Ist die christliche Sicht von Sexualität nicht gefährlich?

Buchauszug von Sam Allberry
21. Juni 2024 — 4 Min Lesedauer

Einer der häufigsten und bedeutendsten Vorwürfe gegen das traditionelle christliche Verständnis von Sexualität und Ehe lautet, dass es Menschen zutiefst schade. Jemandem die Ausübung seiner Sexualität zu verweigern, wird als Ablehnung seiner Person angesehen. Er solle etwas unterdrücken, was wesentlich für seine Identität und damit für seine Selbst­entfaltung sei. Dies sei schädlich für jeden, besonders aber für Teenager, die sich noch in ihrer Entwicklung befinden und dabei sind, mit ihrer Sexualität klarzukommen. Christen seien schuld, wenn schwule Teenager mit Komplexen und Schuldgefühlen aufwachsen oder sich umbringen.

Dieser Vorwurf findet sich besonders heftig bei Dan Savage:

„Der entmenschlichende religiöse Eifer, den gläubige Christen an den Tag legen, gibt ihren Kindern die Erlaubnis, schwule Mitschüler verbal zu beleidigen, zu demütigen und zu verurteilen. Diese treiben schwule Kinder in suizidale Verzweiflung. Und Sie haben die Nerven, mich zu bitten, vorsichtiger in meiner Wortwahl zu sein!“[1]

Es versteht sich von selbst, dass dies ein unglaublich schwerwiegender Vorwurf ist. Er ist so besorgniserregend, dass viele Christen anfangen zu denken, dass die traditionelle Sicht falsch sein müsse, wenn sie eine solche Wirkung auf Menschen hat. Wenn etwas zu solch einer Form von Selbsthass und Verzweiflung führt, kann es nicht die Frucht von Gottes Wahrheit sein.

Dazu muss als Erstes gesagt werden, dass es in den vergangenen Jahren tatsächlich Beispiele von Jugendlichen gab, die verzweifelt waren und sogar Selbstmord begingen und die für ihre Not den echten oder empfundenen Druck von Christen verantwortlich machten, die ihre Homosexualität ablehnen. Das ist die Realität. Junge Menschen in und außerhalb der Gemeinde leiden tief darunter.

Und wer könnte leugnen, wie unsäglich traurig es ist, dass Menschen derart verzweifelt über ihre Sexualität sind! Gerade wir Christen sollten zutiefst traurig darüber sein, weil wir doch den hohen Wert kennen, den Gott jedem Menschenleben zumisst. Es sollte uns vor allen anderen bekümmern, wenn wir von jungen Menschen hören, die solche Qualen durchmachen – besonders wenn sie in christlichen Familien aufgewachsen sind und in eine Gemeinde gehen.

Außerdem müssen wir anerkennen, dass einige gläubige Menschen in ihrem Verhalten und ihrer Wortwahl zweifellos ausfallend gegenüber Schwulen geworden sind und meinten, damit die Sache Christi irgendwie voranzubringen. Aber wir sollten ebenso anerkennen, dass solch ein Verhalten in keiner Weise christlich ist. Es wurzelt nicht darin, dass sich jemand an die Botschaft und das Vorbild Jesu hält, sondern es steht im Widerspruch dazu.

„Jesus zeigt uns, dass Sex in seinem gottgegebenen Rahmen noch viel wertvoller ist, als wir dachten – und trotzdem nicht das Allerhöchste ist.“
 

Aber es stimmt nicht, dass solch eine persönliche Qual die unvermeidliche Folge der traditionellen biblischen Lehre zu diesem Thema ist. Es ist wahr, dass das überführende Wirken des Geistes tatsächlich sehr schmerzhaft sein kann. Selbst eine Art Selbstverachtung kann entstehen, wenn Gott uns das Ausmaß unserer Sünde bewusst macht (vgl. Hes 36,31). Doch wenn uns das echte Wirken des Geistes an solch einen Punkt führen sollte, wird es uns niemals dort belassen. Wenn wir überführt werden, dann deshalb, um wieder in Ordnung zu kommen. Der Geist zerbricht uns nur, um uns wieder so aufzubauen, wie Gott uns gedacht hat. Jesus hat versprochen, dass wir bei ihm Ruhe und Trost finden und dass er ein geknicktes Rohr nicht zerbrechen wird (vgl. Mt 11,28–29; 12,20).

Es ist nicht die Lehre Jesu, die Ihnen sagt, dass das Leben keinen Sinn hat, wenn Sie keine sexuelle Erfüllung finden – dass Leben ohne Sex gar kein Leben ist. Es ist nicht das biblische Christentum, das darauf beharrt, die sexuelle Orientierung sei so wesentlich für einen Menschen, dass die mangelnde Bestätigung seiner besonderen Neigungen einen Angriff auf die ganze Person bedeute. Dies alles kommt nicht vom biblischen Christentum, sondern aus der hochgradig verdrehten Sicht der westlichen Kultur auf das Menschsein. Wenn ein Götze Sie enttäuscht hat, dann ist der wahre Schuldige derjenige, der Sie dazu gedrängt hat, ihn anzubeten – nicht derjenige, der Sie davon befreien wollte.

Die Lehre Jesu bewirkt zwei Dinge: Sie begrenzt Sex und sie relativiert seine Bedeutung. Jesus zeigt uns, dass Sex in seinem gottgegebenen Rahmen noch viel wertvoller ist, als wir dachten – und trotzdem nicht das Allerhöchste ist. Sex ist ein mächtiges Verlangen, aber nicht grundlegend für die Ganzheit und Entfaltung des Menschen. Jesus hat dies in seiner Lehre und auch durch sein Leben gezeigt. Schließlich hat Jesus – der vollkommenste aller Menschen – selbst enthaltsam gelebt.

Das Evangelium zeigt uns, dass es Vergebung für jede Sünde im Bereich der Sexualität gibt. Und das Evangelium befreit uns von dem Denken, dass Sex unabdingbar für ein erfülltes Leben ist. Der Ruf des Evangeliums, dass niemand sein ganzes Glück von seiner sexuellen Erfüllung abhängig machen muss, ist keine schlechte Botschaft, sondern eine gute Nachricht. Er ist nicht der Weg ins Unglück, sondern zu Ganzheit.

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Dieser Auszug stammt aus Ist Gott homophob? Und andere Fragen über Homosexualität, die Bibel und gleichgeschlechtliche Anziehung von Sam Alberry (S. 106–110).


1 Zitiert bei Justin Lee, Torn: Rescuing The Gospel From The Gays-vs.-Christians Debate, Jericho Books, 2013, S. 5.