Apologetik in einer Zeit der Verzweiflung

Artikel von Gavin Ortlund
6. Dezember 2023 — 18 Min Lesedauer

Im Buch Die böse Macht von C.S. Lewis beschreibt eine Person namens Mark sein Leben wie „Staub, zerbrochene Flaschen, ein[en] Haufen alter Blechdosen, trocken und alles Leben erstickend“.  Gemeinsam mit seiner Frau fungiert Mark als Personifizierung der Moderne und seine Glaubensgrundsätze stehen für viele säkulare Menschen von heute. Doch durch die Ereignisse des Handlungsstrangs werden Mark die Augen für die Transzendenz geöffnet. Als er im Gefängnis steckt und psychische Folter erleidet, macht er eine tiefgründige moralische Erfahrung:

„Vor diesem Hintergrund des Sauren und Krummen erhob sich eine Art Vision des Süßen und Geraden. Es existierte anscheinend etwas anderes – etwas, das er vage als das „Normale“ bezeichnete. Er hatte noch nie darüber nachgedacht. Aber da war es – fest, massiv, mit einer eigenen Form, fast wie etwas, das man anfassen oder essen oder in das man sich verlieben konnte. Es war alles vermischt mit Jane und Spiegeleiern und Seife und Sonnenlicht und den Krähen, die in Cure Hardy krächzten, und dem Gedanken, dass irgendwo da draußen in diesem Moment Tageslicht herrschte.“[1]

In meinem Buch habe ich diesen Abschnitt verwendet, um ein moralisches Argument für die Existenz Gottes zu formulieren. Aber allgemeiner gesprochen ist das eine wunderbar kreative, literarische Formulierung dafür, wie die moderne Verzweiflung von der Lehre über Gott durchdrungen werden kann (oder sogar durch eine implizite Folge der Lehre über Gott, wie die Vorstellung des objektiv Guten). Für viele spätmoderne Menschen wird sich der Kontakt mit dem Evangelium wie ein Übergang anfühlen. Als würden sie von „den trockenen und alles Leben erstickenden Stellen“ hin zu „Spiegeleiern und Seife und Sonnenlicht“ kommen. Es wird sich anfühlen wie ein Übergang von Flachheit zu Fülle, von Entzauberung hin zu neuer Verzauberung, von einer grauen und eintönigen Welt hin zu einer Welt, in der es vor Leben und Farben nur so wimmelt.

Wenn man das Wesen der modernen Verzweiflung untersucht, kann das neue und spannende Wege eröffnen, wie man Menschen in unserem Umfeld, welche die Hoffnung des Evangeliums so dringend brauchen, diese Hoffnung sichtbar machen kann.

Moderne Verzweiflung verstehen

In seinem gefeierten Buch Ein säkulares Zeitalter lenkt Charles Taylor die Aufmerksamkeit auf das Problem der Entzauberung und den Verlust von Sinn im modernen Zeitalter. Dieses Phänomen ist, geschichtlich gesehen, völlig neu – die meisten modernen Menschen verstehen das Problem intuitiv, aber man hätte es Menschen vor 500 Jahren nur schwer erklären können. Menschen vor der Moderne konnten sicherlich Verzweiflung empfinden, aber das Gefühl allgemeiner Verzweiflung, das den spätmodernen Westen kennzeichnet, ist eine einzigartige historische Entwicklung. Für Taylor ist eine solche Verzweiflung das Ergebnis anderer Entwicklungen, besonders des Niedergangs von Transzendenz sowie der Veränderungen der Vorstellungen vom Ich. Es ist das Gefühl, dass „unsere Taten, Ziele, Errungenschaften und ähnliche Dinge leichtgewichtig, schwerelos, dünn und substanzlos“ sind.

Wir könnten also sagen, dass wir in einer Welt leben, die sich zunehmend von den traditionellen Quellen der Transzendenz getrennt hat. Das Ergebnis ist, dass unser Erleben nun durch ein Gefühl der Unfruchtbarkeit und Entzauberung gekennzeichnet ist – oft weit schlimmer, als wir uns dessen bewusst sind. Es hört sich vielleicht seltsam an, wenn man denkt, wir könnten Verzweiflung erleben, ohne uns ihrer komplett bewusst zu sein. Aber wir sehen nicht, wie uns unsere Umgebungskultur beeinflusst. Unsere Kultur fühlt sich für uns im Allgemeinen normal an – sie ist die Brille, durch die wir schauen und nicht die Landschaft, die wir anschauen. Es gibt Kinder, die erst mit dem Auszug von zu Hause erkennen, dass sie in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen sind. Wie sie erkennen wir oft nicht, dass wir an diesen „trockenen und alles Leben erstickenden“ Orten leben, bis wir die Alternative erlebt haben. In seinem Buch Glauben wozu? Religion im Zeitalter der Skepsis schlägt Tim Keller sogar vor, dass die meisten modernen Menschen so unglücklich sind, dass es Jahre dauert, bis sie das Wesen ihres Unglücklich-Seins völlig erkennen:

„Alles in allem leugnen wir die Tiefe und das Ausmaß unserer Unzufriedenheit. Künstler und Denker, die am leidenschaftlichsten darüber sprechen, werden als krankhafte Spinner betrachtet, sind jedoch eigentlich prophetische Stimmen. Normalerweise dauert es Jahre, um dieses Leugnen zu durchbrechen und zu zerstreuen, um das Ausmaß und die Dimension unserer Unzufriedenheit mit dem Leben zu sehen.“[2]

Das Problem der Verzweiflung ist eine der wichtigsten Beschäftigungen der existentialistischen Philosophie. Viele der „Neuen Atheisten“ (z.B. Sam Harris) vertreten einen lebensfrohen, beschwingten Atheismus – sie behaupten, wir könnten den Glauben an Gott verlieren und gleichzeitig objektive Moral- und Wertvorstellungen wie Mitgefühl und Menschenrechte beibehalten. Die älteren existentialistischen Philosophen hingegen sahen den Atheismus generell als eine Entfesselung moralischer und psychischer Verzweiflung.

In seinem berühmten Essay über den Existentialismus lehnte beispielsweise Jean-Paul Sartre die Bemühungen früherer französischer Atheisten ab, getrennt von Gott eine objektive Moral aufrechtzuerhalten. Er stellte fest: „Der Existentialist … findet es extrem peinlich, dass Gott nicht existiert, da doch mit ihm alle Möglichkeit des Findens von Werten in einem unverständlichen Himmel verschwindet.“ Für den existentialistischen Philosophen Albert Camus zog der Verlust eines transzendenten Sinns die Absurdität des Lebens nach sich. Camus verglich das Dasein des Menschen mit der Gestalt des Sisyphos in der griechischen Mythologie, der für alle Ewigkeit dazu verdammt war, einen Stein einen Berg hinaufzurollen – nur um ihn dann jedes Mal wieder hinabfallen zu sehen.

Das Gefühl des Chaos und des Zerfalls, das durch den Atheismus aufkam, wird sehr kraftvoll in Friedrich Nietzsches berühmtem Gleichnis des „Verrückten“ vermittelt. Diese Gestalt (im Allgemeinen als für Nietzsche stehend verstanden) läuft auf den Marktplatz und ruft laut:

„,Wohin ist Gott?‘ rief er, ,ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir sind seine Mörder! Aber wie haben wir das gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?‘“

Die Aura der modernen Verzweiflung wird durch diese Metaphern sehr gut zum Ausdruck gebracht – den Horizont wegwischen, die Erde losketten, fortwährend stürzen, und so weiter. Viele moderne Menschen können sich mit den Gefühlen identifizieren, die zu einer solchen Szene gehören – selbst wenn sie nicht sicher sind, warum das so ist. Tatsächlich gibt es gute Gründe zu glauben, dass das säkulare Denken im 21. Jahrhundert das grundsätzliche Ringen nicht überwunden hat, das sich im existentialistischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts spiegelte. Selbst wenn wir nicht so viel über Verzweiflung nachdenken, ist sie trotzdem ein tief verwurzelter Bestandteil der modernen Kultur.

Machen wir zur Veranschaulichung einmal folgendes Gedankenexperiment: Stell dir vor, wie ein Banker aus dem Manhattan des 21. Jahrhunderts in einer Zeitmaschine 1.000 Jahre zurück in die Vergangenheit in ein Kloster in Westeuropa reist. Gleichzeitig reist einer der Mönche aus dem Kloster in der Zeitmaschine ins Manhattan des 21. Jahrhunderts. Für eine kurze Zeit tauschen die beiden ihren Platz. Welcher Mann würde den größeren Kulturschock erleben? Wen würde man mehr abweisen und beleidigen? Bei wem wäre es wahrscheinlicher, dass er in seinem neuen Umfeld überlebt und sich entfaltet?

Zweifellos wäre es für beide eine spannende Erfahrung. Es würde vieles geben, was der Banker aus der Welt des 21. Jahrhunderts vermissen würde, und vieles, womit er sich nur schwer abfinden könnte. Wir wollen die Vergangenheit nicht romantisieren. Aber ich vermute, der Mönch würde unsere Welt in einigen entscheidenden Bereichen – besonders in Fragen bezüglich des menschlichen Herzens – sehr viel verarmter vorfinden als umgekehrt. Wir sind vernetzter, aber einsamer. Wir haben eine längere Lebenserwartung, aber höhere Selbstmordraten. Wir haben mehr Möglichkeiten, aber panische Angst und Depressionen. Unsere Welt ist schriller, seine Welt hingegen hat einen Sinn und einen Reichtum, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie verloren haben.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Kennzeichen der Moderne ist der Verlust eines transzendenten Sinnes. Das hat einen tiefgreifenden Einfluss auf unser Leben – jedoch oft unbewusst oder nur halb bewusst. Wir leben unter der Wolke eines vagen Gefühls der Dürre, sind aber im Unklaren über die Ursache. Vielleicht ist uns nicht bewusst, dass es eine Alternative gibt. Wir können vielleicht unsere Kämpfe nicht mit dem Wort „Verzweiflung“ ausdrücken; und doch liegt unter unserer Einsamkeit, unseren Süchten, unserer Ruhelosigkeit, unserer Niedergeschlagenheit und unserem überbeschäftigten und abgelenkten Leben eine tiefe, aufwühlende Leere. Wie Mark leben wir zwischen „dem Staub und den zerbrochenen Flaschen, dem Haufen alter Blechdosen, den trockenen und alles Leben erstickenden Stellen“.

Welche Bedeutung hat das dafür, wie wir das Evangelium erleben und weitergeben? Wie betreiben wir Apologetik in einem Zeitalter der Verzweiflung?

Wie das Evangelium der Verzweiflung begegnet

Als dem russischen Autor Alexander Solschenizyn 1983 der Templeton-Preis verliehen wurde, erzählte er vom ganzen Horror der Gewalt des 20. Jahrhunderts und machte dafür den Verlust des Glaubens an Gott verantwortlich:

„Wenn man mich heute bitten würde, den Hauptgrund für die verderbliche Revolution so präzise wie möglich zu formulieren, die etwa 60 Millionen Menschen aus unserem Volk dahingerafft hat, dann könnte ich es nicht präziser ausdrücken, ohne mich zu wiederholen: ‚Die Menschen haben Gott vergessen. Deshalb ist all das geschehen.‘“

Was für die Gewalt des 20. Jahrhunderts gilt, gilt genauso für die Verzweiflung des 21. Jahrhunderts: All das ist passiert, weil die Menschen Gott vergessen haben.

Das soll nicht heißen, dass die Aufgabe der Gemeinde, der Verzweiflung zu begegnen, leicht oder stereotyp ist. Im Gegenteil: Weisheit und die Abhängigkeit vom Heiligen Geist werden nötig sein, damit das Evangelium den Menschen von heute auf sinnvolle und authentische Weise nahegebracht werden kann. Es gibt vor allem zwei Möglichkeiten, wie wir das Evangelium in einem Zeitalter der Verzweiflung unwiderstehlich machen können:

1. Verkündige die ganze Fülle des Evangeliums

Der Kern der Botschaft des Evangeliums, wie Paulus es überliefert hat, lautet: „Christus ist für unsere Sünden gestorben nach den Schriften“ (1Kor 15,3). Und doch gab Paulus selbst das Evangelium in unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Weise weiter. In Apostelgeschichte 13, als er das Evangelium in einer jüdischen Synagoge predigte, zitierte er im Grunde genommen verschiedene Stellen aus der Schrift, verkündete, sie seien in Christus erfüllt, und rief dann alle zur Buße. In Apostelgeschichte 17 hingegen, auf dem Areopag in Athen, wählte er einen anderen Ansatz. In dieser heidnischen Umgebung fing Paulus weiter vorne an, nämlich mit der Lehre über Gott und die Schöpfung. Unterwegs zitierte er ihre eigenen Dichter und fand kreative Möglichkeiten, Brücken in ihre Welt zu bauen.

„Gott ist für die moderne Verzweiflung das, was die Nahrung für den Hunger ist.“
 

Heute leben wir zunehmend in einer Kultur wie in Apostelgeschichte 17. Wir können daher aus dem Beispiel des Paulus lernen, das Evangelium im größeren Kontext von Gott und der Schöpfung zu erläutern. Wenn wir diese hintergründigen Glaubensgrundsätze einfach voraussetzen, dann wird unsere Botschaft für viele moderne Menschen weder erkennbar noch überzeugend sein. Es wird so sein, als würde man die Botschaft von Apostelgeschichte 13 in einem Umfeld von Apostelgeschichte 17 predigen. John Stott drückt es in seinem Kommentar zu den Reden des Paulus in der Apostelgeschichte wie folgt aus:

„Viele Menschen lehnen heutzutage unser Evangelium ab. Sie tun es nicht, weil sie annehmen, es sei unwahr, sondern weil sie annehmen, es sei belanglos. Die Menschen suchen nach einem ganzheitlichen Weltbild, das allem, was sie erleben, einen Sinn verleiht. Wir lernen von Paulus, dass wir ohne die Lehre von Gott weder das Evangelium von Jesus predigen können, noch das Kreuz ohne die Schöpfung, noch die Erlösung ohne das Gericht.“[3]

Als Apologeten in einem Zeitalter der Entzauberung und Verzweiflung müssen wir das Evangelium in seiner ganzen Tragweite auf die tiefsten Sehnsüchte und Nöte moderner Herzen anwenden. Und noch grundlegender müssen wir Gott selbst als die Antwort auf die moderne Verzweiflung erkennen. Augustinus lehrte, Gott sei die einzige ultimative Quelle der Ruhe und Erfüllung für das Herz des Menschen. Gott ist für die moderne Verzweiflung das, was die Nahrung für den Hunger ist. Nur in Beziehung mit ihm steigen wir auf aus den trockenen und alles Leben erstickenden Löchern. Genau deshalb ist die Vergebung der Sünden eine solch gute Nachricht – sie bringt uns in Gemeinschaft mit Gott selbst. Aber in der modernen Welt können wir wie in Apostelgeschichte 17 nicht mehr voraussetzen, dass die Zuhörer diese Punkte miteinander verbinden können.

Das Evangelium in einem Zeitalter der Verzweiflung zu predigen, wird daher Geduld und eine langfristige Perspektive erfordern. Evangelisation wird sehr oft ein längerer und chaotischerer Prozess sein. Denke wieder an Mark aus dem Werk des C.S. Lewis: Erst nachdem er in seiner Gefängniszelle dem „Normalen“ begegnet, ist er in der Lage, auf Christus zu reagieren. Lewis’ eigene Bekehrung verlief ähnlich. Er vergleicht seine Reise zum Theismus damit, eine lange, langsame Schachpartie zu verlieren. Und es dauerte sogar zwei weitere Jahre nach seiner Hinwendung zum Theismus im Jahr 1929, bis er im Jahr 1931 Christ wurde. „Dass Christus für eure Sünden gestorben ist“ war eine Botschaft, von der Lewis zwischen 1925 und 1927 noch nicht glaubte, er würde sie brauchen. Genauso wenig ist sie der Ort, an dem wir bei vielen unserer Freunde, Arbeitskollegen, Familienmitglieder und Nachbarn anfangen können.

Wir müssen daher die enorme Größe der vor uns liegenden Aufgabe annehmen. Zur Apologetik in einem Zeitalter der Verzweiflung gehört der Versuch, anderen dabei zu helfen, ein Gespür für Gott zu erwecken, ein Gespür für Ewigkeit und Herrlichkeit. Wir winken Menschen aus den trockenen und alles Leben erstickenden Orten heraus. Wir sagen ihnen das, was Paulus gesagt hat: „Was ihr nun, ohne es zu kennen, verehrt, das verkündige ich euch“ (Apg 17,23). Wir werden unterwegs jeden einzelnen Moment vom Geist abhängig sein müssen.

2. Verkündige die Schönheit des Evangeliums

Die griechischen Philosophen sprachen von den drei Transzendentalen: dem Guten, dem Wahren und dem Schönen. Moderne Apologetik konzentriert sich oft darauf, zu zeigen, dass das Christentum wahr ist. Das historische Christentum hingegen betonte auch die Güte und Schönheit des Evangeliums. Diese Apologetik tritt umfassender mit dem Menschen in Beziehung. Ein Beispiel: In einem oft zitierten Abschnitt in seinen berühmten Pensées schlägt Blaise Pascal eine dreifache Strategie vor, wie man den Glauben empfehlen kann:

„Die Menschen schätzen die Religion gering. Sie hassen sie und fürchten, dass sie wahr sei. Um dem Abhilfe zu schaffen, muss man zunächst zeigen, dass die Religion keineswegs der Vernunft widerspricht. Sie verehrungswürdig machen, ihr Achtung verschaffen. Sie hierauf liebenswert machen, den Guten den Wunsch eingeben, dass sie wahr sein möge, und danach zeigen, dass sie wahr ist.“[4]

Zusammenfassend gesagt meint Pascal, dass wir zeigen müssen, dass das Christentum respektabel und dann auch begehrenswert ist, bevor wir zeigen, dass es wahr ist. Das ist aufgrund des angeborenen, natürlichen Widerstands gegen das Evangelium im Herzen des Menschen notwendig („sie hassen es und fürchten, dass es wahr sei“).

Dieser Pascalsche Ansatz ist zutiefst relevant für eine Apologetik im Zeitalter der Verzweiflung. Unsere große Herausforderung besteht viel öfter in Apathie und Ablenkung als in scharfen Gegenargumenten. Wir leben in einer Zeit ständiger Klicks und ständigen Lärms, die uns für Fragen der Seele abstumpfen. Somit interessiert es viele moderne Menschen nicht einmal mehr, ob das Evangelium wahr ist. Wir müssen weiter vorne anfangen und den Menschen helfen zu verstehen, warum das Evangelium überhaupt eine Überlegung wert ist. Zu diesem Zweck ist die Schönheit des Evangeliums ein zutiefst nützliches Werkzeug. Sie kann Apathie durchdringen, um die Aufmerksamkeit unserer Zuhörer zu fesseln.

Selbst in einem Zeitalter der Verzweiflung erleben Menschen beispielsweise sehr oft eine tiefreligiöse Sehnsucht, wenn sie zu den Sternen schauen, Musik hören oder literarische Werke lesen. Charles Taylor merkt, nachdem er beschreibt, wie die Moderne dem Glauben tendenziell entgegenwirkt, trotzdem an:

„All dies ist wahr, und doch drängt sich das Gefühl auf, dass da mehr ist. Viele Menschen spüren es: In Momenten des Nachdenkens über ihr Leben, in Momenten der Entspannung in der Natur, in Momenten der Trauer und des Verlusts, ziemlich wild und unvorhersehbar. Unser Zeitalter ist weit davon entfernt, sich in einem bequemen Unglauben einzurichten. … Die Unruhe kommt immer wieder zum Vorschein.“[5]
„Apologetik muss die ‚Unruhe‘ ansprechen, die in modernen Herzen gelegentlich zum Vorschein kommt.“
 

Das bedeutet: Apologetik muss die „Unruhe“ ansprechen, die in modernen Herzen gelegentlich zum Vorschein kommt. Wir müssen das Evangelium mit den tiefen Sehnsüchten des menschlichen Herzens in Beziehung setzen. Unser Werk wird nicht so sein, als würde man einen Streit gewinnen, sondern vielmehr so, als würde man einen Bann brechen. Lewis drückte es seinerzeit folgendermaßen aus, nachdem er die tiefe Sehnsucht des Menschen nach etwas, das über diese Welt hinausreicht, erwähnt hatte: „Sie und ich brauchen den stärksten Zauber, den man finden kann, um uns aus der bösen Verzauberung der Weltlichkeit zu erwecken, der seit fast hundert Jahren auf uns liegt. Fast unsere ganze Bildung ist darauf ausgerichtet, diese scheue, beständige, innere Stimme zum Schweigen zu bringen.“

Apologetik in einem Zeitalter der Verzweiflung wird auch bedeuten, zu zeigen, wie düster die säkularen Erklärungen des menschlichen Begehrens sind. Die meisten säkularen Menschen sind beispielsweise nicht bereit, die angeborene menschliche Wahrnehmung aufzugeben, dass Liebe und Gerechtigkeit einen transzendenten Wert haben. Aber in einer säkularen Weltanschauung ist es sehr schwer zu sehen, woher sie diesen Wert bekommen. Sie werden reduktionistisch als Produkte evolutionärer Psychologie erklärt – wir messen Liebe und Gerechtigkeit einen Wert zu, weil sie unseren tierischen Vorfahren im Kampf ums Überleben halfen. Sie haben keinen objektiven Bezug zur nichtbiologischen Welt und werden keine endgültige Lösung oder Bedeutung haben.

Charles Taylor nennt solche Spannungen „die unruhige Grenzregion der Moderne“. Einfach ausgedrückt sehnen sich säkulare Menschen nach religiösen Eigenschaften, die innerhalb des Säkularismus keinen Sinn mehr ergeben. Das erklärt vielleicht die jüngste Zunahme verschiedener Formen des „religiösen Nicht-Theismus“. Zur Aufgabe der Apologetik gehört es, auf diese Unstimmigkeiten hinzuweisen. Wir müssen unseren Zuhörern helfen, die Dürre und Beengtheit zu erleben, die sich aus säkularen Weltanschauungen ergibt, sowie das bezaubernde Glück und die Wunder des Evangeliums als Alternative dazu. Denn im Evangelium hat alles, wonach sich das menschliche Herz hinsichtlich Liebe und Gerechtigkeit – und so viel mehr – sehnt, einen herrlichen Sinn und eine Erfüllung.

Im Evangelium haben wir die Botschaft, nach der sich moderne Herzen sehnen. Wir haben die Nahrung, nach der die Welt sich vor Hunger verzehrt. Wir bieten den Menschen an, Teil einer uralten Tradition zu werden, wir bieten ihnen eine transzendente Sache, nach der man streben sollte, und eine ewige Herrlichkeit, an der man sich für immer erfreuen wird. Und wieder brauchen wir bei jedem Schritt die Hilfe des Heiligen Geistes, um unseren Freunden dabei zu helfen, das Ausmaß dessen zu verstehen, was auf dem Spiel steht.


1C.S. Lewis, Die böse Macht, Lüdenscheid: Brendow Verlag, 2013.

2Timothy Keller, Glauben wozu? Religion im Zeitalter der Skepsis, Giessen: Brunnen, 2019.

3John Stott, Die Botschaft der Apostelgeschichte. Ein exegetisch homiletischer Kommentar, Petzenkirchen: VGTG, 2022.

4Blaise Pascal, Pensées. Gedanken. Ediert und kommentiert von Philippe Sellier, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2016.

5Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Berlin: Suhrkamp Verlag, 2012.