
Women and the Gender of God
Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sich viele Christen Gott, den Vater, als eine Art Großvater mit Bart vorstellen, der oben im Himmel lebt. Vielleicht hat er auch eine tiefe, wohltuende Stimme wie der Schauspieler Morgan Freeman.
Wir wissen, dass Gott, der Vater, seinen Sohn auf die Erde sandte. Jesus, der Sohn, wurde als jüdischer Mann geboren.
All diese „Bilder“ von Gott suggerieren uns (vielleicht implizit), dass Gott männlich ist oder Männer bevorzugt. Vielleicht hat das Christentum sogar eine männliche Aura, die Frauen eher ausschließt.
Amy Peeler, Professorin für Neues Testament am Wheaton College, argumentiert in ihrem Buch Women and the Gender of God, dass Gott nicht männlich ist – und nicht nur das: Gott besitzt nicht einmal bestimmte „männliche Eigenschaften“.
Obwohl orthodoxe Christen immer daran festgehalten haben, dass Gott kein Geschlecht hat, erklärt Peeler, „existierte seine Männlichkeit neben der Leugnung derselben“ und hat dem Christentum, wie einige es genannt haben, eine „maskuline Aura“ verliehen (S. 3).
Über die Inkarnation nachdenken
Peeler beginnt damit, die Frage nach Gottes Männlichkeit bzw. Gott als Mann zu diskutieren. Nicht einmal im Bericht über Marias Schwangerschaft wird Gott sexualisiert. Einige Gelehrte haben in diesem Zusammenhang und in Anlehnung an die Art und Weise, wie griechische und römische Götter mit den Menschen interagierten, von einer Form von „göttlicher Vergewaltigung“ gesprochen. Peeler zeigt gekonnt, dass das für die Berichte in den Evangelien nicht zutrifft; Gott tritt an Maria als ein guter und fürsorgender Gott heran, nicht auf eine sexuelle Weise.
Im zweiten Kapitel geht es um den weiblichen Körper und die schockierende Art und Weise, in der Gott, der Sohn, in die Welt kam. Obwohl das Gebären von Kindern im Judentum mit kultischer Unreinheit verbunden war, offenbart der Sohn Gottes durch seine Geburt „eine unvergleichliche göttliche Nähe zu Maria“ (S. 42). Dieser Akt unterstreicht die Heiligkeit des weiblichen Körpers. Kapitel 3 bekräftigt diese Realität, wenn Gott Marias Handeln ehrt, indem er zu ihr kommt und ihr erlaubt, diese Rolle in der Heilsgeschichte freiwillig anzunehmen.
In den Kapiteln 4 und 5 wird dann argumentiert, dass Gott nicht männlich ist und Jesus sowohl Männer als auch Frauen verkörpert. Auch wenn viele bekräftigen, dass Gott nicht männlich ist, behaupten einige dennoch, dass er von einer männlichen Aura umgeben ist. In Kapitel 5 argumentiert Peeler gegen die Vorstellung, dass Jesus deshalb männlich sein musste, weil das Gott auf eine angemessenere Weise reflektieren würde. Sie bekräftigt zwar, dass Jesus ein Mann war, aber er war ein Mann, der wie kein anderer verkörpert wurde. Jesus unterschied sich von allen anderen Männern, weil er keinen irdischen Vater hatte. Jesus nahm sein Fleisch von Maria an. Maria stellte ihre Gene, ihren Körper, ihre Nahrung, ihre Energie und ihr Blut zur Verfügung. Aus diesem Grund war Jesus „ein männlich-verkörperter Erlöser, dessen Fleisch von einer Frau stammt[e]“, der alle vertreten und retten kann (S. 133).
Im letzten Kapitel geht Peeler auf den Rest von Marias Leben ein und argumentiert, dass sie nicht nur ein passives Gefäß ist, sondern eine tugendhafte Mutter und Verkünderin des Evangeliums. Gott ist nicht gegen den Dienst von Frauen. Er ermutigt ihn sogar durch Marias Beispiel.
Kompetent und orthodox
An Peelers Buch gibt es viel zu loben. Erstens habe ich noch nie eine so gründliche Arbeit über Maria aus protestantischer Sicht gelesen. Ich erwäge, ein Buch über die Jungfrauengeburt zu schreiben; Peeler setzt sich mit einer breiten Palette von wissenschaftlichen Arbeiten – von der eher kritischen bis hin zur katholischen Perspektive – auseinander und hat damit einen wertvollen Beitrag geleistet. Das Buch ist ein guter Ausgangspunkt für diejenigen, die eine Arbeit über Maria lesen möchten, die sie weder unnötig überhöht noch völlig ignoriert. Peeler geht sorgfältig mit den biblischen Texten und dem Judentum des 1. Jahrhunderts um.
„Peeler leistet hervorragende Arbeit in der Klarstellung, dass Gott kein sexuelles Wesen ist.“
Zweitens liefert Peeler wichtige Argumente gegen die Annahme, dass Gott männlich ist. Auch wenn einige das für offensichtlich und nicht einmal der Mühe wert halten mögen, dafür zu argumentieren, ist die Bereitstellung wissenschaftlicher und nuancierter Argumente für diese Sichtweise von entscheidender Bedeutung. Selbst die Art und Weise, wie Gott zu Maria kommt, unterscheidet sich von der Art und Weise, wie andere Götter zur Zeit des Neuen Testaments mit Frauen umgingen. Peeler leistet hervorragende Arbeit in der Klarstellung, dass Gott kein sexuelles Wesen ist.
Drittens interagiert Peeler gekonnt mit drei Forschungsfeldern: dem neutestamentlichen Forschungsstand, der ordentlichen Theologie (Lehre von Gott) und der Genderforschung. In der Regel handelt es sich hierbei um voneinander abgegrenzte Bereiche, aber Peeler bringt auf beachtliche Weise das traditionelle und historische Verständnis von Gottes Natur mit modernen Genderdiskursen und der neusten Forschung zu jüdischen Reinheitsritualen ins Gespräch.
Peeler ist, viertens, auch wenn sie einige moderne Vorstellungen von Gott infrage stellt, aus Überzeugung und mit Freude orthodox (etwas anderes hätte ich auch nicht erwartet!). Sie bestreitet, dass Gott männlich ist. Sie bejaht die ewige Zeugung des Sohnes. Sie kommt zu dem Schluss, dass wir den Vater „Vater“ und den Sohn „Sohn“ nennen sollten. Sie bekräftigt die Einzigartigkeit und Bedeutung der Inkarnation. Sie argumentiert überzeugend für die Jungfrauengeburt. Auch wenn einige Leser nicht allen Schlussfolgerungen folgen werden und sich womöglich auf diese Unterschiede konzentrieren, müssen sie dennoch zugeben, dass Peeler in den wichtigsten Fragen mit der christlichen Tradition übereinstimmt.
Gegenargumente
Peelers Buch ist im besten Sinne provokativ. Jeder aufmerksame Leser wird am Ende Fragen haben oder sogar anderer Meinung sein. Um das Gespräch voranzubringen, werde ich einfach einige meiner Vorbehalte oder Gegenargumente anführen.
Peeler bekräftigt, erstens, dass Jesus in einzigartiger Weise der Stellvertreter der gesamten Menschheit sein kann, weil er sich „von allen anderen Menschen unterscheidet … aufgrund seiner einzigartigen Mutterschaft“ (S. 133). Sie behauptet, dass die Einzigartigkeit seines Körpers, die in seiner jungfräulichen Empfängnis begründet liegt, es ihm ermöglicht, mit allen – Männern und Frauen – solidarisch zu sein. Mit anderen Worten: Jesus war zwar männlich, aber sein menschliches Fleisch stammte von Maria – das versetzt ihn auf einzigartige Weise in die Lage, alle zu vertreten.
Auch wenn ich die Einzigartigkeit der Inkarnation Jesu nicht leugne und auch nicht bestreite, dass Jesus alle vertritt, glaube ich nicht, dass die Bibel die Lehre von der Stellvertretung auf diese Weise aufrechterhält. In der Bibel werden verschiedene Personen, die nicht von Jungfrauen geboren wurden, als „Stellvertreter“ für alle Menschen genannt. Könige, Propheten und Priester hatten keine „spektakulären Geburten“, dennoch stehen sie für Nationen und Völker.
Um es noch deutlicher zu sagen: Ein Mann kann eine Frau stellvertreten, ohne dass er von einer Jungfrau geboren wurde. Und man kann meiner Meinung nach gut argumentieren, dass das auch andersherum funktioniert: Auch eine Frau kann stellvertretend für einen Mann stehen, weil die Frau ein Mensch ist. Man braucht sich nur die Tatsache vor Augen zu führen, dass das gesamte Volk Gottes als Braut bezeichnet wird (vgl. Offb 21,9).
All das bedeutet, dass Männer und Frauen – auch wenn sie sich geschlechtlich unterscheiden – eine deckungsgleiche Natur haben. Naturwissenschaftlich ausgedrückt, gehören wir alle derselben Spezies an, weshalb wir uns auch gegenseitig repräsentieren können. In gewisser Weise untergräbt Peelers Argument die Einheit der Menschheit. Gott schuf die Menschheit (adam) nach seinem Bilde, als Mann und Frau schuf er sie (vgl. 1Mose 1,26–27).
Zweitens hat Peeler das Konzept des Bundeshaupts bzw. der Rekapitulation nicht berücksichtigt, wenn sie Jesus als Repräsentant der Menschheit analysiert (vgl. Röm 5,12–21). Dass Jesus Haupt des Bundes ist, bedeutet nicht, dass er nicht auch Frauen repräsentieren kann oder dass Männer mehr nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Es bedeutet jedoch, dass Jesus ein Vertreter der neuen Menschheit ist. Jesus repräsentiert die gesamte Menschheit, indem er sie als Mann rekapituliert – er ist der letzte Adam.
„Anders als Peeler argumentiert, ist das der Grund, warum Jesus uns repräsentieren kann; nicht, weil er durch die Jungfrauengeburt ein einzigartiger Mensch ist, sondern weil er ‚wahrer‘ Mensch ist.“
Jesus kann die ganze Menschheit repräsentieren, weil er, wie das frühe Bekenntnis sagt, „wahrer Mensch“ ist. Anders als Peeler argumentiert, ist das der Grund, warum Jesus uns repräsentieren kann; nicht weil er durch die Jungfrauengeburt ein einzigartiger Mensch ist, sondern weil er „wahrer“ Mensch ist. Peeler scheint hier vom traditionellen Verständnis abzuweichen oder es zumindest (wenn auch nur implizit) infrage zu stellen. Irenäus formuliert die Rekapitulation folgendermaßen:
„Sie verbleiben in dem Adam, der besiegt und aus dem Paradiese verstoßen wurde, und bedenken nicht, daß am Ende der Zeiten das Wort des Vaters und der Geist Gottes, vereint mit der alten Substanz des adamitischen Geschöpfes, den Menschen zum Leben und zur Vollendung führt, sodaß er den vollkommenen Vater aufnimmt, wie im Anfang unserer Erschaffung in Adam der Hauch des Lebens durch die Vereinigung mit dem Geschöpf den Menschen belebte und zu einem vernünftigen Wesen machte. So sollen wir also in dem geistigen Adam alle das Leben empfangen, wie wir in dem psychischen alle gestorben sind.“[1]
Auch wenn wir, drittens, zwar bekräftigen müssen, dass Gott weder männlich noch weiblich ist, ist es schwieriger zu argumentieren, dass unsere Sprache von Gott nicht sowohl maskuline als auch feminine Begriffe enthält. Peeler spricht sich entschieden dagegen aus, dass „das Christentum eine männliche Aura umgibt“. Könnte man jedoch sagen, dass das Christentum sowohl eine männliche als auch eine weibliche Aura ausstrahlt?
Unsere gesamte Sprache ist analogisch; Gott spricht zu uns über sich selbst in einer Weise, die wir verstehen können. Daher hat Peeler völlig recht, wenn sie behauptet, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen Gott als maskulin und Gott als männlich gibt. Allerdings schleichen sich bestimmte negative und unbeabsichtigte Folgen ein, wenn wir nicht bekräftigen können, dass Gott manchmal auf eine eher männliche bzw. weibliche Weise handelt (ohne ein Geschlecht zu haben). Dem würde Peeler, so meine ich, zustimmen.
Wenn die Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, ist es vielleicht angemessen, dass Gott auf eine Weise handelt, die beide Geschlechter widerspiegelt. Das lehrt uns tatsächlich etwas über ihn, auch wenn unsere Sprache über Gott natürlich unvollständig ist und er sich herablässt, mit uns zu kommunizieren. Wenn wir diese Unterscheidung aufheben, nähern wir uns dadurch womöglich dem modernen Ethos an, das jeglichen Unterschied zwischen Männern und Frauen leugnet. Peeler argumentiert dezidiert dagegen, dass Gott „eher“ maskulin ist. Aber wenn man die Menschheit als Ganzes auffasst (inklusive der Unterscheidungen), ist dieser Gedanke vielleicht nicht so bedrohlich.
Schließlich sind einige von Peelers Aussagen – zumindest im Hinblick auf andere Behauptungen im Buch – verwirrend. An einer Stelle sagt sie: „Es wäre womöglich korrekter, sich der persönlichen und ewigen göttlichen Quelle des Sohnes als ‚Eltern‘ und nicht als ‚Vater‘ zuzuwenden“ (S. 101). Später jedoch bekräftigt Peeler (auf mehreren Seiten), dass wir es vorziehen sollten, Gott als „Vater“ anzusprechen (S. 112–117). An anderer Stelle sagt sie, dass die Lehre von der Dreieinigkeit keine väterliche Sprache für die erste Person erfordert (S. 103). Dennoch bekräftigt sie später, dass Gott, der Vater, seinen von einer Frau geborenen Sohn sandte (S. 115). Peeler konzentriert sich auf die Ökonomie Gottes, wo sie mehr auf die ewigen Beziehungen des Ursprungs hätte eingehen können.
Gott ist nicht männlich
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass manche sich Gott als einen Großvater im Himmel vorstellen. Peeler liegt richtig, wenn sie sagt, dass Gott nicht männlich ist. Er ist Geist. Pastoren müssen ihre Gemeinden über das Wesen Gottes unterweisen und auch Themen wie dieses ansprechen. Falsche Vorstellungen schleichen sich leicht in unser Denken ein und können dadurch Schaden anrichten.
Wir könnten anfangen, Gott einfach als eine bessere oder stärkere Version von uns selbst zu betrachten. Ich bin stark, aber Gott ist wirklich stark. Ich liebe manchmal, aber Gott liebt die ganze Zeit. Ich weiß manches, aber Gott weiß alles. Aber Gott ist ganz und gar anders. Er ist ein Wesen, das anders ist als wir. Wenn wir uns daran erinnern, dass er kein Geschlecht hat, hilft uns das, an der Andersartigkeit Gottes festzuhalten.
Außerdem hat diese Art des Denkens zerstörerische Folgen für die Art und Weise, wie wir Männer und Frauen wahrnehmen. Vielleicht gibt es in unserer Gemeinde einige, die Frauen nicht wertschätzen, weil sie denken, Gott sei männlich oder sogar „mehr männlich“.
Gleichzeitig müssen wir jedoch sorgfältig auf die Sprache achthaben, die die Bibel verwendet, um Gott und die Unterschiede sowie die Einheit von Männern und Frauen zu beschreiben. Anstatt uns von männlichen und weiblichen Begriffen zu distanzieren (auch wenn sie sich auf Gott beziehen), müssen wir uns vielleicht verstärkt mit ihnen befassen und sie entsprechend gebrauchen – ohne dabei die Fehler zu machen, vor denen Peeler warnt.
Buch
Amy Peeler, Women and the Gender of God, Grand Rapids: Eerdmans, 2022, 286 Seiten, ca. 20 Euro.
1Irenäus, „Gegen die Häresien (Contra Haereses)“, in: Des heiligen Irenäus fünf Bücher gegen die Häresien, aus dem Griechischen übersetzt von E. Klebba, Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 3, München: Kösel, 1912, online unter: https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1306/versions/gegen-die-haresien-bkv/divisions/788 (Stand: 26.05.2024).