Warum sind die Bücher der Bibel in dieser Reihenfolge angeordnet?
Die Anordnung der Bücher in der Bibel hat ihren Sinn und Zweck. Eine Besonderheit der Biblischen Theologie, die Andreas Köstenberger und ich gemeinsam verfasst haben, besteht darin, dass wir stark auf die biblische Buchreihenfolge achten, denn sie ist eine frühe Form der Biblischen Theologie. Der Umstand, dass diejenigen, die die Bibel vor uns gelesen haben, die Bücher paarweise oder in Gruppen zusammenlegten, ist ein Hinweis darauf, dass diese Bücher zusammengehören. Dies wiederum hilft bei der richtigen Auslegung der einzelnen Bücher. Die Entscheidungen der frühen Leser haben die Form der Bibel geprägt, die wir von ihnen geerbt haben. Die Art und Weise, wie wir die Bibel heute lesen und verstehen, ist wahrscheinlich (bewusst oder unbewusst) von der Anordnung der biblischen Bücher geprägt. Es ist daher wichtig, die Reihenfolge der Bücher als eines der Merkmale zu untersuchen, die uns bei der Erkundung der Biblischen Theologie unterstützen können.
Verschiedene Kriterien
In unserem Buch Biblical Theology bieten wir eine knappe Erklärung der Faktoren, die bei der Anordnung der biblischen Bücher eine Rolle spielen. Die Anordnung von Büchern kann auf unterschiedlichen Prinzipien beruhen (z.B. auf ihrem Umfang, auf der Handlung oder ähnlichen Themen). Diese Prinzipien müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, denn es kann mehr als ein mögliches Prinzip geben, das sich in einer bestimmten Reihenfolge widerspiegelt. Der Bibelleser muss also selbst abwägen, welche Überlegungen hinter der Anordnung der Bücher und der literarischen Sammlungen stehen. Die Reihenfolge der Bücher, aus denen das Alte Testament besteht, variiert zwischen Juden und Christen, die sie beide als Heilige Schrift verwenden. Der hebräische Kanon (der von den Juden angenommen wurde) und der griechische Kanon (der von der christlichen Kirche überliefert wurde) haben im Grunde die gleichen Bücher, die aber nicht in der gleichen Reihenfolge stehen. Es geht nicht darum, eine bestimmte Reihenfolge der Bücher zu rechtfertigen, denn die hebräische und die griechische Art, die Bücher des Alten Testaments anzuordnen, kann jeweils wertvolle Erkenntnisse enthalten. Diese Alternativen sollten nicht als jüdisch oder christlich betrachtet werden. Den meisten christlichen Lesern ist nicht bewusst, dass die moderne Bibel dem Muster des frühen griechischen Alten Testaments (der Septuaginta) folgt. Sie wissen auch nicht, dass die Reihenfolge der Bücher im Neuen Testament nicht genau derjenigen entspricht, die wir in den meisten frühen griechischen Handschriften finden (z.B. folgt auf die Apostelgeschichte nie der Römerbrief).
Die verschiedenen Anordnungen erinnern den Leser daran, dass die Reihenfolge der Bücher unterschiedliche, aber oft kompatible Lesarten desselben Buches nahelegt. Man sollte daher beim Studium eines Buches seine Stellung im Kanon des Alten oder Neuen Testaments beachten. In welchem kanonischen Abschnitt ist es angesiedelt? Was sind seine kanonischen Nachbarn? Befindet es sich zum Beispiel zwischen anderen prophetischen Büchern (z.B. das Buch Daniel in modernen Bibeln) oder inmitten einer Gruppe von Weisheitsliteratur (z.B. die Psalmen zwischen Hiob und Sprüchen)? Wenn ein Buch unterschiedliche Plätze in der hebräischen und griechischen kanonischen Tradition hat (wie Rut oder Daniel), ist es ratsam zu untersuchen, welches Licht dies auf seinen Inhalt werfen kann. Es ist möglich, dass mehr als ein Schlüsselthema oder eine Gattung in dem Buch vorkommt und es deswegen an unterschiedlichen Stellen einsortiert werden kann. Wenn das Buch Daniel unter den Propheten zu finden ist, legt dies den Schwerpunkt auf die Visionen von Daniel 7–12. Wenn es hingegen zusammen mit Büchern wie Esther und Esra-Nehemia (in der hebräischen Bibel) vorkommt, kann dies dazu dienen, Daniels Erlebnisse am Hof in Daniel 1–6 hervorzuheben. Wer die Bibel studiert, kann erforschen, wie benachbarte Bücher im Kanon interagieren und sich wie Gesprächspartner verhalten, was zu einem besseren Verständnis der einzelnen Bücher führt (wenn etwa Esther neben Daniel gestellt wird).
Der Kanon des Alten Testaments
Wenn das Alte Testament entweder (wie in der hebräischen Bibel) mit Esra-Nehemia oder mit der Chronik endet, weist dies darauf hin, dass Gottes Absichten noch auf ihre Vollendung warten, denn beide Bücher blicken erwartungsvoll auf das Kommen des Reiches Gottes. Beide Anordnungen bereiten den Leser auf den Höhepunkt der Heilsgeschichte vor, der im Neuen Testament dargestellt wird. In modernen Bibelausgaben schließen die prophetischen Bücher in Anlehnung an die altgriechische Anordnung den alttestamentlichen Kanon ab, was darauf hindeutet, dass das Neue Testament die Erfüllung der Prophezeiung beschreiben wird, was dann mit dem Kommen von Jesus Christus auch geschieht. In Biblical Theology arbeiten Andreas Köstenberger und ich uns Buch für Buch durch die Bibel hindurch und lassen damit zu, dass die Anordnung eines Buches in unsere Interpretation des Inhalts einfließt.
„Als Leser sollten wir offen dafür sein, ein biblisches Buch aus mehr als einer Perspektive zu betrachten.“
Wie bereits erwähnt, zeigt die Nähe zwischen den Büchern an, dass es eine wichtige Verbindung zwischen ihnen gibt. Der Leser sollte nach Verbindungen verschiedener Art zwischen benachbarten Büchern im griechischen Kanon des Alten Testaments Ausschau halten, denn diese Anordnung hat die Reihenfolge der Bücher in den Bibeln geprägt, die wir heute benutzen. Im Pentateuch und in den historischen Büchern (Josua bis Ester) ist die historische Folge von Ereignissen das Leitprinzip für die Anordnung der Bücher. Dies mag ein natürliches oder neutrales Prinzip der Reihung sein, aber es hat dennoch einen Einfluss auf die Auslegung. Die Stellung des Buches Rut zwischen Richter und Samuel deutet etwa darauf hin, dass dieses Buch, das mit einer Genealogie endet, die in David gipfelt (Rut 4,18–22), eine theologische Untermauerung für das Haus David im guten Plan Gottes für sein Volk darstellt. Die kanonische Position von Rut hebt die Verbindung zu David hervor, die am Ende von Rut deutlich wird. In den Büchern Samuel entdecken wir die Bedeutung Davids in der Heilsgeschichte (vgl. 2Sam 7). Die Platzierung der Psalmen neben anderen Weisheitsbüchern zeigt, dass einige antike Leser den Psalter in diesem Licht betrachteten – nämlich als ein Buch, das Weisheit im Denken, im Reden (Beten) und im Handeln vermittelt. Die Platzierung der Chroniken nach den Königen hat zu ihrer relativen Vernachlässigung beigetragen, denn sie stehen im Schatten der bekannteren und häufiger verwendeten Bücher der Könige.
Es gibt weitere Beispiele: Sprüche neben Prediger und Hiob zeigt, dass die drei Bücher in ihrer Sichtweise miteinander vereinbar sind und dass wir Prediger und Hiob nicht auf eine Weise lesen sollten, die im Widerspruch zu dem stehen, was in Sprüche gelehrt wird. Die Tatsache, dass Bücher wie Rut und Daniel in der hebräischen Bibel und im griechischen Alten Testament an ganz unterschiedlichen Stellen stehen können, ist signifikant: Sie weist darauf hin, dass die Reihenfolge der Bücher die Wahrnehmung dessen widerspiegelt, worum es in einem Buch geht. Die Platzierung eines Buches aufgrund thematischer Erwägungen bedeutet, dass auf dieser Grundlage alternative Sortierungen möglich sind, da jedes Buch wahrscheinlich mehr als ein Thema hat. Als Leser sollten wir offen dafür sein, ein biblisches Buch aus mehr als einer Perspektive zu betrachten. Die unterschiedliche Gattungszugehörigkeit der beiden Hälften des Buches Daniel (Kapitel 1–6 und 7–12) erklärt, dass es einerseits neben anderen Geschichten vom Königshof, die mit moralischen Lehren versehen sind, platziert werden kann (hebräische Bibel), oder aber als Prophezeiung eingestuft werden kann (Septuaginta). Wenn ein Buch an alternativen Stellen platziert wird, kann dies dem Leser helfen, Merkmale des Buches zu entdecken, die manchmal unterbewertet werden, und so zu einer verbesserten Interpretation beitragen.
Der Kanon des Neuen Testaments
Was das Neue Testament betrifft, so trägt die breite Verteilung der Schriften des Johannes in den synoptischen Evangelien, zwischen den nicht-paulinischen Briefen und am Ende der Bibel dazu bei, die verschiedenen Inhalte des Kanons zu vereinheitlichen. Dies ermutigt uns dazu, das gesamte Neue Testament aus der Perspektive von Johannes mit seiner Christologie von Jesus als göttlichem Sohn Gottes zu betrachten. Das Buch der Offenbarung findet am Ende des Kanons einen besonderen Platz, der verdeutlicht, dass es sich hier um das Ziel der Erzählung der vorangegangenen Bücher handelt, deren Hauptthemen rekapituliert werden. Zusammen mit dem 1. Buch Mose bildet die Offenbarung eine Klammer um die gesamte Bibel und bringt Gottes Heilsplan zu einem wunderbaren Abschluss.
Die neutestamentlichen Bücher sind nach Gattung sortiert: Wir finden dort zuerst die vier Evangelien (und die Apostelgeschichte) und dann die Briefsammlung der paulinischen und nicht-paulinischen Briefe (sowie die Offenbarung). Allerdings spielt auch die historische Abfolge eine Rolle, sodass die Ereignisse des Lebens und Wirkens Jesu an erster Stelle stehen (Evangelien). Dann folgt ein Bericht über die Verbreitung der Botschaft Jesu nach der Himmelfahrt (Apostelgeschichte). Es geht weiter mit den Briefen an die Gemeinden, die aus dieser Verkündigung hervorgingen (Briefe). Schließlich folgt die Offenbarung als Abschluss, was eine Hermeneutik nahelegt, die ihre Ausrichtung auf die Zukunft betont. All das deutet auf die fortschreitende Erfüllung der Heilsabsichten Gottes hin, die mit dem Kommen Jesu begann.
Die Anordnung jedes Buches im Verhältnis zu anderen kanonischen Büchern – sei es in Bezug auf die Textgruppe, in der es steht, oder die Bücher, die ihm folgen oder vorangehen – hat also eine hermeneutische Bedeutung für den Leser, der nach dem Sinn des Textes sucht. Da die Reihenfolge der Bücher dem Leser hilft zu entdecken, worum es in dem Text geht, fließt sie in eine exegetisch fundierte Biblische Theologie ein.