Die Abschaffung des Menschen

Rezension von Joseph Kohm Jr.
28. Dezember 2023
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Im Mai 2023 erhielt Elon Musks Unternehmen Neuralink von der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (engl. Food and Drug Administration) die Genehmigung, klinische Experimente am Menschen zu beginnen. Neuralink entwickelt eine Gehirn-Computer-Schnittstellentechnologie, bei der ein Implantat auf der Oberfläche des Gehirns platziert wird, welches eine Verbindung zwischen der elektrischen Hirnaktivität der Testperson und elektronischen Geräten herstellt.

Vor einigen Jahren veröffentlichte das Unternehmen ein kurzes Video, in dem ein Affe zu sehen war, dem die Neuralink-Technologie ins Gehirn implantiert worden war. Dadurch steuerte er in Videospielen den Mauszeiger und Steuerknüppel allein durch seine Gedanken.

Im Februar 1943 hielt C.S. Lewis an drei aufeinanderfolgenden Abenden eine Reihe von Vorlesungen über Bildung, die als Die Abschaffung des Menschen (engl. The Abolition of Man) veröffentlicht wurden. Er dachte vor 80 Jahren an der Universität von Durham nicht an Affen, die Videospiele spielen. In seinem früheren Werk Die böse Macht (engl. That Hideous Strength) beschrieb er jedoch eine Welt, in der man sich solche Absurditäten vorstellen kann.

„Die Abschaffung des Menschen ist ein wichtiges Werk für unsere Zeit, denn Lewis hat in vielerlei Hinsicht die Zukunft vorausgesagt.“
 

In einem Brief aus dem Jahr 1955 an seine amerikanische Freundin Mary Willis Shelburne beklagte Lewis, dass Die Abschaffung des Menschen, obwohl eines seiner Lieblingsbücher, „von der Öffentlichkeit fast völlig ignoriert“ worden sei. Wir täten gut daran, es heute nicht zu ignorieren.

Die Abschaffung des Menschen ist ein wichtiges Werk für unsere Zeit, denn Lewis hat in vielerlei Hinsicht die Zukunft vorausgesagt. Er sah das Aufkommen von Trends voraus, die wir derzeit erleben: ethischer Emotivismus (eine Theorie, die besagt, dass moralische Urteile keine Tatsachenaussagen sind, sondern lediglich Ausdruck der subjektiven Gefühle des Sprechers oder Verfassers, Anm.d.Red.), eine zum Teil nicht hinterfragte Autorität der Wissenschaft und der zunehmende Einsatz von Technologie durch Staaten zur Kontrolle ihrer Bevölkerungen.

Subjektives Gift

In der ersten Vorlesung, „Der Mensch ohne Brust“, dekonstruiert Lewis ein Erziehungsmodell, das Kindern auf subtile Weise durch ein Lehrbuch für Sprachwissenschaften aufgezwungen wird. Dem Buch gibt er dabei einen anderen Namen (Das Grüne Buch), um die Autoren zu schützen. Die unausgesprochene Weltanschauung, die hinter dem Lehrbuch steht, versucht junge Menschen gegen objektive Werte zu immunisieren, indem alle Werte mit Gefühlen und Emotionen gleichgesetzt werden. So ist zum Beispiel die Ehrfurcht, die ein Wasserfall hervorruft, lediglich ein Abbild der Einstellung der Person und nicht der Großartigkeit des Wasserfalls selbst.

Lewis argumentiert, dass Pädagogen den Schülern stattdessen beibringen müssen, die objektive Realität zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Die Lehrer müssen „echte Gefühle“ in den fruchtbaren Geist ihrer Schüler pflanzen (C.S. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 8. Aufl., Einsiedeln: Johannes Verlag, 2015, S. 23). Lewis’ Schema lautet: „Der Kopf regiert den Bauch durch die Brust“. Die Brust ist der Vermittler zwischen unseren tierischen Trieben und unserem Verstand und ist das Instrument für die Schulung und Mäßigung des Bauches (S. 33). Ohne die Brust hätten unsere ungeordneten Vorlieben freien Lauf.

In der zweiten Vorlesung, „Der Weg“, behauptet Lewis: „Erziehung im Geist des Grünen Buches muß zur Zerstörung der Gesellschaft führen, die es gelten läßt“ (S. 35). Dies geschieht, wenn sich Gesellschaften von objektiven Normen lösen, die als „Naturgesetz“, „überlieferte Moral“ oder – wie Lewis es nennt – als „das Tao“ bezeichnet werden (S. 49).

Transhumanismus vorhergesagt

Lewis’ abschließender Vortrag, „Die Abschaffung des Menschen“, beschreibt, was passiert, wenn seine ersten beiden Vorträge auf Mittel, Motive und Möglichkeiten treffen. Es werden „Konditionierer“ auftauchen, die Werte schaffen und Emotionen außerhalb des Tao formen. Diese „werden dagegen mit der Macht eines zu allem befugten Staates und einer unerbittlichen wissenschaftlichen Technik bewaffnet sein; wir werden endlich eine Rasse von Konditionierern haben, die tatsächlich die ganze Nachwelt nach ihrem Belieben formen können“ (S. 63).

Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Konditionierer bereits angekommen sind – durch eine Bewegung namens Transhumanismus (eine Philosophie, die menschliche Begrenzungen durch den Einsatz von Technologie überwinden will, Anm.d.Red.). Der Autor Yuval Noah Harari meint: „Wir sind wahrscheinlich eine der letzten Generationen von homo sapiens, weil wir in den kommenden Generationen lernen werden, wie man Körper, Gehirne und den Verstand manipuliert.“

Dieser Prozess hat bereits begonnen, wie Lewis vorhersagte. Im September 2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden eine Verfügung zur Förderung der Biotechnologie. Darin heißt es: „Um unsere gesellschaftlichen Ziele zu erreichen, müssen die Vereinigten Staaten … in der Lage sein, Schalttechnik für Zellen zu schreiben und die Biologie vorhersehbar zu programmieren, so wie wir Software schreiben und Computer programmieren“.

Wer trifft die Entscheidungen über die Manipulation von Körpern, Gehirnen und dem Verstand und die Programmierung von Schalttechnik für unsere Zellen? Das sind die Konditionierer.

Geblendete Magier

Auch wenn ihre Entscheidungsprozesse demokratisch beschrieben werden, werden die Konditionierer durch ihre Entscheidungen zur obersten Autorität. Lewis warnt: „Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich, was wir des Menschen Macht über die Natur nennen, als eine von wenigen mit Hilfe der Natur über andere ausgeübte Macht“ (S. 59).

Es gibt eine Transaktion, die damit verknüpft ist, ein Konditionierer zu werden, der diese Macht ausübt. Lewis bezeichnet sie als „Pakt mit dem Magier“, bei dem man seine Seele eintauscht, um Macht zu erlangen (S. 74). Das Ergebnis dieses Handels sind „ent-menschlichte Konditionierer“ (S. 74). Wenn Menschen aus dem Tao heraustreten, „sind sie überhaupt keine Menschen mehr“ (S. 65).

„Zu früheren Zeiten führten Weisheit und Tugend dazu, die Seele an die Wirklichkeit anzupassen, um wirklich menschlich zu werden.“
 

Die negativen Auswirkungen des Pakts mit dem Magier hören nicht bei der Entmenschlichung der Konditionierer auf. Sobald sie entmenschlicht sind, wird ihre Sicht durch den Pakt mit dem Magier getrübt, und sie sind gezwungen, andere wie Ungeborene, Kranke und ältere Menschen als weniger menschlich zu betrachten.

Lewis weist darauf hin, dass zu früheren Zeiten Weisheit und Tugend dazu führten, die Seele an die Wirklichkeit anzupassen, um wirklich menschlich zu werden. Jetzt legen die Konditionierer die Menschlichkeit ab, indem sie „die Wirklichkeit den Wünschen der Menschen gefügig … machen“ (S. 78). Lewis argumentiert, dass die Realität gefügig gemacht wird, indem die Konformität (d.h. Übereinstimmung) durch technologische Lösungen ersetzt wird. Dazu können die Neuverdrahtung der Schaltkreise unserer Zellen, die Implantation von Chips in unsere Gehirne oder die Versorgung von Teenagern mit Pubertätsblockern gehören.

In einer früheren Version des Pakts mit dem Magier wird Goethes Faust geblendet als Strafe für den Schaden, den er in seinem Streben nach Macht angerichtet hat. Lewis’ letzte Warnung in Die Abschaffung des Menschen deutet auf ein ähnliches Ergebnis hin.

In ihrer Arroganz nehmen die Konditionierer an, dass sie das Tao und den objektiven Wert „durchschauen“ und so zu etwas Tieferem und Bedeutungsvollerem sehen können. Stattdessen argumentiert Lewis, dass der Pakt mit dem Magier nur zur Blindheit führt, denn „wer alles durchschaut, sieht nichts mehr“ (S. 82). So wird die ganze Welt unsichtbar.

Buch

C.S. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, Freiburg i.Br.: Johannes Verlag, 2012, 104 Seiten, 9,00 EUR.