Leb deine Wahrheit und andere Lügen

Rezension von Tanja Bittner
23. November 2023 — 7 Min Lesedauer

Jeder kennt sie, diese postkartentauglichen, mutmachenden Zusprüche:

„Du bist perfekt, so wie du bist.“
„Glaub an dich!“
„Folg deinem Herzen!“

Man hängt sie sich an den Spiegel oder teilt sie auf Social-Media-Plattformen. So manches Buch aus dem christlichen Lebenshilfe-Spektrum lässt sich mit einem dieser Mottos auf den Punkt bringen. Anhand anschaulicher Beispiele werden sie dort als Strategien für ein gelingendes Leben beschrieben – und sie fühlen sich einfach gut an. Aber sind diese Leitlinien biblisch?

Dieser Frage geht Alisa Childers in ihrem neuen Buch nach. Die Autorin stand früher als Mitglied der christlichen Pop-Band ZOEgirl im Rampenlicht. Als sie in Kontakt mit progressiven Christen kam, geriet sie in eine massive Glaubenskrise. Daraufhin setzte sie sich intensiv mit den Fakten rund um Bibel und Glauben auseinander (siehe dazu ihr erstes Buch Ankern) und engagiert sich seither im Bereich Apologetik. In Leb deine Wahrheit und andere Lügen nimmt sie nun die (auch christliche) Lebenshilfe in den Blick.

Wahrheiten oder Wahrheit?

Childers zeigt gleich zu Beginn auf: Im Grunde geht es um die Vertrauensfrage. Orientiere ich mich an Influencern, Autoren und Lebensberatungs-Gurus, die mich ermutigen „meine“ Wahrheit zu leben und darin Erfüllung, Kraft und Hoffnung zu finden? Oder baue ich mein Leben auf die Wahrheit der Bibel?

Das Problem mit den ansprechenden Botschaften ist ähnlich gelagert wie beim Turmbau zu Babel: Unser Fokus wird darauf ausgerichtet, uns selbst zu verherrlichen – uns zum Zentrum (zumindest unseres persönlichen) Universums zu machen. Der Mensch wurde aber geschaffen, um „Gott zu verherrlichen und ihn für immer zu genießen“ (S. 26; vgl. Frage 1 des Kürzeren Westminster Katechismus). Daraus folgt, dass er nur in der Gemeinschaft mit seinem Schöpfer den ersehnten Frieden finden wird.

„Begriffe wie ‚Toleranz‘, ‚Liebe‘, ‚Hass‘ oder ‚Gerechtigkeit‘ wurden mittlerweile umgedeutet, sodass sie nahezu das Gegenteil ihrer herkömmlichen Bedeutung meinen können.“
 

Apropos Babel: Childers weist darauf hin, dass wir auch an dieser Stelle mit einer Sprachverwirrung zu kämpfen haben. Begriffe wie „Toleranz“, „Liebe“, „Hass“ oder „Gerechtigkeit“ wurden mittlerweile umgedeutet, sodass sie nahezu das Gegenteil ihrer herkömmlichen Bedeutung meinen können. Es ist also nötig, genau hinzusehen und klar zu definieren.

Im Hauptteil nimmt die Autorin in zehn Kapiteln jeweils ein konkretes Motto unter die Lupe. Dieses wird kurz dargestellt und anschließend eine biblische Perspektive auf die jeweilige Thematik erarbeitet. Anhand einiger Zitate aus populären – meist christlichen – Lebenshilfebüchern zeigt sie eindrücklich auf, wie weit deren Botschaft von der Bibel entfernt sein kann. Offensichtlich handelt es sich bei solchem Rat zuweilen um „das genaue Gegenteil des biblischen Evangeliums“ (S. 144; hier bezogen auf ein Buch der auch in Deutschland bekannten Bestsellerautorin Rachel Hollis).

Da wäre zum Beispiel der häufig verwendete Zuspruch „Du bist genug“ (Kap. 4). Ist das nicht eine wunderbar ermutigende Botschaft für Leute, die so gerne alles richtig machen wollen, dabei aber immer wieder scheitern? Die Aussage beruht im Kern jedoch auf der Annahme, dass der Mensch gut ist. Dem widerspricht die Bibel: Wir sind durch die Sünde verdorben, unser Alltagsleben ist von Sündhaftigkeit geprägt. Wir sind nicht genug. Der ermutigend gemeinte Zuspruch entspricht also nicht der Wahrheit. Tatsächlich belastet er Menschen „mit der Verpflichtung, die Quelle ihrer eigenen Freude, Zufriedenheit und ihres Friedens zu sein“ (S. 50). Damit ist der Mensch auf sich selbst geworfen, während er in seinem Innersten weiter mit der hartnäckigen Ahnung ringt, eben doch nicht zu genügen. Wie Childers völlig richtig entgegnet, ist „die Erkenntnis, dass ich nicht genug bin, eigentlich die beste Nachricht überhaupt“ (S. 51; kursiv auch im Original). Dieses Eingeständnis stimmt nicht nur mit der Realität überein, sondern bringt mich auch zu dem, der genug ist: Jesus.

Auch die weiteren Mottos sind wohlbekannt. Manche stehen relativ offensichtlich im Widerspruch zur Bibel, zum Beispiel „Du solltest dich selbst an die erste Stelle setzen“ (Kap. 5) oder „Du lebst nur einmal“ (im Sinne einer Aufforderung, einfach das Hier und Jetzt zu genießen; Kap. 7). Manche Leitlinien wirken dagegen ziemlich biblisch: „Du sollst nicht urteilen“ (Kap. 9) – kann daran etwas falsch sein (vgl. Mt 7,1)? Wie steht es mit „Authentizität ist alles“ (Kap. 6) oder „Nur die Liebe zählt“ (Kap. 11)? Was ist zu halten von „Gott möchte einfach nur, dass du glücklich bist“ (Kap. 8) oder „Frauenpower ist die Power“ (Kap. 12)? Immer wieder gilt es, gut hinzuhören, welche Botschaft damit wirklich transportiert wird.

Abschließend zeigt die Autorin auf, dass es auch in vergangenen Zeiten nicht kulturkonform war, der Wahrheit zu folgen. Viele der ersten Christen hätten mit einer kleinen, formalen Huldigung gegenüber dem Kaiser ihr Leben retten können. Es kostet uns heute in aller Regel deutlich weniger, uns auf die Seite der Wahrheit zu stellen und nicht den schmeichelnden Botschaften zu folgen, die uns der Zeitgeist – auch in christlicher Verkleidung – zuflüstert.

Eine wichtige Botschaft

Childers greift hier eine wichtige und relevante Thematik auf. Das zeigt sich schon daran, dass uns die genannten Maximen vertraut sind, vielleicht sogar selbstverständlich vorkommen. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen und sie an Gottes Wort zu prüfen – und das nicht aus Besserwisserei, sondern weil es um Menschen geht. Denn wenn dem Rat falsche Denkvoraussetzungen zugrunde liegen, wird er schlicht nicht funktionieren, nicht helfen. Wenn die Strategie nicht mit der Wahrheit übereinstimmt, wird sie Hilfesuchende in die Irre führen. Geschieht das im christlichen Kontext, dann kommen enttäuschte Menschen früher oder später zu dem Schluss, dass dieses Christentum nicht hält, was es verspricht. Und damit haben sie natürlich Recht: Dieses Christentum hält nicht, was es verspricht.

„Wenn die Strategie nicht mit der Wahrheit übereinstimmt, wird sie Hilfesuchende in die Irre führen.“
 

Leb deine Wahrheit und andere Lügen ist kein wissenschaftlich-theologisches Werk, das die ausgewählten Mottos umfassend untersucht. Man wird aber wohlüberlegte Reflexionen dieser Maximen und ihrer Untertöne finden. Im Grunde richtet sich das Buch an die gleichen Normal-Christen, die vielleicht auch schon zu einem jener flott geschriebenen Ratgeber-Bücher gegriffen haben. Auch Childers illustriert das Dargelegte ausführlich mit vielen Beispielen aus ihrem Leben sowie aus Filmen und Büchern (für mich persönlich sogar ein wenig zu ausführlich). Dabei herausgekommen ist ein klärendes, zugleich aber humorvolles und unterhaltsam geschriebenes Werk.

Ein Schönheitsfehler

Etwas störend ist allerdings die fortwährende Nennung beider Geschlechter, die tatsächlich den Lesefluss bremst (z.B. „Ich überlasse am Ende dir, liebe Leserin, und dir lieber Leser, die Entscheidung“; S. 15 [sic]). Es ist wenig zielführend, wenn man die eigentliche Aussage erst aus Satzzeichen und Doppelungen herausschälen muss: „… dich nicht selbst an die erste Stelle zu setzen. Du bist nicht einmal Zweite(r). Du bist Dritte(r). Vielleicht Vierte(r). … Nun, da du die Tiefen deiner Seele erkundet hast, nur um dort eine Sünderin/einen Sünder zu finden …“ (S. 83). Insbesondere in einem Buch, das vor der Gefahr einer zeitgeistigen Umprägung des Christentums warnt, wirkt diese Verbeugung vor dem Zeitgeist befremdlich.

Leseempfehlung

Alisa Childers hat ein wertvolles und ansonsten gut lesbares Buch vorgelegt. Sie sensibilisiert für eine Reihe von aktuellen, ich-zentrierten Verirrungen, die sich auch im christlichen Kontext ausbreiten, und weist dem Leser den Weg zurück zum alten, biblischen Evangelium.

„Das Kreuz ist die Antwort auf jede Lüge, die mir sagt, dass ich alles, was ich brauche, in mir selbst finden kann.“ (S. 227)

Buch

Alisa Childers, Leb deine Wahrheit und andere Lügen: Typische Täuschungen, die unser Leben in die Enge treiben, Basel: Fontis, 2023, 240 Seiten, 19,90 Euro.