Woran geistliches Leben sichtbar wird

Artikel von Florian Gostner
1. Juni 2023 — 7 Min Lesedauer

Woran machst du fest, ob jemand geistlich ist? Ist das jemand, der viele Bibelstellen auswendig kennt und auf jede Frage eine theologische Antwort hat? Macht das Theologiestudium uns zu „Geistlichen“? Erkennt man Geistlichkeit vielleicht sogar an der seriösen Miene beim Beten und der damit verbundenen Ernsthaftigkeit der Nachfolge? Oder zeugen im Gegenteil dazu unsere Emotionen beim Lobpreis von Geistlichkeit? Manchmal haben wir sehr schräge Vorstellungen von Geistlichkeit.

Paulus macht Geistlichkeit ganz praktisch im Leben fest. Nachdem er in Galater 5 die Werke des Fleisches in Kontrast zur Frucht des Geistes stellt, macht er die Sache in Kapitel 6 anschaulich und beschreibt, wie Geistlichkeit aussieht. Er spricht seine Leser dabei wahrscheinlich mit einem ironischen Unterton an als „ihr, die ihr geistlich seid“ (Gal 6,1). Mitunter hatten die Leute dort nämlich ein eigenartiges Verständnis von „Geistlichkeit“, uns nicht unähnlich. Sie bildeten sich ein, geistlich zu sein, obwohl sie Fehler machten, auf Abwege kamen, im Kampf gegen Sünde erlagen oder schlechte Entscheidungen trafen, wie Paulus in Galater 6,1–10 erklärt. Deshalb deutet er ihnen als Antwort darauf vier Eigenschaften an, die einen wahrhaft geistlichen Menschen ausmachen.

1. Verantwortungsvoll

Die erste Eigenschaft zeigt sich im Umgang mit jemandem, der einen Fehltritt begeht. Paulus:

„Brüder, wenn auch ein Mensch von einer Übertretung übereilt würde, so helft ihr, die ihr geistlich seid, einem solchen im Geist der Sanftmut wieder zurecht; und gib dabei acht auf dich selbst, dass du nicht auch versucht wirst! Einer trage des anderen Lasten, und so sollt ihr das Gesetz des Christus erfüllen!“ (Gal 6,1–2)

Wir könnten mit Gleichgültigkeit reagieren, die Person geringschätzen oder sogar verachten. Auch könnten wir allen anderen von diesem Fehltritt erzählen – natürlich fromm in ein Gebetsanliegen verpackt. In der geistlichen Gemeinde übernimmt man hingegen Verantwortung füreinander: Dort macht man einander nicht moralisch nieder, sondern richtet einander liebevoll wieder auf, renkt den gebrochenen Knochen ein und versucht, den Menschen in Liebe zu gewinnen. In den Gemeinden in Galatien dachten manche, es sei besonders geistlich, den Leuten Gesetze und Regeln wie eine schwere Last aufzuerlegen. Paulus dreht das jedoch um 180 Grad um: Das Gesetz ist nicht dazu da, zu belasten, sondern die Liebe ist – als die Erfüllung des Gesetzes (vgl. Gal 5,14) – dazu da, Lasten wegzunehmen und die Lasten des anderen zu tragen (vgl. Gal 6,2).

„Wenn wir geistlich sind, sind wir nicht hilflose Opfer unserer Natur, unseres Temperaments, unserer Triebe, unseres Umfelds. Nein, wir übernehmen Verantwortung, und zwar für uns selbst und füreinander.“
 

Paulus geht es jedoch nicht nur um die Verantwortung für den Nächsten, sondern auch für sich selbst:

„Denn wenn jemand meint, etwas zu sein, da er doch nichts ist, so betrügt er sich selbst. Jeder aber prüfe sein eigenes Werk, und dann wird er für sich selbst den Ruhm haben und nicht für einen anderen; denn jeder einzelne wird seine eigene Bürde zu tragen haben.“ (Gal 6,3–5)

Wie am Ende von Vers 1 begegnet uns auch hier der Gedanke der Demut, denn unser Maßstab sind nicht die Menschen um uns herum, sondern Gott selbst. Vor ihm müssen wir uns verantworten, und vor Gott ist jeder für sich selbst verantwortlich. Auch wenn deine Geschwister auf dich achten sollen, trägst allein du die volle Verantwortung für all dein Denken, Wollen und Handeln vor Gott. In unserer individualistischen Gesellschaft suchen wir gern Ausreden und fliehen vor Verantwortung. Doch wenn wir geistlich sind, sind wir nicht hilflose Opfer unserer Natur, unseres Temperaments, unserer Triebe, unseres Umfelds. Nein, wir übernehmen Verantwortung, und zwar für uns selbst und füreinander.

2. Großzügig

Dass wir geistlich sind, zeigt sich zweitens am Umgang mit dem, was Gott uns anvertraut hat:

„Wer im Wort unterrichtet wird, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Gütern!“ (Gal 6,6)

Die Gemeinden in Galatien sollten großzügig und wertschätzend gegenüber denen sein, die dort das Evangelium verkündeten. Jesus selbst hatte schon gesagt, dass der Arbeiter seines Lohnes wert ist (vgl. Lk 10,7). Wenn man so will, ist das eine ganz konkrete Art und Weise, die Last (nämlich hier die finanziellen Sorgen und materiellen Nöte von Evangelisten, Missionaren, Pastoren, Hirten, Lehrern) gemeinsam zu tragen und so für die Ausgaben der Gemeinde aufzukommen.

Deine monatliche Überweisung auf das Gemeindekonto oder das Geld in der Kollekte sind nicht nur Zahlen und Papiernoten, sondern höchst geistliche Angelegenheiten. Immerhin wird so deine vom Heiligen Geist gewirkte, unsichtbare Wertschätzung für die Gemeinde und die Priorität von Gottes Reich in deinem Leben sichtbar, greifbar und konkret. Schließlich kann jeder behaupten, Gemeinde und Mission seien ihm äußerst wichtig. Doch um Monat für Monat und Jahr für Jahr hunderte, tausende, zehntausende Euros in Gemeinde und Mission zu investieren – dafür braucht es Gottes Geist, der unsere Prioritäten umsortiert. Gottes Geist können wir nicht sehen, aber wenn du geistlich bist, dann wirkt sich das in der sichtbaren Welt aus, und zwar mit direkter Verbindung in deine Geldtasche und in die Online-Banking-App!

3. Absichtsvoll

Geistlichkeit zeigt sich drittens, wenn wir die Konsequenzen unseres Handelns abwägen und vom Ende her leben:

„Irrt euch nicht: Gott lässt sich nicht spotten! Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Denn wer auf sein Fleisch sät, der wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist ewiges Leben ernten.“ (Gal 6,7–8)

Paulus verwendet ein Bild aus der Landwirtschaft: Wer Mais sät, erhält am Ende keine Bohnen. Wer gar nicht oder nur wenig sät, sollte sich nicht wundern, wenn es am Ende keine oder kaum eine Ernte gibt. Schließlich entscheidet nicht der Mäher über die Ernte, sondern der Sämann. Dieses Prinzip gilt auch für die geistliche Realität: Jedes Mal, wenn wir jemanden beneiden, einem unreinen Gedanken nachgehen, wenn wir uns im Selbstmitleid wälzen oder Bitterkeit und Hass in uns wuchern lassen, säen wir ein Korn „auf das Fleisch“. Jedes Mal, wenn wir gegen unser Gewissen handeln oder der Mehrheit in die falsche Richtung folgen, säen wir ein Korn. Aber mit jedem guten Buch, das wir lesen; mit jedem aufbauenden Gespräch, das wir haben; mit jedem Mal, wo wir Gott in seinem Wort, im Gebet, in der Gemeinschaft mit anderen suchen, säen wir ein Korn „auf den Geist“.

Der Bauer denkt selbstverständlich vom Ende her und hat die Ernte im Blick. Deshalb wird er das richtige Saatgut säen, und zwar in großer Menge. Wer geistlich ist, setzt dieses Prinzip konsequent um und handelt absichtsvoll. Er lässt sich nicht einfach treiben, sondern richtet sein Handeln immer wieder neu aus, um die entsprechende Ernte einzufahren. Er prüft immer wieder, welche Saatkörner er gerade auf welches Feld streut und achtet darauf, nicht auf das falsche Feld zu säen.

4. Nicht müde, Gutes zu tun

Geistlichkeit zeigt sich deshalb abschließend auch in der praktischen Anwendung des Gesetzes von Saat und Ernte. Wer geistlich ist, tut den Menschen um sich herum konsequent Gutes.

„Laßt uns aber im Gutestun nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht ermatten. So laßt uns nun, wo wir Gelegenheit haben, an allen Gutes tun, besonders aber an den Hausgenossen des Glaubens.“ (Gal 6,9–10)

Geistliches Leben wird in guten Taten an unseren Mitmenschen sichtbar. Damit ist nicht gemeint, dass wir aus eigener Kraft die Welt auf den Kopf stellen. Es geht darum, in voller Abhängigkeit von Gottes Geist die Dinge zu tun, die Gott schon für uns vorbereitet hat. Und zwar in der Gemeinde, dann aber auch in unseren Familien, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz. Wer geistlich ist, ist für seine Hilfsbereitschaft bekannt und dafür, jede Gelegenheit zu nutzen, Gutes zu tun.

Schluss

Diese vier Eigenschaften stellen keine vollständige Liste aller Kennzeichen eines geistlichen Menschen dar. Es handelt sich um einen Auszug, der uns jedoch die Stoßrichtung von Geistlichkeit andeutet. Sie helfen uns, das richtige Bild von Geistlichkeit, vom Christsein zu entwickeln und zu prägen. Sie geben uns ein Ziel vor, nach dem wir als Einzelne und als Gemeinden streben und wozu wir einander ermutigen können: Verantwortung zu übernehmen, großzügig zu sein, absichtsvoll zu handeln und nicht müde, Gutes zu tun.