
Der Pastor als Seelsorger
Bereits einige Bücher und Schriften im Bereich Seelsorge sind von David Powlison in deutscher Sprache erschienen und werden von vielen wegen ihres biblischen Fundaments und ihrer pastoralen Einfühlsamkeit sehr geschätzt. Das Buch Der Pastor als Seelsorger wurde erst nach dem Heimgang des Autors im Jahr 2019 veröffentlicht und ist in diesem Jahr auch in deutscher Sprache im 3L-Verlag erschienen.
Orientierungshilfe für Pastoren
Wie Edward T. Welch bereits im Vorwort beschreibt, ist dieses Buch keine umfassende Gebrauchsanweisung für den Seelsorgedienst, sondern vielmehr eine Orientierungshilfe für Pastoren, „um [ihren] Platz in dieser manchmal verwirrenden Welt der Seelsorge zu finden“ (S. 10).
Auf den ersten Seiten betont Powlison mit Nachdruck die grundlegende Tatsache, dass jeder Pastor ein Seelsorger ist. Dies gilt trotz aller Unterschiede, was ihre jeweiligen Begabungen, Schwächen und ihre Persönlichkeit angeht.
Kern und Wesen der Seelsorge
Der Hauptteil des Buches ist in zwei Kapitel aufgeteilt. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Kern und Wesen dessen, was Seelsorge in einem pastoralen Kontext eigentlich ausmacht. Das Spannungsfeld und die Kluft zwischen psychotherapeutischen Konzepten einerseits und biblischer Seelsorge andererseits werden hier deutlich. Dabei scheut der Autor sich nicht, aktuelle psychotherapeutische Ansätze zu hinterfragen, wie wir sie in der Welt um uns herum finden. Psychologie werde laut Powlison oftmals so dargestellt, „als [hätte] sie objektive wissenschaftliche Erkenntnisse und würden wertneutrales Fachwissen anbieten“ (S. 19). Häufig sei die Beziehung des Ratsuchenden zum Therapeuten von einer distanzierten Professionalität geprägt. Zudem sei der Ausgangspunkt der Psychologie oftmals ein ganz falscher, da man davon ausgehe, dass der Wesenskern des Menschen gut sei und zur ungehinderten Entfaltung gebracht werden solle. Powlison stellt die ernüchternde Tatsache heraus, dass Therapeuten wie jemand sind, der seinen Dienst „in einem Pastorenamt ohne Gott und ohne Gemeinde“ verrichtet (S. 22). Im Gegensatz dazu zeigt uns die Bibel ein Bild, das dem in weiten Teilen entgegengesetzt ist.
Fünf Aspekte pastoraler Seelsorge
Das zweite und längste Kapitel des Buches beschreibt fünf Aspekte, die pastorale Seelsorge einzigartig machen. Der erste ist die einzigartige Verantwortung, Seelsorger zu sein. Wir haben das Vorrecht, mithilfe von Gottes Wahrheit tatsächlich zu den Wurzeln der Probleme durchzudringen. Wir dürfen – befähigt durch Gottes Gnade – durch unser Auftreten, unseren Rat und unsere Liebe Christus widerspiegeln. Biblische Seelsorge, die in der Abhängigkeit Gottes geschieht, wird auch von Gottes Kraft begleitet sein.
„Wir haben das Vorrecht, mithilfe von Gottes Wahrheit tatsächlich zu den Wurzeln der Probleme durchzudringen. Wir dürfen – befähigt durch Gottes Gnade – durch unser Auftreten, unseren Rat und unsere Liebe Christus widerspiegeln.“
Zweitens haben Pastoren eine besondere Möglichkeit, Menschen seelsorgerlich zu begleiten. Pastoren können Besuchern nachgehen, die ihren Weg in den Gottesdienst gefunden haben. Sie haben etliche Gelegenheiten, bei denen sie ganz natürlich ins Leben ihrer Schafe hineinsprechen können. Dazu gehören Eheschließungen, Beerdigungen, Trauerbegleitung, Ausnahmesituationen, Nöte und vieles mehr. „Kein anderer Lebensberater hat einen natürlichen Zugang in die wichtigsten Momente des Lebens“ (S. 43).
Ferner ist der biblische Ansatz der Seelsorge wirklich einzigartig. Ungläubige Therapeuten beten nicht mit ihren Patienten und führen sie nicht vor den Thron der Gnade, aber der Pastor tut dies. Zudem geben Pastoren echte Hoffnung, da sie weder die Zuhörer einfach zum Opfer ihrer Umstände erklären noch die Kraft zur Veränderung in den Ratsuchenden sehen. Vielmehr führen sie Ratsuchende zu göttlicher Hilfe, die allen bereitsteht, die sie suchen.
Viertens dürfen wir in der Seelsorge eine einzigartige Botschaft weitergeben. Gewöhnliche Therapeuten reden nicht von der Heiligkeit Gottes, von der Verdorbenheit des menschlichen Herzens und von der herrlichen Gnade des Evangeliums. Als Seelsorger dürfen wir jedoch genau das tun und mithilfe aller Wahrheiten der Schrift Wegweisung geben.
Zuletzt stellt Powlison heraus, dass die Seelsorge als Pastor in einem einzigartigen gemeinschaftlichen Umfeld stattfindet. „Als Pastor begleitest du die Menschen innerhalb der Gemeinde seelsorgerlich“ (S. 57). Als Pastoren dürfen wir nicht nur selbst anderen helfen. Im Kontext der Gemeinde dürfen wir erleben, wie solche, die unsere Seelsorge in Anspruch genommen haben, irgendwann selbst zu Seelsorgern werden. Auch dürfen wir nicht nur allein, sondern gemeinsam mit anderen solchen helfen, die in Not sind und Rat brauchen. So können wir den Appell des Hebräerbriefs, aufeinander achtzuhaben (vgl. Hebr 3,12), letztlich gemeinsam als geistliche Familie umsetzen.
Kompetent, deutlich und ermutigend
Am Ende des Buches findet man zuletzt noch eine längere Liste von Artikeln und Büchern von David Powlison, die für die weitere Beschäftigung mit biblischer Seelsorge von Nutzen sind.
„Pastoren geben echte Hoffnung, da sie weder die Zuhörer einfach zum Opfer ihrer Umstände erklären noch die Kraft zur Veränderung in den Ratsuchenden sehen.“
Man merkt beim Lesen des Buches, dass hier jemand schreibt, der wirklich Einblick hat in den Alltag eines Pastors. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er sagt: „Möglicherweise bist du ein dürftiger Seelsorger“ (S. 13), und einige Schwächen und Fehler aufzählt, die man als Pastor in der Seelsorge machen kann. Das rüttelt einen wirklich wach, was gut ist. Er bleibt jedoch hier nicht stehen, sondern ermutigt dazu, dass auch wir als Seelsorger aus Gottes Gnade leben dürfen und dass jeder Pastor von Gott auch als Seelsorger berufen ist, trotz aller Schwächen und Makel. Die seelsorgerliche Praxis muss auch nicht bei jedem Pastor gleich aussehen, da es unterschiedliche Schwerpunkte in der Begabung gibt.
Meiner Meinung nach ist es eine große Stärke des Autors, dass er es bei aller Klarheit auch schafft, den lesenden Pastor zu ermutigen und ihm mit viel Verständnis zu begegnen. Durch seinen Schreibstil spiegelt er selbst etwas von Christus wider und ist wie ein seelsorgerlicher Freund für den lesenden Pastor, der vielleicht gerade mit seinem Dienst überfordert ist.
Hilfreiche Gegenüberstellungen
Zudem finde ich die Gegenüberstellung von therapeutischen Ansätzen und biblischer Seelsorge höchst relevant für unsere Zeit. Es überrascht mich, wie viele Christen bereits auf mich zukamen, nur um mich zu fragen, ob ich einen guten Therapeuten für dieses oder jenes Problem kenne. Ich glaube, dass überraschend viele Christen zu dem Denken neigen, dass Seelsorger für die kleinen und Psychologen für die großen Probleme zuständig sind. Ich selbst habe es auch mehrfach in der Seelsorge erlebt, wie einschüchternd der psychologische Fachjargon auf mich wirken kann, wenn Ratsuchende in der Seelsorge in der Vergangenheit bereits therapeutische Hilfe in Anspruch genommen haben. Diagnosen werden mit technischen Begriffen betitelt, die einem den Eindruck vermitteln, als würden sie auf Fakten und medizinisch messbaren Untersuchungen ruhen, was allerdings häufig nicht der Fall ist. Deshalb leistet dieses Buch einen wichtigen Teil dazu, Pastoren in ihrem Auftrag zu ermutigen und in ihrem Dienst zu bestärken.
Lesetipp für jeden Ältesten und Pastor
Ich empfehle dieses Buch von Herzen sowohl angehenden als auch bereits berufenen Ältesten und Pastoren. Gerade die Tatsache, dass es leicht zugänglich und mit seinen etwa 80 Seiten überschaubar ist, sollte es einem Pastor ermöglichen, sich hierfür trotz bestehender Leseliste einen Moment Zeit zu nehmen.
Buch
David Powlison, Der Pastor als Seelsorger: Was pastorale Seelsorge einzigartig macht, Waldems: 3L-Verlag, 2023, 80 Seiten, 12,50 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.