Die Lehre vom rettenden Glauben
Die Bibel ist voll von Hinweisen auf den „Glauben“. Hebräer 11 ist der große „Saal der Glaubenszeugen“, in dem der Autor die vielen Heiligen des Alten Testaments hervorhebt, die ihr Vertrauen in die Verheißung des Evangeliums setzten. Aber was genau bedeutet Glaube? Und warum fügen Theologen das Adjektiv „retten“ hinzu? Mit anderen Worten: Was bedeutet „rettender Glaube“?
Definition
Die einfachste und grundlegendste Definition des Glaubens stammt aus dem Hebräerbrief: Der Autor des Hebräerbriefs gibt eine funktionale Beschreibung des Glaubens; in diesem Fall ist der Glaube der Glaube an das, was man nicht sehen kann, wie an Gott oder, wie der Autor hervorhebt, an Gottes Erschaffung der Welt aus dem Nichts (vgl. Hebr 11,3). Wir nehmen die Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo) im Glauben an, da wir nicht an den Anfang zurückkehren können, um Gottes Handeln persönlich zu beobachten. Aber wenn wir die Lehre vom Glauben auf die Erlösung beziehen, wird die Definition konkreter. Rettender Glaube ist eine durch den Heiligen Geist bewirkte Überzeugung von der Wahrheit des Evangeliums und ein Vertrauen auf die Verheißungen Gottes in Christus.[1] Woraus besteht rettender Glaube angesichts dieser Definition? Von welchen anderen Arten des Glaubens spricht die Bibel? Und wie genau hängt rettender Glaube mit der Heilslehre zusammen?
Die Bestandteile des rettenden Glaubens
Das historische Verständnis der Kirche vom rettenden Glauben umfasst drei Bestandteile: die Tatsachen (notitia), das Verständnis der Tatsachen (assensus) und das Vertrauen in die Tatsachen (fiducia). Damit eine Person an das Erlösungswerk Jesu glauben und darauf vertrauen kann, muss sie zunächst die Tatsachen kennen. Sie muss wissen, dass Jesus als reale, lebendige und historische Person existiert hat. Jesus ist kein Mythos oder Märchen. Aber die bloße Kenntnis von Tatsachen reicht nicht aus, um rettenden Glauben zu erzeugen. Die Person muss die grundlegenden Fakten kennen und sie verstehen. Mit anderen Worten: Es reicht nicht aus, nur zu wissen, dass Jesus gelebt hat; man muss auch verstehen, was Jesus in seinem Leben getan hat. Er beanspruchte für sich, Gott im Fleisch (vgl. Joh 8,58), Gottes Sohn und ihm gleich (vgl. Joh 5,18) und der einzige Weg zu sein, um gerettet zu werden: „Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich!“ (Joh 14,6). Aber es reicht nicht aus zu glauben, dass Jesus existiert und dass er diese Ansprüche erhoben hat. Der Sünder muss sein Vertrauen in die Ansprüche Christi setzen – er muss glauben, dass Jesus der menschgewordene Sohn Gottes ist und dass er gekommen ist, um Sünder durch sein Leben, sein Sterben und seine Auferstehung zu retten (vgl. Röm 1,16–17; 10,9–10).
„Rettender Glaube ist also eine feste Überzeugung und ein Vertrauen in die Person und das Werk Christi.“
Wir können die Beziehung zwischen den Bestandteilen des rettenden Glaubens auf folgende Art und Weise veranschaulichen: Ich kann zum Flughafen gehen und die Tatsache wahrnehmen, dass sich ein Flugzeug vor mir befindet. Dann kann ich der Tatsache zustimmen, dass das Flugzeug und sein Pilot über die Startbahn rasen und sich in die Luft erheben können, um dauerhaft zu fliegen. Weiter kann ich die Grundsätze der Luftfahrt studieren und begreifen, dass Luft, die über eine gekrümmte Oberfläche strömt, Auftrieb erzeugt, der das Flugzeug zum Fliegen bringt. Aber ich muss dem Flugzeug und seinem Piloten vertrauen, in das Flugzeug einsteigen, meinen Sitzplatz einnehmen und mit dem Flugzeug fliegen, um meinen Glauben an das Flugzeug zu beweisen. Das bloße Wissen von Christus und seinen Ansprüchen reicht nicht aus, um gerettet zu werden. Wir müssen darauf vertrauen, dass er der einzige Weg ist, um von unserer Sünde gerettet zu werden und dass er der Einzige ist, der ewiges Leben schenken kann.
Weitere Arten des Glaubens
Rettender Glaube ist also eine feste Überzeugung und ein Vertrauen in die Person und das Werk Christi, aber die Bibel spricht auch noch von anderen Arten des Glaubens. Als „historischen Glauben“ bezeichnen Theologen ein bloßes intellektuelles Erfassen der Aussagen der Schrift ohne das Wirken des Geistes. So tadelte der Apostel Paulus beispielsweise den König Agrippa für seinen Glauben an die alttestamentlichen Propheten, denn der König glaubte nicht an Jesus, von dem die Propheten sprachen (vgl. Apg 26,27–28).
Die Heilige Schrift spricht auch von „vorübergehendem Glauben“, wenn eine Person vorübergehend an das Evangelium „glaubt“, später aber abfällt. Jesu Gleichnis vom Sämann beschreibt diese Art des Glaubens. Der Sämann warf die Saat auf felsigen Boden, sie keimte schnell, aber dann starb sie, weil sie keine Wurzeln schlug (vgl. Mt 13,5–6). Christus erklärt, dass dieser Teil des Gleichnisses demjenigen entspricht, „der das Wort hört und sogleich mit Freuden aufnimmt; er hat aber keine Wurzel in sich, sondern ist wetterwendisch. Wenn nun Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes willen entstehen, so nimmt er sogleich Anstoß“ (Mt 13,20–21). Christus stellt dem felsigen Boden den guten Boden gegenüber, welcher bedeutet, dass man das Wort hört, versteht und daran glaubt und Frucht bringt (vgl. Mt 13,23). Christus führt hier nicht aus, wer den Boden bereitet, ein wesentliches Element des Gleichnisses. Im Gesamtkontext des Neuen Testaments erfahren wir, dass der Heilige Geist den Boden des Herzens bereitet, damit Sünder an Jesus glauben und ihm vertrauen können (vgl. Eph 2,8–9; Apg 16,14). Ohne das souveräne Wirken des Heiligen Geistes können sündige Menschen bestenfalls einen historischen oder vorübergehenden Glauben erreichen.
Eine dritte Art des Glaubens ist der „Glaube der Dämonen“; diese Kategorie ist dem historischen Glauben ähnlich. Jakobus schreibt: „Du glaubst, dass es nur einen Gott gibt? Du tust wohl daran! Auch die Dämonen glauben es – und zittern!“ (Jak 2,19). Mit anderen Worten: Dämonen kennen die Fakten – Gott existiert und herrscht über alles, einschließlich ihres eigenen dämonischen Reiches. Die Dämonen verstehen diese Tatsachen und das Wissen dieser Dinge macht ihnen Angst. Aber sie weigern sich, an Gott zu glauben und ihm zu vertrauen und sie sind ohne das souveräne Wirken des Heiligen Geistes von sich aus auch nicht in der Lage dazu. Alle drei Arten des Glaubens (historischer, vorübergehender und dämonischer) stehen in starkem Kontrast zum rettenden Glauben. Das Adjektiv „rettend“ bringt zum Ausdruck, dass diese Art von Glauben ein souveränes Werk des Geistes Gottes ist, das die Errettung des Sünders sicherstellt. Aber wie funktioniert rettender Glaube im weiteren Kontext der Lehre der Erlösung?
Fazit
Wir müssen von der Schrift her anerkennen, dass der Glaube durch die Liebe wirkt, was bedeutet, dass der rettende Glaube die Frucht der Liebe und des Gehorsams bewirkt (vgl. Gal 5,6). Wir müssen aber auch anerkennen, dass der Glaube allein rettet, nicht die Frucht des Glaubens. Paulus schreibt: „Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme“ (Eph 2,8–9). Wie lassen sich die beiden unterschiedlichen Gedanken des Paulus miteinander verbinden, nämlich dass der Glaube durch die Liebe wirkt, wir aber durch den Glauben gerettet werden und nicht durch Werke (vgl. Röm 3,28; 4,6)? Ein historisches, protestantisches Glaubensbekenntnis aus dem 17. Jahrhundert liefert eine hilfreiche Unterscheidung. Das Westminster Bekenntnis (1647) erklärt es in Artikel 14 wie folgt: „Der aktive, rettende Glaube gewinnt seine wichtigste Bedeutung darin, dass er Christus annimmt, ihn aufnimmt und in ihm allein zur Rechtfertigung, Heiligung und zum ewigen Leben aufgrund des Gnadenbundes Ruhe findet.“[2] Mit anderen Worten: Der rettende Glaube rettet nicht aufgrund dessen, was er tut, sondern aufgrund des Werkes, auf dem er ruht, nämlich auf dem Werk Christi. Die Heilige Schrift unterstreicht diese Tatsache von Anfang an immer wieder.
„Der rettende Glaube rettet nicht aufgrund dessen, was er tut, sondern aufgrund des Werkes, auf dem er ruht, nämlich auf dem Werk Christi.“
Als der Apostel Paulus die Lehre von der Rechtfertigung erläuterte, wie Sünder die Vergebung ihrer Sünden und das Recht und den Anspruch auf das ewige Leben erhalten können, kehrte er zu den frühesten Seiten der Heiligen Schrift und dem Leben Abrahams zurück: „Wenn nämlich Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, hat er zwar Ruhm, aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? ‚Abraham aber glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.‘“ (Röm 4,2–3). Abraham schaute auf den verheißenen Messias, sah seinen Tag von Weitem und vertraute auf Gottes Verheißung (vgl. Gal 3,10–14; Joh 8,58). Und obwohl der Glaube durch die Liebe wirkt (vgl. Gal 5,6), rechnet Gott diese Liebe bei der Rechtfertigung von Sündern nicht mit ein, wie Paulus deutlich macht: „Wer aber Werke verrichtet, dem wird der Lohn nicht aufgrund von Gnade zugerechnet, sondern aufgrund der Verpflichtung; wer dagegen keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet“ (Röm 4,4–5). In der Tat betont Paulus immer wieder die entscheidende Rolle des Glaubens, indem er allein in Römer 4 fünfzehn Mal den Begriff „glauben“ bzw. „Glaube“ verwendet. Es sollte sich in unsere Herzen einprägen, dass nur der rettende Glaube uns retten kann und nicht unsere Werke; nicht, weil er von sich aus würdig ist, sondern weil wir durch den Glauben das Werk Christi ergreifen und so sein vollkommenes Leiden und seinen Gehorsam als den Weg empfangen, durch den wir gerettet werden. Auf diese Art und Weise sind alle Sünder in der gesamten Erlösungsgeschichte gerettet worden und dies ist die Hauptaussage von Hebräer 11. Die Bibel kennt keinen anderen Weg zur Rettung als das Vertrauen auf Christus und das Ruhen in seinem vollbrachten Werk. Die alttestamentlichen Heiligen blickten auf Christus voraus und die neutestamentlichen Heiligen blicken auf Christus zurück, aber alle halten sich durch den rettenden Glauben an Christi Werk fest.
1 Zu dieser Definition siehe Louis Berkhof, Systematic Theology: New Combined Edition, Rapids: Wm. B. Eerdmans Publishing, 2011, S. 503.
2 „Westminster Bekenntnis von 1647”, in: evangelischer-glaube.de. Die Online-Dogmatik, online unter: https://www.evangelischer-glaube.de/westminster-bekenntnis/westminster-bekenntnis/ (Stand: 11.12.2023).