Menschen mit den Augen Christi sehen

Buchauszug von J. Mack Stiles
12. Dezember 2023 — 3 Min Lesedauer
„Daher kennen wir von nun an niemand nach dem Fleisch.“ (2Kor 5,16a)

Wie leicht ist es, die Kultur der Welt zu übernehmen und Menschen nach sexistischen, rassistischen oder anderen oberflächlichen Gesichtspunkten zu beurteilen! Wir vergessen oft, dass unsere Mitmenschen echte Menschen aus Fleisch und Blut sind, mit wirklichen Verletzungen, Träumen, Kämpfen und Vorlieben. Doch Paulus spricht davon, dass sich unsere Sicht der Menschen verändert, wenn wir Christus kennenlernen. Wir sehen sie nicht wie früher mit den Augen der Welt, sondern mit den Augen Gottes.

Als wir neu in unser Wohnviertel in Lexington, Kentucky gezogen waren, hatten wir den ernsthaften Wunsch, die Leute in unserer Umgebung evangelistisch anzusprechen. Doch unser erstes geistliches Gespräch mit unserem Nachbarn Tom war alles andere als vielversprechend. Eines Tages sah er mich im Garten arbeiten und kam zu mir herüber. Er hielt ein Bier in der einen Hand und eine Zigarette in der anderen. Wir plauderten über dies und jenes, als mein sechsjähriger Sohn heranhüpfte. „Rauchen ist gefährlich – du musst damit aufhören“, platzte es aus ihm heraus, während er ihn böse anschaute und seine Hände in die Hüften stemmte. „Bete zu Jesus, und er wird dir helfen, damit aufzuhören.“

Ich stand sprachlos da, mit einem eingefrorenen Lächeln im Gesicht. „Oh, großartig!“, dachte ich. „Wo kommt das denn her? Die denken jetzt vermutlich schon, wir sind moralisierende religiöse Fanatiker, die am Esstisch über die bösen Nachbarn reden.“ Zu Davids Entschuldigung muss ich hinzufügen, dass seine Tante Linda, die gerade zum Glauben gekommen war, beschlossen hatte, mit dem Rauchen aufzuhören, und dass David für sie gebetet hatte. Doch dessen ungeachtet war mir die Situation einfach nur schrecklich peinlich.

Aber Tom drückte seine Zigarette aus, hockte sich auf Blickebene zu meinem Sohn herab und legte lächelnd eine Hand auf seine Schulter. „Weißt du was, David?“, sagte er. „Du hast vermutlich recht, du hast vermutlich recht.“

Welch liebenswürdige und wunderbare Reaktion von Tom! Ich musste meine Meinung von ihm überdenken. Mir wurde klar, dass ich Buße tun musste, weil ich Tom einfach nur als einen heruntergekommenen Typen aus unserer Straße gesehen hatte. Ich musste ihn so sehen, wie er wirklich war. Davids Ansprache war vielleicht etwas sehr direkt, aber sie war besser als meine Untätigkeit und führte tatsächlich zu einer Beziehung zu Tom, die vielleicht nicht zustande gekommen wäre, wenn ich nicht begonnen hätte, Tom als wirkliche Person zu sehen. Wenn Paulus sagt, dass wir die Leute mit den Augen Christi sehen sollen, meint er, wir sollen uns eine evangeliumsgemäße Sicht der Menschen aneignen. So sehen wir die Menschen als schöne, wertvolle, in Gottes Ebenbild erschaffene Geschöpfe. Jeder einzelne Mensch ist ein Träger von Gottes Ebenbild. Deshalb glauben Christen, dass alle Menschen Würde, Wert und Größe besitzen.

„In einer Kultur der Evangelisation sind wir uns in erster Linie dessen bewusst, was aus Sündern werden kann: neue Geschöpfe in Christus.“
 

Gleichzeitig erkennen wir, dass jeder Mensch ein gefallener Sünder und von Gott getrennt ist. Alle haben das Ebenbild Gottes in ein schreckliches Zerrbild verwandelt. Deshalb sehen Christen die Menschen um sie herum nicht immer als liebenswürdig an.

Doch in einer Kultur der Evangelisation sind wir uns in erster Linie dessen bewusst, was aus Sündern werden kann: neue Geschöpfe in Christus, erneuert und wiedergeboren durch die verwandelnde Kraft Gottes (vgl. 2Kor 5,17). Ich sehne mich danach, mit Menschen zusammen zu sein, denen bewusst ist, dass Menschen Gottes Ebenbilder sind (vgl. Jak 3,9). Ich sehne mich danach, mit Christen zusammen zu sein, denen bewusst ist, dass ihre Mitmenschen von Gott getrennt sind. Und vor allem sehne ich mich nach einer Kultur, der bewusst ist, was durch das Evangelium aus Sündern werden kann.

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Dieser Auszug stammt aus Evangelisation: Wie die ganze Gemeinde Jesus verkündigt von J. Mack Stiles (S. 47–49). Das Buch kann hier bestellt werden.

J. Mack Stiles und seine Frau Leeann haben viele Orte auf der Welt bereist und dort gelebt, unter anderem in Erbil, Irak, und Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Derzeit leben die Stiles in den USA, wo sie für eine Organisation arbeiten, die Missionare, Gemeinden und Entsendeorganisationen ermutigt, gemeinsam den Missionsauftrag zu erfüllen. Mack ist Autor mehrerer Bücher.