Natural Theology

Rezension von Ron Kubsch
16. November 2023 — 6 Min Lesedauer

Geerhardus Vos wird seit vielen Jahrzehnten im Bereich der Biblischen Theologie als richtungsweisender Theologe geschätzt. Seine Arbeiten zur alttestamentlichen Eschatologie und die vor nicht langer Zeit publizierte fünfbändige Dogmatik haben sogar das Interesse von Lesern jenseits der reformierten Szene geweckt.

Die von Richard B. Gaffin Jr. herausgegebenen Bände der Reformed Dogmatics (2012–2016)[1] gehen auf Vorlesungen zurück, die ursprünglich in niederländischer Sprache gehalten wurden. Die von Hörern transkribierten Vorträge wurden handschriftlich und später auch maschinengeschrieben verbreitet. Diese und andere theologische Texte aus dem späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert befinden sich in den Archiven der Heritage Hall am Calvin Theological Seminary bzw. an der Calvin Universität in Grand Rapids, Michigan (USA). Im Jahr 2017 untersuchte James Baird, der damals an der Freien Universität in Amsterdam (Niederlande) ein Graduiertenstudium über die Bundesethik und Anthropologie von Vos absolvierte, die Archivbestände in der Heritage Hall. Dabei entdeckte er die Manuskripte zur Natürlichen Theologie. Eine genaue Untersuchung des Materials brachte ans Licht, dass eine fragmentarische Version sowie zwei vollständige Mitschriften existierten. Es handelt sich dabei entweder um studentische Notizen zu diktierten Vorlesungen, die von jemand anderem als Vos gehalten wurden, oder um Abschriften früherer Manuskripte, die nach Vos’ Weggang zum Princeton Seminary, New Jersey (USA) vervielfältigt wurden. Vos war von 1892 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1932 Professor für Biblische Theologie am Princeton Theological Seminary. Sein Hauptinteresse während dieser Zeit galt dem Studium der Heilsgeschichte. Während seiner Lehrtätigkeit in Grand Rapids unterrichtete Vos vor allem Dogmatik und Natürliche Theologie.

„Die Aufgabe der Natürlichen Theologie besteht darin, der Selbstoffenbarung Gottes in der geschaffenen Ordnung nachzuspüren.“
 

Die Aufgabe der Natürlichen Theologie besteht darin, der Selbstoffenbarung Gottes in der geschaffenen Ordnung nachzuspüren. Sie geht davon aus, dass bestimmtes Wissen über Gott durch die Beobachtung der natürlichen Welt gewonnen werden kann. Vertreter einer Offenbarungstheologie sind gegenüber den Leistungen der Natürlichen Theologie oft skeptisch. Geerhardus Vos gehört allerdings zu jenen reformierten Theologen, die es einerseits für wichtig halten, zwischen Natürlicher und Offenbarter Theologie zu unterscheiden, für die aber andererseits die erste mit der zweiten vereinbar ist.

In einer ausführlichen und hilfreichen Einleitung stellt John V. Fesko vom Reformed Theological Seminary (RTS) in Atlanta (USA) den Beitrag von Vos zur Natürlichen Theologie in den Kontext des reformierten Denkens. Johannes Calvin und viele seiner Mitarbeiter stützten sich auf die Lehren früherer Theologen und betonten, dass Gott seine Existenz allen Menschen in der Natur offenbart (vgl. Röm 1,19–20). Die Offenbarung durch die Natur kann Sündern allerdings keine rettende Erkenntnis vermitteln. Im hugenottischen Glaubensbekenntnis (Confessio Gallicana), das stark von Calvin beeinflusst ist, heißt es daher:

„Dieser Gott offenbart sich als solcher den Menschen, zuerst durch seine Werke (Röm 1,19), sowohl durch deren Schöpfung als durch deren Erhaltung und Lenkung, zweitens und klarer durch sein Wort (Hebr 1,1f.), welches er anfangs durch Aussprüche offenbarte (1Mose 15,1) und das bald danach schriftlich verfasst worden ist in den Büchern (2Mose 24,4.7), die wir die Heilige Schrift nennen (Röm 1,2).“[2]

So sahen es auch Francis Turretin (1623–1687) oder im 19. Jahrhundert Charles Hodge (1797–1878) bzw. im 20. Jahrhundert B. B. Warfield (1851–1921). Cornelius Van Til (1895–1987) entwickelte hingegen eine kritische Haltung gegenüber der Natürlichen Theologie. Aus seiner Sicht waren sogar Abraham Kuyper (1837–1920) und Herman Bavinck (1854–1921) zu sehr von der scholastischen Theologie vereinnahmt.

Im deutschen Sprachraum ist zur Frage der Streit zwischen Karl Barth (1886–1968) und Emil Brunner (1889–1966) legendär geworden. Barth führte einen hitzigen Feldzug gegen die theologia naturalis, da für ihn die Christologie die einzige Quelle für die Theologie war. Brunner empfahl hingegen die Wiederentdeckung einer christlichen theologia naturalis für die protestantische Theologie, da sie einen Anknüpfungspunkt für die Gotteserkenntnis biete.

Geerhardus Vos’ Vorlesungen wurden in Form von Fragen und Antworten gehalten. Dies wird im abgedruckten Text wie schon bei seiner Dogmatik beibehalten. Stellenweise erschwert dies die Lektüre, andererseits schafft Vos es, auf engstem Raum seine Argumente zu entfalten. Seine Darstellung und Kritik des Pantheismus, der sowohl Grundlage rationalistischer, mystischer oder naturalistischer Argumentationsstrategien ist, findet sich auf nur sieben Seiten. Über den deutschen Pantheismus hat er gesagt (S. 23–24):

„Der Pantheismus von Fichte, Schelling und Hegel hat seinen Ursprung in einer Reaktion auf die negativen, skeptischen Ergebnisse der Kantischen Kritik und in der Beschäftigung mit Spinoza. Kant hatte gelehrt, dass der Mensch nur Phänomene erkennen kann; da der Mensch und die Dinge verschieden sind, müssen die Dinge immer in das menschliche Bewusstsein eintreten, d. h. zu Phänomenen werden, bevor sie erkannt werden können. Als man aber behauptete, dass der Mensch und die Dinge nicht wirklich verschieden, sondern eins sind, schien das Problem ein für alle Mal gelöst. Denn man glaubte nun, dass die Menschen in den Dingen nur ihr eigenes Wesen erkennen, und die Gesetze, die sie in diesem Wissen befolgen und anwenden, sind nun nicht nur subjektive Gesetze ihres Geistes, sondern auch objektive Gesetze der Welt.“

Die Konfrontation mit Immanuel Kant (1724–1804) nimmt viel Raum ein und legt Zeugnis davon ab, dass sich die philosophischen und theologischen Fakultäten noch am Ende des 19. Jahrhunderts an dem Königsberger Denker abarbeiten. Mit seiner kritischen Philosophie hatte er einen zu nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Vos erörtert wenig überraschend insbesondere Stärken und Schwächen der Argumente für die Existenz Gottes. Dabei wird erkennbar, dass er trotz seiner Grundsatzkritik am Idealismus die Schlagkraft der Kantschen Einwände gegen die Gottesbeweise anerkannte. Zum Kosmologischen Gottesbeweis, der Gott als letzte Ursache sieht, sagt er:

„Die Stärke liegt darin, dass er uns auf die notwendige Existenz einer Ursache für alles, was entsteht, hinweist. Die Schwäche liegt darin, dass er uns nichts über diese Ursache lehrt, außer dass sie eine Ursache ist. Wir erfahren nicht, ob diese Ursache Geist ist, ob sie eins ist, ob sie teleologisch wirkt usw. Sie kann uns auch nicht sagen, ob diese Ursache getrennt von der Welt existieren kann oder untrennbar mit ihr verbunden ist. Der Pantheismus kann dieses Argument also genauso gut verwenden wie wir; es ist nicht spezifisch theistisch.“ (S. 55)

Insgesamt sind die Leistungen der Natürlichen Theologie für Vos überschaubar, da die Sünde auch die noetischen Fähigkeiten der Menschen beeinträchtigt. Auf die Frage, ob wir überhaupt noch von allgemeiner Religion unter dem Einfluss der Sünde sprechen können, resümiert er: „Die Religion der Unerweckten ist daher eine Religion, die in den Augen Gottes nicht gültig sein kann. Was ihr fehlt, ist der eigentliche Kern“ (S. 86).

Gemeinsam mit der ausführlichen und kenntnisreichen Einleitung von J. V. Fesko haben die Herausgeber einen wertvollen Band publiziert. Gerade für Leute, die im Blick auf Taxierung der Natürlichen Theologie schwanken, kann Natural Theology hilfreich sein.

Buch

Geerhardus Vos, Natural Theology, Grand Rapids, Michigan: Reformation Heritage Books, 2022, 106 S., ca. 25 Euro.


12020 als einbändige Ausgabe veröffentlicht: Geerhardus Vos, Reformed Dogmatics: A System of Christian Theology, hrsg. von Richard B. Gaffin Jr., Faithlife Corporation, 2020, 1274 S.

2Zitiert aus: Confessio Gallicana (Hugenottisches Bekenntnis) von 1559, in: Georg Plasger u. Matthias Freudenberg (Hrsg.), Reformierte Bekenntnisschriften, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, S. 107–123, hier S. 109–110.