Ein narrensicheres Jüngerschaftsprogramm

Der Gottesdienst in der Gemeinde

Artikel von John Sarver
13. April 2023 — 7 Min Lesedauer

Egal wie deine Gemeinde ihre Mission formuliert – „Gottes Wahrheit in der Welt leben und verkündigen“ oder „Die Leidenschaft für Gottes Herrschaft unter den Nationen vorantreiben“ – jede bibeltreue Gemeinde existiert, um Jünger, das heißt Evangeliums-gläubige, vom Geist erfüllte, dem Wort gehorchende, das Reich vorantreibende Nachfolger Jesu Christi zu machen. Dieses Ziel kann unterschiedlich formuliert werden und verschiedene Schwerpunkte haben. Egal wie es ausgedrückt wird, unterm Strich ist es die Aufgabe der Gemeinde, Jünger zu machen.

Okay … aber wie macht eine Gemeinde das? Wie macht deine Gemeinde das?

Hier hilft uns vielleicht eine Gedankenexperiment. Sagen wir, jemand bekehrt sich durch ein Mitglied deiner Gemeinde. Was passiert als Nächstes? Lässt man diese Person einen Grundkurs für neue Christen durchlaufen? Drängt man sie, Teil einer Kleingruppe zu werden? Oder verpflichtet man das Mitglied, das Gott bei besagter Bekehrung gebraucht hat, zur Übernahme der Jüngerschaftsbeziehung?

All das ist schön und gut. Aber lass mich gleich noch eine weitere Frage stellen: Was hat der wöchentliche Gottesdienst deiner Gemeinde mit der Jüngerschaft eines „Baby-Christen“ zu tun? Mehr noch, wie verhält sich diese neue Jüngerschaftsbeziehung zur Zusammenkunft an jedem Sonntag? Macht deine Gemeinde Menschen zu Jüngern, wenn sie sich trifft, oder nur, wenn die Gemeindemitglieder danach wieder in ihre Häuser gehen?

Eine kurze Google-Recherche oder ein flüchtiges Durchblättern des aktuellsten Katalogs deines Lieblingsverlags gibt vielleicht folgenden Grund-Tenor wieder: Echte Jüngerschaft geschieht entweder durch wohl strukturierte Programme oder durch persönliche Beziehung und eigene Andachten.

Keins von beiden möchte ich schlechtreden. Eine Jüngerschaftskultur, in der Mitglieder einander aus einem liebenden Pflichtgefühl heraus bewusst geistlich Gutes tun, ist für die Gesundheit einer Gemeinde essentiell. Programme können sich dabei als hilfreich erweisen.

Ich befürchte aber, dass viele Pastoren versehentlich einen Kernaspekt der Jüngerschaft übersehen, den das Neue Testament vorgibt: die Zusammenkunft in der Anbetung. Sie ist für das Wachstum als Christ wichtiger als jedes Programm. Ja, sogar wichtiger als jede Andacht oder jedes Hauskreistreffen im weiteren Verlauf der Woche. Die Zusammenkunft am Sonntag ist das primäre Jüngerschaftsinstrument der Ortsgemeinde. Warum? Aufgrund der Dinge, die sie verkündet und der Struktur, die sie vorgibt.

Jüngerschaft durch Verkündigung

Wenn die Gemeinde sich am Sonntag zusammenfindet, macht sie das, um anzubeten und auch, um zu wachsen. Gott lässt sein Volk durch sein Wort, das Welten schafft, Leben erhält und seine Kinder heiligt, wachsen (vgl. Joh 1,3–4; Hebr 1,1; Joh 17,17; 2Tim 3,16). Daher überrascht es nicht, dass die Schrift den Gottesdienst um sich selbst herum strukturiert. In der Versammlung sollte die Heilige Schrift gelesen und gepredigt (vgl. 1Tim 4,13; 2Tim 4,1–3), ihre Wahrheiten gesungen (vgl. Kol 3,16), ihre verheißenen Hoffnungen gebetet (vgl. Eph 6,18) und ihre Botschaft durch die Taufe und das Abendmahl verdeutlicht werden (vgl. 1Kor 11,26; 10,21).

Eine Zusammenkunft am Sonntagmorgen ist keine Show. Sie zeichnet sich nicht durch Schnickschnack oder Wortklaubereien aus. Nein. Am Tag des Herrn versammelt sich die Gemeinde im Vertrauen darauf, dass ihre Pastoren einen Gottesdienst geplant haben, der sie mit der wichtigsten Mahlzeit der Woche speist.

Anders ausgedrückt: Der gemeinschaftliche Gottesdienst macht die Gemeinde zu Jüngern, weil er das Wort verkündigt, welches für Wachstum sorgt und zum Dienst zurüstet. Christen, die so etwas erfahren haben, sind dazu angehalten, das Gehörte und Gelernte in der Gemeinschaft weiterzugeben (vgl. 2Tim 3,16–17).

Jüngerschaft durch Struktur

Überleg dir einmal, wie die Jüngerschaftsbeziehungen und -programme in deiner Gemeinde aussehen sollen. Du möchtest, dass Christen dazu in der Lage sind, die Bibel zu lesen und zu lehren, sich von Sünde abzukehren, in von Gnade getriebener Heiligkeit zu wachsen und zu lernen, die Nöte und Sorgen der anderen besser zu tragen. Der Sonntagsgottesdienst schleift diese Fähigkeiten nicht nur, er zeigt auch, wie sie zu erwerben sind.

Ausgiebige und durchdachte Gebete des Lobes, des Bekennens, des Dankes und der Fürbitte bringen Christen das Beten für- und miteinander bei. Sie lernen, von Gottes Taten zu berichten, ihre Sünden in der Erwartung der Vergebung zu bekennen und für Missionare, ihre Stadt, andere Gemeinden und ihre Glaubensgeschwister zu beten.

Weil die Schrift den Gottesdienst regelt, lernt die Gemeinde hinzuhören, wenn Gott spricht. Da gute Prediger den Text nicht nur erklären, sondern auch auslegen und illustrieren, lernt sie auch, wie sie selbst Gottes Wort lesen, ausforschen und lehren kann. Durch hilfreiche Anwendung lernen Christen, einander mit der Bibel zu trösten und zurechtzuweisen. Bibeltreues Predigen nährt Gottes Schafe nicht nur, es lässt sie auch selbst zu Lehrern werden.

„Gesunde Zusammenkünfte machen früher oder später gesunde Jünger und schwache Gottesdienste machen schwache Jünger – oder solche, die sich ihre Erbauung anderweitig suchen.“
 

Abendmahl und Taufe erinnern den Leib daran, dass das Christenleben von Buße und Glauben an Jesus gekennzeichnet ist (vgl. Röm 6,1–11). Das Brot verbindet die vielen Teile zu einem Leib (vgl. 1Kor 10,17), die Taufe trennt sie vom Lauf dieser Weltzeit (vgl. Mt 28,19; 1Kor 5,9–13).

Wie soll die Gemeinde ihre Kleingruppen, Jüngerschaftsbeziehungen, Sonntagsschulen und Familienandachten gestalten? Mit einer Kombination aus Schriftstudium, Lobpreis, Beichte und gegenseitiger Ermahnung und Ermutigung. Einfach ausgedrückt soll sie das machen, was sie am Sonntag zu sehen bekommt. Sie soll sagen, was sie hört. Individuen sollen die Gemeinschaft nachahmen. Gesunde Zusammenkünfte machen früher oder später gesunde Jünger und schwache Gottesdienste machen schwache Jünger – oder solche, die sich ihre Erbauung anderweitig suchen.

Vom Sonntag zu den anderen Tagen der Woche

Das biblische Muster des Gemeindedienstes verläuft von der Kanzel zum Volk, von der Versammlung zum Auseinandergehen.[1] Niemals andersherum. Alle anderen Gemeindedienste sollten der Zusammenkunft der Gemeinde untergeordnet sein und ihr dienen. Der Gottesdienst sollte der reißende Strom sein, der allen andern Zuflüssen der Gemeinde Leben und Richtung gibt. Diese Ordnung wird niemals umgekehrt.

Epheser 4 sagt, dass Christus aufgefahren ist, um alles zu erfüllen (vgl. Eph 4,9–10). Aus seiner Erhabenheit heraus gibt er seiner Gemeinde. Bemerkenswerterweise beschreibt Paulus verschiedene Lehrgaben: Apostel, Propheten, Pastoren und Lehrer (Vers 11). Diese sind zur Zurüstung der Gemeinde für den Dienst der Erbauung des Leibes Christi gegeben (Vers 12). Die Pastoren lehren und unterweisen Christen. Und dann machen die Gemeindeglieder, was ihre Pastoren tun: Sie reden die Wahrheit in Liebe (Vers 15). Beides, Predigen und Reden, ist wichtig, damit der Leib in geistlicher Reife wachsen kann.

Man beachte aber, dass eines davon zeitlich und funktional Vorrang hat. Jüngerschaft kommt von den Hirten zur Herde. Vom Sonntag zu allen anderen Tagen der Woche. Aus jedem Jüngerschaftsgespräch, jedem Bibelstudium, jeder Seelsorgesitzung und jeder Familienandacht hallt das Wort, das sonntags gepredigt und vorgelebt wird, wider. Das ist die Grundordnung biblischen Dienstes: Die Gemeinde versammelt sich und geht wieder auseinander, die Kinder Gottes ruhen und arbeiten wieder, die Pastoren predigen und die Herde ahmt das Gehörte nach. Eine Jüngerschaftsveranstaltung führt und ordnet alle weiteren.

Gib der Versammlung Vorrang

Gib also der Versammlung Vorrang. Lies die Schrift, wenn ihr zusammenkommt, im Wissen, dass Gott sie gebraucht, um Seelen zu erretten und Glauben zu erhalten. Leb deinen Gemeindegliedern vor, was sie in ihren Häusern und Kleingruppen zu tun haben. Lies viel. Lies ganze Kapitel. Lest die Schrift als Gemeinschaft.

Bete in euren Zusammenkünften. Bete im Wissen, dass es das Vertrauen deiner Gemeindeglieder auf Gott und ihre Gemeinschaft mit ihm stärkt. Bete so, wie du die Heiligen für- und miteinander beten sehen möchtest: Voller Lobpreis, Sündenbekenntnis, Fürbitte für die Verlorenen und Eintreten für andere Gemeinden und namentlich genannte Brüder und Schwestern.

Und predige. Predige in der Gewissheit, dass Gott durch dich spricht, um die Toten zum Leben zu erwecken, die lau Gewordenen wachzurütteln, die Treuen zu ermutigen, die Hungrigen zu füttern und die Verwundeten zu verarzten. Leg den Text aus. Beantworte schwierige Fragen. Lass die Schrift die Schrift erklären. Und wende das Gelernte auf deine Gemeinde an.

Wie bringt eine Gemeinde Jünger hervor? Durch ihre gemeindliche Zusammenkunft. Auch wenn sie nicht ausreicht, um Christen zur vollen Reife in Christus zu bringen, ist sie der Motor, der alle anderen Bemühungen antreibt.


[1] Vgl. Jonathan Leeman, Word-Centered Church: How Scripture Brings Life and Growth to God’s People, Chicago: Moody Publishers, 2017.