Warum Anfechtungen zur Sünde werden

Buchauszug von Ludwig Rühle
1. Februar 2024 — 5 Min Lesedauer

Wenn wir nicht mit ganzem Herzen Gott folgen und ihm vertrauen, gerade in Anfechtungen, dann heißt das, dass wir an ihm zweifeln. Zweifel beginnt nicht damit, dass wir direkt an Gott zweifeln. Zweifel beginnt in unserer Einstellung zu den Anfechtungen. Betrachte ich sie als etwas, womit Gott meinen Glauben stärken will oder betrachte ich sie als unnötige Last? Theoretisch weiß ich, dass mir alle Dinge zum Besten dienen müssen, aber in der Praxis verliere ich den Mut. Wenn es so ist, gleicht man „einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird ... ein Mann mit geteiltem Herzen, unbeständig in allen seinen Wegen“ (Jak 1,6.8). Wir sehen auf der einen Seite den mächtigen Gott, und auf der anderen fühlen wir uns trotzdem allein. Wir erblicken auf der einen Seite, wie Gott die ganze Welt regiert, und auf der anderen Seite starren wir auf unser scheinbar unüberwindbares Problem. Wir sagen uns: „Wenn das passiert, was ich befürchte, dann weiß ich nicht mehr, wie es weitergehen soll, dann ist alles aus, dann bin ich am Ende.“ Oder: „Ich schaffe es einfach nicht, in dieser Situation standzuhalten.“ Und dann passiert es ganz schnell, dass die Anfechtung zur Versuchung zur Sünde wird. Und selbst dann kommen wir vor Gott und klagen ihn an: Warum hast du das zugelassen? Warum gibst du mir diese Anfechtungen, diese Probleme in mein Leben, wenn du doch das Beste für mich willst? An diesem Punkt warnt uns Jakobus sehr deutlich:

„Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht auch niemand ... Irrt euch nicht, meine geliebten Brüder: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel.“ (Jak 1,13.16–17)

Gott ist nur gut! Er verändert sich nicht. Er ist nicht willkürlich. Das Bild der Lichter (Sonne, Mond und Sterne) unterstreicht die Unveränderlichkeit Gottes. Gott ist gut, und er will uns seine guten Gaben geben. Er will, dass wir mit ihm immer mehr verbunden werden, dass wir uns im Glauben bewähren und standhaft werden und keinen Mangel haben (vgl. Jak 1,2–4). Jakobus behauptet nicht, dass Gott nie Versuchungen zulässt, auch nicht, dass Gott uns nie prüft. Gott prüft uns, aber sein Ziel ist es nie, uns zur Sünde zu verführen, sondern uns bewährt zu machen.

Wenn wir daran zweifeln, dann hat das nicht nur mit unserer Sicht über Gott und unserem Glauben zu tun, sondern es wirkt sich auch ganz praktisch in unserem Leben aus. Wir haben dann in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Grundsätze. Die einen sind durch Gott geprägt, die anderen von der Welt. Jakobus weist uns auf die konkreten Auswirkungen eines geteilten Herzens hin: Wir bevorzugen dann manche Personen, während wir andere benachteiligen (vgl. Jak 2,1–4; 4,11–12). In einem Moment loben wir Gott, und im nächsten verfluchen wir Menschen, die doch von Gott geschaffen sind (vgl. Jak 3,9–12). Wahrheit und Lüge werden vermischt. Letztlich tendieren wir dazu, nicht immer völlig die Wahrheit zu sagen (vgl. Jak 5,12). In manchen Dingen bitten wir Gott um Weisheit und um Segen und Bewahrung. Aber in anderen Bereichen, wo wir Gottes Weisheit und Segen und Bewahrung genauso nötig haben, denken wir, dass wir es schon allein schaffen.

„Und doch wisst ihr nicht, was morgen sein wird! Denn was ist euer Leben? Es ist doch nur ein Dunst, der eine kleine Zeit sichtbar ist; danach aber verschwindet er. Stattdessen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder das tun.“ (Jak 4,14–15)

Die Unbeständigkeit in unserem Leben und in unserem Glauben beginnt mit dem Zweifel an Gott! Wir vertrauen nicht mit ganzem Herzen auf Gott, sei es, dass wir Angst in der Welt haben oder, so formuliert es Jakobus, dass wir Freundschaft mit der Welt pflegen wollen (vgl. Jak 4,4).

„Die Unbeständigkeit in unserem Leben und in unserem Glauben beginnt mit dem Zweifel an Gott!“
 

Die logische Folge davon ist, dass wir uns in Anfechtungen nicht freuen können, sondern dass sie uns zu Versuchungen zur Sünde werden. Wenn es so weit gekommen ist, was müssen wir dann tun? Jakobus gibt uns eine ganz klare Antwort: In diesem Fall sollen wir trauern und heulen! Er meint damit nicht, dass wir nun erst recht verzweifeln sollen, weil wir ein geteiltes Herz haben, sondern dass wir aufgerufen sind, Buße zu tun:

„‚Gott wiedersteht dem Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.‘ So unterwerft euch nun Gott! Widersteht dem Teufel, so flieht er von euch; naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch! Reinigt die Hände, ihr Sünder, und heiligt eure Herzen, die ihr geteilten Herzens seid! Fühlt euer Elend, trauert und heult! Euer Lachen verwandle sich in Trauer und eure Freude in Niedergeschlagenheit!“ (Jak 4,6b–9)

Wenn wir uns in Anfechtungen nicht bewähren und darum auch nicht freuen können, dann sollen wir traurig werden und Buße tun. Das bedeutet, dass wir wieder mit ganzem Herzen zu Gott umkehren müssen, dass wir ihn um Hilfe und um Weisheit bitten müssen, sein Wort hören und tun zu können. Diese demütige Bitte soll nicht unerhört bleiben: „Demütigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen“ (Jak 4,10; vgl. 1,5).

Freut euch in den Anfechtungen! Aber trauert, wenn ihr geteilten Herzens seid! Der Grund zur Trauer in unserem Leben sind nicht unsere Probleme, sondern unser geteiltes Herz!

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Dieser Auszug stammt aus Die Botschaft des Neuen Testaments von Ludwig Rühle (Hrsg., S. 265–267). Das Buch kann hier bestellt werden.