Sehnsucht nach Erweckung
Der seinerzeit einflussreiche Geistliche Theodore Pease leitet seine 1894 erschienene Abhandlung zum pastoralen Dienst mit folgenden Worten ein: „In vielen Kreisen wird stillschweigend angenommen, dass der besondere Reiz des christlichen Amtes gebrochen ist, dass die besondere Anziehungskraft dieses Arbeitsfeldes in hohem Maße unwiederbringlich verloren ist.“
In den vergangenen 130 Jahren ist die Behauptung von Pease immer wieder hervorgeholt worden – doch wir können ein besseres Argument dagegenhalten: Jesus Christus versichert uns, dass die Gemeinde niemals vergehen wird (vgl. Mt 16,18). So können wir beruhigt schlussfolgern, dass auch das christliche Amt nicht untergehen wird.
Dennoch leite ich künftige Pastoren, die ich am Reformed Theological Seminary auf den Dienst in der Gemeinde vorbereite, dazu an, nach Erweckung zu suchen. Der pastorale Dienst sollte immer auch von einer Sehnsucht nach Erweckung bewegt sein. Ich möchte vier Punkte anführen, in denen sich eine solche Haltung ausdrückt:
Durch persönliche Frömmigkeit
Bevor Pastoren das Wort Gottes predigen können, müssen sie Kinder Gottes sein (vgl. 1Tim 6,11; 2Tim 3,17). Sie müssen Christus lieben, bevor sie ihn predigen (vgl. 2Kor 5,14; Kol 1,28). Sie müssen im Geist wandeln, bevor sie von seiner Kraft predigen können (vgl. Gal 5,16; 1Kor 2,1–5).
Robert Murray M’Cheyne schrieb im Oktober 1840 an einen anderen Pastor:
„Denk daran, dass du Gottes Schwert bist, sein Werkzeug, … ein auserwähltes Gefäß für ihn, um seinen Namen zu verkünden. Wie erfolgreich das Werkzeug eingesetzt werden kann, hängt von seiner Reinheit und Qualität ab. Gott gibt seinen Segen nicht entsprechend der Begabung, sondern entsprechend der Christusähnlichkeit. Ein Pastor, der heilig ist, ist eine gewaltige Waffe in der Hand Gottes.“
Persönliche Frömmigkeit ist die erste Lektion, die Pastoren lernen sollten. Was die Gemeinde Christi am allermeisten braucht, sind Pastoren, die in der Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott leben. „Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre“, befiehlt Paulus Timotheus, „bleibe ständig dabei! Denn wenn du dies tust, wirst du sowohl dich selbst retten als auch die, welche auf dich hören“ (1Tim 4,16).
Durch Gebet
„Natürlich zeichnet sich der Prediger zuallererst dadurch aus, dass er ein Mann des Gebetes ist“, schreibt Charles Spurgeon. „Er betet genauso viel wie jeder andere normale Christ, sonst wäre er ein Heuchler. Er betet mehr als jeder andere Christ, sonst disqualifiziert er sich für das Amt, welches er angenommen hat.“
Erweckung kommt durch Gebet. Jede Erweckungsbewegung, in allen Epochen der Kirchengeschichte, bezeugt uns die wesentliche Bedeutung des Gebets, egal ob es sich um das private Gebet des Einzelnen oder um das gemeinsame Gebet in der Öffentlichkeit handelt. Wir brauchen Prediger, die Jesus Christus mit Mitgefühl und Freimut verkündigen. Wir brauchen Männer, die entzündet durch die flammende Liebe Christi eifrig für ihn brennen. Wir sehnen uns nach Männern, die heimliche Sünde in der Gemeinde aufdecken und die Medizin des Evangeliums anbieten. Wir brauchen himmlische Diener, deren Dienst vom ewigen Gewicht der Herrlichkeit erleuchtet wird. Aber wenn wir nicht bitten, werden wir auch nichts empfangen.
Bevor jemand Prediger von Jesus Christus sein kann, muss er ein Mann des Gebets sein. Das Gebet stellt die erste große Hälfte des Dienstes dar, die der anderen Hälfte – dem Predigen und der Nachfolge – Kraft verleiht. Pastoren werden nie richtig predigen können, wenn sie nicht leidenschaftlich beten können.
Durch die Predigt
Wir sehnen uns nach Geistlichen, die die Predigt wertschätzen. Welche Herrlichkeit treuer Verkündigung zukommt! Die Predigt ist das gewöhnliche Mittel, mit dem Gott kalte und abgestumpfte Herzen erweckt, damit sie die Gnade des Glaubens einatmen. Die Predigt ist der Wagen, der Christus in die Herzen der Sünder trägt. Sie ist das geistliche Schwert, das Gott benutzt, um die Tore der Hölle zu stürmen und die Festungen Satans zu zerstören. Die Sonne der Gerechtigkeit (vgl. Mal 4,2) geht durch die Verkündigung seines Wortes über der Erde auf, um ungefestigte Herzen zu stärken und eisige Seelen zu schmelzen. Die Predigt überführt, erleuchtet, weist zurecht, ermutigt und belebt die Seele.
„Junge Prediger müssen nicht nur über Christus predigen, sondern Christus predigen.“
Junge Prediger müssen lernen, das Evangelium mit leidenschaftlicher Logik (engl. logic on fire; das ist ein Begriff, der von Martyn Lloyd-Jones geprägt wurde und die Verbindung von sauberer Argumentation und Emotionen betont, Anm.d.Red.) und Vernunft, gepaart mit Eloquenz, zu verkündigen. Sie müssen nicht nur über Christus predigen, sondern Christus predigen. Martyn Lloyd-Jones: „Wir sollen das Evangelium predigen und nicht über das Evangelium predigen. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied, den man nicht in Worte fassen kann, der aber dennoch sehr wichtig ist.“
Durch Beharrlichkeit
Die ersten drei Dinge, in denen sich eine Sehnsucht nach Erweckung im pastoralen Dienst äußert, sind essentiell und ließen sich vorhersagen. Das vierte Merkmal wird jedoch häufig übersehen: Der Dienst ist wie ein Mantel, den Christus auf die Schultern seiner Diener legt. Die Bürde wiegt schwer. Das geistliche Amt ist zwar aufregend, aber auch anstrengend. Wenn wir also junge Theologen auf den geistlichen Dienst vorbereiten, beten wir nicht nur für ihre persönliche Frömmigkeit, ihr Gebetsleben und ihre Ausrüstung zum Predigen, sondern dass sie bereit sind, beharrlich dranzubleiben.
Der Dienst von Jesus war von reger Beschäftigung geprägt. Er verpasste niemals eine Gelegenheit, verlorenen und ausgelaugten Menschen zu helfen. Der Dienst des Apostels Paulus sah genauso aus. Mit unerschütterlicher Beharrlichkeit verrichtete er seine Arbeit:
„Wir werden überall bedrängt, aber nicht erdrückt; wir kommen in Verlegenheit, aber nicht in Verzweiflung; wir werden verfolgt, aber nicht verlassen; wir werden niedergeworfen, aber wir kommen nicht um“. (2Kor 4,8–9)
Die nächste Generation von Pastoren auszubilden bedeutet, sie zur Freude am Herrn aufzurufen, die ihre Stärke ist (vgl. Neh 8,10). Ohne Jesus Christus kann der Knecht des Herrn nichts tun (vgl. Joh 15,5). Auf diese Weise bilden wir sie dazu aus, in Christus bereit zu sein, ihr geistiges, emotionales und geistliches Leben in der Gemeinde hinzugeben. Dabei wünschen wir uns, dass folgender Vers ihnen stets vor Augen ist: „So ist also der Tod wirksam in uns, das Leben aber in euch“ (2Kor 4,12).
Zusammenfassung
Die Aufgabe eines Pastors besteht darin, in der persönlichen Frömmigkeit zu wachsen, im Gebet und Predigtdienst treu zu sein und in allen Prüfungen beharrlich dranzubleiben. So wird er den Menschen Jesus Christus vor Augen stellen und sie darauf vorbereiten, gut leben und sterben zu können. So sieht pastoraler Dienst aus, der sich nach Erweckung sehnt. Und genau diesen Dienst benötigen wir an den theologischen Ausbildungsstätten, auf der Kanzel oder am Krankenbett.