New Testament Theology
Eckhard Schnabel ist der Mary French Rockefeller Distinguished Professor für Neues Testament am Gordon-Conwell Theological Seminary (Hamilton, Massachusetts, USA). Er ist ein produktiver Gelehrter und wendet sich nach der Veröffentlichung vieler Bücher und Kommentare zum Neuen Testament nun mit kompetenter Gelehrsamkeit einer Theologie des Neuen Testaments zu. Dieses Buch ist der vierte Beitrag zur neutestamentlichen Theologie aus dem Verlag Baker Academic, nachdem bereits die von Schreiner,[1] Schnelle[2] und Beale[3] erschienen sind. Mit über 500.000 Wörtern umfasst es 1.176 Seiten, wovon 961 auf den Hauptteil des Textes entfallen.
Aufbau
Das Buch ist in sechs Teile gegliedert.
Teil 1, „History, Faith, and Theology“ (Geschichte, Glaube und Theologie), besteht aus den Kapiteln 1 bis 3. Kapitel 1 stellt das Buch in den Kontext der neutestamentlichen Theologie im Allgemeinen. Seiner erklärten Methode folgend, sich nicht mit der Sekundärliteratur auseinanderzusetzen, nennt Schnabel in der Regel die verschiedenen Positionen und ihre Anhänger und vertritt dann seine eigene Position. Dies steht im Gegensatz zu Schreiner, der sich gründlich mit den Methoden der biblischen Theologie und ihren Unzulänglichkeiten in Bezug auf seine eigenen Ansichten auseinandersetzt (vgl. Thomas Schreiner, New Testament Theology, 2008, S. 865–888). Kapitel 2 beschreibt den historischen Kontext der Schriften des Neuen Testaments in Geographie und Gesellschaft. Kapitel 3 umreißt die Bedeutung Jesu im Neuen Testament, was auch das verbindende Thema in seinem Buch ist.
„Schnabel berücksichtigt auch die jüdische und griechische Kultur im 1. Jahrhundert und setzt sich mit ihr auseinander.“
Teil 2, „The Proclamation of Jesus“ (Die Verkündigung Jesu), enthält die Kapitel 4 bis 6 und behandelt hauptsächlich das Leben, die Worte und die Taten Jesu in den Evangelien (Kapitel 5 u. 6), nachdem er Johannes den Täufer (Kapitel 4) behandelt hat.
Teil 3, „The Proclamation of the Jerusalem Apostles“ (Die Verkündigung der Apostel in Jerusalem), behandelt die Apostel. Kapitel 7 behandelt ihren Dienst und Kapitel 8 ihre Theologie.
Teil 4, „The Proclamation of the Apostle Paul“ (Die Verkündigung des Apostels Paulus), ist verständlicherweise der längste Abschnitt des Buches. Er enthält sechs Kapitel, die sich auf über 300 Seiten verteilen. Kapitel 9 behandelt den historischen Kontext der Paulusbriefe. Die Kapitel 10 bis 15 behandeln verschiedene Themen bei Paulus, wie beispielsweise Jesus als Erfüllung von Gottes Verheißungen (Kapitel 10), Jesus als Messias (Kapitel 11), die Realität der Sünde (Kapitel 12), die Errettung durch Jesus (Kapitel 13), das Volk Gottes (Kapitel 14) und die Wiederkunft (Kapitel 15).
Teil 5, „The Consolidation of the Apostolic Mission“ (Die Konsolidierung der apostolischen Mission), gibt einen theologischen Überblick über die Autoren der Evangelien (Kapitel 16 bis 19) und des Hebräerbriefs (Kapitel 20). Die Kapitel über Lukas und Johannes umfassen auch ihre sonstigen Schriften (Apostelgeschichte des Lukas und 1. bis 3. Johannesbrief sowie die Offenbarung). Jedes dieser Kapitel folgt der gleichen Struktur und behandelt die Hauptthemen des Buches, das Leben und den Tod (und die Auferstehung) Jesu sowie die Gemeinschaft seiner Anhänger.
Teil 6, „The Message of the New Testament“ (Die Botschaft des Neuen Testaments), ist die Synthese des Buches und fasst die wichtigsten Themen zusammen. Kapitel 21 befasst sich mit der Einheit des Neuen Testaments (und des Kanons insgesamt). In den Kapiteln 22 und 23 geht es um die Offenbarung Gottes in der Dreieinigkeit (Kapitel 22) und speziell in der Inkarnation des Sohnes (Kapitel 23). Die Kapitel 24 bis 26 behandeln die Themen des Gläubigen in der Erlösung (Kapitel 24), der Kirche (Kapitel 25) und des zukünftigen Lebens (Kapitel 26). Jedes Kapitel im sechsten Teil enthält einen Abschnitt über die „Contemporary Significance“ (Zeitgenössische Bedeutung), in dem Schnabel auf die Bedeutung dieser Themen für uns heute hinweist.
Methode
Schnabel zeigt seine Affinität zur deutschen Wissenschaft in der Art, wie er sein Material anordnet. Er folgt eher einer historischen Gliederung des Materials (Johannes der Täufer, Verkündigung Jesu, dann Paulus, dann andere neutestamentliche Autoren) als den eher thematischen Ansätzen, die viele der englischsprachigen Standardwerke zur neutestamentlichen Theologie bevorzugen.[4] Er lehnt jedoch die Methode des 19. Jahrhunderts ab (wie sie von William Wrede und in jüngerer Zeit von Heikki Räisänen vertreten wurde), das Neue Testament nur durch die historische Linse und ohne theologische Annahmen oder Agenda zu betrachten. Schnabel sieht seine Arbeit zu Recht in den „theological convictions of the exegete“ (dt. theologischen Überzeugungen des Exegeten) verortet (S. 9).
Schnabel verfolgt in seinem Projekt insgesamt jedoch eher einen „thematischen Ansatz“, indem er das Thema „Jesus als Messias“ als verbindendes Prinzip anführt, auch wenn seine einzelnen Kapitel dem historischen Ansatz folgen. Auf diese Weise wird versucht, die Einheit des Neuen Testaments über alle Autoren hinweg zu bewahren, anstatt die „Theologien“ der einzelnen Autoren zu betrachten (wie es in einigen Büchern der neutestamentlichen Theologie der Fall ist[5]).
Das verbindende Thema „Jesus ist der Messias“ wird in Kapitel 3 umrissen und zieht sich durch das ganze Buch. Allerdings sieht Schnabel weitere, ähnlich verbindende Themen in der Erfüllung von Gottes Verheißungen (§ 8.3, Kapitel 10 u. 21) und in der neuen Schöpfung (Kapitel 15 u. 26).
Altes Testament
Es gibt ein breites Meinungsspektrum bezüglich der Stellung des Alten Testaments innerhalb der neutestamentlichen Theologie. In der neueren englischsprachigen neutestamentlichen Theologie kann man zwischen zwei Polen unterscheiden. Ein Pol wäre die englische Übersetzung der ersten Ausgabe von Udo Schnelles Theologie des Neuen Testaments. Darin argumentiert Schnelle, dass das Alte Testament nur ein Hintergrund von vielen für das Neue Testament ist und dass das Alte Testament über Jesus Christus schweigt und deshalb eine „gesamtbiblische Theologie“ ein unmögliches Unterfangen ist. Der andere Pol ist Beales A New Testament Biblical Theology, in der er seine neutestamentliche Theologie als Teil seiner gesamtbiblischen Theologie betrachtet und viele der gleichen Themen (Eschatologie, neue Schöpfung) in beiden als zentral ansieht.
Schnabel bewegt sich in der Mitte, liegt aber wie Schreiner viel näher an Beale als an Schnelle. In seinem gesamten Werk zeigt Schnabel, dass Jesus als Messias die alttestamentlichen Verheißungen erfüllt und erklärt. Und er zeigt, wie die Themen des Neuen Testaments mit der Erfüllung des Alten Testaments verbunden sind. Das gelingt ihm durch eine gründliche und sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Alten Testament und vielen anderen jüdischen Schriften.
Historischer Kontext
Schnabel konzentriert sich vor allem auf den historischen Kontext, in dem das Neue Testament geschrieben wurde. Er legt den Fokus also auf die ersten Hörer und Leser des Neuen Testaments. Das zeigt sich auch in der Wahl seiner Begriffe (Jesus-Anhänger statt Christen; Polytheisten statt Nicht-Juden). Deshalb berücksichtigt er auch die jüdische und griechische Kultur im 1. Jahrhundert und setzt sich mit ihr auseinander. Das tut er nicht nur in seinen Hauptkapiteln über den historischen Hintergrund und den Kontext (Kapitel 2, 4, 5, 7 u. 9), sondern in jedem Kapitel des Buches. Solche historischen Rekonstruktionen findet man normalerweise nur in einem Kommentar zum neutestamentlichen Hintergrund und nicht in einer neutestamentlichen Theologie. Die Aufnahme hier ist sehr hilfreich, um das Neue Testament einzuordnen.
Historische Theologie
Die meisten englischen Autoren der Biblischen Theologie sehen sich in einer Linie mit Johann Philipp Gabler, indem sie die Texte der Heiligen Schrift selbst außerhalb der systematischen (oder dogmatischen) Loci oder sogar in der Kirchengeschichte betrachten. Deshalb „berücksichtigen wir in der biblischen Theologie nicht ausdrücklich die Lehrformulierungen der Kirchengeschichte“ (Thomas Schreiner, New Testament Theology, 2008, S. 884). Schnabel weitet seine neutestamentliche Theologie jedoch bis in die Gegenwart aus und widmet der zeitgenössischen Bedeutung der neutestamentlichen Theologie in jedem Kapitel von Teil 6 einen Abschnitt. Er schreckt nicht vor den ethischen Implikationen des Neuen Testaments zurück.
Engagement mit der Wissenschaft
Schnabel hat sich eindeutig mit einer Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten auseinandergesetzt (sein Literaturverzeichnis umfasst fast 140 Seiten!). Allerdings kennzeichnet er die Quellen in Klammern im Haupttext und nicht in Fußnoten. Er begründet diese Entscheidung damit, dass er die Seiten nicht vervielfachen wollte und der Platz begrenzt war (vgl. S. xxv). In gewisser Weise ist dies lobenswert. Aber es bedeutet auch, dass alles, worauf er sich einlässt, im Haupttext landet (wodurch sich die Seitenzahl ebenfalls erhöht) oder ganz weggelassen wird. Oft ist schwer zu erkennen, was Schnabel selbst denkt, nachdem er verschiedene Positionen dargelegt hat. Außerdem wird es schnell ermüdend, wenn man im Literaturverzeichnis nach Zitaten suchen muss.
Kritik
An diesem Buch gibt es viel zu bewundern und zu genießen. Wenn ich etwas zu kritisieren habe, dann sind es Kleinigkeiten.
Zunächst einmal hat mir der sehr strukturierte Aufbau des Buches gefallen. Jedes Kapitel ist in nummerierte Abschnitte und Unterabschnitte unterteilt. Danach wird jeder Punkt weiter aufgezählt. Manchmal fühlt es sich jedoch so an, als würde man ein Lexikon lesen, da es direkt von Punkt zu Punkt springt. Oft gibt es nur wenige Übergänge zwischen den einzelnen Punkten. Die Lektüre kann sich daher manchmal gestelzt anfühlen.
Zweitens werden in einigen Kapiteln (2, 4, 5, 7 u. 9), die sich hauptsächlich mit dem historischen Kontext des Neuen Testaments befassen, Informationen wie in einer Enzyklopädie präsentiert. Sie sind gründlich und fesselnd, aber es gibt kaum eine Zusammenfassung am Ende jedes Abschnitts oder Kapitels, an der sich der Leser orientieren kann. Das gilt auch für das Ende der großen Abschnitte in den anderen Kapiteln, wo der Text einfach direkt zum nächsten Thema übergeht. Dem Leser würde es helfen, wenn er besser wüsste, wie das Kapitel oder der Abschnitt als Ganzes in sein Projekt passt. Diese Themen werden oft in Teil 6 zusammengeführt, aber der Leser muss bis dahin auf die Synthese warten.
„Mit diesem detaillierten und gründlichen Buch hat Schnabel der Kirche einen großen Dienst erwiesen.“
Drittens tauchen einige der Inhalte an mehreren Stellen auf. In Kapitel 8 geht es zum Beispiel um die Theologie der Apostel in Jerusalem. Vieles davon taucht dann in den Kapiteln über die Evangelien (Kapitel 16–19) oder über Paulus (10–15) wieder auf. Im Gegensatz dazu werden der Jakobusbrief, der Judasbrief und der 1. und 2. Petrusbrief nicht gesondert behandelt, sondern sind entweder in Kapitel 8 (Theologie der Apostel) oder in Teil 6 enthalten, in dem die wichtigsten Themen des gesamten Neuen Testaments betrachtet werden.
Fazit
Mit diesem detaillierten und gründlichen Buch hat Schnabel der Kirche einen großen Dienst erwiesen. Wie er selbst zugibt, kann kein einzelnes Buch über neutestamentliche Theologie die Tiefen des Neuen Testaments vollständig ausloten. Daher zeigt sich die Stärke dieses Buches am besten im Dialog mit anderen Büchern, die das Material des Neuen Testaments auf ergänzende Weise zusammenfassen.
Buch
Eckhard J. Schnabel, New Testament Theology, Grand Rapids, MI: Baker Academics, 2023, 1224 Seiten, ca. 70,00 €.
1Thomas R. Schreiner, New Testament Theology: Magnifying God in Christ, Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2008.
2Udo Schnelle, Theology of the New Testament, Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2009. Es handelt sich um eine englische Übersetzung der ersten Ausgabe seiner Theologie des Neuen Testaments, Stuttgart: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007.
3G.K. Beale, A New Testament Biblical Theology: The Unfolding of the Old Testament in the New ,Grand Rapids, Michigan: Baker Academic, MI, 2011.
4Zum Beispiel das Thema der Erfüllung von Gottes alttestamentlichen Verheißungen in Christus in Thomas Schreiner, New Testament Theology, 2008; oder das Thema der eingeweihten neuen Schöpfung in Beale, A New Testament Biblical Theology, 2011.
5Ein Beispiel für diesen Ansatz findet sich in I.H. Marshall, New Testament Theology: Many Witnesses, One Gospel, Nottingham: Apollos, 2004.