Evangelikale Katholizität

Artikel von Josh Manley
13. September 2023 — 5 Min Lesedauer

Im hohepriesterlichen Gebet betet Jesus, dass seine Jünger „eins seien“. Aber jeder, der nur ein paar Minuten in den christlichen sozialen Medien unterwegs ist, merkt, dass dies nicht der beste Ort ist, um die von Jesus erbetene Einheit zu finden.

Groll und Spaltung sind hier ganz offensichtlich an der Tagesordnung. Weniger offensichtlich ist, wie viel Zwiespalt unsere örtlichen Gottesdienste charakterisiert. Anders als in den sozialen Medien ist es nicht der Zwiespalt in Form von Streit und Verleumdung, sondern er äußert sich in Achtlosigkeit und Vernachlässigung. Ständig thematisieren wir die Programme unserer eigenen Gemeinde, aber wie oft beten und reden wir über Gottes Arbeit in anderen Gemeinden?

Die Gemeinden des Neuen Testaments zeigen uns ein anderes Bild, indem sie sich regelmäßig grüßten (vgl. Röm 16,16; 1Kor 16,19), Prediger und Missionare tauschten (vgl. 2Kor 8,18; 3Joh 5–6), sich gegenseitig finanziell unterstützten (vgl. Röm 15,25­–26; 2Kor 8,1–2; 9,12) und füreinander beteten (vgl. Eph 6,18).

„Was wir brauchen, ist eine bessere evangelikale Katholizität, also ein Verständnis unserer Partnerschaft mit anderen Gemeinden überall auf der Welt.“
 

Was wir brauchen, ist eine bessere evangelikale Katholizität (wobei der Begriff „Katholizität“ kein Verweis auf die römisch-katholische Kirche ist, sondern die Gemeinde Christi im Allgemeinen meint; Anm.d.Übers.), also ein Verständnis unserer Partnerschaft mit anderen Gemeinden überall auf der Welt. Wenn wir hier besser werden, könnten bald auch die christlichen sozialen Medien ein anderes Bild bieten.

Wie können wir eine solche evangelikale Katholizität festigen? Hier sind einige Gedankenstützen:

Bekenntnis und Überzeugung

Wenn die evangelikale Katholizität auch wirklich evangelikal sein soll, müssen wir in der Lage sein, die Frage „Was ist das Evangelium?“ zuverlässig zu beantworten. Die Ewigkeit hängt von dieser Antwort ab. Das Evangelium ist von allerhöchster Bedeutung (vgl. 1Kor 15,1–4).

Der englische Bischof J.C. Ryle (19. Jahrhundert) sagte sogar: „Die Wahrheit des Evangeliums in der Kirche zu wahren, ist sogar noch wichtiger, als den Frieden zu wahren … Einheit ohne Evangelium ist eine wertlose Einheit, sie ist die Einheit der Hölle.“

Darüber hinaus dürfen wir nicht um der Einheit willen doktrinale Merkmale opfern. Unser dreieiniger Gott hat uns nicht den ganzen Kanon der Schrift gegeben, hoffend, dass wir uns einige wenige Teile für unsere eigene Erlösung herauspicken, um dann den Rest wegzuwerfen. Die Schrift offenbart Wahrheiten, die, wenn auch nicht gleich heilsnotwendig, dennoch grundlegend für die Gesundheit und Reife eines Gläubigen sind. Das gilt sowohl für den Einzelnen als auch für die ganze Gemeinde.

Ekklesiologie, Lehren über Themen wie Taufe oder Abendmahl, Eschatologie und das Wirken des Heiligen Geistes gehören zu den sekundären Lehren, die für den biblischen Glauben entscheidend sind. Auch wenn hier unterschiedliche Überzeugungen über einige dieser Themen Gläubige davon abhalten, Mitglied in der ein oder anderen Gemeinde zu werden, so verhindern diese Unterschiede nicht unsere grundlegende Einheit im Evangelium.

Kooperation und Caritas

„Gute Zäune machen gute Nachbarn.“ Was Robert Frost für Nachbarn empfiehlt, bewahrheitet sich auch für Evangelikale. Die Unterschiede in unserem Verständnis von wichtigen, aber nicht-heilsnotwendigen Themen führen dazu, dass wir in unterschiedlichen Häusern leben, die durch Zäune getrennt sind. Und dennoch: Das Evangelium befreit uns dazu, um es mal mit den Worten eines Pastors zu sagen, „die Zäune zwar instand zu halten – aber so niedrig wie möglich –, und uns oft über den Zaun die Hände zu schütteln.“

Wie aber können wir bewusst Kooperation und karitative Unterstützung fördern?

1. Bete für andere Gemeinden und Missionswerke

Sind die Mitglieder deiner Gemeinde oder des Missionswerkes, zu dem du gehörst, der Überzeugung, dass diese im Wettbewerb mit anderen Gemeinden oder Missionswerken stehen? Oder begrüßen sie die Tatsache, dass die bibelgläubigen Heiligen mit anderen Überzeugungen oder Missionsphilosophien eigentlich zum selben Team gehören?

Wir können diese Einsicht durch öffentliches Gebet für andere Gemeinden und Missionswerke fördern. Durch das öffentliche Demonstrieren der Befürwortung anderer Christen ersticken wir ein Wettbewerbsdenken im Keim.

2. Empfiehl andere Gemeinden und Missionswerke weiter

Wann ist es eigentlich zum letzten Mal vorgekommen, dass du einer Person gesagt hast, sie könnte in einer anderen Gemeinde besser aufgehoben sein und hätte in Christus die Freiheit, die Gemeinde zu wechseln? Wann war das letzte Mal, dass jemand deine Gemeinde verlassen hat, um sich einer anderen evangeliumszentrierten Gemeinde anzuschließen, und du hast dich gefreut, dass Gott dieser Person unter anderer Leiterschaft etwas Gutes tut?

„Kooperation kann schon damit beginnen, dass wir Freundschaften mit anderen Mitstreitern des Evangeliums schließen, die in zweit- und drittrangigen Themen anderer Überzeugung sind.“
 

Lieber Pastor, die Schafe Christi sind nicht deine Schafe. Sie gehören Christus. Wir haben sie nicht mit unserem Blut erkauft. Christus hat sie mit seinem Blut losgekauft. Wenn aus irgendeinem Grund die Schafe Christi in einem anderen bibel-liebenden Kontext besser aufgehoben sind, sollten wir es als eine Ehre erachten, dass wir dem Hirten dadurch dienen, seine Schafe woanders unterzubringen.

3. Kooperiere mit anderen Gemeinden und Missionswerken

Vor etlichen Jahren kooperierten lokale Gemeinden mit unterschiedlichen Überzeugungen in meiner Stadt, um evangelistische Tischgespräche innerhalb der Stadtteile zu organisieren. Vielleicht mag dies in deinem Kontext nicht möglich sein, es gibt jedoch viele Möglichkeiten, wie evangelikale Gemeinden und Missionswerke zusammenarbeiten können, um das Evangelium voranzutreiben und die Gemeinde Christi zu stärken.

Kooperation kann schon damit beginnen, dass wir Freundschaften mit anderen Mitstreitern des Evangeliums schließen, die in zweit- und drittrangigen Themen anderer Überzeugung sind.

Fazit

„Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels wie im Rätsel“ (1Kor 13,12). Wir sollten es vermeiden, der Welt irgendeinen Anlass zu gehen, uns Gläubige als Leute zu beschreiben, die einander ein Rätsel sind. Worte aus dem 17. Jahrhundert sind hier eine erneute Erfrischung: „Im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem Liebe“ (Rupertus Meldenius).