Verbindlichkeit stärken

Das Mitgliederversprechen

Artikel von Michael Wiche
27. Juni 2023 — 8 Min Lesedauer

Jesus fordert seine Nachfolger in Johannes 13,34–35 auf:

„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander lieben sollt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Hervorh.d.Verf.)

Das Liebesgebot Jesu ist einfach und klar, und doch fällt es uns schwer, es in unserem Leben umzusetzen. Wir leben in einer Gesellschaft und in einer Zeit, die von Unverbindlichkeit geprägt sind. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns auch als Gemeinde stellen müssen. So wie Jesu Liebe zu uns verbindlich und konkret ist, soll auch unsere Liebe zu ihm und zueinander verbindlich und konkret sein. Einander zu lieben bedeutet, einander zu dienen (vgl. 1Petr 4,10), gemeinsam zu beten (vgl. Jak 5,16), uns immer wieder gegenseitig zu vergeben (vgl. Eph 4,32) und bei Bedarf auch zu ermahnen (vgl. 1Thess 5,11). All das soll auf eine Art und Weise geschehen, dass Außenstehende daran erkennen können, dass wir gemeinsam Jesus nachfolgen und etwas von der Liebe Jesu in unserer Gemeinschaft sichtbar wird.

Das Mitgliederversprechen als Hilfsmittel

Ich bin seit Anfang 2023 Teil einer Gemeindegründung. In diesem Gründungsprozess haben wir ein Versprechen formuliert, in dem wir ausdrücken, wie wir unser Christsein verbindlich in unserer Gemeinde leben wollen. Es hilft uns, die Aufforderungen im Neuen Testament an uns Christen greifbar und konkret werden zu lassen. Wir nennen es Mitgliederversprechen, andere bezeichnen es als Gemeindeversprechen oder Gemeindebund, im Englischen wird in der Regel von „church covenant“ gesprochen. Dabei ist der Name nicht das Entscheidende. Es geht letztlich um eine gemeinsame Übereinkunft, wie wir als Mitglieder dieser Gemeinde das Liebesgebot Jesu leben und miteinander umgehen wollen. An diesen Punkten soll erkennbar werden, dass wir einander lieben und gemeinsam Jesus nachfolgen.

„So wie Jesu Liebe zu uns verbindlich und konkret ist, soll auch unsere Liebe zu ihm und zueinander verbindlich und konkret sein.“
 

Das Mitgliederversprechen kann man aus vier Perspektiven betrachten: Es ist ein Versprechen, eine Erinnerung, ein Spiegel und ein Gebet.

1. Es ist ein Versprechen

Wenn du verheiratet bist, hast du deinem Ehepartner ein Versprechen als Ausdruck deiner verbindlichen Liebe gegeben. Das ist sehr wertvoll, weil ein Versprechen Gewicht hat. Es drückt Verbindlichkeit aus. Es wird nicht einmal eben so dahingesagt. Genauso ist es auch in der Gemeinde. Das Mitgliederversprechen drückt die verbindliche Liebe zu den Geschwistern in meiner Gemeinde vor Ort aus. Wir sind eine Familie, und wir wollen diese geschwisterliche Liebe sichtbar werden lassen. Teil dieser Familie zu sein bedeutet, auf eine bestimmte Weise gemeinsam zu leben. Ich investiere meinen Dienst, meine Gaben und meine Energie in das Leben der Geschwister, mit denen ich diese Ortsgemeinde bilde. Wir möchten einander ein Vorbild in der gemeinsamen Nachfolge Jesu sein und einander helfen, das im Alltag zu leben.

Durch das Mitgliederversprechen erkläre ich, dass ich verbindlich zu dieser Gemeinde gehöre und meinen Beitrag leiste, dass wir so miteinander umgehen. So wird die Liebe Jesu für die Welt um uns herum sichtbar.

2. Es ist eine Erinnerung

Das Mitgliederversprechen ist in mehrfacher Hinsicht eine Erinnerung. Zunächst erinnere ich mich selbst an das Versprechen, das ich gegeben habe, als ich in die Gemeinde gekommen bin. Ich brauche die Erinnerung an das Wesentliche im Gemeindeleben – gerade dann, wenn Aufgaben oder andere Anforderungen viel Zeit und Aufmerksamkeit fordern. Es ist wunderbar, dass ich jede Woche neu im Gottesdienst die Erinnerung an das Evangelium erhalte (Gottesdienst, Predigt, Abendmahl). Genauso hilfreich ist es auch, daran zu denken, wie sich das Evangelium konkret in unserem gemeinsamen Leben auswirken soll.

Zusätzlich erinnere ich aber auch meine Geschwister an unsere gemeinsame Vereinbarung. Ich rufe meinem Bruder und meiner Schwester zu: „Denk dran, was wir gesagt haben, als wir Teil dieser Gemeinde geworden sind. So wollen wir einander lieben und miteinander leben. Lasst es uns auch tun, indem wir einander unsere Lasten mitteilen und sie miteinander tragen.“

Auch werde ich selbst wiederum von meinen Brüdern und Schwestern darauf hingewiesen. So wie ich sie erinnere, gebe ich ihnen die Erlaubnis und die Verantwortung, mir unsere gemeinsame Übereinkunft in Erinnerung zu rufen.

3. Es ist ein Spiegel

Das Mitgliederversprechen hält mir wie ein Spiegel immer wieder vor Augen, wie ich als Christ mit meinen Geschwistern in der Gemeinde leben soll. Dabei wird mir bewusst, dass ich es nicht aus meiner Kraft schaffe. Ich versage, daher liebe ich meine Geschwister nicht so, wie Jesus mich geliebt hat. Deshalb brauche ich jeden Tag neu das Evangelium von Jesus Christus mit seiner Vergebung und seinem Zuspruch.

Ebendarum ist es uns wichtig, dass wir dieses Versprechen immer mit dem Bekenntnis verbinden, dass wir Sünder und absolut abhängig von der souveränen Gnade Gottes sind. Nur im Vertrauen und in der Abhängigkeit von seinem Wirken sind wir in der Lage, dieses Versprechen abzugeben und durch Gottes Gnade mehr und mehr danach zu leben: „Ja, wir wollen so leben – mit Gottes Hilfe!“

4. Es ist ein Gebet

Schließlich ist das Mitgliederversprechen auch ein Gebet. Wir sind auf Gottes Gnade und sein Wirken angewiesen. Deshalb beten wir darum, dass Gott in uns das bewirkt und vollbringt, was wir nicht schaffen. Damit drücke ich meine Sehnsucht aus: So möchte ich als Christ leben, auch wenn ich weiß, dass ich versagen werde. Das Mitgliederversprechen hält mir vor Augen, wie ich leben möchte, wonach ich streben soll und worin ich wachsen will. Es ist letztlich ein Hilfsmittel zur Jüngerschaft. Gott gestaltet uns durch seine Gnade in das Bild seines Sohnes um (vgl. Röm 8,29). Dazu gebraucht er in besonderer Weise die Gemeinde, in der ich mit anderen Geschwistern lerne so zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat.

Führt ein solches Mitgliederversprechen nicht zu Gesetzlichkeit?

Es gibt zwei Wege, die zur Gesetzlichkeit führen: über das Wort Gottes hinauszugehen und das Gebot vom Evangelium zu trennen. Daher ist es uns wichtig, darauf zu achten, dass das Mitgliederversprechen nur das anspricht, was Gott in seinem Wort von uns fordert. Wir sollten uns hüten, Gebote aufzurichten, die wir nicht in der Schrift finden.

„Gott gestaltet uns durch seine Gnade in das Bild seines Sohnes um. Dazu gebraucht er in besonderer Weise die Gemeinde, in der ich mit anderen Geschwistern lerne so zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat.“
 

Gleichzeitig tendieren wir auch dazu, Gottes gute Weisungen für unser Leben als Christen vom Evangelium der Gnade Gottes loszulösen. Wir sollten uns dieser Gefahr bewusst sein, aber sie wird durch ein Mitgliederversprechen nicht verstärkt. Das Versprechen soll uns vielmehr eine Hilfe sein, das zu leben, was Jesus uns aufträgt. Dabei tun wir das im Bewusstsein unserer eigenen Schwachheit und Unzulänglichkeit und im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit und Macht.

Das Mitgliederversprechen im Gemeindeleben

Im Gemeindeleben (zugegebenermaßen ist unser Gemeindeleben noch sehr frisch und jung) hat das Mitgliederversprechen seinen festen Platz in jeder Mitgliederversammlung. Dort wollen wir uns an das erinnern, was unseren Umgang miteinander ausmacht und unser Versprechen erneuern.

Ebenso ist das Mitgliederversprechen Teil der Gemeindeaufnahme: Jedes neue Gemeindemitglied muss dieses Mitgliederversprechen geben und bekommt es von den Geschwistern zugesprochen. Immerhin drückt es unsere Vereinbarung aus, wie wir als Mitglieder dieser Gemeinde leben wollen.

Weil das Abendmahl auch stets ein Gemeinschaftsmahl ist, verbinden wir in unseren Gottesdiensten die Hinführung zum Abendmahl mit einem Aspekt des Mitgliederversprechens und erinnern uns daran, wie unsere Liebe zueinander sichtbar werden soll. Gleichzeitig können wir auch unser Versagen zu Beginn des Abendmahls vor Gott bringen und wieder neu Vergebung erleben.

Unser Mitgliederversprechen – ein Beispiel

Vielleicht fragst du dich, wie so ein Mitgliederversprechen aussehen kann, das Jesu Liebesgebot für das Gemeindeleben konkretisiert? Beispielhaft ist hier die Formulierung, die wir für uns in der Gemeinde gewählt haben:

Wir sind durch unseren gemeinsamen Glauben an Jesus Christus und durch die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde verbunden. Deshalb verspreche ich euch, meinen Glaubensgeschwistern, in Abhängigkeit von Jesus und im Vertrauen auf die Gnade Gottes:

  1. Ich will euch ein Vorbild in der Nachfolge Jesu sein und euch zum Vorbild nehmen, so wie ihr Christus nachahmt (vgl. 1Kor 11,1; Eph 5,1–2; Phil 3,17; 1Petr 1,13–25).
  2. Ich will euch immer wieder an das Evangelium und seine praktischen Auswirkungen in unserem Leben erinnern. Wenn ihr mich daran erinnert, will ich das prüfend annehmen (vgl. Mt 18,15–17; Apg 5,42; Röm 16,17–18; 1Kor 15,1–4; Kol 3,16; 1Thess 5,11; Hebr 3,12–13; Jak 5,19–20).
  3. Ich will euch mit meinen Gaben dienen und eure Gaben gern annehmen, die Gott zum Wachstum seiner Gemeinde gegeben hat (vgl. Röm 12,6–8; 1Kor 12,12–27; Eph 4,11–13.16; 1Petr 4,10–11).
  4. Ich will euch vergeben, wenn ihr an mir schuldig geworden seid, und eure Vergebung suchen, wenn ich an euch schuldig geworden bin (vgl. Mt 18,21–35; Eph 4,32; Kol 3,13).
  5. Ich will eure Lasten mit euch tragen, so wie Gott mir die Kraft und Gelegenheit dafür gibt. Ich will meine Lasten mit euch teilen, ohne euch dabei auszunutzen oder zu überfordern (vgl. Röm 12,15; 15,1–3; 1Kor 12,26; Gal 6,1–2).
  6. Ich will mit euch allen gemeinsam Gottes Wort besser verstehen, beten und das Abendmahl feiern (vgl. Apg 2,42; Röm 12,10; Eph 6,18; Kol 3,16; 1Thess 5,17.25; Hebr 10,23–25).

All dies will ich mit euch durch Gottes Geist zu Gottes Ehre tun! Amen.

Es ist sicherlich nicht perfekt. Vielleicht findet ihr als Gemeinde bessere Formulierungen, die euch helfen, einander an das Liebesgebot Jesu zu erinnern und gemeinsam danach zu leben. So erhält es in eurem Gemeindeleben den Stellenwert, den es haben sollte.

Zum Schluss

Ein Mitgliederversprechen fordert eine Verbindlichkeit, die für manche abschreckend wirkt. Dabei konkretisiert es einfach das Liebesgebot Jesu für eine Gemeinde und gibt ihm den Stellenwert, den es im Gemeindeleben haben sollte. Es ist ein Hilfsmittel, als Nachfolger Jesu verbindlich gemeinsam in einer Gemeinde unterwegs zu sein.

Wir leben in unverbindlichen Zeiten, die es uns und anderen schwer machen, liebevolle Gemeinschaft zu erleben. Für uns als Gemeinde liegt an diesem Punkt eine Chance, eine Gegenkultur zu unserer Gesellschaft zu sein. Hier können Menschen sehen, was verbindliche und liebevolle Gemeinschaft ist. Hier können wir als Gemeinde die Liebe verkündigen, die Gott in seiner Gnade uns gegenüber erwiesen hat. An unserer Liebe zueinander wird die Welt erkennen, dass wir Jesus tatsächlich nachfolgen. Wie wird das in deiner Gemeinde deutlich?