Großes Versagen – größere Gnade

Artikel von Tobias Glaum
29. November 2023 — 17 Min Lesedauer
Dieser Artikel gründet auf einer Predigt in der Immanuelgemeinde Wetzlar vom 12. März 2023.

Es gibt Geschichten in der Bibel, die sind so lebendig, spannend und fesselnd erzählt, dass man sie nicht mehr vergessen kann. Zu diesen Geschichten gehört der Bericht über Joseph. Sie ist sogar eine Vorlage für Künstler, die sonst nichts mit der Bibel zu tun haben: für Maler, Musical-Komponisten, Schriftsteller und Filmproduzenten.

Die Gemälde, Filme, Musicals und Romane über Joseph – und sogar viele Predigtreihen über die Josephsgeschichte – haben jedoch eins gemeinsam: Sie lassen 1. Mose 38 aus. Wir brauchen dieses Kapitel auf den ersten Blick auch nicht. Wir können die Josephsgeschichte ohne Kapitel 38 lesen und merken gar nicht, dass etwas fehlt. Womöglich wollen wir dieses Kapitel auch gar nicht. Es ist ein Bruch der Geschichte. Außerdem ist es sehr unangenehm zu lesen, so skandalös und verdorben. Gott wollte Kapitel 38 allerdings genau hier haben. Warum? Warum ist es wichtig, dass wir es nicht einfach überspringen?

1. Gottes Rettungsplan ist einzigartig und erstaunlich

Es geht um die Geschichte Jakobs, nicht um die Geschichte Josephs

In der Geschichte, die in 1. Mose 37–50 erzählt wird, geht es eigentlich um die Familie Jakobs, nicht um Joseph, den strahlenden Helden der Geschichte. Wir lesen zu Beginn dieses Abschnitts: „Dies ist die Geschichte Jakobs“ (1Mose 37,2).

„Wenn wir diese Kapitel im größeren Zusammenhang sehen, geht es darum, wie Gott Joseph nach Ägypten vorausschickt, um die Familie Jakobs vor Tod durch Verhungern zu retten und letztlich nach Ägypten zu holen.“
 

Wir können viel von Joseph lernen. Er ist einer von ganz wenigen Menschen in der Bibel, bei dem uns von keiner Sünde berichtet wird. Wenn wir aber etwas zurücktreten und diese Kapitel im größeren Zusammenhang sehen, geht es darum, wie Gott Joseph nach Ägypten vorausschickt, um die Familie Jakobs vor Tod durch Verhungern zu retten und letztlich nach Ägypten zu holen.

Dieses Kapitel zeigt, warum die Familie Jakobs später nach Ägypten umziehen musste

Gott hatte Abraham schon angekündigt, dass seine Nachkommen 400 Jahre lang als Fremde in Ägypten leben und dort unterdrückt werden würden (vgl. 1Mose 15,13). In 1. Mose 38 sehen wir, warum Gott die Familie Jakobs und deren Nachkommen für die nächsten 400 Jahre nach Ägypten brachte: Aus Abrahams Nachkommen sollte ein Volk werden – das Volk Gottes. In Kanaan bestand aber die ständige Gefahr der Vermischung mit heidnischen Völkern. Das zeigt uns die Geschichte Judas, der sich hier eine kanaanäische Frau nimmt und auch seinem Sohn eine kanaanäische Frau gibt. Bald wäre von der Identität als Nachkommen Abrahams nichts mehr zu sehen gewesen und ein identifizierbares Volk Gottes wäre nicht entstanden.

Als Jakobs Familie dann später nach Ägypten umzieht, dürfen sie sich räumlich getrennt von den Ägyptern im Gebiet Goschen niederlassen. So konnten die Nachkommen Jakobs zu einem eigenen großen Volk werden, ohne sich mit den Ägyptern zu vermischen.

Gottes Segenslinie verläuft nach seinem Plan, nicht nach menschlichen Plänen

Es beginnt schon bei den Söhnen Abrahams: Isaak, der Sohn seiner Frau Sara, die eigentlich keine Kinder bekommen konnte und schon viel zu alt war, war der Sohn der Verheißung Gottes. Nicht sein ältester Sohn Ismael, der eine menschliche „Notlösung“ mit Hagar war. Isaaks jüngerer Sohn Jakob war der von Gott erwählte Sohn, nicht der ältere Esau. In der nächsten Generation ist die spannende Frage: Durch welchen der zwölf Söhne geht Gottes Segenslinie weiter? Durch Ruben, den Ältesten? Durch Joseph, den Vorbildlichsten? Durch Simeon, Levi oder Juda? Wir wissen es bisher nicht.

Später erfahren wir: Gott erwählte alle zwölf Söhne als Stammväter seines Volkes. Aber in besonderer Weise erwählte sich Gott Juda als denjenigen, aus dessen Nachkommenschaft Jesus, der Retter, der Höhepunkt von Gottes Rettungsplan geboren wurde. Dieser Plan wäre fast gescheitert, wie wir in unserem Kapitel sehen. Aber durch Gottes gnädiges und mächtiges Eingreifen in Judas Leben können wir dann später die wunderbare Verheißung Gottes im Segen Jakobs über seinen Sohn Juda lesen: „Es wird das Zepter nicht von Juda weichen, noch der Herrscherstab von seinen Füßen, bis der Schilo kommt, und ihm werden die Völker gehorsam sein“ (1Mose 49,10). Der „Schilo“ ist der große Herrscher, Jesus Christus.

Dieses Kapitel zeigt uns etwas von der Schule Gottes, durch die Juda gehen musste

Wir begegneten Juda zum ersten Mal in 1. Mose 37,26–27. Wir sahen dort, dass er unter seinen Brüdern ein solches Ansehen hatte, dass sie auf ihn hörten und seinem Vorschlag folgten. Wir sahen aber auch, wie unreif und lieblos er seinem Bruder Joseph gegenüber war. Er argumentierte in seinem Vorschlag zwar einerseits damit, dass Joseph doch ihr Bruder sei und sie ihn deswegen besser nicht töten sollten. Andererseits schlug er vor, ihn als Sklaven zu verkaufen. Das ist nicht gerade ein von herzlicher Bruderliebe durchdrungener Vorschlag! Als die Brüder dem Vater dann den mit Blut getränkten Mantel zeigten, um ihn glauben zu lassen, dass Joseph von einem wilden Tier getötet worden sei, war er zumindest schweigend dabei und mitverantwortlich für die nächsten Jahrzehnte tiefer Trauer und Depression ihres Vaters.

„Zwischen dem früheren lieblosen und verantwortungslosen Juda und dem späteren Bürgen für seinen Bruder liegen Jahre des Wirkens Gottes in seinem Leben.“
 

Später begegnen wir Juda als einem völlig veränderten Mann. Als Joseph seine Brüder Jahre später einbestellt und sie als zweitmächtigster Mann Ägyptens damit konfrontiert, dass sein silberner Kelch im Getreidesack des jüngsten Bruders Benjamin gefunden wurde, hält Juda eine lange beeindruckende und bewegende Rede. An deren Ende zeigt er eine von Grund auf veränderte Bruderliebe und eine veränderte Haltung seinem Vater gegenüber. Er ist bereit, mit seinem Leben für das Leben seines jüngsten Bruders zu bürgen und er könnte es nicht (mehr) aushalten, wenn sein Vater den Verlust seines jüngsten Sohnes ertragen müsste (vgl. 1Mose 44,18–34).

Zwischen dem früheren lieblosen und verantwortungslosen Juda und dem späteren Bürgen für seinen Bruder liegen Jahre des Wirkens Gottes in seinem Leben. Kapitel 38 zeigt uns einen wichtigen Ausschnitt davon.

2. Judas Versagen bringt Gottes Rettungsplan an den Rand des Scheiterns

John Piper sagt in einer Predigt über 1. Mose 37–50:

„Die sogenannte Josephsgeschichte … ist die Geschichte darüber, wie Gott selbst sein eigenes Volk in die lebensbedrohliche Gefahr der Vernichtung bringt, während er gleichzeitig ihre unvorstellbare Rettung plant. Er bringt seine eigene Verheißung an den Rand des Scheiterns, nur um zu zeigen, dass er die ganze Zeit über das Sagen hatte und eine Befreiung plante, die uns nur noch über ihn staunen lässt.“[1]

In diesem Kapitel haben wir ein sehr eindrückliches und schockierendes Beispiel dafür. Juda versagt hier in dreifacher Weise und bringt dadurch Gottes Plan „an den Rand des Scheiterns“.

Weg von der Familie Gottes (Vers 1)

Wir können davon ausgehen, dass die Brüder die Verheißungen Gottes an Abraham kannten. Sicher waren Gottes wiederholte Verheißungen Gesprächsthemen in der Familie. Sie sollten von Gott in besonderer Weise gesegnet werden und ein Segen für andere Völker sein.

Joseph wurde unfreiwillig von seiner Familie getrennt. Er war jetzt ein Sklave in Ägypten, für den es keine Möglichkeit gab, wieder zur Familie zurückzukommen. Juda trennt sich hier hingegen freiwillig von seiner Familie. Er hatte kein Interesse mehr daran, Teil von Gottes Plan zu sein. Mit der Abkehr von der Familie kehrt er auch Gott und seinen Verheißungen den Rücken zu. Juda integriert sich in das Volk der Kanaaniter. Unter ihnen findet er seinen neuen besten Freund, eine nette Nachbarschaft und seine Ehefrau. Der Rettungsplan Gottes, der für Juda eine ganz besondere Position vorsah, droht zu scheitern.

Versagen als Ehemann, Vater und Schwiegervater (Verse 2–11)

Auch im Blick auf die Verantwortung für seine neue Familie versagt Juda. Das fängt damit an, wie der Beginn seiner Ehe beschrieben wird: Er sah die Frau und nahm sie zur Frau. Wir erfahren nicht einmal, wie sie heißt. In diesem Kapitel kommen viele Namen vor, auch der des neuen Schwiegervaters von Juda, doch ausgerechnet der Name seiner Frau nicht.

Wir können nicht erkennen, dass Juda ein liebevoller und romantischer Ehemann ist, der seine Frau wirklich liebt, wertschätzt und für sie da ist. Judas Beziehung zu seiner Frau hat keine Ähnlichkeit mit Gottes Liebe zu seinem Volk. Er ist vielmehr ein egoistischer Mann, der vor allem von seinem eigenen Verlangen und selbstsüchtigen Wünschen getrieben wird. Diese Frau sieht gut aus, Juda nimmt sie sich und bekommt direkt nacheinander drei Söhne von ihr.

Juda ist sicher auch kein guter Vater. Folgende Entwicklung bei den Geburten seiner Söhne ist interessant: Dem ersten Sohn gibt er den Namen Er. Auch Abraham und Isaak waren aktiv an der Namensgebung ihrer Söhne beteiligt. Dem zweiten Sohn gibt Judas Frau den Namen Onan. Und bei der dritten Geburt (von Schela) ist er nicht einmal zu Hause. Es sieht aus, als würde er sich von seiner wachsenden Familie immer mehr distanzieren. Er ist nicht involviert in ihr Leben. Wie es scheint, hat er mit der Erziehung seiner Söhne nichts zu tun.

Sein erstgeborener Sohn Er ist so böse in den Augen Gottes, dass Gott ihn ausdrücklich wegen seiner Bosheit sterben lässt. Nun ist die moralische und geistliche Entwicklung eines Kindes zwar nicht immer direkt auf die Erziehung zurückzuführen. Hier haben wir jedoch einen starken Hinweis auf die schlimmen Umstände in der Familie Judas, und für diese trägt Juda als Ehemann und Vater die Hauptverantwortung.

Als Gott Er sterben lässt, ist er mit Tamar verheiratet, und sie haben noch keine Kinder. Für eine solche Situation gab es im Nahen Osten damals die Schwagerehe. In 5. Mose 25 finden wir sie auch im Gesetz. Demnach sollte ein Bruder seine Schwägerin heiraten, die ja nun eine kinderlose Witwe war. Das war zum einen wichtig als eine Art soziale Absicherung für die Witwe, damit sie versorgt war. Zum anderen, und das ist in unserer Situation von besonderer Bedeutung, sollte dadurch die Nachkommenschaft von Er erhalten bleiben. Der erste Sohn, der nun Tamar und Onan geboren werden würde, würde als Sohn von Er gelten. Damit würde er als Erbe den Platz des erstgeborenen Sohnes Judas einnehmen. Dieser Sohn würde den Stammbaum Judas fortführen.

Darauf hat Onan aber keine Lust. Er hat zwar Lust auf Sex mit Tamar. Aber er hat keine Lust darauf, dass ein möglicher Sohn dann als Sohn seines Bruders gelten wird. So lässt er den Samen auf die Erde fallen. Das tut er mehrfach. Er will den Sex mit Tamar, aber er ist nicht bereit, dafür Opfer zu bringen.

Dies geschieht natürlich hinter verschlossenen Türen – oder hinter verschlossenen Vorhängen –, und Juda weiß nicht, was los ist. Er wird möglicherweise ohne Nachkommen bleiben! Aber Gott weiß, was los ist, und es ist böse in seinen Augen. Wieder greift Gott zu der drastischen Maßnahme der Todesstrafe. Er lässt Onan sterben.

Jetzt fragt sich Juda umso mehr, was mit Tamar los ist: „Jeder meiner Söhne, der mit Tamar zusammen war, ist gestorben. Vielleicht sollte ich meinen dritten Sohn ihr nicht auch noch geben …“ Möglicherweise war der dritte Sohn, Schela, noch nicht volljährig. Dann wäre es Judas Verantwortung gewesen, Tamar aufzunehmen und so lange für sie zu sorgen, bis sie Schela hätte heiraten können. Aber auch in seiner Verantwortung gegenüber Tamar versagt Juda. Statt für Tamar zu sorgen, schickt er sie zurück nach Hause.

Juda versagt also nicht nur als Vater, sondern auch als Schwiegervater. Wenn Schela Tamar nicht heiraten würde, würde sie als kinderlose Witwe für immer in der untersten Gesellschaftsschicht bleiben. Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte.

Judas Versagen in seiner Bundesverantwortung (Verse 12–23)

Juda hat keine Nachkommen. Sollte das so bleiben, dann wird Gottes Plan scheitern.

Judas Frau stirbt. Nach einer kurzen Zeit der Trauer macht sich Juda auf den Weg nach Timna zu seinen Schafscherern. Die Schafschur war immer ein gesellschaftlicher Anlass, zu dem ein rauschendes Fest gefeiert wurde. Tamar hört, dass Juda nach Timna kommen wird. Sie ist mittlerweile davon überzeugt, dass das mit Schela nichts mehr werden wird, und das ist viel dramatischer, als es auf den ersten Blick scheint! Es wäre nicht nur Judas Verantwortung als Vater und Schwiegervater gewesen, für Tamar zu sorgen und sie Schela zur Frau zu geben. Es ist auch Judas Verantwortung als Teil der Familie Gottes. Die einzige Möglichkeit, noch rechtmäßige Nachkommen zu bekommen, besteht ja darin, dass Tamar von Schela ein Sohn geboren wird. Dazu ist Juda aber nicht bereit. Sein eigener Plan ist ihm wichtiger als Gottes Plan. Was er für richtig hält, ist ihm wichtiger als das, was Gott für wichtig hält.

Wie ist es bei dieser Konstellation überhaupt noch möglich, dass Judas Stammbaum weitergeht?

In ihrer aussichtslosen Lage hat Tamar eine sehr hinterlistige, unmoralische Idee, um doch noch zu ihrem Recht zu kommen: Sie könnte bei der Gelegenheit doch versuchen, von Juda ein Kind zu bekommen, was dann als Nachkomme ihres ersten Mannes Er gelten würde.

So legt sie ihre Witwenkleidung ab und kleidet sich wie eine der Tempelprostituierten. Sie vermutet, dass das ausreicht, um Juda zu bekommen – und sie hat recht. Juda erkennt sie nicht. Er denkt, sie sei eine der Tempelhuren und geht zu ihr. Sie handelt mit Juda aus, dass er als Pfand für den zu zahlenden Preis seinen Siegelring, seine Schnur und einen Stab bei ihr lässt. Heute wäre das etwa die Brieftasche, in der sich der Führerschein, der Personalausweis und die Kreditkarte befinden. Sie will also von Juda etwas haben, um ihn später eindeutig identifizieren zu können. Das ist ein sehr entscheidender Teil ihres Plans.

Der Plan geht auf. Tamar wird sofort schwanger, sogar mit Zwillingen, wie sich später herausstellt. Juda wird berichtet, dass Tamar aufgrund von Hurerei schwanger geworden sei. Da ist sein Urteil über sie sofort klar: „Sie muss verbrannt werden!“ Was für ein heuchlerisches Urteil eines selbstgerechten und verblendeten Mannes! Was für eine verfahrene, katastrophale Situation! Überall wo man hinschaut, findet man Sünde, Unmoral, Ungehorsam, Lug und Trug. Wie kann das zu Gottes großartigem Rettungsplan gehören? Wo gibt es hier noch Hoffnung?

Es gibt Hoffnung, aber diese kann nicht von den beteiligten Personen kommen. Sie muss von außen kommen. Juda hat genauso wenig Hoffnung und Rettung verdient wie seine Söhne Er und Onan, die Gott aufgrund ihrer Bosheit mit dem Tod bestraft hat. Warum bestraft Gott Juda nicht genauso mit dem Tod und wendet sich Plan B zu? Weil Gott ein gnädiger Gott ist. Wenn es für Juda Rettung gibt, dann allein aus Gottes Gnade! Das ist Gottes Plan A: Er erfüllt seinen Rettungsplan so, dass er wiederholt zu scheitern droht, sodass wir über seine Gnade und seine Rettung umso mehr staunen.

3. Gottes Gnade ist überwältigend

Die Geschichte geht weiter: Nachdem Juda sein vernichtendes Urteil über Tamar gesprochen hat, hält sie seine Brieftasche für alle sichtbar hoch: „Schwiegervater sieh her. Überzeug dich selbst: Wem gehört dieser Führerschein? Wem gehört dieser Personalausweis? Wem gehört diese Kreditkarte?“ Juda braucht nicht lange, bis ihm alles klar wird. Er revidiert sein Urteil über Tamar: „Sie ist gerechter als ich; denn ich habe sie nicht meinem Sohn Schela gegeben!“ (Vers 26).

„Wahre Buße lässt es nicht zu, dass die Sünde des anderen meine Sünde harmloser und als weniger schlimm dastehen lässt.“
 

Hier geht es nicht um die Frage, wer von den beiden die größere Unmoral begangen hat. Hier geht es um den Bund Gottes mit Abraham und seinen Nachkommen: Während Juda es fahrlässig in Kauf genommen hat, diesen Bund scheitern zu lassen, sorgt Tamar dafür, dass das nicht geschehen wird. Sie wird Nachkommen von Juda bekommen, mit denen der Stammbaum Judas fortgesetzt wird. Juda erkennt das. Er sieht nun nicht mehr die Sünde Tamars. Er ist derart gründlich von seiner Sünde und seinem Widerstand gegen Gottes Plan überführt, dass er nur noch sein eigenes Versagen sieht.

Wahre Buße lässt es nicht zu, dass die Sünde des anderen meine Sünde harmloser und als weniger schlimm dastehen lässt. Wenn wir das nächste Mal von Juda lesen (in Kapitel 43), ist er ein veränderter Mann. Das Wirken der Gnade Gottes in seinem Leben zeigt Früchte. Er kehrt zurück zu seiner Familie. Später ist er mit allen Konsequenzen bereit, als Bürge für seinen jüngsten Bruder Benjamin bereitzustehen.

Ihm gibt sein Vater Jakob am Ende seines Lebens die Verheißung, dass es später im Land Juda eine anhaltende Dynastie von Königen aus seiner Nachkommenschaft geben wird, bis der König der Könige, der Herr der Herren, als der größte seiner Nachkommen geboren werden wird. Jesus Christus! Als dieser dann geboren wurde, kam er nicht als Herrscher, um sich dienen zu lassen, sondern er kam, um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (vgl. Mk 10,45). Das war der Höhepunkt des Rettungsplans Gottes zur Rettung von Sündern durch den Glauben an Jesus Christus.

So können wir über den Stammbaum Jesu in Matthäus 1 in nur staunen: „Abraham zeugte Isaak, Isaak aber zeugte Jakob, Jakob aber zeugte Juda und seine Brüder.“ Juda ist es also! Aus den zwölf Söhnen Jakobs ist Juda der Vorfahre Jesu – nicht Ruben, der Älteste, nicht Joseph, der Beste. Auch Tamar wird als erste Frau in diesem Stammbaum erwähnt: „Juda aber zeugte Perez und Serach von der Tamar.“ Gottes Gnade ist groß über dem Juden Juda und über der Heidin Tamar. Juda erinnert uns daran, dass die Rettung allein vom Herrn kommt. Tamar erinnert uns: Das Evangelium von Christus „ist Gottes Kraft zur Errettung für jeden, der glaubt, zuerst für den Juden, dann auch für den Griechen“ (Röm 1,16).

„Wo aber das Maß der Sünde voll geworden ist, da ist die Gnade überströmend geworden“ (Röm 5,20). Darüber können wir nur staunen und Gott anbeten!


1 John Piper, „Does God Intend Evil for Our Good?“, online unter: https://www.desiringgod.org/messages/does-god-intend-evil-for-our-good (Stand: 20.10.2023).