Mein Weg aus dem Mormonentum

Artikel von Zachariah Carter
19. Dezember 2023 — 10 Min Lesedauer

Der Urgroßvater meines Großvaters väterlicherseits, Gideon Hayden Carter, wurde am 25. Oktober 1831 von Joseph Smith getauft. Smith setzte ihn als Missionar ein (vgl. Lehre und Bündnisse 75:34), und so missionierte mein Vorfahre im gesamten westlichen Teil New Yorks. Er starb schließlich in der Schlacht am Crooked River, einem Scharmützel, das den Mormonenkrieg von 1838 eskalieren ließ und den Gouverneur von Missouri, Lilburn Boggs, dazu veranlasste, alle Heiligen der Letzten Tage aus Missouri zu vertreiben.

Gideons Brüder John und Jared Carter sind bei den Mormonen als „die Carter-Brüder“ bekannt. Beide gehörten dem Hohen Rat von Smith an (vgl. Lehre und Bündnisse 102:3), und beide spielten jeweils eine besondere Rolle in der Geschichte der Heiligen der Letzten Tage (Latter Day Saints, LDS). Man nimmt an, dass es Jared und Gideon waren, die den Grundstein für den ersten Tempel der Mormonen legten. Über John weiß ich nicht so viel, abgesehen davon, dass seine Korrespondenz im Nachlass von Joseph Smith einen breiten Raum einnimmt.

Ich wuchs im Bewusstsein meines mormonischen Erbes auf – und war stolz darauf, auch wenn es aufgrund einer Offenbarung des neuesten Propheten heute in der Gemeinschaft ein Fauxpas ist, die Heiligen der Letzten Tage als „Mormonen“ zu bezeichnen. Ich verbrachte jedoch meine prägenden Jahre unter Gordon B. Hinckley, der stets betonte, dass das Buch Mormon etwas Besonderes sei, und der immer die Bezeichnung „Mormonen“ verwendete. Diese Gewohnheit kann man nicht so leicht ablegen.

Mein mormonisches Erbe war mir allgegenwärtig, besonders nachdem ich in den Priesterstand eingetreten war.

Meine Kindheit im Mormonentum

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie ich nach meinem Taufgespräch mit dem Bischof unserer Gemeinde mit meiner Mutter nach Hause fuhr und ihre Fragen zu dem Gespräch beantwortete. Im Alter von acht Jahren werden die meisten LDS dazu ermutigt, über ihre Sünden Buße zu tun, ihren Glauben auf Jesus zu setzen und sich zur Vergebung der Sünden taufen zu lassen. Obwohl ich anfangs nicht an die Behauptungen des Mormonentums glaubte, wünschte ich mir inständig, dass sie wahr sein möchten.

„Obwohl ich anfangs nicht an die Behauptungen des Mormonentums glaubte, wünschte ich mir inständig, dass sie wahr sein möchten.“
 

Ich spürte die Bürde, die das mormonische Erbe mit sich brachte, vor allem in den Gesprächen mit meinem Vater: „Weißt du, Zach, einer deiner Vorfahren war dabei, als Smith Märtyrer wurde.“ Oder: „Wir haben Arizona besiedelt und dort einige Mormonengemeinschaften gegründet.“ „Dieser und jener hat dieses und jenes getan.“

Solche Geschichten faszinierten mich, und ich arbeitete während meiner Teenagerjahre hart daran, mich als junger Diakon „des Priestertums würdig“ zu erweisen. Doch dieses Unterfangen begann zu bröckeln, als ich anfing, mehr Zeit im Internet zu verbringen.

Meine schwindelerregende Dekonstruktion

Unbeholfen und melancholisch, ohne viele enge Freunde, verbrachte ich einen Großteil meiner frühen Teenagerjahre damit, den HTML-Code für meinen Shop auf Neopets zu optimieren, Rise of Nations auf meinem PC zu spielen und Wikipedia-Artikel zu lesen. Wenn ich zurückblicke, erkenne ich, wie all dies durch Gottes Vorsehung zum Guten gedient hat. Ich lernte Webdesign, was meiner jetzigen Gemeinde eine Menge Kosten erspart hat. Strategiespiele weckten in mir die Liebe zu historischen Themen und kausalen Zusammenhängen, was mir dabei half, meine Dissertation fertigzustellen.

Und mithilfe von Wikipedia dekonstruierte Gott mein Mormonentum.

Durch Wikipedia wurden Informationen demokratisiert, und die Website half mir, mich von meinem zwanghaften Bemühen zu befreien, für Gott gut genug zu sein. Umfragen zeigen, dass unzählige Mormonen ähnliche Erfahrungen mit Wikipedia und anderen Websites gemacht haben und nach wie vor machen.

Mit 14 Jahren stolperte ich über einen Artikel, in dem es um die Kinderhook-Platten ging. Einige Männer spielten den damaligen Heiligen der Letzten Tage einen Streich, indem sie „alte“ Messingplatten gravierten. Diese Fälschungen wurden Smith übergeben, der sie übersetzte, als ob es echte Platten gewesen wären, was dazu führte, dass die LDS jahrzehntelang Faksimiles dieser Platten veröffentlichten. Als einige Platten schließlich in die Hände der Chicago Historical Society gelangten, stellte ein Professor für Materialwissenschaften von der Northwestern University fest, dass es sich bei den Platten um Fälschungen handelte.

Wenn man nicht zu den LDS gehört, kann man vielleicht nicht ermessen, wie sehr dies meinen ohnehin schon wackeligen Glauben erschütterte. Smith und führende Persönlichkeiten wie die Carters waren Propheten und offenbarten das wahre Evangelium. Sie waren damit beauftragt, das von Kaiser Konstantin, den Katholiken und den Calvinisten verfälschte Evangelium wiederherzustellen. Und doch konnten sie nicht erkennen, dass diese Gravuren gefälscht waren?

Gott hatte in meinem Leben den Grundstein für das Evangelium gelegt. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, und meine Mutter heiratete meinen Stiefvater. Wenn ich zurückblicke, erkenne ich, dass er und sein Vater bereits viele Samen des Evangeliums gesät hatten. Der Vater meines Stiefvaters – ein gläubiges Mitglied der Independent Baptists – machte nie einen Hehl daraus, was er in Bezug auf den Wahrheitsgehalt von Smiths Behauptungen dachte. Er hatte sich sogar geweigert, zur Hochzeit meiner Mutter mit meinem Stiefvater zu kommen, weil meine Mutter praktizierende Mormonin war. Jedes Jahr bekamen wir von ihm zu Weihnachten ein großzügiges Geldgeschenk zusammen mit einem evangelistischen Traktat. Er betete treu dafür, dass wir Christus kennenlernen würden, und beantwortete geduldig meine Fragen. Auch mein Stiefvater, der eine Bibelschule absolviert hatte, säte die Saat des Evangeliums. Wenn ich dagegen protestierte, dass er uns nicht in die mormonische Kirche bringen wollte oder dass er uns beharrlich darauf hinwies, wie die Mormonen neutestamentliche Zitate aus ihrem Kontext herausrissen, um damit angeblich zu belegen, dass sie das wahre Evangelium wiederherstellten, gab er meinem Eifer eine neue Richtung.

Ich bemühte mich ernsthaft, den mormonischen Glauben beizubehalten, und arbeitete hart daran, den Gott der Mormonen zufriedenzustellen, indem ich beispielsweise meinem Stiefvater einen missbilligenden Blick zuwarf, wenn er Kaffee trank, oder dadurch, dass ich das Buch Mormon las, um meinem Zeugnis Nachdruck zu verleihen, und mein Oberhemd bügelte, bevor ich zu den Abendmahlsversammlungen ging. Ich hatte das Gefühl, mein Erbe in dieser neuen Familiensituation aufrechterhalten zu müssen.

Aber es half alles nichts. Der Weg zur Gnade war schon geebnet. Ich weiß den genauen Zeitpunkt nicht mehr, doch irgendwann nachdem ich im Priesterstand zum „Lehrer“ ordiniert worden war, kehrte ich dem Mormonentum den Rücken.

Werkzeuge der Gnade

Durch eine Krise, die sich auf meine Herkunft und mein mormonisches Erbe bezog, wurden in mir Fragen in Bezug auf die Ewigkeit aufgeworfen. Während meines zweiten Jahres an der High School starb mein Großvater mütterlicherseits. Mein leiblicher Vater arbeitete in einer anderen Stadt, und bevor Gott meinen Stiefvater ins Spiel brachte, war dieser Großvater eine wunderbare Vaterfigur für mich gewesen.

„Als ich mich näher mit dem Christentum befasste, stieß ich auf das Problem, dass mein theologisches Vokabular in einem evangelikalen Kontext nicht besonders brauchbar war. “
 

Er war zu den Heiligen der Letzten Tage konvertiert. Anfangs sträubte er sich dagegen, doch dann fand er die klaren Worte eines Propheten überzeugend. Soweit ich weiß, unternahm niemand in seiner Gemeinde der Southern Baptists irgendwelche Anstrengungen, um der Botschaft der mormonischen Missionare etwas entgegenzusetzen. Seine Gemeinde ließ sowohl ihn wie auch meine Großmutter, meinen Onkel und meine Tanten einfach in das Mormonentum stolpern.

Sein Tod veranlasste die überzeugten LDS-Mitglieder meiner Familie mütterlicherseits, verstärkt an ihrem Glauben festzuhalten. Auf mich jedoch hatte dies den gegenteiligen Effekt, und zwar aus einem verblüffenden Grund: dem Film Der Da Vinci Code.

Der Film, welcher auf dem Buch von Dan Brown basiert, verhalf mir nicht nur zu einem Vokabular, das ich mit den Christen in meinem Leben gemein hatte, sondern auch zu Gelegenheiten, ausführliche Gespräche über das Evangelium zu führen. Denn als ich mich näher mit dem Christentum befasste, stieß ich auf das Problem, dass mein theologisches Vokabular in einem evangelikalen Kontext nicht besonders brauchbar war. Worte wie „Evangelium“, „Erlösung“ und sogar „Jesus“ bedeuteten für meine Freunde etwas anderes als für mich. Aber der Film ermöglichte es uns, über seine Themen zu diskutieren, ohne dass wir uns gegenseitig damit verwirrten, dass wir mit denselben Wörtern verschiedene Bedeutungen verbanden.

Zwei meiner Schulfreundinnen, Rebecca und Emily, stachen als besondere Zeuginnen Christi hervor. Nachdem der Film in die Kinos gekommen war, beantwortete Rebecca regelmäßig meine Fragen im Hinblick auf den Auftrag Jesu. Ich erinnere mich noch daran, dass ich damals fragte: „Wenn Gott gesagt hat, seid fruchtbar und vermehrt euch; wieso sollte es dann falsch sein, wenn Jesus heiratet und Kinder bekommt?“ Darauf entgegnete Rebecca mir lapidar: „Jesus ist ausschließlich gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“ So verschaffte Dan Brown uns einen neutralen Raum, um über die Identität Jesu zu sprechen, wie sie in der Heiligen Schrift offenbart wird.

Ich fragte die beiden, warum Evangelikale behaupten, Mormonen kämen nicht in den Himmel. „Mein Großvater war einer der großartigsten Menschen, die ich kenne,“ wandte ich ein. „Er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte. Willst du mir etwa sagen, dass das nicht zählt?“ Emily antwortete: „Zach, wenn dein Großvater in der Hölle ist, würde er das auch für dich wollen?“ Fast zwei Jahrzehnte später staune ich immer noch über diese Kühnheit. Ich könnte noch viel mehr darüber schreiben, wie herzlich die Familien der beiden mir gegenüber waren.

Allmählich wurde mir klar, dass ich ein Sünder war, dass Jesus der Erlöser ist und dass ich mich ihm im Glauben anvertrauen konnte. Als ich meiner Familie erzählte, ich hätte beschlossen, dem Mormonentum abzusagen und mich in einer Baptistengemeinde taufen zu lassen, bekam ich von allen Seiten nur ärgerliche und wütende Reaktionen. Es war qualvoll. Doch mein Stiefvater stellte sich schützend vor mich: „Niemand darf Zach daran hindern, Jesus zu folgen und sich taufen zu lassen.“

Kostspielig, doch es lohnt sich

Einige Familienmitglieder sprachen jahrelang nicht mit mir. Das gesamte mormonische System basiert darauf, dass Smith das wahre Evangelium wiederhergestellt haben soll; dahinter zurückzufallen, war ein Angriff auf ihn höchstpersönlich. In meinem Kontext – dem religiösen Erbe meiner Familie – hieß Bekehrung zum christlichen Glauben, dass ich meiner Familie den Rücken kehrte.

Meine familiären Beziehungen sind inzwischen wieder intakt, auch wenn ich hin und wieder eine irritierte Nachricht erhalte, wenn ich etwas darüber geschrieben habe, dass das Mormonentum nicht das wahre Christentum ist: „Zach, wir haben ‚Jesus Christus‘ wortwörtlich im Namen unserer Kirche! Wo findet man ihn in eurem Namen?“ Das Evangelium entzweit Familien (vgl. Mt 10,34–39), aber ich habe das erfahren, was der Erlöser versprochen hat: Ich habe zwar das eine familiäre Erbe verloren, dafür aber ein anderes gewonnen.

Ich hatte mich bemüht, meine Pflicht gegenüber Gott zu erfüllen, weil ich das Gefühl hatte, mein familiäres Erbe bewahren zu müssen. Aber in Christus habe ich ein größeres Erbe. Meine Abstammung vom „mormonischen Königshaus“ ist nichts im Vergleich dazu, Jesus Christus als Herrn zu kennen. In seiner Güte hat er meine Mühen und Kämpfe beendet und meinen Zweig in eine neue Familie eingepfropft, seine Familie – das mächtige Erbe der Gnade.