Das Liederbuch der Bibel

Die Psalmen

Artikel von Ian Hamilton
29. Mai 2024 — 5 Min Lesedauer

Der Psalter ist das Liederbuch, aus dem Jesus Christus jeden Sabbat sang. In unseren Gemeinden kommen heute eine Vielzahl von Liederbüchern zum Einsatz, während zur Zeit Jesu nur ein einziges Liederbuch verwendet wurde, das genau 150 Lieder enthielt. Wie gut kennen wir den Psalter?

1. Die Psalmen entstanden über einen Zeitraum von ca. eintausend Jahren hinweg

Psalm 90, ein Psalm Moses, ist wahrscheinlich der älteste Psalm. Er wurde um ca. 1500 v.Chr. geschrieben. Es ist schwer zu sagen, wann der letzte Psalm geschrieben wurde. Psalm 126 bezieht sich wahrscheinlich auf die Rückkehr Israels aus dem Exil im Jahr 537 v.Chr. und beginnt mit den Worten: „Als der Herr die Gefangenen Zions zurückbrachte, da waren wir wie Träumende“ (Ps 126,1).

2. Ungefähr 40 Prozent der Psalmen sind Klagelieder

59 der 150 Psalmen sind Klagelieder – Lieder, die geistlich und theologisch in Moll verfasst sind. Es gibt auch Psalmen, die uneingeschränkte Freude und Entzücken ausdrücken, wie z.B. Psalm 47. Aber warum gibt es so viele Klagepsalmen? Das Leben eines Christen und der Gemeinde findet in einer gefallenen Welt statt und wird angefochten durch das Fleisch, die Welt und den Teufel. Jesus sagte zu seinen Jüngern: „In der Welt habt ihr Bedrängnis“ (Joh 16,33b). Die Psalmen sind ein Ausdruck der Kämpfe, Sorgen, Müdigkeit, Verwirrungen und Misserfolge des Herzens, die jeder Gläubige täglich erlebt. Denke an die Worte aus Psalm 44:

„In Gott rühmen wir uns alle Tage,
und deinen Namen loben wir ewiglich. (Sela)
Und doch hast du uns verworfen und zuschanden werden lassen
und bist nicht ausgezogen mit unseren Heerscharen.
Du hast uns zurückweichen lassen vor dem Feind,
und die uns hassen, haben sich Beute geraubt.
Du hast uns wie Schafe zum Fraß hingegeben
und hast uns unter die Heiden zerstreut.“ (Ps 44,9–12)

Jesus hätte diese Worte gesungen, als er stellvertretend für sein Volk vor seinem Vater stand. Oder denke an die Worte aus Psalm 51 – dem Bußpsalm Davids nach der sündigen Tragödie mit Bathseba:

„O Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte;
tilge meine Übertretungen nach deiner großen Barmherzigkeit!
Wasche mich völlig [rein] von meiner Schuld
und reinige mich von meiner Sünde;
denn ich erkenne meine Übertretungen,
und meine Sünde ist allezeit vor mir.“ (Ps 51,3–5)

Die vielen Klagepsalmen helfen Gläubigen, die durch ein tiefes Tal gehen, ihre Kämpfe und Sorgen in Worten auszudrücken, die vom Heiligen Geist inspiriert sind. Die vielen Klagelieder wirken wie eine Art geistlicher Therapie, die die aufgewühlten Herzen der Kinder Gottes beruhigt und wieder ins Gleichgewicht bringt.

3. Die Psalmen handeln alle von Gottes verheißenem Messias und König – Jesus Christus

Viele Christen können Psalmen nennen, die ganz offensichtlich von Gottes verheißenem Messias-König sprechen, z.B. Psalm 2: „Ich will den Ratschluss des Herrn verkündigen; er hat zu mir gesagt: ,Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt‘“ (Ps 2,7) oder Psalm 41: „Der mit mir das Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben“ (zitiert von Jesus in Joh 13,18). Aber die Psalmen legen ein viel größeres und umfassenderes Zeugnis von Jesus ab als nur in einigen wenigen Hinweisen in ein paar Versen hier und da.

„Die vielen Klagepsalmen helfen Gläubigen, die durch ein tiefes Tal gehen, ihre Kämpfe und Sorgen in Worten auszudrücken, die vom Heiligen Geist inspiriert sind.“
 

Als der Schatten des Kreuzes seine drohende Dunkelheit auf die menschliche Seele von Jesus zu werfen begann, stellte er den religiösen Führern, die seinen Tod planten, folgende Frage:

„Als nun die Pharisäer versammelt waren, fragte sie Jesus und sprach: Was denkt ihr von dem Christus? Wessen Sohn ist er? Sie sagten zu ihm: Davids. Er spricht zu ihnen: Wieso nennt ihn denn David im Geist ,Herr‘, indem er spricht: ,Der Herr hat zu meinem Herrn gesagt: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Füße‘? Wenn also David ihn Herr nennt, wie kann er dann sein Sohn sein?“ (Mt 22,41–45, zitiert aus Ps 110,1)

Die Aussagen der Psalmen über Jesus standen ihm deutlich vor Augen, als Jesus am Kreuz hing und das gerechte Gericht ertrug, das unsere Sünde verdiente, und er schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46, zitiert aus Ps 22,2).

Denke an die Worte Jesu an seine Jünger nach seiner Auferstehung: „Er aber sagte ihnen: Das sind die Worte, die ich zu euch geredet habe, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was im Gesetz Moses und in den Propheten und den Psalmen von mir geschrieben steht. Da öffnete er ihnen das Verständnis, damit sie die Schriften verstanden“ (Lk 24,44–45).

Die Psalmen sprechen in ihrer Gesamtheit von dem von Gott verheißenen Messias-König. Er ist der „Gesegnete“, der das gerechte Leben vorlebt, das in Psalm 1 beschrieben wird. Er ist der König, dessen Feinde zum Schemel seiner Füße werden (vgl. Ps 2; 110,1). Er ist der gerechte Leidende, der das Vertrauen auf den Herrn verkörpert (vgl. Ps 22).

„Die Psalmen sprechen in ihrer Gesamtheit von dem von Gott verheißenen Messias-König.“
 

Die Psalmen schildern das Leben im Glauben mit schonungsloser Ehrlichkeit. Sie erinnern uns auf ergreifende Weise daran, dass das im Leben Jesu als Mensch zu findende Muster von Tod und Auferstehung das gleiche Muster ist, das der Heilige Geist im Leben aller Kinder Gottes zu wiederholen sucht. Das Buch der Psalmen ist ein göttlich inspiriertes Liederbuch, das die Höhen und Tiefen, die Triumphe und Tragödien von Gottes Bundesvolk über ein ganzes Jahrtausend hinweg widerspiegelt. Johannes Calvin beschrieb die Psalmen als „Anatomie aller Teile der Seele“. Lasst uns den Psalter verwenden, damit unsere Gottesdienste nicht verarmen und wir uns des reichen geistlichen Schatzes berauben, der in seinen Liedern enthalten ist.