Wer bin ich

Rezension von Lilia Stromberger
10. August 2023 — 7 Min Lesedauer

„Wir alle suchen nach Sinn und Bedeutung im Leben. Wir alle versuchen zu verstehen, wer wir sind und wo wir hingehören. Wir alle wollen wissen, dass wir wertvoll sind“ (S. 45). So formuliert es der Autor Chris Morphew. Als Lehrer und Seelsorger in einer Schule in Sydney (Australien) sieht er den Kummer der Menschen und vor allem der Heranwachsenden darin, dass es in der heutigen lauten und von Medien geprägten Zeit zu viele verwirrende Antworten auf die grundsätzlichen Lebensfragen gibt. Mit einer Serie von Büchern will er die Fragen von Heranwachsenden kurz, ehrlich und nachvollziehbar ernst nehmen, um aus dem Evangelium heraus haltbare Antworten und Orientierung zu geben. Wer bin ich – und warum bin ich wertvoll? ist der erste Band dieser Reihe.

„Menschen brauchen zur Orientierung in der Identitätssuche nicht menschliche Meinungen und Prägungen, die sich oft als lügenhafte Illusionen und Sackgassen entpuppen, sondern eine wahre Stimme von außen.“
 

Morphew startet damit, dass er die unausgesprochene und quälende Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit formuliert und somit dem Leser das Gefühl gibt, verstanden zu werden. Anschließend benennt er einen typischen Gedankenknoten nach dem anderen, hinterfragt und denkt weiter, um dann zu verdeutlichen, dass nur die Antworten aus dem Evangelium echte Wertschätzung und bleibende Zugehörigkeit geben können. Somit sollten die Kapitel nacheinander gelesen werden, um den roten Faden darin verfolgen zu können.

Die Formulierung des Problems (Kapitel 1–4)

Einfühlsam schildert Morphew die innere Not der Identitätssuche gekoppelt mit dem verkrampften Jagen nach den Idealmaßstäben (Aussehen, Fähigkeiten, Freunde, Aktivitäten, Erfolg, Bildung, Sportlichkeit, Geld …), bloß um gesehen zu werden und ankommen zu können. Dieses ruhelose Erfüllen von eigenen und fremden Erwartungen bewirkt allerdings eher, dass man nicht mehr weiß, „‚welche Version von mir die echte ist‘“ (S. 12). Statt sich bedeutungsvoll zu fühlen, scheint man spätestens beim Vergleichen nie genug und ziemlich nutzlos zu sein. Aber auch ein „Sich-selbst-treu-bleiben“ wirkt beim ehrlichen Eingestehen seines Versagens nahezu lächerlich. Es wird sogar für sich selbst und für andere gefährlich, wenn das eigene Verlangen einfach kurzsichtig ausgelebt wird. Die wahre Beantwortung des Grundbedürfnisses nach Wertgefühl, Lebenssinn und Ankommen wird so nur oberflächlich und unzufriedenstellend gelöst. Menschen brauchen zur Orientierung in der Identitätssuche nicht menschliche Meinungen und Prägungen, die sich oft als lügenhafte Illusionen und Sackgassen entpuppen, sondern eine wahre Stimme von außen.

Die Lösung des Problems (Kapitel 5–8)

Es ist möglich, die wahre Bedeutung zu entdecken, wenn ich nicht mehr auf das höre, was ich selbst oder andere von mir denken, sondern wenn ich daran festhalte, was Gott von mir denkt. Er ist der einzige Gott, der angebetet werden soll. Auch verbietet er die Achtung von Götzen. Gott wollte, dass statt in Götzen der „tiefste Sinn“ bei ihm gesucht wird, denn echte „Freiheit entsteht, wenn wir ihn Herr über uns sein lassen und uns von ihm leiten lassen“ (S. 47–48). In der Mitte des Buches wird somit die zentrale Lebenssuche nach Identität beantwortet: „Herauszufinden, wer du bist, geht deshalb Hand in Hand damit einher, herauszufinden, wer er ist“ (S. 49). In Gottes Augen sind Menschen unfähig, die eigene „Identität selbst zu erschaffen“ (S. 49). Nur Gott kann uns bei der Suche nach Bedeutung helfen, wenn er der Mittelpunkt des Lebens wird und uns dann lehrt, was es heißt, ihn – das Original – als sein Geschöpf und Verwalter dieser Erde und sein Ebenbild auf der Erde zu repräsentieren.

„An Jesus kann gelernt werden, auch in schwierigen Momenten an Gottes Aussagen festzuhalten, um dem Bedürfnis standzuhalten, sich beweisen zu müssen.“
 

Die Bedeutung des Menschseins liegt darin, Gott zu kennen, seine „Güte zu erleben“ und diese in Gemeinschaft mit anderen Menschen „in diese Welt zurückzuspiegeln“ (S. 54). Allerdings ist der Mensch aufgrund seines Versagens, seiner Verlorenheit, seiner Sünde und Gottesferne nicht fähig, diese wertvolle Bestimmung zu leben. Gott hat jedoch in seiner Barmherzigkeit durch Christus, der den Maßstab voll erfüllte, durch seinen Tod am Kreuz unverdienten Straferlass und damit Rettung und Nähe zu Gott möglich gemacht. Gottes Rettungsangebot annehmen bedeutet, aufhören zu dürfen, auf sinnlose Art und Weise den Wert beweisen zu müssen, denn die „wahre Identität ist ein kostenloses Geschenk von Jesus“ (S. 69). An Jesus kann dann gelernt werden, auch in schwierigen Momenten an Gottes Aussagen festzuhalten, um dem Bedürfnis standzuhalten, sich beweisen zu müssen.

Das Leben mit der Lösung des Problems (Kapitel 9–10)

Morphews Schlussfolgerung: Wer aufhört, die eigene Identität zu schaffen, und anfängt, Gottes Meinung mehr Glauben zu schenken statt den Menschen und Medien, wer mit Gott durch den Tag geht, wird von Gottes Geist durch das Vertrautwerden mit der wahren Identität Jesu umgestaltet: Gottes Worte versichern, dass man wertvoll ist, weil „es nichts mehr zu tun und nichts mehr zu beweisen gibt – weil Jesus das alles schon für dich getan hat“ (S. 79) und weil man sich seiner echten Identität sicher ist.

Zu erwarten wäre nun das Vertiefen der wahren Identität, indem geschaut wird, wer und wie Gott ist, wie es der Aussage in der Mitte des Buches entspricht. In den letzten zwei Kapiteln verlässt Morphew leider diesen Gedankengang und legt den Schwerpunkt eher auf das Ausüben neuer Gewohnheiten (morgens beten, die Bibel lesen, immer wieder kurze Zeiten zum Fokussieren auf Gott einbauen, in Gemeinschaft mit anderen leben, Sabbat einhalten), die Gott dann zur Veränderung nutzen werde. Sicherlich will Morphew damit zeigen, wie man Gott näher kennenlernen kann, jedoch wird der Beziehungsgedanke von dem Erläutern der Gewohnheiten überschattet. Auch sind einige Aussagen etwas ungenau: Der Sabbat ist etwa nicht dafür da, daran erinnert zu werden, dass der Wert nicht vom Tun abhänge (vgl. S. 92), sondern um sich auf den einzigen Gott auszurichten und zu erkennen, dass er der Herr ist, der heiligt (vgl. 2Mose 31,13). Auch werden wir nicht durch das Einüben von Gewohnheiten oder durch die Betonung unseres Wertes (vgl. S. 95) verändert, sondern durch das Anschauen von Christus (vgl. 2Kor 3,18).

Resümee

Heranwachsende ab etwa dem 12. Lebensjahr (auch aus nichtchristlichem Kontext) werden sich in diesem Buch verstanden wissen und bis zum 8. Kapitel auf wertvolle Aha-Erlebnisse stoßen. Die insgesamt 10 Kapitel sind knackig kurz gehalten (je 6–8 Seiten) und der leichte, seelsorgerliche, sehr ehrliche Sprachstil wirkt in der Du-Form und mit den Veranschaulichungen auch für Lesefaule einladend. Jedoch wäre es ratsam, die letzten beiden Kapitel im Gespräch richtig zu akzentuieren, denn sie können zu methodisch und vor allem für Nichtchristen befremdlich erscheinen.

„Es bleibt die große Herausforderung, dass Eltern, Erwachsene und Jugendleiter anhand dieses Buches die inneren Prozesse und Fragestellungen der Jugendlichen verstehen und formulieren lernen, um haltbare und nachvollziehbare Antworten für sich und Jugendliche zu entdecken.“
 

Aus der Praxis weiß ich, dass viele Jugendliche auch die besten Bücher nicht lesen – leider. Daher bleibt die große Herausforderung, dass Eltern, Erwachsene und Jugendleiter anhand dieses Buches die inneren Prozesse und Fragestellungen der Jugendlichen verstehen und formulieren lernen, um haltbare und nachvollziehbare Antworten für sich und Jugendliche zu entdecken. Dies wird hilfreich sein, um in spontanen und gezielten Kontakten mit Jugendlichen, das innere Denkkarussell zu treffen und mit logischen Gedankengängen zu beantworten. Schließlich braucht ein Heranwachsender in seiner Identitätssuche nicht nur Worte aus einem Buch, sondern vor allem persönliche Begegnungen mit Erwachsenen, die sie die Wertschätzung, die Bedeutung und das Zuhause in Christus erleben lassen.

Buch

Chris Morphew, Wer bin ich – und warum bin ich wertvoll?, Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft, 2023, 112 Seiten, ca. 6,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.