Praise and Worship

Rezension von Daniel Dangendorf
30. Mai 2024 — 8 Min Lesedauer

Es ist ein Anlass zur Freude, wenn gottesdienstliche Musik und der gemeinsame Lobpreis als zentrales Element christlicher Glaubenspraxis Gegenstand theologischer Reflexion werden. Bei der vorliegenden Monographie von Andreas Scheuermann handelt es sich um eine 2020 an der Universität Greifswald bei Michael Herbst verteidigte Dissertation. Im deutschsprachigen Raum ist die Arbeit eine der wenigen Studien im Umfang einer Monographie zur populären Lobpreismusik.

Bewertungskriterien für „Praise & Worship“-Musik im Gottesdienst

Scheuermann möchte Kriterien für die gottesdienstliche Verwendung von „Praise & Worship“-Musik entwickeln. Im Kontext seiner Untersuchung setzt er sich vor allen Dingen mit dem zeitgenössischen Lobpreisliedgut der Liederbuchreihe „Feiert Jesus“ auseinander. Er beobachtet zutreffend, dass eine begriffliche Abgrenzung und Definition von „Praise & Worship“ schwierig ist. Die landläufige Bezeichnung „Lobpreismusik“ verdeckt die Tatsache, dass auch andere Musikstile doxologische Elemente enthalten. Contemporary Christian Music (CCM) umfasst dagegen deutlich mehr als die zum gottesdienstlichen Gebrauch bestimmte Anbetungsmusik. Einen wesentlichen Vorteil des Begriffs „Praise & Worship“ sieht Scheuerman in der stilistischen Offenheit, die Raum für eine gewisse musikalische Vielfalt innerhalb des Phänomens der Lobpreismusik lässt. Hingegen geht die „Praise & Worship“-Definition oftmals mit einer begrifflich nicht unproblematischen Unterscheidung zwischen Lobpreis und Anbetung einher, wobei „Anbetung“ die intimere und persönliche Begegnung mit Gott ausdrückt und „Lobpreis“ einen etwas allgemeineren, unpersönlicheren Fokus hat.[1]

„Scheuermann möchte Kriterien für die gottesdienstliche Verwendung von ‚Praise & Worship‘-Musik entwickeln.“
 

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass gerade die inhaltliche Kritik an der neueren Lobpreismusik sich oftmals an der zu einseitig doxologischen Ausrichtung entzündet, die nicht genügend Raum lässt für andere Gebetssprachformen, wie etwa die Klage. Es darf angefragt werden, ob der programmatische Begriff „Praise & Worship“ den auch unter Lobpreismusikern lautwerdenden Bestrebungen zu höherer inhaltlicher Vielfalt noch gerecht wird. Scheuermann hat diesen Wunsch nach größerer Vielfalt allerdings ebenfalls im Blick und versteht dabei Klage, Bitte und Fürbitte in eschatologischer Hinsicht letztlich auf die Doxologie hingeordnet (vgl. S. 150).

Die gut herausgearbeitete doxologische Zielsetzung des Gemeindegesangs verdeckt in Scheuermanns exegetischer Grundlegung ein wenig die Texte, die die Lehr- und Unterweisungsfunktion der gottesdienstlichen Musik herausstellen. Diese lässt sich u.a aus Kolosser 3,16 und Epheser 5,19 ableiten, sofern man sich mit den Übersetzungsmöglichkeiten dieser Verse eingehender auseinandersetzt. Sie zeigt sich im Alten Testament in der Bezeichnung der Tempelsänger als Propheten (vgl. 1Chr 25,1) sowie in der inhaltlichen Vielfalt biblischer Lieder und Psalmen. Dieser wichtige Teilaspekt biblischer Musiktheologie könnte deutlicher herausgearbeitet sein.

„Insgesamt gelingt es Scheuermann sehr gut, die theologischen Grundcharakteristika der Lobpreismusik und Einflüsse insbesondere der charismatischen und pentekostalen Bewegungen auf die Lobpreismusik sachlich darzustellen und nachzuzeichnen.“
 

Insgesamt gelingt es Scheuermann sehr gut, die theologischen Grundcharakteristika der Lobpreismusik und Einflüsse insbesondere der charismatischen und pentekostalen Bewegungen auf die Lobpreismusik sachlich darzustellen und nachzuzeichnen. Eine weit aufgestellte Analyse und Beschreibung der Lobpreismusik bildet gemeinsam mit liturgisch-theologischen und empirischen Perspektiven das Fundament, von dem aus er schließlich eine Kriteriologie zur Beurteilung von Lobpreismusik entwickelt.

Zentralität des Evangeliums

Positiv zu würdigen ist die Herausarbeitung der Zentralität des Evangeliums als inhaltlichem Primärkriterium zur Beurteilung von Liedern. Scheuermann setzt hier zunächst grundlegend bei den reformatorischen Bekenntnisschriften an und reflektiert das Evangeliumskriterium im Kontext des gegenwärtigen theologischen Diskurses. Im Detail bleibt der Evangeliumsbegriff verhältnismäßig offen, auch wenn die Zentralität der Rechtfertigungstheologie herausgearbeitet wird. So ist auch die „Kommunikation des Evangeliums“ als praktisch-theologische Leitkategorie in dieser Hinsicht ein alles andere als eindeutiger Begriff, der einer inhaltlichen Konkretisierung bedarf, die den Rahmen von Scheuermanns Dissertation sprengt.[2] Zentral bleibt für Scheuermann der „Christusbezug“ des Gottesdienstes, wenngleich er davon absieht, den Gottesdienst „anhand der Überprüfung der korrekten Wiedergabe dogmatischer Lehrsätze“ bewerten zu wollen (S. 143). Hier scheint latent ein Gegensatz zwischen dogmatischer Präzision und lebendiger Christusbegegnung vorausgesetzt, der nicht wirklich überzeugt.

Dem „Evangeliumsbezug“ treten als weitere Primärkriterien in formaler Hinsicht das Kriterium der „Verständlichkeit“ sowie das „spiritualitätsbezogene“ Primärkriterium des „Gebets“ zur Seite. Weitere typische Kriterien werden jeweils diesen drei Primärkriterien zugeordnet. So gehört zum Kriterium der Verständlichkeit bei Scheuermann eine „auf Beteiligung der Gemeinde ausgerichtete Form“ und eine „auf ganzheitliche Kommunikation ausgerichtete Form“ (S. 283).

Insgesamt erweckt die erarbeitete Kriteriologie einen soliden Eindruck, auch wenn mir einzelne Punkte zu kurz kommen und der Evangeliumsbegriff dogmatisch klarer herausgearbeitet sein könnte. Die herausgearbeiteten Kriterien werden abschließend exemplarisch auf das Liederbuch „Feiert Jesus 5“ sowie konkret das Lied „Zehntausend Gründe“ angewandt. Zu beachten ist jedoch hinsichtlich der Ergebnisse einer solchen Analyse, dass hier nicht der konkrete Gebrauch eines Liedes im gottesdienstlichen Rahmen analysiert wird. Gerade die textliche Offenheit vieler Liedtexte führt dazu, dass der Kontext der Aufführung eines Liedes dessen situative Bedeutung erheblich mitbeeinflusst. Diese kontextuellen Einflüsse kann freilich eine Liederbuch- oder auch Musikvideoanalyse nicht eingehend eruieren.

Liturgiewissenschaftliche Aspekte beachten

Sehr erfreulich ist der Versuch, Lobpreismusik mit gegenwärtiger liturgischer Theologie ins Gespräch zu bringen und Schnittstellen auszuloten. Hier kann die Arbeit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass längst universale Phänomen populärer Lobpreismusik nicht in der liturgiewissenschaftlichen Diskussion auszublenden. Scheuermann arbeitet gut heraus, dass inzwischen selbst ältere Generationen mit populärer Musik groß geworden sind und die Frage der gottesdienstlichen Integration nicht mehr einseitig vor dem Hintergrund eines Generationenkonflikts behandelt werden kann. Die Theologie muss sich dieser veränderten lebensweltlichen Realität stellen. Durch die vielfältig rezipierte Literatur hat Scheuermanns Arbeit den Charakter einer Metastudie, die dem Leser einen Großteil des gegenwärtigen Diskurses überblicksmäßig erschließt.

Was ich vermisse

An einigen Stellen hätte ein gründliches Lektorat der Arbeit nicht geschadet. Ein Handbuchartikel Wolfgang Teichmanns von 2005 wird auf die „aktuelle Lage der Kirchenmusik“ bezogen, gemeint ist natürlich die damalige aktuelle Lage (vgl. S. 381). Jochen Arnold kann gar in seiner Theologie des Gottesdienstes von 2004 das 2011 von Matt Redman veröffentlichte Lied „10.000 Reasons“ analysieren (vgl. S. 460, Fn. 2526). Gemeint ist hier wohl nicht die Analyse des Liedes von Redman, sondern wohl der anfänglichen „Aufforderung zum Lob“, die sowohl dem Lied als auch den Reflexionen Arnolds inhärent ist. Zu bedauern ist die Entscheidung, ausgerechnet das Methodikkapitel der Arbeit auszulagern und lediglich als per QR-Code permanent verlinkten PDF-Download zur Verfügung zu stellen. Hier werden zwar Druckkosten gespart, aber gerade die Auseinandersetzung mit Scheuermanns methodischem Ansatz ermöglicht erst eine sorgsame Würdigung der Möglichkeiten und Grenzen seiner entwickelten Kriteriologie zum Gebrauch von „Praise & Worship“-Liedern im Gottesdienst.

„Aber auch dort, wo Lobpreismusik längst selbstverständlich ist, lohnt es sich, die eigene Praxis anhand der im Buch erarbeiteten Kriterien kritisch zu reflektieren.“
 

Eine Grenze der entwickelten Kriteriologie liegt aus meiner Sicht in der nicht ausreichenden methodischen Berücksichtigung der Möglichkeiten und Grenzen derjenigen, die Lieder aussuchen. Hier verzichtet Scheuermann darauf, neue Daten aus der Gemeindepraxis zu erheben, und wertet lediglich die bisherigen einschlägigen empirischen Studien zum evangelischen Gottesdienst aus. Jede abstrakte Kriteriologie muss letztlich auch ihren Test im Gemeindealltag bestehen. Es ist zu fragen, ob diese Kriterien von Pfarrern, Musikern oder auch Gottesdienstleitern bzw. Liturgen ohne größere theologische und musikalische Vorkenntnisse gleichermaßen berücksichtigt werden können.[3]

Studie lädt ein, die „Praise & Worship“-Praxis zu reflektieren

Primär nimmt Scheuermann in seiner Arbeit eine landeskirchliche Gottesdienstliturgie in den Fokus, in der vorrangig Pastoren und/oder Kirchenmusiker mit der Liedauswahl betraut sind und „Praise & Worship“ liturgisch bisher eine geringe Rolle spielt. Die Ausgangslage ist hingegen in vielen freikirchlichen Gemeinden sicherlich eine andere. Aber auch dort, wo Lobpreismusik längst selbstverständlich ist, lohnt es sich, die eigene Praxis anhand der im Buch erarbeiteten Kriterien kritisch zu reflektieren. Scheuermanns Studie regt dazu kenntnisreich und multiperspektivisch an und ist darum lesenswert, selbst wenn man im Detail gelegentlich zu anderen Schlüssen kommen mag. Pastoren und Musikern ist zu wünschen, dass sie durch die Lektüre der Arbeit zur theologischen Reflexion gottesdienstlicher Musik angeregt werden und sich im Hinblick auf die populäre Lobpreismusik auch deren Möglichkeiten und Grenzen bewusst werden.

Buch

Andreas Scheuermann, Praise and Worship. Zur Bedeutung populärer Lobpreismusik für den Gottesdienst. Eine praktisch-theologische Untersuchung, Gießen: Brunnen, 2023, 522 Seiten, 58 €.


1Vgl. dazu Lim, Swee Hong u. Ruth, Lester, Lovin‘ on Jesus. A Concise History of Contemporary Worship, Abingdon Press: Nashville, TN, 2017. S. 14.

2Vgl. dazu die hilfreiche Analyse von Ron Kubsch u. Thomas Jeising. „Die ,Kommunikation des Evangeliums‘: Überlegungen zu einem gefragten Leitkonzept der evangelischen Theologie“, Glauben und Denken heute 31, Nr. 1/2023. S. 7–22.

3Hierzu verweise ich auf meine erste kleinere Studie zur Thematik, die Scheuermann in seiner Arbeit nicht näher berücksichtigt hat: Daniel Dangendorf, „Song Selection in German Protestant Churches and Free Churches“, Ecclesial Practices 6 (2019), S. 65–82. Allgemein verständlich vgl. dazu auch: Daniel Dangendorf, „Im Einklang mit dem Evangelium. Liedauswahl im Spannungsfeld polyphoner Gottesdienstformen“, Glauben und Denken heute 27, Nr. 1/2021. S. 15–22.