Von den Opfergesetzen für unsere Gottesdienste lernen?
„Sieh auf … dir ist vergeben!“ Wie wohltuend sind diese Worte für mich. Jede Woche höre ich sie aufs Neue, wenn ich in unserem Gottesdienst sitze. Vorher haben wir als Gemeinde unsere Sünden bekannt, zunächst durch ein stellvertretendes Gebet des Gottesdienstleiters und dann durch eine Zeit der Stille. In diesen Momenten wird mir bewusst: Ich brauche immer wieder neu die Erinnerung an das Evangelium, an das Werk Christi, das er für Sünder wie mich vollbracht hat. Ich brauche den Zuspruch seiner vergebenden und souveränen Gnade, die mir zuteilwird.
Das Alte Testament und unsere Gottesdienste
Wie ist es jedoch dazu gekommen, dass wir in unserem Gottesdienst eine Zeit für „Schuldbekenntnis und Vergebungszuspruch“ haben? Die Frage, wie wir Gottesdienste so feiern, dass sie Gott verherrlichen, hat uns als Gemeinde in unserer Gründungsphase intensiv beschäftigt. Im Gottesdienstablauf die Struktur des Evangeliums widerzuspiegeln, wurde für uns bei diesen Überlegungen zentral. Dafür gibt es eine ganze Reihe guter Argumente. In diesem kurzen Artikel möchte ich mich auf einen dieser Aspekte beschränken, und zwar den Zusammenhang zwischen der Struktur der Opfergesetze im Alten Testament und unseren Gottesdiensten. Dabei ist es wichtig, vorab zu erwähnen, dass durch das einmalige und vollkommene Opfer Jesu Christi der Opferritus des Alten Bundes seine Erfüllung findet. Aber auch wenn diese Opfergesetze für uns keine Bedeutung in Fragen der Vergebung und Sühne haben, können wir dennoch einiges von ihnen lernen.
„Wie Israel Gott anbetet, ist dabei nicht den Vorlieben oder der Beliebigkeit des Volkes überlassen. Gott selbst weist sie an, wie er angebetet werden will.“
In 3. Mose gibt Gott dem Volk Israel durch Mose Anweisungen, wie sie sich Gott nahen sollen. Wie Israel Gott anbetet, ist dabei nicht den Vorlieben oder der Beliebigkeit des Volkes überlassen. Gott selbst weist sie an, wie er angebetet werden will. Diese Anordnungen bilden die Grundlage für den alttestamentlichen Gottesdienst.
Dabei werden uns drei verschiedene Arten von Opfern genannt (Brandopfer, Speis- und Friedensopfer, Sünd- und Schuldopfer; vgl. 3Mose 1–5). Die Struktur der Opfer orientiert sich grundsätzlich an den Themen von „Reinigung von Sünde“, „sich Gott weihen“ und „Gemeinschaft“. Dabei läuft ein Opfer prinzipiell in fünf Schritten ab:
(1) Es beginnt damit, dass der Anbeter zum Priester kommt.
(2) Dann geht es um das Bekennen von Schuld und die Vergebung, die durch das Blutvergießen des Opfertieres verdeutlicht wird.
(3) Anschließend wird das tote Tier weiterverarbeitet, gehäutet, gewaschen und zubereitet, um es Gott darzubringen, d.h. in Gottes Gegenwart zu bringen und für ihn zu weihen.
(4) Im nächsten Schritt werden diese Teile verbrannt. Sie gehen in Rauch auf „zum lieblichen Geruch für den Herrn“.
(5) Abschließend geht der Anbeter wieder vom Priester weg und zurück in seinen Alltag, im Bewusstsein der Vergebung, gestärkt und gesegnet.
Bei zwei großen festlichen Ereignissen im 3. Mosebuch sehen wir eine Kombination dieser verschiedenen Opfer. Bei der Priesterweihe von Aaron in 3. Mose 9 gibt es sowohl ein Sündopfer als auch ein Brandopfer und ein Speis- bzw. Friedensopfer. Beim großen Versöhnungstag in 3. Mose 16 werden das Sündopfer und das Brandopfer kombiniert. Dabei ist die Logik der Reihenfolge in beiden Fällen klar zu sehen: Zuerst tritt das Volk in die Gegenwart Gottes. Dann bringt der Priester ein Sündopfer zur Reinigung für die Sünden. Anschließend wird das Brandopfer dargebracht, durch das zum Ausdruck gebracht wird, dass das Volk sich ganz Gott weiht und ihm heilig ist. Bei der Priesterweihe folgt dann das Speis- und Friedensopfer als Ausdruck der versöhnten Gemeinschaft mit Gott.
Was sind diese drei Opfer und welche Bedeutung haben sie?
Das Sündopfer
Das Sündopfer finden wir in 3. Mose 4–5. Es betont ganz zentral die Reinigung von Sünden. Dabei kann es sich sowohl um Sünden handeln, die aus Versehen begangen wurden, als auch um Sünden, die jemand bewusst getan hat. Damit Reinigung geschehen kann, muss ein Tier geschlachtet werden: „Denn das Blut ist es, das Sühnung erwirkt für die Seele“ (3Mose 17,11). Der große Versöhnungstag in 3. Mose 16 ist ein ausführliches Beispiel für solch ein Sündopfer, wo das Bekennen der Schuld und der Zuspruch der Vergebung besonders im Mittelpunkt stehen.
Das Brandopfer
Das Brandopfer wird uns in 3. Mose 1 als olah beschrieben, was so viel wie „aufsteigen“ bedeutet. Das gesamte Opfer ist dazu da, in Gottes Gegenwart „aufzusteigen“. Hier wird besonders das Häuten, Waschen und Zubereiten des Tieres betont, damit es für Gottes Gegenwart vorbereitet und ihm dargebracht wird. So wie das Opfer in die Gegenwart Gottes aufsteigt und ein Wohlgeruch für ihn ist, so soll das Leben des Anbeters sein. Er soll sich Gott uneingeschränkt hingeben und ihm sein Leben weihen.
Das Speis- und Friedensopfer
Das Speis- und Friedensopfer wird uns in 3. Mose 2–3 nähergebracht. Dieses Opfer zielt auf den Punkt der Einheit und Gemeinschaft mit Gott ab. Das hebräische Wort schalom beinhaltet vorrangig die Aspekte von Gemeinschaft und Frieden, die bei diesem Opfer im Mittelpunkt stehen. Das Opfer ist „das Brot Gottes“ (3Mose 21,6) und es ist als „Speise für den HERRN“ (3Mose 3,11.16). Hier erlebt der Anbeter gemeinsam mit den Priestern und mit seiner Familie die Gemeinschaft mit Gott durch ein gemeinsames Essen des Opfers.
Dieser Ablauf des Opferbringens gehörte fest zur Anbetung im Tempelgottesdienst im Alten Testament, so wie wir es im 3. Mosebuch angeordnet finden. Demnach ist es auch sehr wahrscheinlich, dass die Apostel und die ersten Christen aufgrund ihrer jüdischen Prägung diese Prinzipien für den christlichen Gottesdienst übernahmen. Im Gottesdienst geht es immer wieder um diese Kernelemente von „Reinigung von Sünde“, „sich Gott weihen“ und „Gemeinschaft“. Diese Struktur schon in den Opfergesetzen im Alten Testament zu finden, begeistert mich und bestärkt mich auf dem Weg, den wir als Gemeinde für unsere Gottesdienste gehen.
Eine hilfreiche Struktur
Insofern kann dieses Muster für uns eine hilfreiche Struktur sein und segensreiche Impulse für unsere Gottesdienste als christliche Gemeinde bringen. Überdies sehen wir, dass sich in dieser Reihenfolge auch die Botschaft des Evangeliums widerspiegelt. In einen Gottesdienstablauf gebracht, würde das dann folgendermaßen aussehen:
Ruf zur Anbetung und zum Lobpreis Gottes
Wir kommen als Gemeinde – als Gottes Volk – zusammen in die Gegenwart Gottes. Wir begegnen ihm und beten ihn für seine Größe und Herrlichkeit an.
Gott reinigt uns und erneuert uns: Schuldbekenntnis und Zuspruch der Vergebung
Im nächsten Schritt bekennen wir unsere Sünden. Wir empfangen Vergebung durch das einmalige Sündopfer, das Jesus Christus selbst am Kreuz von Golgatha ein für alle Mal vollbracht hat (vgl. Hebr 9,11–12).
Gott heiligt uns durch sein Wort: Hören auf Gottes Wort und Antworten
Wir weihen uns ganz Gott und hören auf sein Reden durch sein Wort. So wie das Brandopfer für Gott zubereitet wurde, so macht uns Gott heilig, indem er uns sein Wort bringt (vgl. Joh 17,17). Dies geschieht durch die Schriftlesung und die Predigt.
Gott hat Gemeinschaft mit uns an seinem Tisch
Anschließend genießen wir die Tischgemeinschaft beim Abendmahl mit Gott und miteinander. Wir feiern die Tatsache, dass wir mit Gott versöhnt sind und miteinander im Frieden leben dürfen.
Sendung und Segen
Zum Abschluss des Gottesdienstes werden wir gesendet und gesegnet. Wir gehen gestärkt in unseren Alltag zurück.
Als Gemeinde haben wir uns dazu entschlossen, in dieser Struktur Gottesdienst zu feiern. Darin spiegelt sich die Botschaft des Evangeliums wider: Gott ist heilig; wir sind Sünder; wir empfangen Vergebung durch das Opfer Jesu Christi; wir geben uns Gott mit unserem ganzen Leben hin, indem wir auf ihn hören; wir leben in Gemeinschaft mit Gott und mit unseren Glaubensgeschwistern.
Ich freue mich jede Woche neu auf unsere Gottesdienste. Ich weiß, dass ich dort wieder neu das Evangelium vor Augen gemalt bekomme, dass ich meine Schuld bekennen und Vergebung empfangen darf, dass ich auf Gottes Wort hören und die Gemeinschaft mit Gott und mit meinen Geschwistern in der Gemeinde feiern und erleben darf. Welch ein Geschenk ist es, schon bald wieder die Worte hören zu dürfen: „Sieh auf … dir ist vergeben!“