Anziehende Gemeinschaft

Rezension von Robin Leeker
2. Mai 2024 — 7 Min Lesedauer

Gäbe es die Gemeinschaft in deiner Gemeinde auch, wenn es Gott nicht gäbe? Ist die Gemeinschaft in deiner Gemeinde am Evangelium orientiert? Diese Fragen werfen Mark Dever und Jamie Dunlop in ihrem Buch Anziehende Gemeinschaft auf, weil es für uns so natürlich ist, Gemeinschaft ohne das Evangelium zu pflegen. Dunlop, der seit den späten 1990er Jahren mit Unterbrechungen Mitglied und seit einiger Zeit auch einer der Pastoren in der Gemeinde von Mark Dever ist, hat das Buch in enger Zusammenarbeit mit Dever geschrieben.

Nicht nur für Gemeindeleiter

Dunlop richtet sich mit seinem Buch hauptsächlich an Gemeindeleiter und möchte ihnen dabei helfen, eine biblische Vision für Gemeinschaft in der Gemeinde wiederzuerlangen. Da das Buch jedoch auch viele Christen erreicht, die keine Ältesten, Pastoren in der Ausbildung oder Leiter in der Gemeinde sind, haben Dever und Dunlop für jene Zielgruppe das gleichnamige Arbeitsheft herausgebracht. Sowohl das Buch als auch das Arbeitsheft werden im Folgenden bewertet.

Das Buch Anziehende Gemeinschaft ist eines der drei zentralen Bücher im Konzept der „9 Merkmale gesunder Gemeinden“. Das Buch 9 Merkmale einer gesunden Gemeinde bildet den Start. Wie diese Vision einer gesunden Gemeinde praktisch umgesetzt werden kann, wird dann in dem noch nicht ins Deutsche übersetzen Buch How to build a healthy church aufgezeigt. Wenn nun diese 9 Merkmale praktisch umgesetzt sind, stellt sich die Frage, wie ein biblisches Verständnis von Gemeinschaft in der Gemeinde zurückerlangt werden kann. Dies ist das Thema unseres Buches Anziehende Gemeinschaft.

Aufbau und Herzstück

Anziehende Gemeinschaft besteht aus vier Teilen. Der erste Teil mit dem Titel „Eine Vision für Gemeinschaft“ ist das Herzstück des Buches. Im ersten Kapitel davon werden bereits alle zentralen Gedanken der Autoren über anziehende Gemeinschaft aufgezeigt. In dieser Rezension konzentriere ich mich deshalb darauf und empfehle dir außerdem, speziell dieses Kapitel zu lesen, wenn du wenig Zeit hast.

Dunlop schneidet dort die „2 Arten von Gemeinschaft“ und die „2 Dimensionen von ‚Evangeliums-offenbarender‘ Gemeinschaft“ an, die in den Kapiteln 2 bis 4 vertieft und in den nachfolgenden drei Teilen „Gemeinschaft pflegen“, „Gemeinschaft schützen“ und „Gemeinschaft in Aktion“ praktisch umgesetzt werden.

Die zwei Arten von Gemeinschaft

Dunlop trifft direkt zu Beginn seines Buches einen wunden Punkt unserer Gemeinden, indem er sagt: „Man braucht Gott nicht, um in einer Gemeinde ‚Gemeinschaft zu entwickeln‘“. Er zeigt auf, dass wir von Natur aus dazu neigen, eine Gemeinschaft ohne das Evangelium zu bauen. Oft haben wir dabei auch gute Absichten und die Gemeinschaft gedeiht sogar, aber sie ist losgelöst vom Evangelium und losgelöst von Gott.

„Von Natur aus neigen wir dazu, eine Gemeinschaft ohne das Evangelium zu bauen.“
 

Diese zwei Arten von Gemeinschaft bezeichnet Dunlop als „Evangelium plus“-Gemeinschaft und „Evangeliums-offenbarende“ Gemeinschaft. Die „Evangelium plus“-Gemeinden predigen zwar das Evangelium, bauen aber Gemeinschaft allein um Gemeinsamkeiten auf. Diese Art von Gemeinschaft sagt wenig über die Kraft des Evangeliums aus. Im Gegensatz dazu würde es in „Evangeliums-offenbarenden“ Gemeinden viele Beziehungen ohne die Kraft des Evangeliums gar nicht geben. Sie offenbaren durch ihre Gemeinschaft die Kraft des Evangeliums.

Mich hat begeistert, wie Dunlop dieses Anliegen Gottes, dass die Gemeinschaft das Evangelium offenbaren soll, anhand von Epheser 2–3 aufzeigt. Es sind keine weltlichen Weisheiten, die er weitergibt, sondern biblische Prinzipien und Wahrheiten. Durch alle Kapitel hindurch zeigt er schlüssig anhand von Gottes Wort auf, was das biblische Verständnis von Gemeinschaft ist. Damit erfüllt das Buch für mich das wichtigste Kriterium für ein Buch der Kategorie „Gemeindebau“.

Die zwei Dimensionen „Evangeliums offenbarender“-Gemeinschaft

Was die Merkmale „Evangeliums-offenbarender“ Gemeinschaft sind, zeigt Dunlop sehr klar und deutlich anhand von zwei Dimensionen auf einer Abbildung dar. Die erste Dimension ist die Breite, das Ausmaß der Vielfalt. Mithilfe von Epheser 2,18 zeigt Dunlop hervorragend auf, wie Gott durch die Kraft des Evangeliums die Trennmauer zwischen den Juden und Heiden abreißt und Einheit schafft.

Dunlop weist darauf hin, wie schmal wir Gemeinschaft bauen. Wir bauen nach dem Prinzip „gleich und gleich gesellt sich gern“. Dunlop bezeichnet das auch als „demographisches Phänomen“. Wir Menschen lieben es, uns mit unseresgleichen abzugeben. Mütter mit Müttern – ähnliche Lebenserfahrung. Biker mit Bikern – ähnliche Identität. Menschen, die gegen Menschenhandel kämpfen, mit Menschen, die gegen Menschenhandel kämpfen, – ähnliches Anliegen. Burger-Liebhaber mit Burger-Liebhabern – ähnliche Bedürfnisse. Reiche mit Reichen – ähnliche gesellschaftliche Stellung. Jede dieser Gemeinschaft baut sich um etwas anderes als das Evangelium auf. Sie existiert aufgrund der Gemeinsamkeit und nicht aufgrund der Kraft des Evangeliums („Evangeliums Phänomen“).

Dunlop trifft den Nagel auf den Kopf und verfällt gleichzeitig nicht der Einseitigkeit. Er zeigt nämlich auch auf, dass es nicht heißt, dass wir keine Gemeinschaft mehr mit Gleichgesinnten haben dürfen. Er will uns vielmehr dazu ermutigen, aus unserer Komfortzone herauszukommen und auch Gemeinschaft über die Ähnlichkeiten hinaus zu haben, weil diese übernatürliche Gemeinschaft das Evangelium sichtbar macht.

Die zweite Dimension, die Dunlop aufführt, ist die Tiefe. Er zeigt fundiert nach Epheser 2,19 auf, dass diverse Gemeinschaft allein nicht ausreicht. Es benötigt auch tiefe familiäre Beziehungen, die nicht oberflächlich sind. Wenn diese beiden Merkmale erfüllt sind, kann man von „Evangeliums-offenbarender“ Gemeinschaft reden.

Anziehende Gemeinschaft praktisch leben

Über Teil 1 hinaus gefällt mir besonders, dass das Buch gerade auch durch die Teile 2 und 3 einen starken Praxisbezug hat, welcher hilft, die Prinzipien und die Vision der übernatürlichen Gemeinschaft aus Teil 1 umzusetzen. Man merkt, dass Dever und Dunlop die Prinzipien in ihrer Gemeinde selbst in die Praxis umgesetzt haben und es nicht bloße Theorie ist. Gleichzeitig hilft es, dass sie nicht nur Handlungsanweisungen weitergeben, sondern auch Prinzipien. Dadurch lässt sich das Buch zu jeder Zeit und an jedem Ort anwenden. Ebenso zeigen sie gut auf, dass es letztlich Gott ist, der die anziehende Gemeinschaft stiftet. Wir können sie nicht durch ein Programm generieren.

Das Arbeitsheft

Das Arbeitsbuch verstärkt diesen Effekt, dass das Gelesene nicht bloß Kopfwissen bleibt, sondern auch die Lebenspraxis verändert, sodass Gottes Kraft in der Gemeinde sichtbar wird. Daher sind es passenderweise Bücher nach dem Motto des 3L-Verlages („Lesen, Lernen, Leben“), unter dem die Bücher erschienen sind.

Das Arbeitsheft ist perfekt als Begleitheft für Hauskreise geeignet, wenn Gemeindeleiter ihre Gemeinden zu anziehender Gemeinschaft anleiten wollen. Aufbau und Inhalt der Kapitel sind super ausgelegt für den Hauskreis. Es beginnt jeweils mit dem Kerngedanken des Kapitels und einem zentralen Vers. Anschließend kommen einige Fragen zum Nachdenken. Diese sind sehr hilfreich zum Reflektieren des Buches. Am Ende jedes Kapitels gibt es noch zum Thema passende Gebetsvorschläge. Für die sehr motivierten und interessierten Leser gibt es dann sogar Leseempfehlungen, die helfen sollen, das Thema noch weiter zu vertiefen.

Mir gefällt die Aufmachung als Ringbuch, denn dadurch klappt das Arbeitsheft nicht von allein zu und man kann ohne Mühe die Fragen auf den vorgedruckten Linien beantworten.

Zwei Dinge haben mir die Arbeit mit dem Arbeitsheft jedoch erschwert. Zum einen hat mich verwirrt, dass der Bibelvers Johannes 13,31–35, der im Buch erst in Kapitel 2 betrachtet wird, im Arbeitsheft schon im Kapitel 1 untersucht wird. Womöglich standen die Autoren vor der Herausforderung, dass dadurch, dass das erste Buchkapitel als Überblick gestaltet ist, auf keine Bibelstelle Bezug genommen werden kann, die dann später nicht noch einmal tiefer behandelt wird. Zum anderen war für mich die Formulierung einiger Fragen ein wenig holprig und nicht so leicht verständlich. Als ein Beispiel sei die erste Frage des 3. Kapitels aufzuführen: „Warum ist gemäß 1. Johannes 4,19–21 die Liebe zu den Brüdern und Schwestern in Christus entscheidend für jene, die behaupten, dass sie Gott lieben?“ (S.22 im Arbeitsheft).

Ansonsten sind die Fragen im Arbeitsheft aber einwandfrei gestellt. Sie fordern zum Nachdenken über die Bibeltexte auf, hinterfragen die eigenen Einstellungen und führen zur Anwendung der Prinzipien in der eigenen Gemeinde.

Fazit

Anziehende Gemeinschaft muss jeder Gemeindeleiter gelesen haben. Es schenkt eine gute biblische Vision von übernatürlicher und anziehender Gemeinschaft. Die zwei Dimensionen der „Evangeliums-offenbarenden“ Gemeinschaft sind sehr nützlich, um zu überprüfen, wie anziehend die eigene Gemeinde ist. Doch gleichzeitig bleibt das Buch nicht bei einer Vision stehen, sondern hat einen hohen Gewinn für die Praxis durch das gut ausgearbeitete Arbeitsheft und den langen Praxisteil mit vielen guten Prinzipien. „Und so offenbart diese Gemeinschaft die Kraft des Evangeliums“ (S. 23).

Buch

Mark Dever und Jamie Dunlop, Anziehende Gemeinschaft: Eine Gemeinde, in der sich Gottes Kraft auswirkt, Waldems: 3L-Verlag, 2023, 257 Seiten, 15,50 Euro.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.