Wie Katholizität zur Mission drängt
Wer sich in einem missionsnahen Umfeld bewegt, wird merken, dass Partnerschaft im Evangelium schnell dazu führen kann, auf der einen oder anderen Seite vom Pferd zu fallen. Zum einen können Missionare, welche darauf erpicht sind, Partnerschaften einzugehen, dazu neigen, ihre ekklesiologischen Überzeugungen herunterzuspielen. Zum anderen vernachlässigen jene, die mit ihren Überzeugungen keine Kompromisse eingehen wollen, die Schönheit sich ausbreitender Gemeinschaft im Evangelium.
Ein gesundes Verständnis der Katholizität in der Mission bewahrt vor beiden Gefahren. In diesem Artikel möchten wir zeigen, dass Katholizität gleichsam auf die Bewahrung und die Verkündigung des ganzen Ratschlusses der Schrift bedacht ist. Bibeltreue Missionspartnerschaften helfen dabei, das Evangeliums nachhaltig zu verbreiten.
Eine Begriffsdefinition
In der Tat betonen einige der frühesten Ausformulierungen theologischer Wahrheit – das Apostolische und das Nizäische Glaubensbekenntnis – unverblümt, dass die eine, apostolische Kirche auch eine katholische ist. Natürlich ist diesen Bekenntnissen die theologische Verwirrung nachfolgender Jahrhunderte fremd.[1]
Ursprünglich war mit der „katholischen“ nur die universelle Kirche gemeint, im Gegensatz zur lokalen Ausprägung in der Ortsgemeinde. Im Laufe der Jahrhunderte und im Zuge diverser Kontroversen begann man, den Begriff „katholisch“ mit den Gemeinden gleichzusetzen, welche sich der Autorität und dem Lehramt des Bischofs von Rom unterstellten. Das allerdings ist nicht notwendig, denn dieser theologisch reichhaltige Begriff umfasst weitaus mehr.
Kyrill von Jerusalem (315–386 n.Chr.) war der Bischof von Jerusalem und auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 zugegen, wo das Nizäische Glaubensbekenntnis fertiggestellt wurde. Kyrill erklärt, was die Autoren selbst unter dem Begriff „katholisch“ verstanden:
„Die Kirche heißt katholisch, weil sie auf dem ganzen Erdkreis, von dem einen Ende bis zum anderen, ausgebreitet ist, weil sie allgemein und ohne Unterlaß all das lehrt, was der Mensch von dem Sichtbaren und Unsichtbaren, von dem Himmlischen und Irdischen … wissen muß, weil sie das ganze Menschengeschlecht, Herrscher und Untertanen, Gebildete und Ungebildete, zur Gottesverehrung führt, weil sie allgemein jede Art von Sünden, die mit der Seele und dem Leibe begangen werden, behandelt und heilt, endlich weil sie in sich jede Art von Tugend, die es gibt, besitzt, mag sich dieselbe in Werken oder Worten oder in irgendwelchen Gnadengaben offenbaren.“[2]
Kyrills Definition der Katholizität sind vier erkennbare Elemente zu eigen.[3]
1. Universelle geographische Ausbreitung
Das Reich des souveränen Gottes, des Schöpfers, Herrschers, Richters, Retters und Erlösers, erstreckt sich bis an jeden Ort. Die geographisch universelle Ausdehnung seines Reiches ist das natürliche Resultat seiner Allmacht, Allgegenwärtigkeit und Allwissenheit.
2. Fülle der Wahrheit, Unterweisung und Lehre
Kyrill bekräftigt die Wahrheit des Evangeliums in allen seinen Behauptungen und seine Genügsamkeit in der Darbietung von allem, was Menschen in Bezug auf Gott wissen müssen. Die Schrift ist gänzlich, vollkommen und ausreichend.
3. Universelle Anwendbarkeit
Unter universeller Anwendbarkeit ist nicht zu verstehen, dass jedes einzelne Individuum die Erlösung erlangt (Universalismus), sondern dass das Evangelium kraftvoll genug ist, jede Person zu erretten, ungeachtet ihrer sozioökonomischen oder ethnischen Herkunft (vgl. Gal 3,26–29). Die Kirche ist katholisch, weil in ihr Menschen aller Sprachen, Kulturen, Ethnizitäten, Stämme und Nationen Teil des Volkes Gottes werden. Die universelle Anwendbarkeit des Evangeliums ist mehr als nur ein Zufall, sie ist Teil der Mission und der Absicht Gottes, eine verlorene Welt zu erlösen (vgl. Offb 7,9–11).
4. Universelle Wirksamkeit
Kyrill betont die Kraft des Evangeliums, Sünder von jeder bösen Knechtschaft zu befreien und sie im Glauben und der Tugend zu unterweisen. Das Evangelium richtet jeden, ungeachtet vergangener Sünden, wieder auf, der durch Glauben zur echten Gemeinschaft mit Gott geführt wird.
„Die Kirche ist katholisch, weil in ihr Menschen aller Sprachen, Kulturen, Ethnizitäten, Stämme und Nationen Teil des Volkes Gottes werden.“
Diese vier Wahrheiten über die Katholizität drängen die Kirche dazu, missionarisch tätig zu werden, ihre geographische Ausdehnung zu suchen und das Reich Gottes überall zu verkündigen. Die Katholizität ist nicht nur der Anker, der sie an den apostolischen Glauben bindet, sie schafft auch eine theologische Basis für die weltweite Mission.[4]
Wie Katholizität die Gemeinde zur Mission drängt
Auf Grundlage von Kyrills hilfreicher Perspektive wollen wir nun vier Gründe betrachten, warum die Katholizität der Gemeinde hilft, an Gottes Absicht für die Nationen teilzuhaben.
1. Gottes Berufung Einzelner hat universelle missionarische Auswirkungen
Es war nicht die Entscheidung der Gemeinde, zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Nationen miteinzubeziehen. Stattdessen war dies Gottes ursprünglicher Plan und Absicht. Als Gott Abraham berief (vgl. 1Mose 12,1–3; 15,5–18), beabsichtigte er, alle Sippen der Erde zu segnen. Gott erwählte das Volk Israel dazu, den Völkern ein Licht zu sein, nicht die Segnungen und Verheißungen Gottes für sich selbst zu behalten, isoliert vom Rest der Schöpfung.
2. Jesu Missionsbefehl ist katholisch
In seinem Missionsbefehl verwendet Jesus das Wort „alle“ vier Mal. Er sagt, ihm „ist gegeben alle Macht“ (Mt 28,18) und er sendet seine Jünger aus in die Welt, seine allumfassende Herrschaft zu verkündigen. Er gebietet ihnen, zu allen Völkern zu gehen (vgl. Mt 28,19), sie alles zu lehren (vgl. Mt 28,20) und sie daran zu erinnern, dass er bis ans Ende der Welt bei ihnen sein wird (vgl. Mt 28,20).
Unter Katholizität versteht man das Totale, Vollkommene und Universelle, daher ist Matthäus 28 zu Recht ein katholischer Auftrag.
3. In Johannes 17 betet Jesus ein katholisches Gebet
Jesus betet auf Grundlage seiner eigenen Einheit mit dem Vater für die Einheit unter Christen. Warum? „[D]amit die Welt glaube“ (Joh 17,21). Einheit ist demnach eine existentielle Realität, welche auf der göttlichen Dreieinigkeit gründet, und eine zweckdienliche Notwendigkeit für die Mission der Gemeinde für die Welt.
4. Pfingsten war eine katholische Ernte
Zum Pfingstfest kamen die Bewohner benachbarter Nationen nach Jerusalem, wurden von der Evangeliumsbotschaft überführt und fragten: „[W]as sollen wir tun?“ (Apg 3,37). Dreitausend antworteten mit Umkehr auf die Botschaft, empfingen die Taufe und wurden am diesem Tag Teil der geistlichen Ernte (vgl. Apg 2,37–41). Durch das Wunder der Zungenrede sammelte Gott ein Volk aus allen Nationen und demonstrierte dadurch, dass das Evangelium für den gesamten Erdkreis bestimmt ist. Dieser Tag offenbarte das Wesen und die Mission der Gemeinde als katholisch.[5] Der Heilige Geist fuhr an Pfingsten eine katholische Ernte ein, welche das Volk Gottes auf ewig in seiner Aufgabe vereinen sollte, Gottes Absicht für alle Welt zu erfüllen.
Wie lässt sich dies anwenden?
Treuen Missionaren stellt sich nun die Frage, wie diese Sicht der Katholizität ihr Vorgehen in der Mission beeinflussen sollte. Daher wollen wir drei praktische Anwendungen betrachten:
1. Katholizität lässt Missionare den Fokus auf die Ortsgemeinden legen
Weil Christi katholischer Missionsbefehl uns in alle Nationen treibt, sollten Missionare, wenn möglich, immer zuallererst mit den bereits vorhandenen einheimischen Gemeinden zusammenarbeiten. Missionare mit einer gesunden katholischen Sicht betreten das Missionsfeld mit dem Eifer, der Braut Christi zu dienen, die in einem gegebenen Umfeld bereits existiert.
Zu oft schlagen Missionare voller Eifer auf, bereit, bis in die hintersten unerreichten Ecken vorzustoßen und vergessen dabei leider, bereits existierende Gemeinden zu unterstützen. Zu oft übersehen wir in unserer Begeisterung für die Evangelisation bereits bestehende Zusammenkünfte treuer Gläubiger, die Christus bereits für eben diese Tätigkeit zugerüstet hat. In solchen Fällen machen wir uns un-katholischer Kurzsichtigkeit schuldig und verachten die erheblichen Mühen für das Evangelium, welche andere vor uns bereits ertragen haben.
„Missionare mit einer gesunden katholischen Sicht betreten das Missionsfeld mit dem Eifer, der Braut Christi zu dienen, die in einem gegebenen Umfeld bereits existiert.“
Also, lieber Missionar, welche Gemeinden in deiner Nähe kannst du unterstützen? Gibt es Pastoren, in deren Gemeinschaft du vielleicht gegenseitige Ermutigung erfahren kannst, auch wenn ihre Ekklesiologie nicht perfekt sein mag? Welche Pastoren kannst du auf einen gesunden Weg führen? Gibt es einheimische Gemeinden, in denen du Mitglied werden könntest? Welche das Evangelium verkündenden Gemeinden können gebaut und mit Ermutigung, Gebet und Partnerschaft unterstützt werden?
Solche Fragen zu stellen, hilft dabei, die eigene Perspektive auf Gottes Prioritäten hin auszurichten. Du magst lokale, einheimische Gemeinden als ungesunde Ablenkung von deinem Missionsdienst sehen, doch Christus sieht die Gemeinde als seine Braut. Beginne, wenn möglich, deine Missionsarbeit immer mit einer Partnerschaft mit Gemeinden vor Ort, in denen das Evangelium gepredigt wird, auch wenn diese nicht perfekt sein mögen. Wer weiß, vielleicht gebraucht Gott dich als das Werkzeug, das sie hin zu einem gesünderen Wachstum führt.
2. Katholizität lässt Missionare überkonfessionelle und überinstitutionelle Partnerschaften eingehen
Weil Jesu Gebet im Obergemach zeigt, dass Katholizität und Einheit nicht nur eine institutionelle, sondern vor allem eine funktionelle Angelegenheit sind, sollten wir willens sein, Partnerschaften über unsere Konfessionen und Organisationen hinaus einzugehen. Dies bedeutet nicht, dass Missionare ihre Ansprüche bezüglich bibeltreuer Lehre herunterschrauben und eine kompromittierte, ökumenische Haltung einnehmen sollten. Es bedeutet, dass wir nach Gelegenheiten Ausschau halten sollten, immer dann Partnerschaften einzugehen, wenn Einheit über das Evangelium und andere Lehren von erstem Rang bestehen.
Zu oft benehmen wir uns, als ob die Erfüllung des Missionsbefehls einzig und allein an unserer Missionsorganisation hängen würde. Wir bewerten die Präsenz des Evangeliums an einem bestimmten Ort durch die Brille unserer eigenen Organisation, unseres eigenen Teams oder unserer eigenen Institution. Diese Kurzsichtigkeit begrenzt unsere Sicht auf Gottes Wirken.
Stell dir also die Frage, welche anderen Organisationen in deiner Nähe einen treuen Dienst tun. Wie kannst du ernsthafte Beziehungen und Verbindungen nach außen hin aufbauen? Gibt es in deinem Kontext andere Konfessionen, die das Evangelium gewissenhaft predigen? Dein eigenes Vermögen zum Dienst mag auf deine Gemeinde beschränkt sein, doch welche Möglichkeiten ergeben sich für Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit mit anderen?
3. Katholizität lässt Missionare an dem Glauben festhalten, der den Heiligen ein für alle mal überliefert worden ist
Ein Verständnis biblischer Katholizität führt uns vor Augen, dass nicht wir allein in Besitz des wahren Glaubens sind. Unsere Verbundenheit im Evangelium erstreckt sich nicht nur über Länder und Kulturen, sondern auch über die Zeit hinweg. So wie Judas das Volk Gottes inständig bat, müssen wir „für den Glauben [kämpfen], der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist“ (Jud 3). Missionare mit einer gesunden Missionsphilosophie halten sich an die Orthodoxie unseres historischen Glaubens. Im Grunde genommen hat Gott es den Gemeinden auferlegt, den wahren Glauben und die wahre Lehre zu bewahren. Die Gemeinde ist „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (1Tim 3,15).
Zu oft verspüren Missionare die Dringlichkeit ihrer Aufgabe und lassen eine sorgfältige Gemeindeordnung langsam, aber sicher vor sich hin bröckeln. Sie können zu einsamen Wölfen werden, ohne unter der Aufsicht einer Ortsgemeinde zu stehen, welcher sie Rechenschaft schuldig sind. Wenn aber die Ortsgemeinde Gottes Mittel ist, das Evangelium zu erhalten und weiterzugeben, sollte es uns dann wundern, wenn eine solche Herangehensweise das Evangelium selbst verwässert?
Lieber Mitmissionar, wir verstehen, dass es manchmal hochgradig spezifische Ausnahmen geben kann, doch schließe dich, wann und wenn immer möglich, einer bibeltreuen Ortsgemeinde an. Ordne dich der Leiterschaft und der Gemeinde unter. Lass dein Leben und deine Lehre durch das Mittel bewahrt bleiben, welches Gott dafür erkoren hat. Dadurch wirst du treu katholisch bleiben und den Dienst am Evangelium Arm in Arm mit all denen tun, die vor dir da gewesen sind und nach dir kommen werden.
Zusammenfassung
In der Rückschau auf unsere Jahre in der Mission verdanken wir einige unserer liebsten Erinnerungen Geschwistern, die nicht Teil unserer eigenen Gemeindetradition waren. Seien es die Lehrstunden eines presbyterianischen Professors, der Besuch einer Konferenz mit ortsansässigen, baptistischen Freunden oder Hauskreise mit Mitgliedern einer Brüdergemeinde, solche Erlebnisse ließen uns inmitten widriger Umstände wachsen.
Bitte versteh uns nicht falsch! Auch uns war die Gemeinschaft mit gleichgesinnten Heiligen in unseren jeweiligen Heimatgemeinden lieb. Ihnen gebührte unser Hauptaugenmerk im Dienst. Doch die Erkenntnis, dass Gottes Gnade auch in anderen Organisationen, Konfessionen und Schwestergemeinden gegenwärtig ist, führte uns vor Augen, dass Gottes Werk in der Welt noch viel weiter reicht, als wir es uns vorstellen können.
Jedoch müssen wir uns auch eingestehen, dass wir, trotz vieler solcher Erlebnisse, auch oft zu kurzsichtig waren, um zu sehen, wie Gott am Wirken war. Zu oft ließen sich unsere irregeleiteten Herzen dazu hinreißen, wie Elia zu auszurufen: „Ich bin allein übrig geblieben als Prophet des HERRN, die Propheten Baals aber sind 450 Mann“ (1Kön 18,22). Gott sei Dank war dem nicht so.
Liebe Missionare, richtet eure Augen auf die Schönheit des Werkes Gottes um euch herum! Greift ein gesundes Verständnis der Katholizität bereitwillig auf und lasst euch dazu bewegen, gewissenhaft, scharfsinnig und optimistisch Zusammenarbeit zur Ehre Gottes und zum Wohle seiner Gemeinde zu fördern.
1Die beiden ersten Teile dieses Artikels sind einem früheren Artikel des Center for Baptist Renewal entliehen: Josua Bowman, „How Catholicity Compels Missions“, online unter: https://www.centerforbaptistrenewal.com/blog/2020/8/3/how-catholicity-compels-missions (Stand: 13.01.2024).
2Kyrill von Jerusalem, „XVIII. Katechese an die Täuflinge, frei vorgetragen in Jerusalem. Über die Worte: ,und an eine heilige, katholische Kirche, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben‘“, in: Bibliothek der Kirchenväter, online unter: https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-3585/versions/katechesen-an-die-tauflinge-bkv/divisions/513 (Stand: 20.12.2023).
3T.A. Lacey, Catholicity: Conciones Ad Clerum, London: A.R. Mowbray, 1914, S. 99–104. A.G. Hebert, The Form of the Church, London: Faber and Faber, 1954, S. 99–105.
4Für eine ausführlichere Erörterung zum Thema „Katholizität und Mission“ siehe Joshua Bowman, Cross-Cultural Missional Partnership: Mediating Relational, Cultural, and Hermeneutical Tensions for Mutual, Faithful Missional Engagement, Eugene, OR: Pickwick, 2023, S. 93–124.
5Vgl. Jason Valeriano Hallig, We Are Catholic: Catholic, Catholicity, and Catholicization, Eugene, OR: Wipf and Stock, 2016, S. 99.