Die Hölle besser verstehen

Artikel von Collin Hansen
5. Januar 2024 — 7 Min Lesedauer

Die Kontroverse, die durch Rob Bells Buch Love Wins entstanden ist, hat (was auch immer sonst man über das Buch sagen mag) wenigstens eine Sache deutlich gemacht: Viele Kirchgänger zweifeln an der evangelikalen Lehre der Hölle und viele andere lehnen sie rundheraus ab. In nicht allzu langer Zeit werden die Blog-Kriege abklingen und wir werden unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden: Dingen wie Ostern und der Hoffnung auf die Auferstehung. Die Grundprobleme, die die Kontroverse erst ermöglicht haben, bleiben jedoch bestehen – und werden uns, wenn wir die ernsten Zweifel nicht verstehen und darauf antworten, nur allzu bald wieder einholen.

Ich habe mich an Christopher Morgan gewandt, der zusammen mit Robert Peterson das Buch Hell Under Fire: Modern Scholarship Reinvents Eternal Punishment (Zondervan, 2004) herausgegeben hat und uns dabei dabei helfen kann, angemessene Antworten zu finden. Morgan ist stellvertretender Dekan der School of Christian Ministries und Theologieprofessor an der California Baptist University in Riverside. Ich kenne niemanden, der sich mit diesen Themen aus biblischer, historischer und theologischer Sicht besser auskennt und habe ihm einige Fragen gestellt, die uns dabei helfen sollen, die aktuelle Debatte im Zusammenhang zu verstehen. In drei Teilen (über die Hölle, unser Verhältnis zu anderen Religionen, und was mit denen geschieht, die das Evangelium nicht gehört haben) und einem anschließenden eigenständigen Artikel (über die sich außerhalb befindende Hölle) wird Morgan dir dabei helfen, Gottes Wort zu verstehen und es – sowohl in der Gemeinde als auch im Bezeugen des Evangeliums vor Nichtchristen – zuversichtlich zu lehren.

Warum ist die frühe Kirche in ihrem Verständnis von der Hölle zu einem Konsens gekommen?

Die Kirche hat an die Hölle geglaubt, tut das auch jetzt und wird es immer tun – und zwar vor allem deshalb, weil jeder neutestamentliche Autor die endgültige Bestrafung der Gottlosen lehrt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Markus (vgl. Mk 9,42–48), Matthäus (vgl. Mt 5,20–30; 24–25), Lukas (vgl. Lk 16,19–31), Paulus (vgl. 2Thess 1,5–10), der Autor des Hebräerbriefs (vgl. Hebr 10,27–31), Jakobus (vgl. Jak 4,12; 5,1–5), Petrus (vgl. 2Petr 2,4–17), Judas (vgl. Jud 13–23) und Johannes (vgl. Offb 21,8; 22,15).

Außerdem ist da Jesus Christus selbst als wichtigster Verteidiger der Lehre von der Hölle. Und weder Thomas von Aquin noch Jonathan Edwards haben so furchterregend von den Schrecken der Hölle gesprochen wie Jesus.

„Die Kirche hält an der Lehre von der Hölle auch deshalb fest, weil sie in der biblischen Weltanschauung einen wichtigen Platz einnimmt.“
 

Die Kirche hält an der Lehre von der Hölle auch deshalb fest, weil sie in der biblischen Weltanschauung einen wichtigen Platz einnimmt. Auch wenn die Hölle nicht das Thema der Bibel ist, ist sie untrennbar mit ihren Lehren über Gott, die Sünde und die Sühne verbunden. Die Hölle ergibt sich aus einem biblischen Verständnis von Gott. Sie erinnert uns daran, dass Gottes Liebe in der Heiligen Schrift zwar monumental ist, aber nicht unabhängig von Gottes anderen Eigenschaften betrachtet werden sollte. Seine Liebe steht im Einklang mit seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit. Gottes Liebe ist keine Sentimentalität, sondern eine heilige und gerechte Liebe. Daher sollte Gottes Liebe nicht in dem Sinne verstanden werden, dass er es in seiner Liebe nicht ertragen könnte, Gerechtigkeit zu schaffen.

Die Hölle ist auch mit einem biblischen Verständnis des Menschen und der Sünde verbunden. Die Hölle erinnert uns daran, dass das Menschsein mit ungeheuren Privilegien und Verantwortlichkeiten verbunden ist. Sich für die Sünde und nicht für Gott zu entscheiden, ist in der Tat ein schweres Verbrechen. Im Grunde genommen wird die Hölle also richtig verstanden als Gottes gerechte Strafe für Sünde und Schuld. In diesem Sinne sollte der Schrecken der Hölle unser modernes moralisches Empfinden kränken – aber nicht in erster Linie wegen der Ungeheuerlichkeit der Höllenstrafe, sondern wegen der Schrecklichkeit der Sünde, also des Verbrechens, das eine solche Strafe erfordert. Das Problem ist nicht die Hölle und auch nicht Gott. Die Sünde ist das Problem – und sie ist es, die uns abstoßen sollte.

Auch die den Tod Jesu betreffenden christlichen Überzeugungen sind mit der biblischen Lehre von der Hölle verbunden. Unser Mittler Jesus – ganz Mensch und ganz Gott – starb am Kreuz und ist als einziger Stellvertreter für unsere Sünde auferstanden; er ist unser einziges Opfer, unser einziger Repräsentant, unser einziger Sieger, unser einziger Versöhner. Er trug die unendliche Strafe der Sünde für jeden Gläubigen. Diejenigen jedoch, die nicht im Glauben und in Reue zu Christus kommen, müssen diese Strafe selbst bezahlen. Mit anderen Worten: So wie es für Sünder nur zwei Möglichkeiten gibt (die Vergebung Christi zu erlangen oder ewig für ihre Sünden bestraft zu werden), gibt es auch nur zwei Möglichkeiten, den Schrecken der Sünde zu ermessen – indem man über das Kreuz nachsinnt und indem man die Hölle bedenkt. Beide dieser Blickwinkel sind wesentliche Bestandteile der biblischen Erzählung.

„Das Problem ist nicht die Hölle und auch nicht Gott. Die Sünde ist das Problem – und sie ist es, die uns abstoßen sollte.“
 

Darüber hinaus sind diese Aspekte der Lehre von Gott, der Sünde und der Sühne auch mit- und untereinander verwoben und können nur im Lichte der Hölle umfassend verstanden werden. Nur wenn wir Gottes Heiligkeit erkennen, können wir den Schrecken der Sünde ermessen. Und nur wenn wir uns der Schrecklichkeit unserer Sünde bewusst werden, werden wir den Schrecken der Hölle und den Preis des Todes Christi erahnen. Und nur wenn wir uns mit der Strafe der Hölle und dem Ausmaß des Sühnetodes Christi auseinandersetzen, können wir beginnen, Gottes erstaunliche Gnade zu begreifen. Die Hölle ist ein integraler Bestandteil der biblischen Weltanschauung und damit auch der Theologie der Kirche.

Was hat manche dazu veranlasst, sich für Alternativen zur ewigen Bestrafung wie den Annihilationismus oder den Universalismus zu entscheiden? Was besagen diese Sichtweisen?

Traditionellerweise werden die wesentlichen Ansichten über die Hölle in ewige Bestrafung, Annihilationismus und Universalismus unterteilt, die sich hinsichtlich des Wesens der Hölle unterscheiden.[1] Ewige Bestrafung, die historische Ansicht der Kirche, besagt, dass die Hölle ein Ort der ewigen, bewussten und endgültigen Bestrafung, Verbannung und des Todes ist.

Befürworter des Annihilationismus und des Universalismus stellen das historische Verständnis der Hölle aus verschiedenen Gründen in Frage. Viele der Gründe sind theologischer Natur und hängen mit der Lehre von Gott und der Sünde zusammen, was sich in Fragen wie „Wie ist eine ewige Hölle mit Gottes Liebe vereinbar?“ oder „Erscheint eine endlose Bestrafung nicht zu extrem?“ oder „Trübt eine ewige Hölle nicht Gottes endgültigen Sieg?“ zeigt. Manchmal beziehen sie sich auch auf biblische Texte: „Wie ist eine ewige Hölle damit vereinbar, dass Christus alles in allem ist?“ oder „Wie können wir die Hölle als außerhalb, verbannt oder zerstört verstehen?“

Die zweite Sichtweise, der Annihilationismus, ist manchmal auch unter einer seiner Spielarten, dem Konditionalismus, bekannt. Dieser besagt, dass die Bösen letztendlich vernichtet werden und aufhören zu existieren. Diesem Verständnis nach ist die Hölle vorübergehend.

Die dritte Ansicht, der Universalismus, behauptet, dass am Ende alle Menschen die Liebe Gottes und das ewige Leben erfahren werden. Alle werden letztlich gerettet werden und keiner wird endgültig verloren gehen.

Historisch gesehen hat die Kirche sowohl den Annihilationismus als auch den Universalismus als bedeutende Irrtümer betrachtet, wobei der Universalismus eine schwerwiegende Abweichung und sogar häretisch ist. J.I. Packer erinnert daran:

„Aber an sich ist [der Universalismus] eine revisionistische Herausforderung für die Orthodoxie, ob römisch-katholisch, ost-orthodox oder evangelisch-protestantisch; denn die Kirche hat den Universalismus seit dem zweiten Konzil von Konstantinopel (dem fünften ökumenischen Konzil, 553 n.Chr.) offiziell als Häresie eingestuft, als die Lehre der apokatastasis (die universelle Rückkehr zu Gott und die Wiederherstellung aller Seelen), von der man annahm, dass Origenes sie gelehrt hatte, anathematisiert wurde.“[2]

1Für eine sorgfältige Studie über das Wesen der Hölle, vgl. Christopher W. Morgan und Robert A. Peterson (Hrsg.), Hell Under Fire, Grand Rapids: Zondervan, 2004; für eine Einführung in die Lehre der Hölle, vgl. Christopher W. Morgan und Robert A. Peterson, What Is Hell?, Phillipsburg, NJ: P&R, 2010.

2Vgl. J.I. Packer, „Universalism: Will Everyone Ultimately Be Saved?“ in: Hell Under Fire, S. 169–194.