Seht, was die Herrnhuter getan haben
Wie Gemeinden Sendung in die Mission wieder zu ihrer Aufgabe machen
Es war das Jahr 1727, als eine kleine Glaubensgemeinschaft im Osten Deutschlands von Gott erweckt wurde und eine Missionsbewegung in Gang setzte. Ungefähr 300 Menschen siedelten sich in jenem Jahr auf dem Gut von Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf an. Es handelte sich überwiegend um Flüchtlinge, die aus Böhmen kamen, wo sie verfolgt wurden.
Das Miteinander unter diesen Geschwistern, das teils geprägt war von Problemen, änderte sich, als am 13. August 1727 in einem Abendmahlsgottesdienst eine Erweckung geschah. Der Heilige Geist erfüllte die Geschwister und verwandelte Misstrauen und Zwietracht in brüderliche Liebe. Darüber hinaus schenkte er eine große Leidenschaft für die Mission unter bisher unerreichten Menschen.
Theologisch war die Strömung der Herrnhuter an einigen Punkten etwas sonderbar. Das hängt auch damit zusammen, dass sie Einflüsse von Jan Hus, dem Pietismus und dem Calvinismus aufgriff und miteinander zu verbinden suchte. Es war eine Laienbewegung, aber eben eine, die den Missionsbefehl in vorbildlicher Weise ernst nahm.
Bereits 1732 entsandte die Brüdergemeinde ihre ersten Missionare ins Ausland. Später waren es Hunderte, die aus dieser kleinen Glaubensgemeinschaft in die ganze Welt auszogen, um das Evangelium bekannt zu machen. Was die Herrnhuter auszeichnete, war ihr Bewusstsein, dass die Evangelisierung der Welt zu den dringlichsten aller Verpflichtungen gehört, die auf der Gemeinde ruhen, und dass die Erfüllung dieser Verpflichtung die „gemeinsame Angelegenheit“ der Brüdergemeinschaft war.
William Carey, der als Vater der modernen Missionsbewegung angesehen wird, war von dem Beispiel der Herrnhuter sehr angetan. In seiner bekannten Schrift Eine Untersuchung über die Verpflichtung der Christen, Mittel einzusetzen für die Bekehrung der Heiden (Bonn: VKW, 1998) erwähnte er sie lobenswert. S. Pearce Carey, Williams Enkel und Biograph, überliefert in einer Rede von Carey folgende Worte:
„Seht ... was die Herrnhuter alles wagen, und einige von ihnen sind Briten wie wir, und viele nur Handwerker und Arme! Können wir Baptisten nicht wenigstens versuchen, demselben Herrn ähnlich treu zu sein?“[1]
In diesem Artikel möchte ich einstimmen in den Ruf von Carey und vor allem Gemeindeleiter und Pastoren, aber auch alle anderen Gläubigen, herausfordern, über Sendung in die Mission neu nachzudenken. Ich war selbst acht Jahre in der Außenmission und brenne dafür, dass andere für diesen Dienst begeistert werden und wie die Herrnhuter Brüder erkennen, dass es zu den wichtigsten Aufgaben gehört, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Mein Ziel ist es, eine Vision vor Augen zu malen, wie es wäre, wenn von Gemeinden in Deutschland wieder eine Sendungsbewegung ausginge. Und ich möchte praktische Tipps formulieren für Pastoren und Gemeindeleiter, wie sie kleine Schritte in diese Richtung gehen können.
Doch bevor wir damit beginnen, will ich kurz noch einen Blick auf folgende Frage werfen:
Wo stehen wir heute?
Natürlich will ich nicht den Maßstab der Herrnhuter an unsere heutigen Verhältnisse anlegen, wo eine Gruppe von 600 Gläubigen 200 Missionare aussandte. Aber ich will provokant fragen: Wie viele Missionare werden heute von deutschen Gemeinden ausgesandt?
Ich weiß nicht, wie du das empfindest, aber mein Eindruck ist, dass sehr wenige Christen überhaupt über Mission nachdenken und noch weniger tatsächlich den Ruf verspüren, in die Mission zu gehen.
„Wir haben kein Sendungs-, sondern ein Jüngerschaftsproblem. Wo Gemeinden keine Jünger mehr machen, können sie auch keine Jünger senden, die andere zu Jüngern machen.“
Es ist vielmehr so, dass andere Länder wie Brasilien, die früher als Missionsländer galten, nun verstärkt Missionare senden. Wir haben unsere geistliche Vorbildfunktion schon lange aufgegeben. Wir senden nicht mehr, sondern Missionare kommen zu uns.
Und ich stelle mir die Frage: Warum ist das so? An den finanziellen Mitteln kann es nicht liegen. Immerhin gehören wir zu einem der reichsten Länder der Welt. Ist es vielleicht Unwissenheit über den unvollendeten Auftrag? Sind wir uns nicht bewusst, dass es Milliarden Menschen gibt, die noch nie von Jesus gehört haben? Drehen wir uns als Gemeinden vielleicht viel zu sehr um uns selbst?
Oder ist es am Ende einfach der Ungehorsam, gepaart mit Ignoranz und Bequemlichkeit, der dazu geführt hat, dass die Gemeinden diesen unendlich kostbaren Auftrag aus den Augen verloren haben? Den letzten Auftrag Jesu, der da heißt: „Machet zu Jüngern alle Völker“ (vgl. Mt 28,18 ff.)?
Der vergessene Auftrag
Wenn wir heute über die Not von fehlender Sendung in die Mission sprechen, dann liegt das Problem eigentlich tiefer. Wir haben kein Sendungs-, sondern ein Jüngerschaftsproblem. Wo Gemeinden keine Jünger mehr machen, können sie auch keine Jünger senden, die andere zu Jüngern machen. Das liegt klar auf der Hand.
Eigentlich müssten wir grundlegend Dinge verändern, die dazu führen, dass Christen sich wieder voll und ganz dem Dienst für Christus verschreiben und bereit sind alles zu geben, damit sein Name geehrt wird.
Nicht attraktive Programme und auch nicht coole Aktionen braucht es, um Einzelne auszubilden, die den Auftrag der Mission in ihren Herzen tragen, sondern es braucht Leiter, die vor allem eines im Blick haben: Einzelne und Gruppen so zu begleiten, dass sie ein Herz dafür entwickeln, geistlich zu reifen und diesen Reifeprozess auch in anderen fördern. Manche von diesen Nachfolgern werden dann zu verantwortungsvollen Leitern, aber andere wiederum sollten dem Ruf folgen und Jesus da bekannt machen, wo sein Name noch nicht bekannt ist.
Das Evangelium als treibende Kraft
In seiner Abhandlung über das Evangelium gelangt Paulus an mehreren Stellen zu dem Punkt, dass das Evangelium verkündet werden muss, gerade dort, wo es noch nicht verkündet worden ist (vgl. Röm 10; 15). Für Paulus war es selbstverständlich, dass er davon angetrieben wurde. Ja, er konnte nicht anders, wie er es so schön in 1. Korinther 9 ausdrückt.
„Denke nicht, dass das Wachstum deiner Gemeinde behindert wird, wenn du deine besten Leute in die Mission oder in eine neue Gemeindegründung ziehen lässt.“
Wahre christliche Sendung hat eine klare Zielrichtung: Das Evangelium muss verkündet werden, und zwar den Unerreichten wie den Kindern Gottes. Gepredigt wird die Botschaft von Jesus Christus, der stellvertretend für Sünder starb. Und jeder, der daran glaubt, empfängt das Geschenk der Vergebung und kann versöhnt werden mit Gott. Als Gemeinde hat Gott uns diesen Dienst der Versöhnung anvertraut, damit alle Menschen überall davon hören und versöhnt werden können mit Gott und so Gott verherrlichen.
Das mag für einen langjährigen treuen Gottesdienstbesucher einer Freikirche keine großartige Neuigkeit sein, und doch steckt darin die Kraft, die alles verändert. J.D. Grear formuliert es in seinem Buch Gaining By Losing: Why the Future Belongs to Churches that Send so:
„Jeder der diese Versöhnung empfangen hat, ist ein Gesandter in die Mission.“[2]
Doch wie schaffen wir es umzudenken, uns umzudrehen und Schritt für Schritt in die richtige Richtung zu gehen?
Zwei wichtige Grundgedanken
- Behalte das Wachstum des weltweiten Reiches Gottes im Blick! – Denke weiter als nur an das Wachstum deiner eigenen Gemeinde. Denke größer und erwarte, dass Gott Wachstum schenken will, welches auch durch deine Gemeinde gefördert wird. Sendung in die Mission bedeutet Anteil zu haben an dem, was Gott in der Welt tut. Freue dich über kleine Anfänge oder große Erweckungen, die passieren, weil Leute aus deiner Gemeinde ausgezogen sind, um anderen das Evangelium zu bringen.
- Empfange den Segen durch Geben! – Denke nicht, dass das Wachstum deiner Gemeinde behindert wird, wenn du deine besten Leute in die Mission oder in eine neue Gemeindegründung ziehen lässt. Das Prinzip des Säens bezieht sich auch auf das geistliche Säen von Mitarbeitern und Ressourcen. Wenn ihr als Gemeinde sendet und in die Mission investiert, dann werdet ihr auch ernten. Sei dir dessen gewiss.
Fünf Praktische Tipps
- Predige das Evangelium. – Das heißt: Wecke in deiner Gemeinde eine Begeisterung für die Kostbarkeit des Evangeliums und zeige den Menschen die Größe von Jesu Werk. Sie sollen ergriffen werden von der überwältigenden Schönheit und Gnade Gottes, die sich in Jesus Christus gezeigt hat. Leidenschaftliche Hingabe an diesen Gott sollte die Folge sein.
- Investiere dich in Einzelne. – Es ist nichts Neues. Auch Jesus, unser großes Vorbild, machte es so. Er sah den Einzelnen und investierte sich in ihn! Wo sind die Menschen in deiner Gemeinde, die Potenzial haben und geistlich hungrig sind? Lass sie nah an dich ran, lass sie ungeschönt in dein Haus blicken, gib ihnen Anteil an deinem geistlichen Leben. Lehre sie gesunde Lehre. Dadurch machst du sie zu Jüngern.
- Bete dafür, dass Gott Menschen beruft. – Jesus formulierte es einmal klar, als er sagte: „Betet für Arbeiter in der Ernte“ (Mt 9,38). Stell dir vor, du gehorchst diesem Gebot und denkst dabei an Menschen aus deiner Gemeinde oder dich selbst. Wie schön wäre es, wenn Gott Menschen für die Mission beruft, weil ihr als Gemeinde dafür gebetet habt.
- Sei bereit, Opfer zu bringen. – Ja, es kann schmerzhaft sein, wenn ein wertvoller Mitarbeiter ausgesandt wird, der treu in deiner Gemeinde gedient hat. Es tut weh, wenn sich geliebte Geschwister auf den Weg in ein fremdes, fernes Landes machen, um den Menschen dort das Evangelium zu verkünden. Aber Jesus und der Auftrag sind es wert.
- Halte das Thema Mission in den Köpfen lebendig. – Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Lade Missionare ein, die von ihrer Arbeit berichten oder macht Einsätze in Ländern, in denen ihr die missionarische Arbeit unterstützt. Gib Raum für Berichte, was Gott unter den Nationen tut. Sei selbst immer wieder bereit, deine eigene Sendung zu überdenken und für Führung zu beten. Wenn du selbst in dieser Bereitschaft lebst, werden andere es dir gleich tun.
Ich freue mich auf den Tag, an dem Gemeinden in Deutschland den Missionsbefehl wieder als ihre Aufgabe anerkennen und – so wie die Herrnhuter Gemeinschaft – dafür leben, dass Missionare ins In-und Ausland gesandt werden, damit das Reich Gottes sich weiter ausbreitet und Gemeinden entstehen. Das alles zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen.
[1] Siehe: David, Schattschneider, „William Carey, Modern Missions, and the Moravian Influence“, International Bulletin of Missionary Research, Nr. 22, Ausgabe 1, Januar 1998, S. 8.
[2] J.D. Grear, Gaining By Losing: Why the Future Belongs to Churches that Send, Grand Rapids, MI: Zondervan, 2016, S. 16.