The Deconstruction of Christianity

Rezension von Joseph McMahon
20. Juni 2024 — 6 Min Lesedauer

Ich war 16, als ich zum Glauben an Jesus kam. Heute bin ich 33. Ich lebe also jetzt schon ein Jahr länger mit Jesus als ohne ihn. In diesen letzten 17 Jahren habe ich viele Christen kennengelernt. Nicht nur das, ich konnte schon oft miterleben, wie Menschen zu Christen wurden. Ich durfte zusehen, wie sie das Evangelium hörten und mit Glauben darauf antworteten. Ich war schon bei vielen Taufen dabei und habe auch selbst einige Menschen getauft. Wenn ich zurückblicke, sehe ich jedoch nicht nur diese schönen Dinge.

Schaue ich die alten Fotos von damals an, dann begegnen mir immer wieder Menschen, von denen ich überzeugt war, dass sie zu Jesus gehörten, die aber heute weit weg von ihm sind. Jeder Einzelne von ihnen hat seine individuelle Geschichte: von einer Konvertierung zum Islam über eine Hinwendung zum progressiven Christentum bis hin zum bekennenden Atheismus. Viele von ihnen sprechen auch ganz offen von einer „Dekonstruktion“ ihres Glaubens. Ist das ein neues Phänomen? Oder ist es einfach Apostasie in neuem Gewand? Alisa Childers und Tim Barnett stellen sich diesen Fragen in einem neuen Buch, das sie gemeinsam geschrieben haben: The Deconstruction of Christianity: What it is, Why it’s Desctructive, and How to Repsond.

Zu Aufbau und Struktur

Childers und Barnett teilen ihr Buch in drei Teile: #Exvangelical, #Deconstruction und #Hope. Die drei Teile des Buches sind bewusst mit Hashtags versehen, weil das Phänomen der Dekonstruktion sich nicht von den sozialen Medien abkoppeln lässt. Im ersten Teil beschreiben die Autoren, wie sich das Phänomen der Dekonstruktion an verschiedenen Orten zeigt: in Familien, in Gemeinden und in den sozialen Medien. Sie definieren den Begriff und erläutern seine Entwicklung von einem Hashtag zu einem gesellschaftlichen Phänomen. Dabei geben sie uns folgende Definition: „Die Dekonstruktion des Glaubens ist ein postmoderner Prozess, bei dem man seinen Glauben überdenkt, ohne die Heilige Schrift als Maßstab anzuerkennen“ (S. 26). Sie betonen dabei, dass Dekonstruktion und eine Ablehnung der Autorität der Schrift zusammengehören. Im zweiten Teil analysieren sie häufige Gründe für eine Dekonstruktion, die Methoden der Dekonstruktion sowie die betroffenen Personen. Sie stellen also die Fragen nach dem Wieso, Wie und Wer. An dieser Stelle bieten sie auch Lösungen für die Zweifel und Fragen vieler Christen an. Im dritten Teil geben die Autoren konkrete Ratschläge. Was sollte man tun, wenn man mit Menschen in Kontakt steht, die in der Gefahr stehen zu dekonstruieren, oder sich bereits auf diesem Weg befinden? Die Autoren betonen dabei, dass es nach wie vor echte Hoffnung gibt.

Mit Empathie und Sensibilität

Zunächst einmal ist das Buch angenehm zu lesen und leicht verständlich. Man merkt schnell, dass Childers und Barnett ihre Hausaufgaben gemacht haben und dass die Menschen, über die sie schreiben, ihnen wirklich am Herzen liegen. Die Themen, über die sie schreiben, sind komplex, aber sie schaffen es, sie in einer Weise zu Papier zu bringen, die tief geht, ohne langatmig zu werden. Dieser Balanceakt ist besonders wertvoll, da er sicherstellt, dass das Buch für ein breites Publikum geeignet ist, einschließlich derjenigen, die sich zum ersten Mal mit dem Thema Dekonstruktion beschäftigen. Auch ist es wunderbar, dass sie nicht kühl oder distanziert über das Thema schreiben. Bei beiden Autoren spürt man echtes Einfühlungsvermögen.

„Dekonstruktion und eine Ablehnung der Autorität der Schrift gehören zusammen.“
 

Ich muss zugeben: Ich war zunächst etwas skeptisch, ob das gemeinsame Schreiben funktionieren kann. Es ist nicht so, dass ein Kapitel von einem Autor kommt und das nächste dann vom anderen. Im Gegenteil: Sie wechseln bisweilen auf der gleichen Seite öfter hin und her. Das ganze funktioniert aber einwandfrei und hindert den Lesefluss nicht. Die beiden gehen mit großer Sensibilität auf die Erfahrungen und Gefühle der Menschen ein, die ihren Glauben dekonstruiert haben. Sie erinnern daran, dass diese Menschen Ebenbilder Gottes sind, die mit ihren eigenen Kämpfen und Fragen ringen. Dieser liebevolle Umgang ist besonders bei diesem Thema von großer Bedeutung. Gerade gegen Ende des Buches merkt man das. Die Autoren berichten ehrlich von ihren eigenen Herausforderungen und Zweifeln und enden mit einem Gebet für Menschen, die dekonstruieren. Es wird betont, dass man Fragen – einschließlich kritischer Fragen – in einer Gemeinde nicht unterdrücken darf, sowie liebevoll und offen mit Zweifeln umgehen muss.

Über Wahrheit und Wahrheit

Die Ausgewogenheit zwischen der Darstellung der Sachlage und ihrer biblischen Beurteilung ist in diesem Buch ebenfalls sehr gelungen. Die Autoren haben einen scharfen Blick auf unsere gegenwärtige Kultur und beurteilen sie gekonnt im Lichte der Bibel. Sie erklären verständlich, wie es in unserer Zeit und Gesellschaft einen Unterschied zwischen objektiven und subjektiven Wahrheiten gibt. So ist die Höhe eines Berges etwa eine objektive Wahrheit, die sich empirisch belegen lässt. Die Schönheit des gleichen Berges ist jedoch eine subjektive Wahrheit. Letzten Endes ist die Frage nach dem Phänomen der Dekonstruktion eine Frage nach diesen beiden Kategorien von Wahrheit. Childers und Barnett zeigen klar auf, dass bei der Dekonstruktion ein Paradigmenwechsel stattfindet: Die Bibel wird von der Kategorie „objektive Wahrheit“ in die Kategorie „subjektive Wahrheit“ verschoben. Sie wird als Autorität für das eigene Leben und für Glaubensfragen abgelehnt. Worüber die Autoren wenig schreiben, sind die Fragen rund um die Verlierbarkeit des Heils. Waren die Menschen, die ihren Glauben dekonstruiert haben, wirklich wiedergeborene Christen, oder haben sie sich selbst und anderen etwas vorgemacht?

Trotz all dieser positiven Aspekte gibt es eine Sache, die ich nicht gut finde: Das Buch ist bislang nicht auf Deutsch erhältlich. Angesichts der Relevanz und Bedeutung des Themas wäre eine deutsche Übersetzung auf jeden Fall wünschenswert. Aber wer weiß, vielleicht wird das ja noch Realität.

Hilfestellungen mit Evangeliumsperspektive

Das Buch ist besonders relevant für Menschen, die Fragen über das Phänomen der Dekonstruktion haben, weil sie es um sich herum beobachten – nicht unbedingt, weil sie es selbst durchmachen. Das betonen die Autoren auch selbst. Das Ziel des Buches ist es, Christen zu helfen, das Phänomen der Dekonstruktion richtig einzuordnen und zu verstehen. Dafür bieten sie wertvolle Einblicke und Hilfestellungen.

„Christus ist größer als unsere Zweifel.“
 

Eine Sache möchte ich zum Schluss noch einmal hervorheben: The Deconstruction of Christianity ist ein Buch, das stark nach Evangelium schmeckt. Es bietet nicht nur eine kritische Analyse und Beurteilung des Phänomens der Dekonstruktion, sondern auch eine hoffnungsvolle Perspektive. Die Autoren haben ermutigende Worte für diejenigen, die sich inmitten der Herausforderung befinden, dass Menschen, die sie lieben, Jesus den Rücken gekehrt haben. Am Ende des Buches wird deutlich: Es gibt echte Hoffnung. Christus ist größer als unsere Zweifel. Der Mensch, der seinen Glauben dekonstruiert hat, braucht das Evangelium. Wir sind vielleicht rat- und machtlos, Jesus ist es aber nicht.

Buch

Alisa Childers und Tim Barnett, The Deconstruction of Christianity: What It Is, Why It’s Destructive, and How to Respond, Carol Stream: Tyndale Elevate, 2024, 240 Seiten, ca. 18 Euro.