In die Welt sind wir gesandt

Artikel von R. C. Sproul
22. Dezember 2015
R.C. Sproul

Mich haben schon immer die Momente im Leben Jesu fasziniert, in denen der Vorhang seiner Menschlichkeit sich etwas öffnete, sodass ein Blick auf seine unglaubliche Herrlichkeit als Sohn Gottes möglich wurde. Was müssen das für Momente für seine Jünger gewesen sein, die ihn als Mensch kannten und ihn plötzlich in der Klarheit seiner Göttlichkeit sahen? Das wohl spektakulärste Ereignis dieser Art ist Jesu Verklärung, bei der Petrus, Jakobus und Johannes von der Herrlichkeit Jesu ergriffen waren (Mt 17,1-13). Alles, was sie in diesem Moment wollten, war, für immer in dieser Herrlichkeit zu verweilen, wonach sie ja auch fragten.

Es hat mich immer schon gewundert, dass Jesus ihnen diesen Wunschverwehrte. Stattdessen verließ Jeus den Berg der Verklärung (gemeinsam mit seinen Jüngern) und ging zurück in die Welt. Diese Rückkehr Jesu in die Welt hat in der Kirchengeschichte immer wieder als Vorbild für den Dienst der Kirche in der Welt gedient. Wenn Christus Menschen in sein Reich beruft, nimmt er sie nicht aus der Welt. Er sendet sie mit dem Evangelium aus.

So handelte er auch mit den Aposteln nach seiner Auferstehung. Er kam zu ihnen, als sie sich fürchteten und forderte sie auf, auf die Ausgießung des Hl. Geistes zu warten. Dann aber gab es kein Warten mehr. Sie sollten in die Welt hinaus gehen (Lk 24,36-49). Und das taten sie auch. Die Apostel betraten den Marktplatz mit der Autorität Christi im Rücken und brachten die Welt in Aufruhr.

Paulus ist ein Vorbild in der Auseinandersetzung mit der Welt. Wir kennen sicher alle die Begebenheit, in der er den Philosophen auf dem Areopag entgegentritt. Diese Philosophen wussten, wo sie Paulus finden konnten, denn er war dort jeden Tag, um mit den Menschen zu, die sich dort aufhielten, zu reden (Apg 17,16-34). Dieser Marktplatz in Athen war mehr als ein Einkaufscenter. Hier spielte sich das Leben der Gesellschaft ab. Hier wurde geredet, gespielt, verkauft, zugeschaut und – gehört. Es handelte sich um einen öffentlichen Raum, in dem man mit der Welt Berührung kommen konnte. Niemand ging auf den Marktplatz, um sich zu verstecken. Paulus ging dort hin, weil er wusste, dass er dort Menschen finden würde, die ncht an Christus glaubten.

Während der Reformation wies Martin Luther darauf hin, dass die Christen aus den himmlischen Tempeln in die Welt zu gehen hätten. Er wollte damit die Bedeutung Christi klarstellen, die nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Welt gelte. Christus ist nicht auf die „inneren Kreise“ der christlichen Gemeinschaft begrenzt. Wenn wir so denken, handeln wir ungehorsam und ohne Glauben. Sein Evangelium gilt allen Nationen und wir sind dafür verantwortlich, den Missionsauftrag zu erfüllen (Mt 28,18-20).

Durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch gab es immer wieder Menschen, die die Idee verbreiteten, Erlösung vollziehe sich durch Trennung. Sie lehrten, dass Heiligkeit dann erreicht werden kann, wenn man keinen Kontakt mehr mit Sündern hätte. Diese Lehre finden wir auch schon bei den Pharisäern, die sich über Jesu Umgang mit den Zöllnern, Prosituierten und Aussätzigen aufregten. Aber wenn die Heiligkeit Christi keine Trennung von der Welt verlangte, kann das auch nicht für uns gelten. Er kam, um das Verlorene zu suchen, das in der Welt ist – in der Welt unseres Vaters. Es kann für Christen keine permanente Option sein, sich aus dem öffentlichen Leben herauszuhalten.

Ich spreche von einer „permanenten Option“, weil in der Geschichte des Christentums immer wieder die weise Entscheidung getroffen wurde, dass sich Neubekehrte für eine gewisse Zeit aus der Welt zurückziehen sollten. Sie wählten dabei nicht die völlige Isolation, sondern verbrachten intensive Gemeinschaft mit anderen Christen. Aber um geistlichen weiter zu wachsen, müssen wir Gottes Wege der Erlösung in der Welt sehen. Die Welt ist der Ort, an dem Gott Sündern durch das Zeugnis des Evangeliums durch Christen begegnet und Menschen zur Buße und zum Glauben aufruft. Martin Luther hat darauf aufmerksam gemacht, dass es der Feigling ist, der sich ständig aus der Welt zurückzieht und seine Furcht mit „Frömmigkeit“ erklärt.

Die Kirche Christi ist kein Ghetto oder ein Reservat. Natürlich versucht die Welt, uns auszugrenzen und uns in die vier Wände unseres Kirchengebäudes zu stecken, damit wir nicht außerhalb dessen von Sünde oder Erlösung in Christus sprechen. Wir müssen uns das aber nicht von der Welt aufzwingen lassen. Ich fürchte, dass wir allzu oft die Welt für unser Versagen verantwortlich machen, obwohl wir es eigentlich viel angenehmer finden, uns vor den Anfeindungen der Welt zu verstecken. Die gefallene Kultur um uns herum wird alles tun, um unser Licht klein zu halten. Wir sollten ihn nicht auch noch dabei helfen. Christus hat uns ausgesandt, Licht und Salz in dieser Welt zu sein (Mt 5,13-16). Unsere einzige Option ist es, zu gehorchen.


R.C. Sproul, Into the World, in: TableTalk 38 (2014) S.3-4.
© Ligionier Ministries
Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.