Ganz. Schön. Lebendig.

Rezension von Eowyn Stoddard
23. März 2023 — 8 Min Lesedauer

Neulich hatten meine erwachsenen Töchter und ich ein interessantes Gespräch über Selbstliebe, die bei Teenagern und jungen Erwachsenen ein immer größeres Thema zu werden scheint. Ich versuchte zu erklären, wie fremd die Idee der Selbstliebe den Christen älterer Generationen ist, denen beigebracht wurde, dass Selbstaufopferung die höchste christliche Tugend ist. Im Gegensatz dazu klingt Selbstliebe egozentrisch. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass unser Leben ein Geschenk Gottes ist, das angemessen gepflegt und verwaltet werden muss.

Eine ermutigende Entdeckungsreise

Ganz. Schön. Lebendig. von Elena Schulte ist ein Versuch, gläubigen Frauen zu helfen, sich auf eine einjährige Entdeckungsreise über sich selbst in allen Facetten ihres Lebens zu begeben:

„Eine Reise, die GANZheitlich ist – für Körper, Seele und Geist, für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Reise, die SCHÖN ist – weil sie an so viel Gutem vorbeiführen wird … und eine Reise, die LEBENDIG ist – denn du darfst sie an der Hand dessen machen, der selbst das Leben ist.“ (S. 3)

Das Buch mit festem Einband ist in zwölf Monate unterteilt, welche die Themen Körper, Kirche und Glaube, Alltag, Beziehungen und Berufung wiederholt behandeln. Eigentlich handelt es sich dabei eher um ein Arbeitsbuch mit Fragebögen, Tabellen und Bewertungsübungen zur Selbsteinschätzung. Das Buch ist ästhetisch gestaltet, mit wunderschönen Fotos, einem angenehmen Layout und viel Platz zum Schreiben. Es ist sehr positiv formuliert und ermutigt jede Frau, sich als einzigartige Tochter Gottes zu sehen, die von ihm geliebt und berufen ist, trotz ihrer Begrenzungen in der Welt.

„Menschen brauchen Gottes Gnade zur Veränderung, kein bestätigendes Schulterklopfen.“
 

Die Autorin ruft dazu auf, die Arbeit der Selbstfindung ernst zu nehmen und sogar einen Vertrag einzugehen, um das Buch durchzuarbeiten. Dennoch geschieht dies nicht auf gesetzliche Weise oder mit Druck. Es hat den Anschein, dass die Autorin sich bemüht, keinen christlichen Jargon zu verwenden und weniger zu lehren, sondern vielmehr als begleitende „Freundin“ verstanden werden will, um Frauen in ihrem Wachstum zu ermutigen und zu unterstützen.

Viel Selbstreflexion

Dies gelingt der Autorin auch. Was das Buch meiner Meinung nach gut macht, ist, einen Raum für Selbstreflexion zu schaffen – etwas, was die meisten Frauen wahrscheinlich viel zu wenig tun. Wie sehe ich meinen Körper? Wie kann ich ihn und seine Grenzen akzeptieren und ihn gut nutzen?

„Ich lade dich zu einem Gedankenexperiment ein: Stell dir einmal vor, es gäbe keine Models, Werbetafeln oder Diätkampagnen. Niemand würde einen Maßstab für ‚richtig‘ oder ‚schön‘ aufstellen. Stattdessen würden nur lauter verschiedene, individuelle Frauen über die Erde laufen.“

Solche Einladungen, unsere Beweggründe für unsere eigene Selbstwahrnehmung zu überprüfen, sind hilfreich. Einige Empfehlungen sind spezifisch, und man sollte kein Gesetz daraus machen, wie etwa das Aussortieren von Dingen à la Marie Condo oder Tipps zur Nachhaltigkeit.

Zu viel Schulterklopfen

Andere immer wiederkehrende Ausdrücke sind hingegen schwierig, weil sie nicht immer gut definiert werden. „Ich bin richtig“, „Du bist okay“ oder „Jeder ist genau richtig, wie er oder sie ist“ (S. 41, 42) sind verwirrend – vor allem, weil die Kategorien von „Schwächen“, „Grenzen“, „Fehlern“ und „Sünden“ mitunter verwechselt werden. Die Liste von „Schwächen“, die auf Seite 262 aufgelistet wird, beinhaltet mehrere Sünden: Neid, Lästerei, Streitsucht. „Grenzen“ wie Reizbarkeit, starke Selbstkritik, Mutlosigkeit (vgl. S. 261) könnten auch auf Sünde zurückgeführt werden. „Fehler“ sollen von Gott vergeben werden (S. 65). Sünde wird einmal erwähnt und definiert:

„In Gottes Augen ist Schuld weniger die einzelne, falsche Handlung, sondern mehr eine Grundeinstellung. Wir haben uns selbst zum Gott unseres Lebens erhoben. Unser Egoismus und Selbstbestimmung stehen auf Platz 1.“ (S. 188)

Dann wird die Leserin eingeladen, sich in die Kreuzigungsszene hineinzuversetzen und daraus zu ziehen, was Jesus zu ihr sagt, was sie daraus lernt und wie diese Szene ihr Herz ergreift. Diese Übung mag manchen eigenartig erscheinen, doch sie kann hilfreich sein. Schließlich laden manche Lieder, die wir schätzen, zu Ähnlichem ein:

„Ich schaue auf den Mann am Kreuz,
kann meine Schuld dort sehen.
Und voll Beschämung sehe ich
mich bei den Spöttern stehen.
Für meine Sünden hing er dort,
sie brachten ihn ums Leben.
Sein Sterben hat sie ausgelöscht.
Ich weiß, mir ist vergeben.“[1]

An anderen Stellen verliert sich diese Botschaft, und zur Buße wird nie aufgerufen. In der Übung „Was für ein Typ bis du?“ soll man bestimmte Eigenschaften einkreisen. Auf der einen Seite stehen: „stetig, gelassen, entspannt, verzeihend, strukturiert, selbstbewusst, gewissenhaft, fröhlich“. Auf der anderen Seite: „rastlos, perfektionistisch, verbissen, ungnädig, chaotisch, hilflos, unzuverlässig, ernsthaft, unsicher“. Dann wird behauptet: „Freu dich darüber, dass du genau so bist. Denn jede Eigenschaft hat ihre Stärken!“ (S. 11). Das ist schlichtweg falsch. Jesus würde nie sagen: „Gesegnet sind die verbissenen, ungnädigen, rastlosen Menschen!“ Nein, diese Menschen brauchen Gottes Gnade zur Veränderung, kein bestätigendes Schulterklopfen.

Ja, aber …

An so vielen Stellen hatte ich als Leserin „Ja, aber ...“-Momente, wie bei diesen Aussagen: „Das Herz ist eine Schatzkammer“ (S. 51). Ja, aber in der Bibel steht auch: „Überaus trügerisch ist das Herz und bösartig; wer kann es ergründen?“ (Jer 17,9). Das Herz ist der Sitz unserer tiefsten Beweggründe und kann von Gott verwandelt werden, aber das menschliche Herz ist nicht nur eine Schatzkammer, sondern auch eine Götzenfabrik. „Feiere Dich!“ Ja, aber Jesus sagt auch: „Wer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ (Mk 8,34). Jesus fordert ein radikales Leben, das weder von Komfort oder der Überbeschäftigung mit sich selbst noch von Askese geprägt ist.

„Zu einer wahren, gesunden Selbsteinschätzung gehören sowohl ein Verständnis unserer tiefen Verlorenheit als auch, dass wir Empfänger der überwältigenden Gnade Gottes sind.“
 

Das Schlüsselkonzept dieses Buches ist die Konzentration auf die Liebe zum eigenen Ich und das Erreichen eines glücklichen, erfüllten Lebens. Es will auch die Beziehung zu Gott einbeziehen, aber diese fühlt sich manchmal wie das Mittel zum Zweck an, statt das ultimative Ziel unseres Lebens. Zu einer wahren, gesunden Selbsteinschätzung gehören sowohl ein Verständnis unserer tiefen Verlorenheit als auch, dass wir Empfänger der überwältigenden Gnade Gottes sind. Das motiviert uns, uns selbst zu sehen, wie Gott uns sieht.

Wachstum im Glauben und die Annahme unserer selbst ist ein Prozess, der ein tiefes Verständnis von Sünde und Verlorenheit, vom Ausmaß des Werkes Christi am Kreuz zur Errettung, von der Rechtfertigung, die Jesus uns schenkt, und der Heiligung, die er in uns bewirkt, benötigt. Das Ziel ist die Christusähnlichkeit. Natürlich gehört das Achten auf uns selbst zu unserem Auftrag! Unseren Körper sowie alle anderen Gaben, die Gott uns geschenkt hat, haben wir zu seiner Ehre zu verwalten.

Was ist mit dem Leid?

Ein großes Versäumnis des Buches ist das Auslassen des Themas Leid und wie wir daran wachsen können. Der Gedanke, dass wir es irgendwie verdienen, dass es uns gut geht, stimmt einfach nicht mit der Realität überein. Gott hat manchmal überraschend andere Wege, uns Jesus ähnlicher zu gestalten. Oft bestimmt er dazu Leidenswege. Das passt jedoch nicht zu der Vorstellung, dass Gott uns immer nur verwöhnen will.

„Wir können getrost sein, dass Gott uns Ganz. Schön. Lebendig. machen wird, denn er hat uns versprochen, dass er das gute Werk, das er bei uns angefangen hat, auch zur Vollendung bringen wird.“
 

Alles in allem ist die Idee einer Reise zum Wachstum hin, die das Buch vermitteln will, eine sehr gute Sache. Deshalb wollte ich das Buch wirklich mögen und empfehlen können. Ein paar Ideen und Anregungen fand ich gut und habe sie für mich notiert. Es gibt allerdings auch eine ganze Reihe von Unklarheiten, die sehr verwirrend und widersprüchlich sind. Ich bin mir nicht sicher, ob das Buch ein klares biblisches Verständnis von Sünde, Heiligung, Wachstum, von der Rolle des Wortes Gottes und von Jüngerschaft vermitteln kann. Viel besser wäre es, in der Jüngerschaft der Ortsgemeinde angeleitet zu werden, Zeiten der Reflexion und des Gebets als regelmäßigen Bestandteil des Alltags einzuplanen und Rechenschaft bei anderen, die einem nahe stehen, abzulegen. Wir können getrost sein, dass Gott uns Ganz. Schön. Lebendig. machen wird, denn er hat uns versprochen, dass er das gute Werk, das er bei uns angefangen hat, auch zur Vollendung bringen wird.

Buch

Elena Schulte, Ganz. Schön. Lebendig., Holzgerlingen: SCM, 2022, 288 Seiten, ca. 23 EUR.


[1]  Stuart Townend, „Wie tief muss Gottes Liebe sein“, Ute Orth (Übers.), Thankyou Music (Verwaltet von SCM Hänssler), 1995.