Kann eine Krebserkrankung Gottes Absichten dienen?

Artikel von Randy Alcorn
29. März 2023 — 9 Min Lesedauer

Was ich in den letzten Lebensjahren meiner Frau beobachten durfte

Im März 2022 verlor meine geliebte Frau Nanci ihren vierjährigen Kampf gegen den Darmkrebs. In den 54 Jahren, in denen ich sie gekannt habe, liebte Nanci Jesus. Aber in den letzten vier Jahren durfte ich aus allernächster Nähe eine wunderbare und übernatürliche Veränderung beobachten.

2019 schrieb Nanci einer befreundeten Person, die auch an Krebs erkrankt war:

„Der Kampf gegen den Krebs ist hart. Aber meine Zeit mit dem ‚Ancient of Days‘ (einer meiner Lieblingsnamen für Gott, dt. ‚Der von Alters her ist‘  (HFA), vgl. Dan 7,9.13) war episch! Er ist mir auf eine Art begegnet, die mir zuvor unbekannt war. Ich habe seine Souveränität, seine Gnade und unwandelbare Liebe in spürbarer Weise erlebt. Ich vertraue ihm nun auf einem Level, das für mich zuvor unvorstellbar war.“

Ich sah, wie Nanci täglich über der Bibel meditierte, großartige Bücher über Gott las und ein Tagebuch führte. Darin schrieb sie Bibelverse, kraftvolle Zitate von Spurgeon oder anderen Autoren sowie persönliche Reflexionen auf. An einem unvergesslichen Morgen erzählte sie mir, was sie nach dem Meditieren über Psalm 119,91, „Nach deinen Ordnungen bestehen sie bis heute; denn es muss dir alles dienen“, aufgeschrieben hatte:

„Mein Krebs ist Gottes Diener in meinem Leben. Er nutzt ihn auf Wegen, die er mir bereits offenbart hat, und auf viele andere Arten, die ich noch begreifen muss. Ich komme in dem Wissen zur Ruhe, dass der Krebs in der Kontrolle eines souveränen Gottes ist, der gut ist und Gutes tut.“

Am Boden zerstört und trotzdem dankbar

Neun Monate später versammelten sich unsere Töchter und ihre Familien auf Nancis Wunsch hin, um ihre letzten Worte voll überströmender Liebe für uns und voll ungebrochenen Vertrauens in ihren souveränen König zu hören.

Als einer unserer Enkel neben ihr saß und ihr zuhörte, wie sie darum kämpfte sprechen zu können, und mir zuhörte, wie ich die kraftvollen Worte ihres Tagebuchs vorlas, sagte er: „Oma, wenn du Gott jetzt vertrauen kannst, weiß ich, dass ich ihm in allen Situationen vertrauen kann.“ Ein anderer Enkel sagte: „Ich werde nie vergessen, was du uns heue gesagt hast.“

Genau eine Woche später hielt ich ihre Hand und sah, wie sie ihren letzten Atemzug in dieser verfluchten Welt tat.

In diesen vier Jahren durfte ich an jedem einzelnen Tag Gottes heiligendes und fröhlich machendes Werk in meiner Frau miterleben:

„Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Röm 5,3–5)

Nanci und ich – sowie Tausende weltweit – beteten täglich für ihre Heilung. Gottes letztendliche Antwort darauf war, sie aus ihrem Leid zu retten, indem er sie in seine Gegenwart holte, wo es „viel besser wäre“ (Phil 1,23). Durch ihre Leiden bewirkte er in ihr eine ewige Fülle an Herrlichkeit, die alles bei Weitem überwiegt (vgl. 2Kor 4,17). In all dem lobte sie Jesus und ich werde für immer dasselbe tun, auch wenn ich sie sehr vermisse.

Warum Gott so etwas zulässt

Als Nancis Aussage: „Mein Krebs ist Gottes Diener“ gepostet wurde, reagierte jemand so: „Was? Nicht Gott gibt den Menschen Krebs! Jesus hat unsere Krankheiten getragen und unseren Schmerz am Kreuz auf sich genommen.“

„‚Gott lässt zu, was er hasst, um zu erreichen, was er liebt.‘“
 

Diese Person ist nicht allein mit ihrem Versuch, Gott und das Leid voneinander zu separieren. Wenn wir aber sagen, dass Krankheit nur vom Satan und dem Sündenfall kommt, trennen wir Gott von unserem Leiden und seinen tieferen Absichten. Gott ist souverän. Niemals lässt er Böses willkürlich zu. Alles, was er tut, entspringt seiner Weisheit und entspricht sowohl seiner Heiligkeit als auch seiner Liebe.

Joni Eareckson Tada zitiert häufig die Worte ihres Freundes Steve Estes: „Gott lässt zu, was er hasst, um zu erreichen, was er liebt.“ Gottes „Zulassen“ ist sogar bedeutender, als es klingen mag. Letztendlich geschieht immer das, was Gott zulässt. Und was er nicht zulässt, geschieht auch nicht.

Ganz am Ende des Buches Hiob lesen wir Folgendes über die Familie und Freunde Hiobs: „Sie bezeugten ihm Teilnahme und trösteten ihn wegen all des Unglücks, das der HERR über ihn gebracht hatte“ (Hiob 42,11). Noch zu Beginn des Buches erläutert uns der Autor, dass die Probleme Hiobs aus der Idee und dem Handeln Satans entspringen. Der inspirierte Wortlaut weist jedoch darauf hin, dass Satans Bemühungen indirekt durch Gottes souveräne Erlaubnis auch Gottes Handeln sind. Viele finden eine solche Wahrheit beunruhigend, doch, richtig verstanden, ist sie tröstend. Was hingegen zutiefst beunruhigend sein sollte, ist die Vorstellung, dass Gott tatenlos zusieht, während der Satan, Übeltäter, Krankheiten und Unfälle das Leben von Gottes geliebten Kindern ruinieren.

Charles Spurgeon litt furchtbar unter Depressionen, Gicht, Rheuma, Nervenentzündungen und einer Nierenentzündung. Dennoch sagte er:

„Es wäre eine bittere und sehr herausfordernde Angelegenheit für mich, wenn ich denken würde, dass ich unter etwas leide, was Gott mir niemals auferlegt hat, … dass meine Strapazen nie von ihm abgewogen wurden, oder von ihm ohne vorherige Prüfung nach Gewicht und Menge mir übergeben wurden.“

Gnade übertrumpft Leid

Nanci und ich durften bereits Jahre vor ihrer Krebsdiagnose immer wieder Gottes souveränes Handeln und seine Führung erleben. Wir durften erkennen, dass es Gottes Plan war, mich abhängiger von ihm zu machen, als ich vor 35 Jahren insulinabhängiger Diabetiker wurde. Auch dass Klageverfahren einer Abtreibungsklinik vor über 30 Jahren in Höhe von 8,2 Millionen Dollar war sein Weg, mich weg von dem Pastorendienst, den ich so liebte, hin zu einem Dienst zu führen, der weitreichender war, als wir uns es jemals vorstellen konnten.

Gottes Hände waren weder durch meine genetische Veranlagung zu Diabetes (eine Folge des Sündenfalls) gebunden noch durch die Rache der Kindermörder (die Folge menschlicher Sünde und dämonischer Strategien). Er machte nicht einfach nur das Beste aus der schlechten Situation. Er nahm die schlechten Umstände und nutzte sie zu seinem Ruhm und zu unserem Besten. Seine Gnade übertrumpfte unser Leiden bei Weitem.

„Er macht nicht einfach nur das Beste aus der schlechten Situation. Er nimmt die schlechten Umstände und nutzt sie zu seinem Ruhm und zu unserem Besten.“
 

Wenn dem nicht so wäre, würde jede Person, die mit einer unheilbaren Krankheit kämpft, in dem Glauben belassen werden, dass sie einfach Pech hat und dass Gott entweder nicht so stark oder so liebevoll ist, wie er es behauptet. Eltern, die ein Kind verloren haben, müssten glauben, dass es sich dabei um einen sinnlosen Unfall handelte, der hätte vermieden werden können, wenn bloß das Kind nicht zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen wäre, der Autofahrer bloß nicht betrunken oder aber irgendeiner von tausend anderen Umständen anders gewesen wäre.

All diese „Was wäre, wenn …“-Überlegungen treiben uns in den Wahnsinn. Wenn wir uns stattdessen darauf einlassen, dass Gott höhere Absichten verfolgt, selbst wenn diese für uns in schmerzhaften und tragischen Erlebnissen nicht sofort nachvollziehbar sind, bestätigen wir Gottes Größe. Das ist kein stumpfe Schicksalsergebenheit, sondern das Vertrauen in das Wesen und die Verheißungen unseres treuen, allwissenden Gottes.

Mein guter Freund David O’Brien erzählte mir mit seiner undeutlichen und schwerfälligen Stimme, dass Gott seine zerebrale Lähmung dazu benutzt hat, seine Abhängigkeit von Christus zu vertiefen. Half es ihm? Er lebte in der Überzeugung, dass seine 81-jährige Leidenszeit kein kosmischer Zufall oder satanischer Sieg waren, sondern großes Erbarmen aus der gütigen Hand des allmächtigen Gottes.

Gründe außerhalb des Offensichtlichen

Durch Gottes Gnade konnte Nanci ihre Aufmerksamkeit auf sein Wesen konzentrieren. Acht Monate nach der Krebsdiagnose schrieb sie:

„Ich möchte diese Krebserfahrung ganz ehrlich nicht mit dem früheren Zustand tauschen. Gott hat die letzten Monate genutzt, um mir ein tieferes Verständnis und Erleben seiner Souveränität, Weisheit, unerschütterlichen Liebe, Gnade, Barmherzigkeit, Treue, Allgegenwart, Vertrauenswürdigkeit und Allmacht anzuspornen.“

In Psalm 119,71 heißt es: „Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Anweisungen lerne.“ Wenn Leiden gut für den Psalmisten war, dann würde das Fernbleiben von Leid auch gleichzeitig das Fernbleiben von Gutem bedeuten. Im Universum geht es vor allen Dingen zuerst um die Ziele, Pläne und Herrlichkeit Gottes. Gott verfolgt ewige Absichten und Pläne und weiß besser als wir, was das Beste ist.

Unser souveräner Gott webt Millionen von Details in unser Leben ein. Er mag einen großen oder viele tausend kleine Gründe dafür haben, warum er uns mit einer Person, mit Erfolg oder Misserfolg, einer Krankheit oder einem Unfall begegnet. Seine Gründe liegen dabei oft außerhalb unseres Sichtfeldes. Wenn Gott Krebs oder einen Autounfall benutzt, um uns in sein Ebenbild zu verwandeln, dann wird er verherrlicht werden, ganz gleich, welche menschlichen, dämonischen oder natürlichen Kräfte am Wirken sind.

„Du großer und starker Gott, dessen Name ‚HERR der Heerscharen‘ ist, groß an Rat und mächtig an Tat“ (Jer 32,18–19). Hinter den Kulissen ist Gott am Werk und eines Tages werden wir die verborgenen Absichten unseres Leidens verstehen.

Wirst du sehen, was ich sah?

Zweifelsohne diente der Krebs in Nancis Leben Gottes Absichten, das konnte ich selbst unter Tränen klar erkennen. Bei ihrer Beerdigung sagte ich:

„Das Auffälligste an Nanci in ihren Krebsjahren war ihre wundervoll große Sicht auf Gott, die sie aus der Bibel und großartigen Büchern nährte. Je mehr sie über Gottes Liebe, Gnade und Souveränität nachdachte, desto mehr wuchs ihr Vertrauen zu ihm.“

So sagte ich unserer versammelten Familie, unseren Freunden und Gemeindemitgliedern, von denen viele mit ihren eigenen schmerzhaften Prüfungen zu kämpfen haben, was Gott mir aufs Herz legte:

„Diese große, schöne und lebensverändernde Sicht auf Gott kannst du auch haben. Warum verbringst du nicht den Rest deines Lebens damit, diese Sicht auf Gott anzustreben?“