Was ist das Malzeichen des Tieres?

Was wir bei der Auslegung von Offenbarung 13 beachten sollten

Artikel von Thomas R. Schreiner
1. Juli 2024 — 16 Min Lesedauer

Ein fürchterliches Tier (Verse 1–3)

Johannes sieht ein Tier aus dem Meer aufsteigen, das von dem Drachen am Meeresufer herbeigerufen wurde (vgl. Offb 12,18). Das Meer war für die Israeliten ein Ort von Chaos, Gefahr und des Bösen. Die Vision bezieht sich auf Daniel 7,3, wo dieser „vier große Tiere … aus dem Meer“ aufsteigen sieht. Im Buch Daniel stehen die Tiere für große Reiche. Auch Johannes hat ein großes Reich im Sinn – mit ziemlicher Sicherheit Rom. Das Reich, das aus dem Meer aufsteigt, ist weder menschlich noch gerecht und unterstützt seine Bürger nicht. Stattdessen ist es wie ein wütendes und wildes Tier, das sich an seinen Bürgern vergreift.

„Das Meer war für die Israeliten ein Ort von Chaos, Gefahr und des Bösen.“
 

Das hier beschriebene Tier ist wahrscheinlich das vierte Tier, das Daniel sah (vgl. Dan 7,7.19.23). Das Tier in der Offenbarung hat außerordentliche Macht, denn es hat zehn Hörner mit zehn Diademen (Symbole der Herrschaftsgewalt; vgl. Offb 17,12; 7,20.24). Es hat sieben Köpfe, die auch ein Zeichen für seine Autorität und Macht sind. Der Drache hatte sieben Köpfe und zehn Hörner (vgl. Offb 12,3), und er hat seine Macht an das Tier weitergegeben. Genau wie der Drache verhöhnt das Tier mit seinen Hörnern und Diademen den Christus (vgl. Offb 5,6; 19,12). Die sieben Köpfe tragen gotteslästerliche Namen, bei denen es sich vielleicht um römische Gottheitsansprüche handelt (vgl. auch Offb 17,3). Namen wie „Herr“, „Sohn Gottes“ und „Erlöser“ weisen wieder auf den Gottheitsanspruch des Tieres hin. Das Tier ist nicht auf das Römische Reich beschränkt; es bezieht sich auf Rom, gilt aber auch für jede Erscheinungsform des Bösen in allen Regierungen der Geschichte, auch für den letzten Konflikt, der am Ende kommen wird.

Das Tier, das aus dem Meer aufsteigt, ist wie ein Leopard, hat Füße wie ein Bär und ein Maul wie ein Löwe. In Daniels Vision der vier Tiere war das erste (Babylon) wie ein Löwe mit Adlerflügeln (vgl. Dan 7,4), das zweite (Medo-Persien) wie ein Bär (vgl. Dan 7,5) und das dritte (wahrscheinlich Griechenland) wie ein Leopard mit vier Vogelflügeln und vier Köpfen (vgl. Dan 7,6). Johannes sieht diese Tiere vereint in Daniels viertem Tier (wahrscheinlich Rom; vgl. Dan 7,7.19.23). Dieses Tier ist kein souveräner Herrscher, sondern erhält seine totalitäre Herrschaft vom Drachen – seine Regierungsgewalt ist daher dämonisch (vgl. 2Thess 2,8–9).

Einer der Köpfe des Tieres hat eine tödliche Wunde, von der es sich aber erholt (vgl. Offb 13,3). Viele Ausleger denken, dass hier eine konkrete Person gemeint ist. Nach Neros Tod im Jahr 68 n.Chr. kam die Legende auf, dass er (aus Parthien) zurückkehren und erneut regieren würde, und Johannes könnte diese Überlieferung im Sinn gehabt haben. Wenn Johannes seine Vision aber in den 90ern niederschrieb (das plausibelste Datum), ist dieser Gedankengang unwahrscheinlich. Nero war da schon lange tot. Es ist daher wahrscheinlicher, dass sich der Hinweis nicht auf eine Herrscherperson, sondern auf ein Reich als Ganzes bezieht. Die tödliche Wunde steht für das vermeintliche Ende tyrannischer Herrschaft. Es sieht aus, als sei die Herrschaft Roms niedergeschlagen und für immer beseitigt worden. Doch das Reich ist nicht wirklich zerstört; gerade als es scheint, dass seine Tyrannei beendet ist, wird seine Macht wiederhergestellt. Der sogenannte Todesstoß ist unwirksam. Die Folge: Die Welt ist über das Tier erstaunt und folgt ihm nach. Die Wiederbelebung eines dämonischen Reiches figuriert die Auferstehung, und so persifliert das Tier einmal mehr den Christus.

Die Anbetung des Tieres (Verse 4–5)

Die anhaltende Macht des Tieres und seines Reiches führt die Menschen zur Anbetung des Drachen und des Tieres. Der Drache wird angebetet, weil er dem Tier Macht verleiht. Das Tier wird wegen seiner angeblichen Auferstehung angebetet. Es gilt als unvergleichlich und allmächtig – es macht sich also Gott gleich (vgl. 2Mose 15,11; Ps 89,7). Die Menschen beten das Tier an, weil sie glauben, dass man ihm nicht widerstehen oder es überwinden kann. Wie so oft in der Geschichte, stellen sich die Menschen auf die Seite des Siegers.

Zweimal wird in diesen Versen gesagt, was dem Tier „gegeben“ wird: ein Mund, um stolze, lästerliche Worte auszusprechen, und Macht, für 42 Monate zu wirken. Der Satzteil „es wurde gegeben“ (griech. edothē) erscheint noch vier Mal in diesem Kapitel (13,7.14.15). In dieser Passivkonstruktion ist Gott das implizite Subjekt. Er ist es, der eigentlich gibt. Obwohl der Drache dem Tier aktiv seine Macht gibt (griech. edōken; 13,2.4), herrscht Gott über das, was das Tier ausführt, indem er dem Tier erlaubt oder gestattet, seine Macht auszuüben. Auch wenn Gott das Tier herrschen lässt, hat er nicht die gleichen Beweggründe oder Absichten wie Satan. Gottes Gericht ist ein „befremdendes“ Werk (Jes 28,21). Gott ruft die Bösen auf, Buße zu tun und zu leben (vgl. Hes 18,23.32), während Satan sich freut, wenn Menschen vernichtet werden. Das „Verborgene“ gehört dem Herrn (5Mose 29,28), und daher können wir die logische Beziehung zwischen göttlicher Souveränität und menschlicher Verantwortung nicht vollständig erkennen.

Der Widerstand des Tieres gegen Gott (Vers 6)

Das Tier ist von sich selbst eingenommen und äußert „große Dinge und Lästerungen“ gegen Gott. Auf dieselbe Weise fungierte Antiochos IV. Epiphanes (ca. 215 v.Chr.–164 v.Chr.) zu seiner Zeit als Typus des kommenden Tieres (vgl. Dan 7,8.20; 11,36). Ein solches Vorgehen passt auch zu dem „Mensch der Gesetzlosigkeit“, der sich zum Gott erhebt (2Thess 2,3–4). Dem Tier wird erlaubt, seine Macht 42 Monate lang auszuüben. Manche verstehen dies als buchstäbliche dreieinhalb Jahre bis zur Wiederkunft Jesu. Johannes beschreibt jedoch eher den gesamten Zeitraum zwischen Jesu erstem und zweitem Kommen (vgl. Offb 11,2). Er schrieb nicht über Tage, die weit von seinen Lesern entfernt waren, sondern über die Auswirkungen des Römischen Reiches auf sie. Alle totalitären Regierungen, die sich selbst göttliche Autorität anmaßen, sind dem Tier gleich.

Johannes konzentriert sich in seiner Beschreibung der Vision auf die Opposition des Tieres gegen Gott. Dabei nimmt er Bezug auf das Buch Daniel. Wie in Vers 5 drückt sich die Selbsterhöhung des Tieres in seinem Reden aus, das Gott und seinen Namen lästert. Ebenso tat es Antiochos IV. Epiphanes, von dem es in Daniel 7,25 heißt: „Er wird Worte reden gegen den Höchsten.“ Auch die Prophezeiung in Daniel 11,36 wird erfüllt: „Er wird sich erheben und sich groß machen gegen jeden Gott, und gegen den Gott der Götter wird er unerhörte Reden führen.“ Das Tier schmäht auch das Zelt Gottes und jene, die im Himmel wohnen (vgl. Offb 12,12). Dies ist wahrscheinlich eine Anspielung auf das Volk Gottes (vgl. Offb 21,3), dessen wahre Heimat im Himmel ist. Die Handlungen des Tieres stimmen hier mit Daniel 7,25 überein, wo sich das Tier gegen Gott und sein Volk stellt. Das Tier, das sich als Gott anmaßt, hasst alles und jeden, der dem einen wahren und lebendigen Gott ergeben ist.

Gott regiert über das Tier (Vers 7)

Zweimal noch sehen wir, was Gott dem Tier „gegeben hat“ (griech. edothē). Erstens erlaubt Gott ihm, Krieg gegen die Heiligen zu führen und sie zu besiegen. Das bedeutet nicht, dass die Heiligen ihren Glauben aufgeben. Es bedeutet, dass Gott dem Tier erlaubt, ihnen das Leben zu nehmen (vgl. Offb 2,13; 6,9–11; 16,6; 17,6; 18,24; 19,2; 20,4); auch dies folgt dem Muster in Daniel, wo Daniel über Antiochos IV. Epiphanes sagt: „Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte“ (Dan 7,21; vgl. Dan 7,25). Zweitens gewährt Gott die Wünsche des Tieres für eine bestimmte Zeit, sodass das Tier Macht über alle Stämme, Sprachen, Völker und Nationen ausübt. Wir sehen hier die weiten Folgen des Kaiserkults und den totalitären Charakter der Herrschaft des Tieres.

Die Erdbewohner und das Lebensbuch (Vers 8)

Die Autorität und Herrschaft des Tieres lösen bei den Bewohnern der Erde Furcht und Bewunderung aus, und sie beten das Tier an. Der Vers liest sich so, als würden alle, ohne Ausnahme, das Tier anbeten. Aber die Formulierung „alle, die auf der Erde wohnen“ (griech. pantes hoi katoikountes epi tēs gēs) ist in der Offenbarung ein Begriff für Ungläubige. Diese Auslegung wird im selben Satz bestätigt, denn die Erdbewohner sind hier diejenigen, deren Namen nicht im Buch des Lebens stehen. Das Buch des Lebens enthält die Namen derer, die nicht im Feuersee umkommen werden (vgl. Dan 12,1; Phil 4,3; Offb 3,5; 17,8; 20,12.15; 21,27; 22,19). Diejenigen, die dem Tier die Treue halten, gehören nicht zu dem einen wahren Gott.

„Die Macht des Tieres deutet nicht darauf hin, dass Gott seine souveräne Herrschaft über die Welt aufgegeben hat, denn das Tier übt seine Macht nur durch Gottes Willen aus.“
 

Manche Übersetzungen sprechen von „alle, deren Namen nicht vom Anfang der Welt an geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes“ (Lutherbibel). Ähnlich äußert sich Johannes in Offenbarung 17,8, wo er von den Bewohnern der Erde spricht, „deren Namen nicht in das Buch des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an“. Die Wortfolge in Offenbarung 13,8 könnte auch darauf hindeuten, dass Johannes mit der Zeitangabe das Lamm meint, „das geschlachtet wurde von Grundlegung der Welt an“. Angesichts der Parallelen spricht Johannes aber eher von denen, die in das Buch des Lebens eingeschrieben waren, bevor die Geschichte begann. Immerhin war der Tod Christi zwar vorherbestimmt, bevor die Geschichte begann – es wäre aber etwas völlig anderes zu sagen, dass er tatsächlich geschlachtet wurde, bevor die Welt begann. Das Lamm wurde in der Menschheitsgeschichte geschlachtet, nicht bevor die Welt begann. Andererseits hat Gott bereits vor dem Beginn der Geschichte entschieden, wer in das Buch des Lebens eingetragen werden soll.

Macht euch bereit! (Verse 9–10)

Johannes greift hier auf eine Formel zurück, die in allen sieben Sendschreiben verwendet wird (vgl. Offb 2,7.11.17.29; 3,6.13.22). Wer Ohren hat, soll diese öffnen und auf das hören, was vom Geist gesagt wird! Die Menschen werden im Voraus über die Macht des Tieres und das Verfolgen und Töten von Christen informiert. Ihnen wird gesagt, dass die Ungläubigen dem Tier ihre Verehrung und ihre Anbetung schenken werden. Darauf müssen sich die Gläubigen vorbereiten. Einige von ihnen sind für die Gefangenschaft bestimmt – und sie werden tatsächlich in die Gefangenschaft gehen. Andere sind dazu bestimmt, durch das Schwert getötet zu werden – und so wird es auch sein (vgl. Jer 15,2; 43,11). Solche Ereignisse bedeuten nicht, dass Gott sie verlassen oder vergessen hat. Die Macht des Tieres deutet nicht darauf hin, dass Gott seine souveräne Herrschaft über die Welt aufgegeben hat, denn das Tier übt seine Macht nur durch Gottes Willen aus. Daher sind die Gläubigen aufgerufen, auszuharren und ihrem Herrn treu zu bleiben. Sie müssen trotz der Verfolgung und der Schwierigkeiten, die ihnen bevorstehen, treu bleiben.

Das zweite Tier: der unheilige Geist (Verse 11–13)

Der nächste Abschnitt beginnt damit, dass Johannes ein anderes Tier sieht, das aus der Erde aufsteigt. Dieses andere Tier wird an anderer Stelle als der „falsche Prophet“ bezeichnet (vgl. Offb 16,13; 19,20; 20,10). Das zweite Tier behauptet also, für Gott zu sprechen. Es stellt eine religiöse Autorität dar, die im Widerspruch zu Gottes Wort und Weg steht. Wenn das erste Tier das Römische Reich repräsentiert, ist das zweite Tier wahrscheinlich die kaiserliche Priesterschaft. Die Täuschung durch das zweite Tier ist offensichtlich – es hat zwei Hörner wie ein Lamm und gibt sich damit als gleichberechtigt mit dem Lamm aus. Aber in Wirklichkeit spricht es wie der Drache und offenbart damit, dass seine Botschaft dämonisch ist. Jesus selbst hat davor gewarnt, dass falsche Propheten „in Schafskleidern“ kommen würden, während sie in Wirklichkeit „reißende Wölfe“ sind (Mt 7,15).

Das zweite Tier ist das dritte Mitglied der unheiligen Dreifaltigkeit und wirkt wie ein unheiliger Geist. Es übt die Macht des ersten Tieres in dessen Gegenwart aus und zwingt die Bewohner der Erde (alle Ungläubigen), das Tier anzubeten. Die Ungläubigen kommen dem gerne nach, denn das Tier scheint göttliche Kräfte zu haben und erholt sich von einer scheinbar tödlichen Wunde. Mit anderen Worten: Das Tier hat seine eigene Version der Auferstehung – gerade als die totalitäre Herrschaft besiegt zu sein scheint, erhebt es sich aus der Asche, um wieder zu herrschen.

Die Überzeugungskraft des zweiten Tieres wird durch seine Wundertaten noch verstärkt. Mit anderen Worten: Die falsche Religion scheint empirisch verifiziert zu werden. So wie Elia Feuer vom Himmel fallen lassen konnte (vgl. 1Kön 18,38), so wird die falsche Religion hier angeblich durch Zeichen und Wunder bestätigt. Sowohl Jesus (vgl. Mt 24,24) als auch Paulus (vgl. 2Thess 2,9) lehrten, dass falsche Christusse und Propheten Wunder vollbringen würden. Durch solche Wunder werden die Gläubigen auf die Probe gestellt, um ihre Hingabe an den Herrn zu prüfen (vgl. 5Mose 13,1–3).

Das lebendige Bild (Verse 14–15)

Die Zeichen verführen die Erdbewohner (Ungläubige), indem sie sie davon überzeugen, dass das Tier der Anbetung und des Lobes würdig ist. Deshalb machen sich die Bewohner der Erde ein Bild von dem Tier. Bilder wurden geschaffen, um angebetet zu werden. Und Johannes erinnert uns erneut daran, dass das Tier angebetet wird, weil es tot zu sein schien, aber wieder zum Leben erwachte.

  • „Bild“ bedeutet nicht, dass ein buchstäbliches Bild des Tieres gemacht wird. Es ist Johannes apokalyptische und symbolische Art zu sagen, dass das Tier wie eine Götzenfigur angebetet wird.
  • „Lebendig“ (Offb 13,14) (griech. ezēsen) wird an anderer Stelle für die Auferstehung Christi verwendet (vgl. Röm 14,9; Offb 2,8), und der Plural „sie wurden lebendig“ (griech. ezēsan) bezieht sich an anderer Stelle auf die geistige oder körperliche Auferstehung der Gläubigen (vgl. Offb 20,4–5). Das Tier ist also eine Parodie und Fälschung von Christus.

Wir sehen erneut, dass das zweite Tier den Heiligen Geist imitiert. So wie der Geist kam, um Jesus zu verherrlichen (vgl. Joh 16,14) und ihn zu salben (vgl. Lk 4,18–21), so ehrt und befähigt das zweite Tier das erste. Wenn Johannes beschreibt, dass es dem Bild des Tieres Leben verleiht, ist nicht gemeint, dass ein Bild buchstäblich zum Leben erwacht. Vielmehr geht es darum, dass das zweite Tier das erste Tier in seinen Unternehmungen ermächtigt und unterstützt. Die Rede des ersten Tieres erscheint übernatürlich, inspiriert, autoritär, zwingend; es spricht in Orakeln. Aber es geht nicht nur um Überzeugung. Zwang ist ein Hauptbestandteil des „Dienstes“ des zweiten Tieres. Diejenigen, die sich weigern, das erste Tier anzubeten, werden hingerichtet. In ähnlicher Weise schreibt Plinius an den Kaiser Trajan (98–117 n.Chr.), wie er mit den Christen verfahren soll: Er soll sie nicht bestrafen, wenn sie den Göttern opfern (Epistulae 10.96.5 LCL), aber wenn sie sich weigern, sollen sie hingerichtet werden. Eine solcher absoluter Gehorsam wurde auch von Nebukadnezar gefordert (vgl. Dan 3,5–6). Diejenigen, die sich vor dem Tier beugen, offenbaren, dass sie nicht zu dem einen wahren Gott gehören (vgl. Offb 14,9–11; 16,2; 19,20; 20,4).

Das Malzeichen des Tieres (Verse 16–17)

Das zweite Tier setzt die Macht des ersten Tieres auch durch wirtschaftliche Diskriminierung durch. Niemand – unabhängig von sozialer Stellung oder Einfluss – wird kaufen oder verkaufen können, wenn er nicht ein Zeichen auf der Stirn oder an der Hand hat, das die Ergebenheit gegenüber dem Tier signalisiert. Die Zahl steht für den Namen des Tieres (vgl. Offb 14,11; 15,2). Viele Ausleger nehmen dies wörtlich, als ob ein buchstäbliches Zeichen auf Stirn und Hand eingeprägt wäre. Doch wahrscheinlich ist die Sprache hier symbolisch: So wie das Siegel auf den Stirnen der 144.000 nicht wörtlich zu verstehen ist (vgl. Offb 7,3–4), sollte auch dieses Zeichen nicht wörtlich verstanden werden. In jedem Fall verschwören sich die beiden Tiere, um die Gläubigen vom Markt auszuschließen.

Seid weise! (Vers 18)

Johannes schließt diesen Abschnitt mit einer Aussage, die die Ausleger im Laufe der Geschichte fasziniert und zugleich verwirrt hat. Er fordert die Leser auf, weise zu sein, damit sie die Zahl des Tieres berechnen können. Wir erfahren, dass die Zahl eines Menschen Zahl ist: 666. In einigen Handschriften steht 616, aber die beste Lesart ist 666. Wenn sich die Zahl auf eine bestimmte Person bezieht, ist die wahrscheinlichste Vermutung Nero. Wenn „Nero Caesar“ aus dem Griechischen ins Hebräische transliteriert wird, ergeben die Buchstaben 666. Es ist aber zu bezweifeln, dass das ursprüngliche Publikum diese komplexe Lösung verstanden hätte.

„Im Laufe der Geschichte sind viele wilde Spekulationen über die Identität der Person verbreitet worden, und jede Vermutung war bisher falsch. Wenn 777 für Heiligkeit und vollkommene Güte steht, dann bedeutet 666 die Ungeheuerlichkeit und Totalität des Bösen.“
 

Im Lauf der Geschichte sind viele wilde Spekulationen über die Identität der Person verbreitet worden, und jede Vermutung war bisher falsch. Der Vorteil eines Hinweises auf Nero liegt darin, dass er in die Zeit passt, in der Johannes schrieb. Zu dieser Zeit gab es Spekulationen und Befürchtungen, dass Nero nach seinem Tod zurückkehren würde. Dennoch ist es nicht einfach oder offensichtlich, einen Bezug zu Nero zu erkennen, denn man muss aus dem Griechischen ins Hebräische transliterieren, um die Zahl 666 zu erhalten, was für das Publikum etwas weit hergeholt erscheint. Wenn die Offenbarung um 90 n.Chr. geschrieben worden wäre, hätte die Angst vor der Rückkehr Neros zu diesem Zeitpunkt, wie bereits erwähnt, deutlich nachgelassen. Vielleicht ist es besser, in eine andere Richtung zu denken.

Die Zahl 777 steht für Vollkommenheit, aber Johannes sagt, 666 sei die Zahl eines Menschen. Die Zahl 666 steht also für das, was gottesfeindlich und antichristlich ist, für alles, was im Gegensatz zu dem einen wahren Gott steht. Wenn 777 für Heiligkeit und vollkommene Güte steht, dann bedeutet 666 die Ungeheuerlichkeit und Totalität des Bösen. Johannes will hier also nicht auf eine bestimmte Person hinweisen. Vielmehr zeigt er, dass das Reich des Tieres ein menschliches Reich ist, ein böses Reich, und nicht ein göttliches. Die Natur des Menschen in Trennung von Gott ist dämonisch. Das Reich des Tieres verspricht Leben und Wohlstand, bringt aber Tod, Elend und Verwüstung.