Vorfreude auf Ostern im Alten Testament
Stell dir vor, du lebst im Jerusalem des ersten Jahrhunderts. Ein Jahr ist vergangen, seit der Messias ein leeres Grab zurückgelassen hat. Kurz darauf hast du die Predigt des Petrus am Pfingsttag gehört, Buße getan, geglaubt, dich taufen lassen und bist der Gemeinde hinzugetan worden (vgl. Apg 2,14). Heute freust du dich darauf, mit den anderen Jüngern „des Weges“ zusammenzukommen (Apg 9,2).
Welcher Bibelabschnitt sollte deiner Meinung nach zu diesem Anlass gepredigt werden?
Würde ich dem Ältesten in dieser Situation raten dürfen, dann hätte ich ihn ermutigt, das Thema der Auferstehung näher durch die Seiten der hebräischen Bibel zu betrachten – die Schriften der ersten Christen. Hier ist mein Vorschlag für eine fünfteilige homiletische Gliederung:
1. Auferstehungskraft
Der Ausgangspunkt ist der Anfang der Bibel: die Schöpfung. Auferstehung setzt einen Gott voraus, der die Macht hat aufzuerstehen. Und Gott bewies auferstehungsähnliche Macht, als er die Welt ins Leben rief.
In 1. Mose 1 spricht Gott – und daraufhin entstehen der Himmel, Licht, Land, Lebewesen und Menschen. Er schafft alles aus dem Nichts, durch die Kraft seiner Stimme. Derselbe Gott macht Tote lebendig. Er haucht Adam als dem Ersten Leben ein; er haucht den Toten neues Leben ein. Mose und Hanna sind sich einig: Gott ist es, der tötet und lebendig macht (vgl. 5Mose 32,39; 1Sam 2,6).
An jedem Osterfest erinnern wir uns an die Macht, die Jesus von den Toten auferweckte – dieselbe Macht, die alles aus dem Nichts erschuf.
2. Auferstehungsvorboten
Gott übt im Alten Testament dreimal offenkundig Auferstehungskraft aus – alle drei Situationen finden wir in den Könige-Büchern. Zunächst erweckt Gott durch Elia den Sohn der Witwe von Zarpat wieder zum Leben (vgl. 1Kön 17). Dieses Ereignis spiegelt sich dann in Elisas Dienst wider, als Gott den Sohn der Schunamitin von den Toten auferstehen lässt (vgl. 2Kön 4). Schließlich ersteht ein Toter, der in Elisas Grab geworfen wird, wieder zum Leben, als sein Körper mit Elisas Gebeinen in Berührung kommt (vgl. 2Kön 13,21).
Diese Ereignisse waren zwar keine Auferstehungen im eigentlichen Sinne, sondern Wiederbelebungen. (Die Personen wurden zwar wieder zum Leben erweckt, aber sie wurden nicht verherrlicht – das geschieht erst in der Zukunft.) Dennoch zeigen sie, dass Gott die Macht über das Grab hat. Er verweigert dem Tod seine Opfer.
Diese Wiederbelebungen sind „Vorboten der Auferstehung“, die uns dazu auffordern, die außergewöhnlichen Taten zu feiern, die nicht nur die Auferstehung Jesu, sondern auch die unsere vorweggenommen haben.
3. Auferstehungsandeutungen
Schaue dir einige herausstechende Andeutungen an, die uns zur Feier der Auferstehung Jesu leiten. Am bekanntesten ist vielleicht König Davids Erklärung, er werde irgendwann zu seinem Sohn gehen, der im Säuglingsalter gestorben war (vgl. 2Sam 12,23). Das ist vielleicht noch keine echte Auferstehungshoffnung, sondern eher ein Hinweis auf ein Leben nach dem Tod. Dazu kommt allerdings Hiobs Zuversicht, dass er nach seinem Tod Gott in seinem Fleisch wiedersehen wird (vgl. Hiob 19,25–27). Das ist eine erstaunliche Aussage. Hiob ist sich sicher, dass er auf der anderen Seite des Todes Gott von Angesicht zu Angesicht mit seinen eigenen Augen sehen wird.
„An jedem Osterfest erinnern wir uns an die Macht, die Jesus von den Toten auferweckt hat – dieselbe Macht, die alles aus dem Nichts erschuf.“
Solche Anspielungen lassen das Buch Jona in einem anderen Licht erscheinen. Das Gebet des Jona in Jona 2 – ein Psalm – stellt Jona bildlich als tot auf dem Meeresgrund dar (vgl. Jona 2,5–6). Doch dann greift Gott ein: „… da hast du, HERR, mein Gott, mein Leben aus dem Grab herausgeführt!“ (Vers 7b). Wenn man schließlich bedenkt, dass Jona drei Tage lang im Grab des Meeres lag (vgl. Jona 1,17), ist es nicht verwunderlich, warum Jesus selbst Jona als Zeichen für seine bevorstehende Auferstehung nennt (vgl. Mt 12,38–42).
4. Auferstehungsgedichte
Das Buch der Psalmen ist voller Auferstehungsgedichte. Denk mal darüber nach: Davids Behauptung in 2. Samuel 12,23 bekommt einen anderen Stellenwert, wenn man sie im Lichte seiner Zuversicht betrachtet, dass Gott ihn keine Verwesung sehen lassen wird (vgl. Ps 16,10). Bereits im nachfolgenden Psalm schreibt er von der Hoffnung, zu erwachen und Gottes Angesicht zu sehen (vgl. 17,15) – eine Metapher, die oft mit der Auferstehung verbunden ist. Die Söhne Korahs singen davon, dass Gott sein Volk aus dem Grab befreit hat (vgl. 49,16), was darauf hinweist, dass auf den Tod das Leben folgen kann. David wiederholt die Erinnerung daran, dass unser Gott ein Gott des Heils ist – was die Befreiung vom Tod mit einschließt (vgl. 68,21). Der anonyme betagte Mann in Psalm 71 malt schließlich ein Bild davon, wie Gott ihn aus den Tiefen der Erde wiederbelebt (vgl. 71,20).
Diese Hinweise machen deutlich, dass das Grab nicht das endgültige telos (dt. Ziel, Endzweck, Anm.d.Übers.) von Gottes Beziehung zu seinem Volk ist. Immer wieder geben die Psalmisten einen vielversprechenden Ausblick auf die Befreiung vom Tod und das Leben jenseits des Grabes.
5. Auferstehungsprophetien
Auferstehungsprophetien wären ein passender Höhepunkt für eine antike „Oster“-Predigt.
Die vielleicht überzeugendste finden wir in Jesaja 25–27. Der Prophet verspricht in diesen Kapiteln, dass der Tod seinen Stachel verloren hat. Warum? Aufgrund der Hoffnung auf die Auferstehung. Der Tod wird vernichtet und die Tränen abgewischt werden (vgl. Jes 25,8–9). Die Toten werden leben, die Leiber werden auferstehen, die, die schon unter der Erde sind, werden erwachen, und die Erde wird die Toten freigeben (vgl. 26,19). Jesaja sagt es deutlich: Das Grab ist nicht das Ende.
Auch am Ende des Buches Daniel verspricht Gott, dass diejenigen, die im Staub der Erde schlafen, erwachen werden, mit ewigen Folgen – die einen zum ewigen Leben, die anderen zu ewiger Schmach und Schande (vgl. Dan 12,2). Sicher hat Daniel hier die Auferstehung im Blick.
Zusammen mit den alten Propheten feiern wir Gottes Vorankündigung dessen, was er an jenem ersten Ostern tun würde – und wir freuen uns auf das, was die Menschen in Christus noch erwartet.
Feiere Ostern mit der Bibel der frühen Gemeinde
Jesus selbst ermutigt uns zu diesem thematischen Überblick über die Schriften (z.B. Mk 12,26–27; Lk 24,44–46; Joh 20,9). Und nur bei Jesus sehen wir, wie diese Passagen zur Auferstehung aus dem Grab heraufführen – und damit zu der sicheren und gewissen Hoffnung, dass auch wir aus dem Grab auferstehen werden.
Wäre ich an jenem Sonntag, im Jahr nach der Auferstehung unseres Herrn, mit anderen Weggefährten durch Jerusalem gezogen, hätte ich sie ermutigt, anhand der Bibel der frühen Gemeinde zu feiern.