfreundschaft öffnete mein Herz für ihn. Das ist das Geheimnis der Gastfreundschaft. Je fremder jemand ist, desto effektiver ist Gastfreundschaft für das Evangelium. Wenn jemand versteht, dass du anders bist als sie, können sie deine Güte nicht einfach so auf natürliche Weise rechtfertigen. Sie müssen nach einer übernatürlichen Antwort suchen, und du wirst sie ihnen geben.