Ebenbild und Götzenbild

Rezension von Andreas Münch
9. Mai 2024 — 11 Min Lesedauer

„Treffen sich ein Theologe und ein Rapper …“ – Was wie der Anfang eines Witzes klingt, ist in diesem Fall der Beginn eines interessanten Buchprojektes, das die Themen Kreativität und Christsein fruchtbar miteinander verbinden möchte. Ebenbild und Götzenbild: Kreativität und Christsein ist das Projekt von zwei Freunden, dem Rapper Thomas J. Terry und dem Theologieprofessor J. Ryan Lister. Ihre Beobachtungen auf der Bühne, im Hörsaal und in der Gemeinde zeigen, dass die Kreativität unter Christen in eine Krise geraten ist. So schreiben sie:

„Für viele Kreativschaffende ist der christliche Glaube leider eher ein Stein des Anstoßes anstelle des Fundaments ihres Lebens geworden. Das ist der Grund, warum viele Kreative die Kirche und ihre Buntglasfenster hinter sich lassen: Die gleiche Kreativität, die in diesen Glasscheiben steckt, die den Altarraum mit kaleidoskopischer Schönheit füllen, fühlt sich in vielen modernen Kirchen nicht mehr willkommen. Anstatt durchzuhalten, wandern viele dieser Kreativschaffenden in die säkulare Wüste, um dort eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu finden, oft auf Kosten ihres christlichen Glaubens.“ (S. 20)

Dieser Entwicklung möchten die Autoren mit einer Buchreihe entgegenwirken, die sie treffend Kreativität zurückgewinnen nennen. Ebenbild und Götzenbild macht den Anfang und will einen Überblick über das Thema geben und die theologischen Grundlagen legen. So heißt es gleich zu Beginn des Buches: „Um es klarzustellen: Das Buch ist kein praktischer Leitfaden. Du wirst hier keine Anleitung darüber finden, wie man Lieder dichtet oder Romane schreibt, oder wie du als gläubiger Kreativer das Foyer deiner Gemeinde gestalten solltest“ (S. 23).

Terry und Lister mögen keine praktische Anleitung geben, aber das Buch selbst dient als Vorbild dafür, dass die gute christliche Botschaft auch entsprechend präsentiert werden sollte. Ebenbild und Götzenbild präsentiert sich in einem edlen Hardcover mit Goldprägung. Auch im Innenteil haben sich die Herausgeber beim Layout wirklich Mühe gegeben. Das Buch ist ein echtes Schmuckstück, das man gern in die Hand nimmt und gut sichtbar ins Regal stellt.

Doch nun zum Inhalt. Nachdem die Autoren in einer Einleitung deutlich gemacht haben, dass Kreativität bei Gott, dem Schöpfer, beginnt, entfalten sie in fünf Kapiteln ihre Botschaft und deren Bedeutung für den schöpferischen Christen. Dabei folgen sie dem biblisch-theologischen Konzept von Schöpfung, Sündenfall, Wiederherstellung und Neuschöpfung.

Zitate, Geschichten und Theologie

Alle Kapitel sind gleich aufgebaut. Jedem Kapitel sind einige in ihrer Aussage gegensätzliche Zitate von Künstlern und Theologen vorangestellt, die Impulse für das jeweilige Kapitel geben sollen – gewissermaßen um die jeweiligen Standpunkte von Ebenbild und Götzenbild darzustellen. Um die Gegensätzlichkeit deutlich zu machen, sind die Aussagen, die symbolisch für das Götzenbild stehen, auf dem Kopf stehend abgedruckt.

Dann beginnen die Autoren ihr Kapitel mit einer einleitenden Geschichte aus einer der Kreativschmieden, die heute unseren Alltag so stark prägen – Marvel, Pixar, Metro-Goldwyn-Mayer, Facebook und Walt Disney –, um den Leser in das Thema einzuführen. So schreiben sie zum Beispiel zu Beginn von Kapitel 1, in dem es um Gott als Schöpfer der Kreativität geht:

„Ursprungsgeschichten sind Marvels Schöpfergeist. In den Storylines von etwa Thor und The Avengers haben die Macher unsere angeborenen menschlichen Bedürfnisse nach der Kenntnis unserer Ursprünge erschlossen und sie für ein zeitgemäßes Publikum modernisiert. Die Schreiber von Marvel sind moderne Mythenschöpfer, die unseren tiefsten existenziellen Problemen durch visuelle Erzählungen entgegentreten.“ (S. 28)

Diese Beispiele führen den Leser auf angenehme Weise in die Theologie des jeweiligen Kapitels ein und erleichtern es ihm, die Argumentation der Autoren nachzuvollziehen.

Hilfreich und gut gemacht ist auch die Veranschaulichung des Gesagten durch eine Art Kurzgeschichte, die sich durch alle fünf Kapitel zieht. Der Leser erhält so eine kleine Abwechslung von den theologischen Ausführungen und wird in eine Geschichte hineingezogen, die ihm hilft, das Gelesene aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Der Schöpfer der Kreativität

In Kapitel 1, „Der Schöpfer und die Kreativität“, zeigen die Autoren auf, dass Gott als Schöpfer dieser Welt auch der Schöpfer der Kreativität selbst ist. Das Problem ist jedoch, dass Kreativschaffende dies aus dem Blick verloren haben. Die Kreativität ist heute zum Selbstzweck verkommen, sodass wir uns gar nicht mehr die Frage stellen, woher wir unsere Kreativität überhaupt haben. Als Folge dessen haben wir „eine Philosophie der Kreativität gegen den Pragmatismus der Produktivität eingetauscht … Wir beschäftigen uns in erster Linie damit, wie wir die Regale füllen können, und nicht damit, warum wir sie denn überhaupt füllen sollten“ (S. 29).

„Gott als Schöpfer dieser Welt ist auch der Schöpfer der Kreativität selbst.“
 

Die Antwort auf die Frage nach dem Warum sehen die Autoren in der biblischen Offenbarung. Dort lesen wir, dass alle Kreativität auf Gott selbst zurückgeht. Er ist nicht nur der Schöpfer dieser Welt, sondern auch ihr Autor, der mit uns seine Geschichte schreibt und dabei ein großartiges Kunstwerk schafft. So schlussfolgern die Autoren: „Ein zentraler Sinn des Lebens besteht daher darin, in Gottes kreativer Herrlichkeit zu schwelgen und sie an ihn zurück zu reflektieren. Dazu wurden wir geschaffen“ (S. 42).

Gottes Lehrlinge

Kapitel 2, „Geschaffen, um zu erschaffen“, zeigt dann, dass wir Menschen dazu geschaffen sind, selbst schöpferisch tätig zu werden. Dabei sind wir ganz auf unseren Schöpfer angewiesen:

„Als Menschen, die nach Seinem Bild geschaffen wurden – die von Gott geschaffen wurden, um wie Er zu sein – spiegelt unsere Kreativität Seine wider. Sie ist nicht überflüssig. Auch gehört sie nicht ausschließlich uns. Vielmehr ist unsere Kreativität ein Teil von dem, was es bedeutet Gottes Ebenbild zu sein.“ (S. 55)

Die Autoren betonen, dass wir als Menschen wie Lehrlinge sind und dass Gott der Meister ist. In allem, was wir tun, müssen wir uns also immer Gott und seinem Willen unterordnen. Das heißt aber nicht, dass alles, was wir schaffen, ausdrücklich christlich oder evangelistisch sein muss: „Manche kreativen Ergebnisse werden dabei, so wie Sein Werk in der Schöpfung, leise von Seiner Herrlichkeit flüstern – andere werden sie, wie die Heilige Schrift, laut ausrufen“ (S. 65).

Eine bessere Grundlage

In Kapitel 3, „Die korrumpierte Kreativität“, erklären die Autoren, wie der Sündenfall auch unsere Kreativität verdorben hat. Dies äußert sich insbesondere darin, dass heute „Kunst um der Kunst willen“ betrieben wird. Dahinter steckt die Grundüberzeugung, „dass Kreativität keinem Herrn dient außer sich selbst. Kreativität steht für sich allein und dient ihrem eigenen Zweck“ (S. 78). Das hat große Auswirkungen darauf, wie sich unsere Vorstellungen von dem, was Kunst eigentlich ist, verändert hat: „Kreativschaffende, die früher bestrebt waren Dinge ‚im Einklang mit gewissen Regeln‘ zu gestalten, um ‚eine Truhe zu bauen, ein Eisentor zu schmieden, einen bronzenen Kerzenhalter zu gießen … einen Sattel aus Leder herzustellen‘, werden nicht mehr als Künstler angesehen“ (S. 78).

Das Problem dabei ist nicht nur, dass gut gemachte Arbeit nicht länger als kunstvoll angesehen wird, während ein umgedrehtes Klo heutzutage als „Kunst“ durchgeht, sondern dass christliche Kreativschaffende sich den säkularen Trends anpassen und diese zum Maßstab nehmen. Dabei haben christliche Kreativschaffende eine bessere Grundlage als ihre säkularen Kollegen, die sich auch in ihren Werken offenbaren sollte:

„Christen sollten also besonders hart an ihrem Handwerk arbeiten, weil sie den besten Grund dazu haben, kreativ zu sein. Unsere Kreativität entspringt direkt dem Gott der Schönheit und ist von ewigen Zielen geprägt … Wir sollten ‚verstehen, dass unser Werk nicht Widerhall finden sollte, weil es christlich ist, sondern weil es gut ist. Vor allen Dingen sollten Christen gute Kunst machen, wahrhaftige Kunst; Kunst, die sich nicht davor scheut, Geheimnisvolles zu erforschen, das Böse abzubilden und überall nach Wahrheit Ausschau zu halten, wo sie auftaucht.‘“ (S. 94)

Dem Plan folgen

In Kapitel 4, „Die neu kreierte Kreativität“, geht es dann um die Wiederherstellung dessen, was durch den Sündenfall verdorben wurde. Wir alle wissen, dass diese Welt nicht so ist, wie sie sein sollte, aber als Christen sind wir davon überzeugt, dass wir diese Welt nicht allein in Ordnung bringen können – auch wenn Mediengiganten wie Facebook uns das glauben machen wollen.

„Weil Gott seine gefallene Schöpfung wiederherstellen will, müssen wir seinem Plan folgen, wenn wir diese Welt zu einem ‚besseren Ort‘ machen wollen.“
 

Weil Gott seine gefallene Schöpfung wiederherstellen will, müssen wir seinem Plan folgen, wenn wir diese Welt zu einem „besseren Ort“ machen wollen. Für Christen bedeutet das:

„Bei kreativer Freiheit, die durch das Evangelium belebt wird, geht es nicht darum, zu tun, was man will, sondern darum, das tun zu wollen, wozu Gott uns gemacht hat. Das bedeutet, dass du unterschiedliche Möglichkeiten hast, aber auch die Weisheit, das Unterscheidungsvermögen und den Rat von Gottesfürchtigen – nicht nur von Kreativschaffenden – brauchst, die dir dabei helfen, deine Gaben und deine Richtung einzuschätzen.“ (S. 123)

Bereits neue Geschöpfe

Terry und Lister schließen ihre Ausführungen mit Kapitel 5, „Das Crescendo der Kreativität“, in dem sie aufzeigen, was die Neuschöpfung mit unserer Kreativität zu tun hat. Konkret weisen sie darauf hin, dass wir als Christen durch die Wiedergeburt bereits eine neue Schöpfung Gottes sind, während wir auf den neuen Himmel und die neue Erde warten. So wertvoll und wichtig unsere Kreativität auch ist, sie kann und darf niemals an die Stelle Gottes treten:

„Gottes Zukunftsverheißungen lehren uns, dass die Hoffnung dieser Welt nicht in unserer Kunst besteht, sondern darin, dass Gott mit Menschen im neuen Himmel und der neuen Erde lebt, wo es keine Tränen, keinen Tod, keine Trauer, kein Weinen und keine Schmerzen mehr gibt (vgl. Offb 21,1–4). Diese Aussicht hält die Kompassnadel deiner Bestimmung, deines Wertes und deiner Identität davon ab, sich orientierungslos zu drehen. Sie zeigt die Richtung an, in die du deine Kreativität lenken kannst. Deine Kreativität ist nicht deine Zukunft – Gott ist es.“ (S. 141)

Tiefgründiger Überblick

Mit diesem Fazit endet der theologische Diskurs von Terry und Lister. Ebenbild und Götzenbild ist mit seinen 160 Seiten zwar inhaltlich tiefgründig, aber kein theologisches Schwergewicht; es bietet eher einen Überblick, als alles zu sagen, was es zu sagen gäbe.

Dies ist zugleich eine Stärke und eine Schwäche des Buches. Christen, die mit dem Konzept von Schöpfung, Sündenfall, Erlösung und Wiederherstellung bereits vertraut sind, werden hier relativ wenig Neues entdecken, dafür aber immer wieder mit einzelnen Aussagen konfrontiert werden, die zum Weiterdenken einladen. Für andere jedoch kann es ein echter Augenöffner sein, der einem hilft, zum ersten Mal das Thema Kreativität aus einer biblisch-theologischen Perspektive zu sehen.

„So wertvoll und wichtig unsere Kreativität auch ist, sie kann und darf niemals an die Stelle Gottes treten.“
 

Als jemand, der sich selbst als Kreativschaffender bezeichnet, hätte ich mir die ausführlichere Entfaltung mancher Themen gewünscht, wie zum Beispiel in Kapitel 4, wo die Autoren darauf aufmerksam machen, dass christliche Kreative Unterstützung, Weisheit und Feedback von gottesfürchtigen Christen außerhalb ihrer Community brauchen. Wie das in der Praxis aussehen kann, ist wohl ein Thema für sich, und es bleibt zu hoffen, dass die Autoren dazu ein eigenes Buch veröffentlichen werden.

Trotzdem kann ich das Buch jedem kreativen Christen wärmstens empfehlen. Die sehr ansprechende Gestaltung und der Schreibstil machen es auch zu einem guten Geschenk für Künstler, die offen sind für eine christlich-biblische Sicht der Kreativität.

Ich bin dem Permission Verlag dankbar, dass er uns mit der Herausgabe dieses Buches an die wichtige Tatsache erinnert, die die Autoren so pointiert formuliert haben: „Wir überleben nicht einfach, wir erschaffen. Und indem wir schöne Dinge erschaffen, dienen wir unseren Nächsten“ (S. 69).

Buch

Thomas J. Terry und J. Ryan Lister, Ebenbild und Götzenbild: Kreativität und Christsein, Lage: Permission Verlag, 2023, 168 Seiten, 16,90 EUR.