Es war einmal in Eden
Angesichts mancher Skepsis oder Zurückhaltung beim Thema Kunst und Literatur ist es erfreulich, dass Jerram Barrs mit dem 2013 bei Crossway erschienenen Buch Echos of Eden den Versuch macht, dem Kunstbegriff eine biblisch angemessene und wegweisende Einordnung zu geben. Der Klappentext der deutschen Version mit dem Titel Es war einmal in Eden, die nun im Herold-Verlag erschienen ist, fasst den Inhalt wie folgt zusammen:
„Es war einmal in Eden nimmt uns mit auf eine spannende Reise in die Welt der Kunst und Kultur. Seit jeher nutzen Menschen Bilder, Mythen und Märchen, um bewusst oder unbewusst auszudrücken, dass Gott diese Welt wunderbar gemacht hat. Aber auch, dass der gegenwärtige Zustand unserer Welt nicht dem entspricht, wozu sie geschaffen wurde und dass in jedem von uns eine tiefe Sehnsucht wohnt, eine Sehnsucht nach Erlösung und nach einer vollkommenen Welt, einem neuen Eden.“
Überlegungen zur Kunst aus christlicher Sicht
Der deutsche Untertitel „Gottes Wahrheit in Literatur, Film und Kunst entdecken“ mag dabei im Gegensatz zum englischsprachigen „Reflections on Christianity, Literature, and the Arts“ etwas überhöhte Erwartungen wecken. Schließlich liefert der Inhalt tatsächlich eher einzelne – wenngleich grundsätzliche – Überlegungen („reflections“) anstelle einer umfassenden christlichen Sicht von Kunst.
Der Autor kommt ohne ein einleitendes Kapitel aus, doch einige Buchempfehlungen, auch von renommierten christlichen Autoren, wecken das Interesse des Lesers. Auf 292 gut lesbar angelegten Taschenbuchseiten inklusive Bibelstellenverzeichnis legt Barrs als leidenschaftlicher Kunstliebhaber, -kenner und Christ ein Buch vor, das sich hauptsächlich an Christen richtet. Seine Ausführungen sollen der Christenheit helfen, klassische und zeitgenössische Kunst und das künstlerische Schaffen an sich aus der Sicht eines biblischen Ordnungsrahmens zu verstehen.
Eine Theologie und Ethik der Kunst
In den ersten fünf Kapiteln entfaltet Barrs so etwas wie eine Theologie der künstlerischen Existenz. Indem er deutlich macht, dass das biblische Gottesverständnis auch durch Gottes Selbstoffenbarung als Schöpfer und in der Schöpfung erkennbar ist, sieht der Autor eine Legitimation – sogar eine konsequent logische Notwendigkeit – dafür, dass künstlerische Aktivitäten dem Menschsein entsprechen, da der Mensch ja im Bild Gottes geschaffen wurde. Weil der Mensch sein eigenes Schaffen von seinem Schöpfer ableiten kann, ergibt sich auch eine Ethik der Kunst, genauso wie eine Basis für Kritik an künstlerischen Werken. In diesen ersten Kapiteln, die ungefähr ein Drittel des Buches ausmachen, wird dem Künstler, aber auch dem Christen, der sich ein Urteil über Kunstwerke machen möchte, ein Fahrplan gegeben.
„Weil der Mensch sein eigenes Schaffen von seinem Schöpfer ableiten kann, ergibt sich auch eine Ethik der Kunst, genauso wie eine Basis für Kritik an künstlerischen Werken.“
Die zentralen Argumente für einen biblischen Rahmen für gestaltende und literarische Kunst findet der Autor sowohl in der Schöpfung, welche die Handschrift Gottes ist, als auch in der biblischen Offenbarung, in welcher der Heilsweg Gottes bildlich und mit künstlerischer Raffinesse ausgedrückt wird (z.B. der Bau der Stiftshütte als kunstvolles Symbol für die Erlösung). Kunst ist für Barrs eine Form der kreativen Darstellung der Realität zwischen den Polen Schöpfung/Sündenfall und Erlösungssehnsucht. Jede Kunst, die es versteht, diese Elemente oder Teile davon in ihrer realistischen Bezugsform widerzuspiegeln, anstatt nur in sich selbst zu Hause zu sein, sollte deshalb auch anerkannt werden.
Ein Maßstab für Kunst
Deshalb, so die Schlussfolgerung des Autors, hat Kunst in all ihren möglichen Ausdrucksformen als Poesie, Literatur oder darstellende Kunst und Malerei ihre Legitimität, muss aber gleichzeitig auch an einigen Maßstäben gemessen werden, die im vierten Kapitel entfaltet werden. Kunst darf sich nicht in einem abgehobenen, eigenen Raum verstecken. Es gibt objektive Beurteilungskriterien, die den jeweiligen Wert eines Kunstwerks bestimmen. Dazu gehören etwa die Begabung und die Entwicklung derselben oder auch Wahrheitsbezug, moralische Ansprüche und die Übereinstimmung von Form und Inhalt.
Mit dem fünften Kapitel begründet Barrs dann seine Überzeugung, dass Kunst auch eine Form ist, durch die sich Gott dem Menschen mitteilt. Es ist nicht nur das Beispiel von Paulus, der einen „unbekannten Gott“ als Anlass nahm, um Gottes Realität einem der biblischen Offenbarung fernen Publikum zu präsentieren (vgl. Apg 17). Auch die symbolträchtigen Bilder im Buch der Offenbarung machen deutlich, dass es dem Willen Gottes nicht widerspricht, sich bildhafter Mittel zur Darstellung unsichtbarer Realitäten zu bedienen.
Echos aus Eden
In alledem – sowohl in der direkten Offenbarung als auch in den Spuren der Dichtung und auch mythologischer Überlieferungen der Menschen – kommt zum Ausdruck, was der Autor das „Echo aus Eden“ bezeichnet. Damit meint er, dass die Schöpfung und Gottes erhaltende, allgemeine Gnade, Erinnerungen und Sehnsüchte nach dem durch die Sünde Verlorengegangenen wachrufen. Gott begegnet auf eine Art allen Menschen (der Autor zitiert hier u.a. Psalm 145,9: „Der HERR ist gütig gegen alle“). In diesem Sinne ist auch der schöpferische Mensch in seinen Werken ein Mittel, „durch das Gott sich uns zu erkennen gibt“. (S. 108):
„Christen müssen heutzutage in der Lage sein, diese Echos aus Eden zu nutzen, wo immer sie sie finden … Die Autoren der Bibel nutzten diese Echos, weil die heidnischen Religionen Erinnerungen der einen wahren Geschichte enthalten – Erinnerungen an den Sündenfall und den Schmerz, den er verursacht hat, an unser gegenwärtiges Leid unter der Macht der Finsternis und an die Hoffnung auf einen Erlöser!“ (S. 121)
Mit diesem Gerüst im Hintergrund geht der Autor nun in jeweils einem Kapitel auf ihm vertraute Autoren ein, deren Werke er exemplarisch und teils auch recht ausführlich vorstellt.
Beispiele aus der Literatur
In der Reihenfolge C.S. Lewis, J.R.R. Tolkien, J.K. Rowling, William Shakespeare und Jane Austen werden Literaturschaffende vom 16. bis zum 21. Jahrhundert als Kronzeugen für qualitativ anspruchsvolle Werke behandelt. Das macht der Autor in einer Weise, durch die auch ein Leser ohne Bezug zum Werk sich etwas darunter vorstellen kann. Die Auswahl, die Barrs getroffen hat, scheint so gewählt zu sein, dass sie einerseits seinen eigenen Interessen und Kenntnissen entspricht; andererseits erfüllt sie aber auch die Maßstäbe und Kriterien, die im ersten Teil des Buches erörtert worden sind.
Dabei überwiegt der Anteil der sogenannten „Fantasy-Literatur“, wie sie besonders von Lewis (Narnia-Chroniken) und Tolkien (Herr der Ringe) verfasst wurde. J.K. Rowling, die mit ihrer Harry-Potter-Serie ab Ende der 90er-Jahre für Furore sorgte, da sie es schaffte, die Jugend wieder für das Lesen von Literatur zu begeistern, wird als eine in deren Fußstapfen wandelnde Literatin vorgestellt. Auch alle anderen vom Autor vorgestellten literarischen Künstler wie William Shakespeare und Jane Austen dienen ihm als Exemplare künstlerischen Schaffens, in denen die „Echos aus Eden“ meisterhaft und zeitlos gelungen erkennbar sind, sei es durch ein zugrundeliegendes christliches Weltbild (Shakespeare) oder durch die Offenbarmachung des menschlichen Herzens (Austen):
„Jane Austens Vater war Pfarrer, und sie liebte und bewunderte ihn sehr. Durch ihn lernte sie, was der Unterschied zwischen wahrem christlichem Glauben und Heuchelei, zwischen einem echten Hirten der Gemeinde und einem Betrüger ist.“ (S. 262)
Entsprechend werden in Stolz und Vorurteil, einem der beliebtesten und bekanntesten Romane Austens, sowohl Charakterschwächen und Fehlverhalten des Menschen humorvoll stilisierend dargestellt als auch moralische Werte wie Respekt und Großzügigkeit oder die Bereitschaft, anderen zu dienen, so verbunden, dass Charaktere etwa an die Beschreibung der Liebe in 1. Korinther 13 erinnern.
Barrs versucht bei aller Leidenschaft für die ihm sehr vertraute Literatur eindeutige Bezüge zu biblischen Wahrheiten bei den aufgeführten Autoren aufzuzeigen. Das geschieht entweder durch die im Erzählstil eingebunden Charaktere (Austen), die in den geschichtsträchtigen Dramen enthaltenen Theaterfiguren (Shakespeare) oder eben durch mythologisch verfremdete Fantasywelten (Tolkien, Lewis, Rowling).
Unvollständige Echos
Der Autor hat es verstanden, Kunst theologisch, d.h. von Gottes Offenbarung in Natur und Bibel her, zu erklären. Dabei macht er deutlich, dass Kunst Möglichkeiten bietet, den Charakter Gottes und die Realität der Welt in den vom Menschen geschaffenen Werken zu bestätigen. Es ist gut, wenn Christen die Schöpfungsordnung Gottes nicht nur in der Natur erkennen, sondern auch im künstlerischen Schaffen.
Allerdings gelingt es Barrs nur bedingt, von einem allgemeinen Kunstbegriff her plausibel zu machen, warum er gerade diese Auswahl trifft. Aufgrund des ursprünglichen Anliegens, eine biblische Sicht auf die Kunst zu begründen (Kap. 1), wäre es auch förderlich, Beispiele aus einem anderen Bereichen der Kunst anzuführen, was der Autor nur mit kurzen Bemerkungen macht (z.B. erwähnt er den Maler Rembrandt).
Dass es nur englische Literatur ist, die angeführt wird, ist dem amerikanischen bzw. britischen Hintergrund des Autors geschuldet. Man wünschte sich bei einem ins Deutsche übersetzten Buch aber gerade deshalb auch Hinweise auf Kunstwerke anderen Ursprungs – besonders wo das zentrale Argument des Buches doch lautet, dass Kunst ein universales, göttliches Instrument ist, eben „Echos aus Eden“.
Empfohlen als Orientierungshilfe
Insgesamt wird der Leser sich gern von Barrs dazu animieren lassen, klassische Literatur wieder oder erstmals mit neuen Augen zu lesen. Er gibt dem Leser auch ein gutes Werkzeug in die Hand, um eine sowohl bejahende als auch kritische Haltung gegenüber Kunstprodukten zu finden. Etwa für Lehrer oder Schüler ist es hilfreich, Kriterien an die Hand zu bekommen, anhand derer sie literarische Werke beurteilen können.
Es ist auch gut, wenn ganze literarische Genres nicht von vorneherein auf den Verbotsindex gestellt werden, etwa weil Christen Sorge haben, dass Leser verführt werden könnten, in Zauber- und Magiewelten einzutauchen, statt sich dem Evangelium zu öffnen. Trotzdem wäre die Frage berechtigt, ob der allgemeine Hype bei Erscheinen der Harry-Potter-Bücher nicht auch ein Ersatz für ein bibelorientiertes Evangelium war, anstatt die Tür für Glaubensfragen zu öffnen. Barrs nennt keine konkreten Kritiker, sondern erwähnt an mehreren Stellen pauschal den Umgang von Christen mit Autoren wie J.K. Rowling, obwohl diese deutlich gemacht hat, dass sie sich nicht für Magie und Esoterik einsetzt. Es ist Barrs durchaus gelungen, sie zu verteidigen, aber er hätte sich evtl. weniger allgemein und etwas sachlicher mit ernsthaften kritischen Stimmen auseinandersetzen können. Werksangaben dazu fehlen auch. Manchmal wirkt es deshalb etwas zu sehr gewollt, wenn der Autor seine eigenen Vorlieben, z.B. für die Harry-Potter-Reihe, mit seiner Begeisterung auch von jeglicher Kritik abzuschirmen versucht.
Trotzdem kann das Buch jedem Christen empfohlen werden, der Orientierung sucht, wie er künstlerischen Werken gegenüber eingestellt sein soll. Gleichzeitig wird im Leser aber auch das Interesse an guter Literatur und anspruchsvoller Kunst geweckt – nicht nur aus Bildungsgründen, sondern um der darin enthaltenen Weisheit, manchmal auch dem verborgenen Humor und dem ästhetischen Reiz eines Werkes zu folgen, sodass der Schöpfer im Geschöpf auf vielfältige Weise geehrt wird.
Buch
Jerram Barrs, Es war einmal in Eden: Gottes Wahrheit in Literatur, Film und Kunst entdecken, Leun: Herold-Verlag, 2023, 287 Seiten, 14,99 EUR. Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.