Als Gemeinde evangelisieren – aber wie?
Es braucht nicht viel, um die meisten Christen davon zu überzeugen, dass Evangelisation im Kontext der Gemeinde der richtige Weg ist, Menschen für Christus zu gewinnen. Es ist nicht einmal schwer, Freiwillige für ein evangelistisches Vorhaben zu finden.
Evangelistische Programme?
Meistens verstehen wir unter Evangelisation im Kontext der Gemeinde evangelistische Programme. Die meine ich allerdings nicht, wenn ich von Evangelisation in der Gemeinde rede. Unter „Programm“ verstehe ich große Events mit bekannten Sprechern und spannenden Themen, in die an einer bestimmten Stelle das Evangelium eingebunden ist. Mit Programmen sind auch Veranstaltungen mit einer etwas subtileren Botschaft für Suchende gemeint, z.B. ein gemeinnütziger Dienst oder eine Sportveranstaltung, von denen man sich offene Türen für Gespräche über den Glauben erhofft.
Gott kann Programme gebrauchen. Ich kenne Menschen, die durch solche Events zum Glauben gefunden haben. Um eines klarzustellen: Ich selbst unterstütze und spreche auf Evangelisationsveranstaltungen. Aber ich glaube nicht, dass sie die effektivste, geschweige denn wichtigste Art und Weise der Evangelisation darstellen.
Wenn wir einen ehrlichen Blick auf solche Programme werfen, geht die Rechnung leider nicht ganz auf. Zum einen scheint es ein umgekehrtes Preis-Leistungsverhältnis zu geben: Je mehr Geld man für Programme ausgibt, desto weniger Früchte scheint die Evangelisation zu tragen. Eine Umfrage ergab beispielsweise, dass nur 1 % der befragten Christen unter 21 Jahren (das Alter, in dem die meisten zum Glauben finden) sich durch das Fernsehen oder sonstige Medien bekehrte hatte und ganze 43 % durch einen Freund oder einen Familienangehörigen zum Glauben gefunden hatten. Man führe sich nur einmal den Preisunterschied zwischen einer Tasse Kaffee und einer Fernsehsendung vor Augen. Um es anschaulicher zu formulieren: Mütter führen mehr Leute zu Jesus als TV-Programme.
Zwar leisten Evangelisationsprogramme enorm viel, doch nicht in der eigentlichen Evangelisation: So schaffen sie Gemeinschaft unter Christen, die an ihnen mitwirken; sie ermutigen Gläubige dazu, für Christus einzustehen und sie helfen Gemeinden dabei, neue Dienstbereiche zu erschließen.
Und doch scheinen wir darauf versessen zu sein, Evangelisation mittels Programmen voranzutreiben. Doch warum? Programme sind wie Zucker. Sie sind süß, machen sogar süchtig und rauben uns das Verlangen nach gesünderer Nahrung. Trotz eines kurzen Energie-Kicks lassen sie uns auf Dauer fettleibig werden und können uns letztendlich sogar umbringen.
Eine eiserne Diät evangelistischer Programme bringt mangelernährte Evangelisation hervor. So wie uns Zucker dazu verleiten kann zu glauben, wir hätten etwas Anständiges gegessen, so können Programme uns dazu verleiten zu glauben, wir hätten evangelisiert, obwohl dies nicht zutrifft. Daher lohnt es sich, evangelistischen Programmen mit einer gesunden Portion Skepsis entgegenzutreten. Wir sollten sie strategisch, aber nur in Maßen verwenden, und immer im Hinterkopf behalten, dass Gott uns kein Programm, sondern seinen Sohn gesandt hat.
Was also sollten wir tun? Wir wollen als Gemeinde evangelisieren. Wir sehnen uns danach, unsere Freunde an unserer Seite zu haben, wenn wir unseren Glauben teilen. Doch gleichzeitig sehen wir die Grenzen und sogar die Gefahren von Programmen. Gibt es eine Alternative?
Ich möchte mich für etwas völlig anderes aussprechen; etwas Gemeinschaftliches wie auch Persönliches: Eine in der Ortsgemeinde verwurzelte Kultur der Evangelisation.
Eine in der Gemeinde verwurzelte Kultur der Evangelisation
Jesus sagte: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13,35). Etwas später betete er für seine Jünger, sie mögen eins sein, „damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,20–21). Wir müssen Folgendes begreifen: Jesus sagt, die Liebe untereinander in der Gemeinde ist der Beweis dafür, dass wir wahrhaftig bekehrt sind. Und wenn wir im Leib eins sind, zeigen wir der Welt, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Die Liebe bezeugt unsere Jüngerschaft. Einheit beweist die Gottheit Christi. Was für ein kraftvolles Zeugnis!
„Die Ortsgemeinde ist die Veranschaulichung des Evangeliums.“
Es gibt viele Schriftstellen, die unseren evangelistischen Bestrebungen einen Rahmen geben, doch diese Bibelstellen sind der biblische Beleg dafür, dass unsere Gemeinden von einer Kultur der Evangelisation geprägt sein sollen.
Das bedeutet: Die Ortsgemeinde ist die Veranschaulichung des Evangeliums. Unsere Liebe füreinander hat sich in der örtlichen Versammlung von Menschen zu zeigen, welche einen Pakt der Liebe miteinander geschlossen haben. Genau das ist eine Gemeinde: keine abstrakte Liebe, sondern konkrete Liebe für konkrete Menschen im echten Leben. Wie oft habe ich von Nicht-Christen gehört, sie hätten die Gemeinde selbst als seltsam, die Liebe in der Gemeinschaft untereinander aber als äußerst anziehend empfunden.
Doch das Evangelium offenbart sich nicht nur in unserer Liebe. Hast du dir je darüber Gedanken gemacht, wie viele biblische Anweisungen Gottes das Evangelium verkündigen, wenn man sie richtig ausführt?
Sich um eine gesunde Kultur der Evangelisation zu bemühen, bedeutet nicht, die Gemeinde nur auf Evangelisation hin auszurichten. Stattdessen lassen wir die Dinge, die Gott der Gemeinde bereits vermacht hat, das Evangelium verkündigen. Jesus hatte das Evangelium nicht vergessen, als er seine Gemeinde baute. Hier einige Beispiele:
- Die Taufe versinnbildlicht den Tod, das Begräbnis und die Auferstehung Jesu. Sie zeigt, dass sein Tod unser Tod und sein Leben unser Leben ist.
- Das Abendmahl verkündigt den Tod Christi, bis er wiederkommt, und hält uns dazu an, unsere Sünden zu bekennen und seine Vergebung erneut zu erfahren.
- Das Gebet spricht die Wahrheiten Gottes aus und lässt uns immer abhängiger von ihnen werden.
- Das Singen verkündigt die großen Taten, die Gott im Evangelium für uns vollbracht hat.
- Das Geben finanzieller Gaben unterstützt das Voranschreiten des Evangeliums.
Und natürlich bringt die Verkündigung des Wortes das Evangelium. In der Tat ist es die Predigt des Wortes, welche eine Gemeinde zuallererst ausmacht. Einmal etabliert, ist der Gemeinde die Aufgabe anvertraut, zu Jüngern zu machen und diese Jünger mit dem Evangelium auszusenden und neue Gemeinden zu gründen.
Dieser Prozess setzt sich seit der Himmelfahrt Christi fort und wird weitergehen, bis er wiederkommt.
Eine Evangeliumskultur ist eine Graswurzelbewegung und lässt sich nicht von oben überstülpen. In einer Evangeliumskultur verstehen Menschen, dass es der Hauptzweck der Gemeinde ist, Gemeinde zu sein. Die Tätigkeiten der Gemeinde sollen für sich selbst ein Zeugnis für das Evangelium sein. Auch wenn die Gemeinde evangelistische Aktivitäten mit Gebet und Mitteln unterstützen soll, so ist es nicht ihre Hauptaufgabe, Programme am Laufen zu erhalten. Die Gemeinde sollte eine Kultur des Evangelisierens pflegen. Die Mitglieder der Gemeinde werden von ihr ausgesandt, um zu evangelisieren. Dies mag etwas pingelig wirken, doch es ist wirklich wichtig. Wird dies nicht verstanden, kann es ganze Gemeinden schädigen und zu falschem Zorn auf die jeweilige Gemeindeleitung führen.
In einer gesunden Evangeliumskultur wird demnach verstanden, dass es für die Gemeinde als Ganzes und ihre individuellen Mitglieder unterschiedliche Prioritäten gibt. Wir brauchen Gemeinden, die das Evangelium auf biblische Weise leben, und wir brauchen Christen, die offen für Suchende sind, nicht andersherum. Das heißt, dass manche Dinge, die ein Einzelner in der Evangelisation tun sollte, nicht die besten Aktivitäten für eine Gemeinde als Ganzes sein mögen.
„Wir brauchen Gemeinden, die das Evangelium auf biblische Weise leben, und wir brauchen Christen, die offen für Suchende sind.“
In einer Kultur der Evangelisation ist es das Ziel, dass jeder – nicht nur die Leiterschaft – die Gelegenheiten ergreift, die sich gerade bieten, sei es für Glaubenszeugnisse oder für Gebet. Unsere Verantwortung ist es, gemeinsam treu zu sein.
Würden Gemeindeglieder auch nur die Hälfte der Zeit, die sie für Programme aufwenden, in die Evangelisierung ihrer Nachbarn, Kollegen oder Kommilitonen investieren, so glaube ich, würden wir mehr Früchte unserer Evangeliumsarbeit sehen und noch mehr Menschen erreichen. Kein Gemeindehaus der Welt könnte auch all die Nicht-Christen fassen, mit denen die Gemeindemitglieder Tag für Tag im Kontakt stehen, – völlig unabhängig von der Größe des Gebäudes.
Tatsächlich finden die meisten durch ihre Familienmitglieder, Hauskreise oder Gespräche mit Freunden nach dem Gottesdienst zum Glauben; das heißt durch Christen, welche bewusst über das Evangelium sprechen.