Tagebuch schreiben zur Ehre Gottes
Ein Tagebuch zu schreiben – das mutet manchen von uns sicherlich leicht antiquiert an und passt nach unserem Empfinden vielleicht eher zur viktorianischen als zur heutigen Zeit. Als mein damaliger Freund die Idee hatte, dass wir doch ein gemeinsames Tagebuch führen könnten, kam mir das zu jener Zeit jedenfalls ziemlich altmodisch vor.
Die Kirchengeschichte zeigt jedoch: Ein geistliches Tagebuch zu führen, ist nicht an bestimmte Zeiten oder Orte gebunden. Seit Tausenden von Jahren profitieren Christen verschiedenster Epochen davon, dass sie Tagebuch schreiben – und das auch noch in der heutigen Zeit, obwohl man meinen könnte, diese Praxis müsste längst der modernen Technik zum Opfer gefallen sein. Tagebücher sind so unterschiedlich wie ihre Verfasser – jeder hat seine eigenen persönlichen Beweggründe und Absichten, warum er Tagebuch schreibt –, doch es gibt durchaus auch Gemeinsamkeiten.
Ein Blick auf Beispiele aus den letzten 2.000 Jahren kann uns helfen zu sehen, welche Vorteile das Tagebuchschreiben auch im 21. Jahrhundert noch hat.
Bekannte Verfasser von Tagebüchern
1. Augustinus
Die von Augustinus um das Jahr 400 in Nordafrika verfassten Bekenntnisse werden zwar oft als Autobiographie bezeichnet, doch ebenso kann man sie als ein rückblickendes Tagebuch betrachten, in dem er die Stationen seines Lebens festhielt. Augustinus schildert seine Kindheit, Jugend und Bekehrung erstaunlich ausführlich und gewährt uns damit nicht nur einen Einblick in die spätrömische Lebenswelt, sondern lässt uns durch diese Rückschau auch ganz bewusst die Vorsehung Gottes in seinem persönlichen Leben erkennen. Dass er diese Vorsehung in seinem Leben erkennen konnte, war für ihn ein Anlass zum Lob Gottes: „Dennoch aber lass mich reden von deiner Barmherzigkeit, mich Staub und Asche, lass mich reden. Rede ich doch zu deiner Barmherzigkeit“ (6).
Die Motivation für Augustinus war also, Gott mit seinem Lebensrückblick die Ehre zu geben. Seine autobiographischen Erinnerungen aufzuzeichnen, diente ihm dazu, seine eigene Dankbarkeit für Gottes zärtliche Fürsorge und rettende Gnade anzufachen.
2. Katherine Hamilton
Die späten 1600er Jahre in Schottland waren eine Zeit nationalen Aufruhrs. Doch die bedeutenden Ereignisse in Bezug auf ihr persönliches Leben waren für Katherine Hamilton, Herzogin von Atholl, vorwiegend geistlicher Natur. In ihrem Tagebuch, in dem sie die äußeren Ereignisse ihres Lebens in nur groben Zügen skizziert und oft Wochen oder Monate zwischen den einzelnen Einträgen verstreichen lässt, finden wir eine topographische Karte ihrer Seele vor, welche die Höhen und Tiefen ihrer Reise mit Gott festhält – von ihrer Bekehrung bis zum Ende ihres Lebens. Sie zeichnete alles auf – von Predigtnotizen über Gedanken der Selbstprüfung bis hin zu Gebeten. Auf diese Weise wurde das Tagebuch für Hamilton zu einem Werkzeug, das ihr zu präziser Selbsterkenntnis verhalf, sie ermutigte und ihr Vertrauen in den Herrn förderte, wenn sie in der Rückschau die Treue erkannte, die Gott ihr in der Vergangenheit erwiesen hatte: „Damit ich Gottes Güte mir gegenüber nicht vergesse ... halte ich es für das Beste, sie schriftlich festzuhalten“ (Mai [?] 1690).
Das Tagebuch war jedoch nicht für sie allein bestimmt. Sie schrieb es bewusst so, dass nach ihrem Tod auch ihr Mann an Gottes Freundlichkeit erinnert würde.
3. Maggie Paton
Nachdem Maggie Paton kurz nach der Hochzeit mit ihrem Mann John auf eine kleine Pazifikinsel gezogen ist, fühlt sie sich kulturell isoliert und einsam. Ihre viktorianischen Briefe an die Familie sind warm und ehrlich, doch in ihrem Tagebuch hält sie die Gefühle fest, die sie nicht einmal ihrer Mutter und ihren Schwestern anvertraut.
Manche Gefühle sind zu heftig, als dass andere sie aushalten könnten, oder zu drängend, als dass man darauf warten könnte, bis man sie mit anderen Menschen teilen kann. Paton zeichnet in ihrem Tagebuch nicht nur konkrete Beobachtungen über den Dienst, die Kultur und die Familie auf, sondern schüttet darin auch ihr Herz aus – Freude, Trauer und Klage, alles vertraut sie in ihrem Tagebuch dem Herrn an. In einer Zeit großer Einsamkeit stärkte das Tagebuchschreiben ihre Gemeinschaft mit Gott. Sie schrieb, dass sie Christus nahekommen müsse, um „glücklich oder nützlich“ zu sein (13. Oktober 1870). Das Tagebuchschreiben half ihr dabei.
4. Jim Elliot
In seinem ersten Studienjahr in Wheaton, drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, begann Jim Elliot, ein Tagebuch zu führen. Das Tagebuchschreiben war für ihn zunächst eine Möglichkeit, um Beständigkeit in seine persönlichen Andachtszeiten zu bringen: „… geschrieben aus frischen, täglichen Gedanken, die mir Gott bei der Meditation über sein Wort gegeben hat“ (17. Januar 1948).
Mit der Zeit fanden auch seine Gebetskämpfe und seine Selbstprüfung ebenso wie Einzelheiten über die Missionsarbeit Eingang in dieses Buch. Auch Elliots Ringen um Gottes Willen, vor allem in Bezug auf die Ehe, drückt sich stark in seinem Tagebuch aus. Seine Aufzeichnungen enden im Dezember 1955, wenige Tage vor seinem Märtyrertod. Das Tagebuch war eines der Mittel, die Elliot dabei halfen, zu diesem Höhepunkt seines Dienstes zu gelangen, denn das bewusste, disziplinierte Denken und die weiteren Gewohnheiten, die er mit dem Tagebuchschreiben einübte, formten aus ihm einen Menschen, der entschlossen war, Gottes Willen zu erkennen und zu tun – koste es, was es wolle.
Ziel und Zweck des Schreibens
Diese vier Beispiele zeigen nur einige hilfreiche Aspekte des Tagebuchschreibens. Es gibt noch viele weitere Gründe, um damit zu beginnen. Vielleicht möchte jemand, wie Jonathan Edwards, seine Vorsätze schriftlich festhalten, um später Rechenschaft darüber abzulegen. Ein Tagebuch kann auch der Ort sein, an dem man wie Ann Judson vor 200 Jahren in Birma seine alltäglichen Hoffnungen, Ängste und Sehnsüchte niederschreibt. Möglicherweise ist ein Tagebuch der Ort, an dem wir Lebensereignisse und wie wir sie deuten festhalten, so wie Heinrich Bullinger es in Deutschland während der Reformation tat. Oder vielleicht nutzen wir das Tagebuch, um Gebetsanliegen – und wie sie sich erfüllt haben – aufzuschreiben und so unser Vertrauen in dieses Gnadenmittel zu stärken.
„Tagebücher sind ein Ort, an dem man mit Problemen ringt, Gedanken klärt, sein geistliches Leben überprüft, Sünden bekennt und Lösungen findet. Tagebuchschreiben rückt Dinge ins Blickfeld, die wir sonst übersehen würden.“
Wer seinen eigenen geistlichen Zustand im Tagebuch festhält, hat im Laufe der Zeit ein Dokument, das einerseits wiedergibt, wo Wachstum und Sieg über Sünde stattgefunden haben, wo sich andererseits aber auch Versagensmuster offenbaren, die zeigen, wo Buße und Korrektur nötig sind. Tagebücher können uns dabei helfen, Ziele zu setzen und diese zu erreichen.
Tagebuchschreiben führt zum Lobpreis
Satan ist immer darauf erpicht, etwas Gutes zu nehmen und es zu verdrehen. Kein Wunder, dass Tagebücher Orte sind, an denen Narzissmus – sei er gewöhnlicher oder pathologischer Natur – wunderbar gedeihen kann. Tagebücher können unseren Blick von Jesus weg und auf unseren eigenen Stolz und unsere eigenen Probleme oder fixen Ideen lenken. Deshalb ist es wichtig, dass das Schreiben von geistlichen Tagebüchern immer unter Gebet geschieht und dass man seine Aufzeichnungen im Hinblick auf das Ziel und die Früchte bewertet. Wenn das Tagebuchschreiben uns nicht hilft, in der Gnade zu wachsen, dann hilft unser Smartphone uns wahrscheinlich besser dabei, den Überblick über unser Leben zu behalten.
Für Christen bestand der Hauptzweck von Tagebüchern nie darin, Aktivitäten oder Gefühle aufzuzeichnen. Sie sind vielmehr ein Ort, an dem man mit Problemen ringt, Gedanken klärt, sein geistliches Leben überprüft, Sünden bekennt und Lösungen findet. Tagebuchschreiben rückt Dinge ins Blickfeld, die wir sonst übersehen würden. Das gilt für unser eigenes Versagen und unsere Bedürfnisse, aber auch für Gottes Güte und sein Wirken in unserem Leben.
Deshalb zielt das Führen von geistlichen Tagebüchern bei Christen auf mehr ab als nur Einsicht und Nachdenklichkeit. Es sollte uns auch eine klarere Sicht von Gottes Vorsehung und seiner erhaltenden Gnade schenken. Tagebuchschreiben sollte zum Lobpreis führen.