Freude am Beten

Rezension von Hannes Ramsebner
28. März 2024 — 7 Min Lesedauer

Viele Christen finden es mühsam, Zeit fürs Gebet zu finden. In seinem kurzen Buch Freude am Beten zeigt Michael Reeves, wie wir den Kern des Gebets verstehen und die Freude am Beten wiederentdecken können. Er ermutigt, das Gebet als Ausdruck unseres Glaubens zu sehen, anstatt uns ein schlechtes Gewissen wegen des eigenen Gebetslebens zu machen. Wenn wir uns im Glauben an Gott erfreuen, so finden wir auch Freude am Beten.

Mit knapp über 40 Seiten lässt sich das Buch schnell durchlesen; manch ein Leser wird es sicher auch mehr als einmal lesen wollen. Einige der 14 kurzen Kapitel gleichen mehr einem Andachtsbuch und laden zur Reflexion ein. Gleichzeitig zieht sich ein roter Faden durch das Buch, der uns hilft, neue Freude am Beten zu finden.

Das Problem unserer Gebetslosigkeit

Reeves beginnt mit der ehrlichen Feststellung, dass viele Christen keine besonders guten Beter sind. Obwohl er sich selbst als „Versager“ bezeichnet und nicht von oben herab sprechen möchte, warnt er doch nachdrücklich vor den Konsequenzen eines christlichen Lebens ohne Gebet.

Wieso fällt vielen Christen das Gebet schwer? Reeves meint, dass Beten oft als „abstrakte Übung“ wahrgenommen wird und die Lösungsansätze daher mehr einem praktischen Training gleichen, das wiederum ein schlechtes Gewissen hervorruft. Reeves räumt auch ein, dass Anekdoten über Vorbilder im Gebet oft mehr einschüchtern als nützen. So vergleicht er die angebliche Aussage Luthers, dass er an einem arbeitsreichen Tag die ersten drei Stunden im Gebet verbringen müsse, mit einem Zitat aus einem Brief, in dem Luther viele gebetslose Tage eingestand.

Als Alternative zu dieser Sicht verweist Reeves hier auf Calvin, der das Gebet „die vornehmste Übung des Glaubens nennt“ (S. 10). Gebet ist also ein Ausdruck wahren Glaubens. Anhand dieser Definition wird klar, dass das Problem tiefer liegt: Ein schwaches Gebetsleben ist Indiz eines mangelnden Glaubens.

Die Analyse des Problems in den ersten Kapiteln ist eine der größten Stärken des Buches: Die treffende Analyse des Problems hilft dem Leser, sich schnell im Thema zu finden. Reeves zeigt das Ausmaß der Gefahr, ohne den Leser mit Schuldgefühlen zu überhäufen. Dazu tragen auch seine persönlichen Anmerkungen und sein britischer Humor bei: „Falls du dazu neigst, dich selbst ziemlich wunderbar zu finden, denk einfach an dein Gebetsleben“ (S. 11–12).

„Doch sobald der Glaube wächst, wächst auch das Gebet. Wenn der Glaube aus dem Hören von Gottes Wort kommt, stärkt ein besseres Verständnis des Evangeliums auch unser Gebetsleben.“
 

Weil wir Menschen von Natur aus Sünder sind, ist es kein Wunder, dass wir schlechte Beter sind. Doch sobald der Glaube wächst, wächst auch das Gebet. Wenn der Glaube aus dem Hören von Gottes Wort kommt (vgl. Röm 10,17), argumentiert Reeves, stärkt ein besseres Verständnis des Evangeliums auch unser Gebetsleben. Reeves legt den Wert nicht auf äußerliche Merkmale, sondern auf eine Veränderung des Herzens, indem wir die Herrlichkeit Gottes erkennen. So betont er hier, dass unser Verlangen nach Gott geweckt werden muss und daraus das Gebet entspringt.

Die Lösung: weniger Strategie, mehr Beziehung

Nach dieser anfänglichen Analyse des Problems folgen ausführlichere Kapitel zur Rolle der Dreieinigkeit im Gebet. Reeves stellt uns Jesus als „ersten Beter“ vor, der seit Ewigkeit Gemeinschaft mit dem Vater hat. Diese Beziehung teilt er mit seinen Jüngern und wird so zum Vorbild im Gebet. Auch wir können Gott als liebenden Vater kennenlernen, der eine Beziehung zu seinen Kindern möchte. Beten ist also nicht bloß eine Aktivität, die sich auf gewisse Zeiten beschränkt, sondern wird zur ständigen Gemeinschaft mit Gott – wir werden abhängig von unserem himmlischen Vater. Die Beschreibung der Dreieinigkeit schließt mit der Rolle des Heiligen Geistes: Er betet durch uns, macht uns Christus ähnlicher und schenkt Gemeinschaft mit anderen Christen.

Anhand der These Calvins, dass das Gebet die „vornehmste Übung des Glaubens“ ist, gelingt es Reeves, sowohl den Ernst der Lage zu beschreiben, als auch den Leser zu ermutigen. Reeves zeigt auf: Wenn du Probleme mit deinem Gebetsleben hast, dann hast du wahrscheinlich Probleme mit deinem Glaubensleben. Vielleicht möchtest du keine Zeit mit Gott verbringen oder dich ihm nicht ganz anvertrauen. Doch hier ist der entscheidende Punkt: Die Lösung liegt nicht in einer neuen Strategie, sondern im Evangelium – sich am wahren Leben in Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott zu erfreuen.

Hier spielt Reeves, der in seinen früheren Werken schon über die Rolle der Trinitätslehre für den christlichen Glauben geschrieben hat (The Good God, Christ our Life), seine Stärken aus, indem er uns in die Beziehungen der göttlichen Personen mithineinnimmt. Er zeigt das Gebet aus der Perspektive des Sohnes Gottes, nämlich, zu „lernen, sich an dem zu erfreuen, woran sich Jesus schon immer erfreut hat“ (S. 18). Ebenso ist es mit der Perspektive des himmlischen Vaters, der seine Kinder zu sich ruft. Hier wird dem Leser das Privileg des Gebets neu bewusst.

Was das Buch bietet – und was nicht

Aufgrund der Kürze des Buches ist es verständlich, dass manche Kapitel recht abrupt enden und die Zusammenhänge zwischen den Gedanken nicht immer klar sind. Auch Calvins Definition des Gebets, anhand der Reeves seine These entwickelt, hätte zu Beginn ausführlicher erklärt werden können. Hier wäre zum Beispiel ein längeres Zitat oder eine biblische Begründung angebracht gewesen, um der Definition einen Kontext zu geben; so scheint sie zunächst etwas aus der Luft gegriffen. Erst wenn sie auf das Problem angewandt wird, ist klar: „[W]enn Gebet die vornehmste Übung des Glaubens ist, dann ist es kein Wunder, dass du von Natur aus schlecht im Beten bist, schließlich fehlt es dir von Natur aus an Glauben“ (S. 12).

Natürlich könnte man auch beanstanden, dass Reeves mehr auf verschiedene Arten des Gebets hätte eingehen können, wie das Fürbitten- oder Bußgebet. Auch einige Ausführungen zur Rolle der Bibel im Gebet (und der Psalmen im Besonderen!) habe ich ein wenig vermisst. Doch obwohl sie ein hilfreicher Zusatz wären, wurden diese Themen wohl bewusst ausgelassen, um nicht von der Hauptthese abzulenken. Denn Reeves’ kurzes Buch füllt eine Lücke, die sich mit dem Kern des Problems beschäftigt und typisch für seine Theologie auf unser Herz und weniger auf äußerliche Mittel fokussiert ist. Und das ist die wesentliche Stärke des Buches: Mit jeder Seite wecken seine Ausführungen mehr und mehr Freude am dreieinigen Gott und ein Staunen über seine Herrlichkeit.

„Wenn das Gebet ein Ausdruck unseres Glaubens ist, dann ist es keine Pflichterfüllung, sondern ein Geschenk, das wir mit Freude genießen können.“
 

Theologisch versierten Lesern und besonders Predigern dient hier Reeves als Vorbild, wie er in wenigen Worten komplexe Dogmen praktisch und relevant im Christenleben verankert. Auch Neubekehrte werden ermutigt, sich näher mit Theologie zu befassen, wenn sie z.B. die Relevanz der Trinitätslehre oder der Adoption für ihr Glaubensleben erkennen. Wie durch die Hintertür schafft es Reeves, diverse theologische Lehren in kurzen Sätzen zu erläutern und anzuwenden.

Eine persönliche Empfehlung

Zuletzt möchte ich Freude am Beten nicht nur wegen der genannten Stärken empfehlen, sondern auch aus meiner persönlichen Erfahrung heraus. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass dieses Buch mich schon länger begleitet. Als das englische Original erschien, studierte ich unter Michael Reeves an der Union School of Theology und erlebte seine Begeisterung, Theologie für den Alltag greifbar zu machen. Seitdem griff ich immer wieder zu dieser kurzen Lektüre und ließ mich ermutigen, wenn ich mit dem Gebet haderte. Daher freue ich mich, dass dieses Buch nun auf Deutsch erschienen ist und einem weiteren Leserkreis zugänglich wird. Ich empfehle es sowohl jungen Christen, die Beten nicht nur anhand von Methoden lernen möchten, als auch reifen Gläubigen, die neue Freude oder Tiefgang im Gebet suchen. Mein Gebet ist, dass durch dieses Buch Gespräche über Gottes Charakter und das Evangelium angeregt werden und entmutigte Christen Freude am Beten finden. Denn Reeves’ These ist wahr: Wenn Gebet ein Ausdruck unseres Glaubens ist, dann ist es keine Pflichterfüllung, sondern ein Geschenk, das wir mit Freude genießen können.

Buch

Michael Reeves, Freude am Beten, Bad Oeynhausen: Verbum Medien , 2024, 44 Seiten, 8,90 Euro.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.