Gott und die Debatte zu Transgender

Rezension von Tanja Bittner
19. September 2023 — 8 Min Lesedauer

LGBTQ+ ist mittlerweile allgegenwärtig. Wer etwas über die ideologischen Hintergründe erfahren möchte, wird inzwischen auf dem deutschsprachigen christlichen Buchmarkt fündig. Auch zum Umgang mit Homosexualität gibt es bereits hilfreiche christliche Bücher. Etwas magerer sah es dagegen bisher beim Stichwort „Umgang mit Transgender“ aus – ein Thema, das tatsächlich etwas anders gelagert ist. Doch auch diese Strömung fordert Christen heraus, Antworten zu geben.

„Jesus macht geplagte Seelen nicht nieder, sondern lädt sie ein, bei ihm Ruhe zu finden.“
 

Mit Gott und die Debatte zu Transgender: Was sagt die Bibel eigentlich über die Genderidentität? liegt nun ein Buch vor, das sich ausschließlich dem Thema von LGBTQ+ widmet. Es ist allgemeinverständlich gehalten und möchte Ratsuchenden Orientierung geben. Damit sind generell Interessierte gemeint – sei es, dass sie sich einfach ein Bild machen wollen, sei es, dass sie Rat für konkrete Situationen benötigen, in denen Transgender eine Rolle spielt. Das Buch richtet sich auch an Betroffene, ist aber nicht speziell aus seelsorgerlicher Perspektive für sie geschrieben.

Jesus löscht flackernde Kerzen nicht aus

Schon im ersten Kapitel wird deutlich, dass es nicht um eine Verurteilung von Menschen geht, die mit ihrer geschlechtlichen Identität ringen. Wer von Geschlechtsdysphorie betroffen ist, steht in einem Kampf, und zwar in einem realen und schmerzhaften Kampf. Jesus macht geplagte Seelen nicht nieder, sondern lädt sie ein, bei ihm Ruhe zu finden.

Einige Grundlagen

In drei weiteren einleitenden Kapiteln werden zunächst Grundlagen gelegt: ein kurzer Überblick über philosophische Entwicklungen, die Wegbereiter unseres heutigen Denkens waren; die Erläuterung von fünf unumgänglichen Begriffen (wie „Gender-Dysphorie“); und die Frage nach der Autorität, auf die wir unsere Entscheidungen gründen. Welcher Autorität wir vertrauen, bestimmt maßgeblich, zu welcher Meinung wir gelangen werden, mag es nun um Eis essen oder Transgender gehen. Heute haben vormals richtungsweisende Autoritäten (Tradition, Wissenschaft, Kirchen usw.) an Glaubwürdigkeit verloren. Der Mensch scheint nur noch auf sich selbst – seine Vernunft und sein Gefühl – vertrauen zu können. Doch Irren ist menschlich. Es gibt daher keine vertrauenswürdigere Entscheidungsgrundlage als Gottes Wort.

Was die Bibel dazu sagt

Im Anschluss untersucht Walker, wie Transgender aus biblischer Perspektive einzuordnen ist. Dabei folgt er in drei Kapiteln den Eckpunkten der Heilsgeschichte.

Erstens ist da der Schöpfungsbericht: Gott schuf die Menschen als körperliche Wesen, folglich ist der Körper kein materielles Gefängnis, in dem unser eigentliches Ich, die Seele, feststeckt. Gott schuf die Menschen als Mann und Frau. Dieses Mann- und Frausein ist kein subjektiver innerer Zustand, sondern mit dem anatomischen Aspekt verknüpft, dass die beiden „ein Fleisch“ (1Mose 2,24) werden können. Gott befand sein Werk für „sehr gut“ – wer sind wir, ihm Fehler zu unterstellen? Zweitens gab es aber den Sündenfall: Adam und Eva lehnten die Autorität Gottes ab und zogen es vor, ihrem eigenen Urteil zu vertrauen. Seitdem befindet sich die Welt in einem Zustand der Rebellion gegen ihren Schöpfer, und das auf vielerlei Weise. Eine Facette besteht darin, dass Menschen sich gegen ihr So-geschaffen-Sein auflehnen (womit nicht das Gefühl als solches gemeint ist, sondern das Verhalten, das diesem Gefühl gehorcht). Wir sind von Sünde gezeichnete Menschen in einer von Sünde gezeichneten Welt. Wir sehnen uns danach, heil zu sein, aber wir können den Impulsen unseres sündhaften Herzens nicht mehr trauen. Daher müssen wir der Wahrheit des Schöpfers mehr vertrauen als uns selbst – sie lässt sich ohnehin nicht ausradieren (es ist eine störrische Tatsache, dass jede Zelle einer Trans-Frau „sie“ weiterhin als männlich ausweist). Solcher Gehorsam ist oftmals ein Kampf, aber er ist nicht optional. Letztlich geht es um die Frage, ob wir Jesus wirklich vertrauen, dass wahres Leben nur in ihm und nur zu seinen Bedingungen zu finden ist (vgl. S. 123). Denn es gibt – drittens – eine Erlösung. Wer in Christus eine neue Schöpfung ist, ist Bürger zweier Welten. Wir leben noch auf dieser Erde, und dieses Leben wird niemals frei von Leid, Krankheiten, Spannungen, Nöten und Kämpfen sein. Doch sie haben nicht das letzte Wort. Wir sind unterwegs in eine vollkommene Zukunft, die bereits jetzt in uns angebrochen ist und in Gottes neuer Welt vollendet sein wird.

Der praktische Teil

Es folgen fünf Kapitel, in denen es um die praktische Anwendung geht. Walker hebt zunächst die Liebe hervor: Jeder Mensch hat als Ebenbild Gottes eine unverlierbare Würde. Ihm gebührt unser Respekt und unsere Nächstenliebe. Das ist unvereinbar mit Überheblichkeit und Spott. Wir müssen den Menschen empathisch zuhören. Doch Liebe ist entgegen ihrer modernen Definition nicht gleichbedeutend mit grenzenloser Zustimmung, sondern beinhaltet es, die Wahrheit zu sagen – die Wahrheit in Liebe. Weiter geht es mit den praxisrelevanten Einzelfragen: Was bedeutet Jesus-Nachfolge für den, der von Gender-Dysphorie betroffen ist? Was, wenn jemand bereits eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen hat, bevor Jesus ihn fand? Und: Wie gehen wir als christliche Gemeinden mit solchen Menschen um? Was signalisieren wir ihnen? Wie können wir Kindern helfen, wenn sie in der Schule damit konfrontiert werden, dass eine Mitschülerin nun ein Junge „ist“? Wie damit umgehen, wenn einem das eigene Kind von Zweifeln in Bezug auf sein Geschlecht berichtet? Wenn einem der Sohn eröffnet, er sei in Wirklichkeit ein Mädchen? Was, wenn eine Kollegin am Arbeitsplatz einfordert, mit „er“ angesprochen zu werden – oder gar eine Vorgesetzte? (Der Frage nach den Pronomen ist sogar ein zusätzlicher Anhang am Ende des Buches gewidmet.) Walker beantwortet diese und viele weitere Fragen auf der Grundlage der zuvor erarbeiteten biblischen Einordnung. Dabei bemüht er sich, zu differenzieren (z.B. wie alt ist das Kind?). Während er manche Verhaltensweisen rundheraus ablehnt (z.B. den Kontakt zum eigenen Kind abzubrechen, weil es sich als transgender identifiziert; vgl. S. 148), betont er wiederholt bei anderen Aspekten, dass es keine einfachen Antworten gibt und seine Folgerungen nicht als das letzte Wort gemeint sind.

Keine Tür in eine bessere Welt

Am Ende des Buches werden kurz noch einige ernste Schwierigkeiten der Transgender-Ideologie aufgezeigt. So untergräbt diese beispielsweise sowohl die Fairness gegenüber Frauen (insbesondere im Sport) als auch deren Sicherheit im öffentlichen Raum (Toiletten; und ich füge hinzu: Schwimmbäder). Ähnlich steht es um die elterlichen Rechte. Zudem kann auch eine Geschlechtsumwandlung die Verheißung nicht einlösen, aufgrund derer jemand zu ihr Zuflucht nimmt. Wahren Frieden finden wir nur in Jesus, der selbst Schmerzen und Zerbrochenheit durchlitt, um uns wirklich zu erlösen.

Wahrheit und Liebe

Walker präsentiert einen Zugang, dem es weder an Klarheit noch an Einfühlungsvermögen mangelt. Das liegt daran, dass seine Darlegungen schlicht der Botschaft des biblischen Evangeliums folgen. Wir sind begnadigte Sünder, die andere Sünder zu jener Gnade einladen, die wir selbst erfahren haben. Aus diesem Ansatz folgt, dass wir weder die Sünde kleinreden dürfen (das wäre lieblos) noch uns über andere erheben (was ebenfalls lieblos wäre). Bei aller Klarheit verweist Walker immer wieder auf die innere Not der Betroffenen. Jeder Mensch verdient es, dass wir uns auf ihn einlassen; wir müssen versuchen zu verstehen, was er erlebt (und das ist nicht gleichbedeutend damit, seinen Lösungsversuchen zuzustimmen). Das Thema Transgender wird in den nächsten Jahren aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sein. Daher sei das Buch natürlich allen empfohlen, die auf die eine oder andere Weise bereits damit konfrontiert worden sind. Ich möchte es aber auch all jenen empfehlen, für die die Thematik bisher noch nicht mit einem Gesicht aus ihrem Umfeld verknüpft ist. Das wird kommen, es ist nur eine Frage der Zeit. Idealerweise haben wir uns schon vorher Gedanken gemacht.

„Wahren Frieden finden wir nur in Jesus, der selbst Schmerzen und Zerbrochenheit durchlitt, um uns wirklich zu erlösen.“
 

Natürlich: Wer das Buch kritisch lesen will, wird Haare in der Suppe finden. Man könnte bemängeln, dass im Lektorat der eine oder andere Fehler durchgerutscht ist. Man könnte einwenden, die Frau werde im Wesentlichen doch wieder auf die Mutterrolle reduziert (auch wenn festgestellt wird, der Wert einer Frau sei nicht davon abhängig, ob sie wirklich Kinder hat). Aber in einem Buch, das sich mit der Veränderbarkeit des Geschlechts befasst, täte es wenig zur Sache, würde man hervorheben, dass Frauen gute Mentoren oder Winzer sein können – es ist nun mal die Mutterrolle, die den augenfälligsten Unterschied zwischen den Geschlechtern markiert. Ein Kritiker könnte außerdem unterstellen, dass die Christen mal wieder Zuflucht zur Jenseitsvertröstung nehmen, wenn sich die Schwierigkeiten nicht in dieser Welt lösen lassen. Aber letztlich greift hier genau die Autoritätsfrage, die Walker in Kapitel 4 behandelt: Was ist die wahre Wahrheit? Gibt es die „über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ (2Kor 4,17), die uns erwartet, und die bereits jetzt in unser Leben hineinleuchtet? Wem glaube ich? Billige Jenseitsvertröstung wäre es nur, wenn die ewige Herrlichkeit ihren Preis nicht wert oder nur ein Trugbild wäre.

Was, wenn das Wort des Schöpfers gegen meine Wahrnehmung der Dinge steht?

„Erstens: Gott ist der Schöpfer. Zweitens: Wir sind Geschöpfe. Diese beiden kurzen Sätze sind vielleicht die wichtigsten in diesem Buch.“ (S. 56)

Buch

Andrew T. Walker, Gott und die Debatte zu Transgender: Was sagt die Bibel eigentlich über die Genderidentität? Greven: Solid Rock Verlag, 2022, 200 Seiten, ca. 16,50 Euro.