Exegetical Journeys in Biblical Greek

Rezension von Tanja Bittner
21. März 2024 — 7 Min Lesedauer

Wer sich die Mühe macht, Griechisch zu lernen, hebt seine Kompetenz in Sachen Bibelstudium und Exegese auf ein neues Niveau. Keine noch so genaue Übersetzung, kein noch so guter Kommentar mit Bezügen zum Urtext, keine mit noch so vielen Ressourcen gespeiste Bibelsoftware kommt an die Klarheit heran, die sich uns bietet, wenn wir einen Paulusbrief im originalen Wortlaut lesen können. Auch die (durchaus wertvollen) Hilfsmittel entfalten dann erst ihren optimalen Nutzen.

Bis es so weit ist, muss man aber viel Arbeit investieren. Wer einen Griechisch-Kurs abgeschlossen hat, verfügt zwar theoretisch über das nötige Werkzeug, aber ihm fehlt oft noch die Übung. Wie nun weiter vorgehen? Eine ähnliche Frage stellt sich vielleicht der Pastor, der zwar im Studium Griechisch gelernt hat, dem seitdem aber einiges davon abhandengekommen ist. Wie kann er erneut einen Einstieg finden?

An dieser Stelle wollen die Exegetical Journeys in Biblical Greek ansetzen. Der Autor, Benjamin L. Merkle, unterrichtet am Southeastern Baptist Theological Seminary (North Carolina) Neues Testament und Griechisch. Schon mit früheren Veröffentlichungen erwies er sich als kompetenter Coach, um die hart erarbeitete Sprache nicht nur frisch zu halten, sondern zu vertiefen (v.a. Exegetical Gems from Biblical Greek oder zusammen mit Robert L. Plummer: Greek for Life). In den Exegetical Gems (2019) erläutert Merkle an praxisnahen Beispielen, wie sich durch die Kenntnis der griechischen Grammatik mancher Knoten im Verständnis von Bibeltexten lösen lässt. In gewissem Sinne sind die Exegetical Journeys in Biblical Greek als Folgeband zu verstehen, der aber einen anderen Schwerpunkt setzt und daher unabhängig verwendet werden kann: Das Ziel ist schlicht, Übung im Lesen und Verstehen des griechischen Texts zu bekommen.

Wie der Reiseführer funktioniert

Das Buch ist unterteilt in drei „Journeys“ mit sich steigerndem Schwierigkeitsgrad von „easy“ über „intermediate“ bis hin zu „difficult“. Ein „Journey“ besteht dabei aus sechs Etappen („Routes“), in deren Verlauf jeweils fünf Tage lang ein zusammenhängender Bibeltext betrachtet wird.

Auf der Stufe „easy“ sind dies hauptsächlich Johannestexte (Joh und Offb), außerdem führt eine Etappe durch einen Matthäustext. „Intermediate“ beginnt im Lukasevangelium und beschäftigt sich anschließend mit Paulustexten. Die Stufe „difficult“ startet – noch relativ benutzerfreundlich – mit einer Etappe im Markusevangelium und führt dann in die sprachlich anspruchsvollen Höhen von Jakobus, Petrus, Judas und dem Hebräerbrief.

Dabei wird pro Tag ein kurzer Abschnitt von 1–3 Versen in den Blick genommen. Das Vorgehen ist immer gleich:

  1. Zunächst soll der Text mindestens fünfmal laut gelesen werden.
  2. Es folgt eine kleine Tabelle, in der die Verben des Texts aufgelistet sind; diese sind zu bestimmen. Als Hilfe werden die Kategorien bereits vorgegeben (Tempus, Person, Numerus usw.), die eigene Lösung kann in die Tabelle eingetragen werden.
  3. Nach dem gleichen Schema schließt sich eine Tabelle zur Bestimmung der Nomen an. Für beide Tabellen steht eine Musterlösung zur Verfügung.
  4. Nachdem man sich auf diese Weise wesentliche Bestandteile des Satzaufbaus erschlossen hat, kann der Text übersetzt werden. Die Bedeutung von Vokabeln, die seltener als 50-mal im NT vorkommen, wird hier bei Schritt 4 direkt angegeben, die häufigeren können im Anhang nachgeschlagen werden.
  5. Schließlich gibt Merkle Hinweise zu den grammatikalischen Phänomenen im Text, wie Partizipiengebrauch, Kasusverwendung oder Betonungen (z.B. durch eigentlich „überflüssige“ Personalpronomen oder markante Wortstellung).
  6. Als eine Art Bonus wird am Ende des Tagesabschnitts noch ein geistlicher Impuls zur Aussage des Texts angefügt („For the Journey“). Dieser Teil hilft, nicht bei der Sprachanalyse von einzelnen Versen stehenzubleiben, sondern das große Ganze im Blick zu behalten – und den Grund, weshalb die meisten von uns überhaupt Griechisch lernen, nämlich um bessere Ausleger von Gottes Wort zu werden.

All das mag an dieser Stelle kompliziert klingen, erschließt sich aber – wie oftmals bei Wegbeschreibungen – beim Gehen von selbst. Die Tagesabschnitte umfassen je 2 bis 3 Seiten im Buch und sollten in etwa 10 bis 15 Minuten bewältigt werden können (S. 2), wobei Letzteres natürlich etwas vom Stand des Lesers abhängt. Die fünf Schritte werden dabei schnell zur Routine.

Beobachtungen am Wegesrand

Was erwartet den Leser bei den inhaltlich aussagekräftigeren Punkten 5 und 6?

Hilfreich ist zum Beispiel Merkles differenzierte Herangehensweise an die Aspektbedeutung. Er fragt jeweils für das konkrete Verb nach der Standardverwendung, um festzustellen, ob dem Aspekt an dieser Stelle überhaupt eine markierte (betonte) Bedeutung beizumessen ist. So fällt bei den drei Imperativen in Markus 8,34 (ἀπαρνησάσθω, ἀράτω, ἀκολουθείτω; er verleugne, nehme, folge) zunächst ins Auge, dass die ersten beiden im Aorist stehen, der dritte aber im Präsens. Hat uns dieser Wechsel etwas Besonderes zu sagen? Die Überprüfung der sonstigen ntl. Vorkommen von ἀπαρνέομαι, αἴρω und ἀκολουθέω im Imperativ ergibt, dass die ersten beiden auch sonst überwiegend im Aorist verwendet werden, das letzte aber meist im Präsens. Das hängt damit zusammen, dass man in der Regel nur einen kurzen Augenblick benötigt, um zu „verleugnen“ oder zu „nehmen“, während „nachfolgen“ etwas Kontinuierliches ohne klaren Endpunkt ist. Die lexikalische Bedeutung des Verbs tendiert also zu einem bestimmten Aspekt. Markus verwendet die Verben in diesem Vers lediglich in ihrer unauffälligen, weil standardmäßigen Form, und wir sollten deshalb nicht zu viel in sie hineinlesen (vgl. S. 192; hier macht sich bemerkbar, dass im englischsprachigen Raum bereits verstärkt Erkenntnisse aus der Linguistik für die Untersuchung des neutestamentlichen Texts herangezogen werden).

Die abschließenden Gedanken „For the Journey“ beanspruchen jeweils nur eine halbe Seite, sind aber überraschend tiefgründig. Merkle spannt immer wieder den Bogen von der untersuchten Stelle zu verwandten neutestamentlichen Texten und oft sogar bis ins AT. Zum Beispiel kündigen die Engel in Lukas 2,11 das neugeborene Kind als σωτὴρ, χριστὸς und κύριος an (Retter, Christus und Herr). Im AT wurde σωτὴρ (Retter) häufig als Bezeichnung für Gott verwendet, ebenso bereits von Maria in Lukas 1,47. Χριστὸς (Christus) ist die griechische Übersetzung des hebräischen „Messias“ und greift damit die jüdische Messiaserwartung auf. Im Lukasevangelium wurde dafür gewissermaßen schon der Boden bereitet durch die mehrfache Betonung, dass es sich bei dem Kind um einen Nachkommen Davids handelt (Lk 1,27.32–33.69; 2,4). Der Leser des Lukasevangeliums war außerdem schon im ersten Kapitel wiederholt Gott als dem allmächtigen κύριος (Herrn) begegnet (und in Lk 1,43 einem ersten Hinweis, dass auch das Kind κύριος ist). Die Kombination dieser drei Titel – die wir so leicht überlesen – ist daher inhaltsschwer und streicht schon hier, ganz am Anfang des Evangeliums, die Gottheit Jesu heraus (vgl. S. 115).

Ein hilfreicher Reisegefährte

Alles in allem sind die Exegetical Journeys in Biblical Greek ein guter Wegbegleiter, der zum selbstständigen Lesen des griechischen Texts hinführt. Gerade das Lesen in größeren Zusammenhängen ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, um sich mehr und mehr im griechischen NT zu Hause zu fühlen. Das wird in den Exegetical Journeys alltagstauglich umgesetzt, indem zwar die Tagesabschnitte kurz gehalten sind, man aber eine Woche lang (gelegentlich sogar zwei) einen fortlaufenden Text betrachtet.

Es könnte allerdings sein, dass der Schwierigkeitsgrad der drei „Journeys“ zu weit auseinanderklafft, um sie direkt hintereinander zu bereisen. Merkle selbst setzt sie auch als Hausaufgabe für unterschiedliche Semesterferien ein, was bedeutet, dass die Studenten während der Unterrichtsphase zwischen den einzelnen „Journeys“ natürlich Fortschritte machen, ehe sie die nächste Reise antreten. Falls sich die folgende Stufe als noch zu schwierig erweisen sollte, ist es vielleicht ratsam, auf eigene Faust noch etwas Zeit beispielsweise mit Johannes zu verbringen (als „Musterlösung“ für die Übersetzung genügt in der Regel eine Elberfelder), bis man mehr Sicherheit gewonnen hat. Die nächstschwierigere „Journey“ kann dann als Einstieg in die nächste Ebene dienen. Auf diese Weise gewöhnt man sich schon zwischen den „Journeys“ an das Lesen im griechischen NT.

Sicherlich wird sich nicht jeder dafür begeistern lassen, auf Englisch in die griechische Grammatik einzutauchen. Wer sich aber darauf einlässt, findet hier ein anregendes und nützliches Hilfsmittel, um seine bereits vorhandenen Griechischkenntnisse zu stabilisieren und zu vertiefen.

Buch

Benjamin L. Merkle, Exegetical Journeys in Biblical Greek: 90 Days of Guided Reading, Grand Rapids: Baker Academic, 2023, 288 Seiten, ca. 21 Euro.