Sieben Mythen über das Single-Sein

Rezension von Anna Sophia Lang
16. März 2023 — 10 Min Lesedauer

Der langjährige Pastor, Seelsorger und Single Allberry beginnt sein äußerst lesenswertes Buch mit der humorvollen und etwas düpierenden Aussage, dass wir gar nicht so viel wissen, wie wir meinen. So wissen wir auch über das Single-Sein viel zu wenig. Der Autor entlarvt in seinem Buch die Lügen, in denen Unverheiratete sich folglich oft gefangen finden und mit denen sie gerade in der christlichen Gemeindelandschaft konfrontiert werden. Unter Christen werden Alleinstehende gern als Menschen angesehen, mit denen etwas nicht stimmt, so Allberry. Anhand der Bibel widerlegt der Autor die folgenden sieben Mythen, die sich um das Single-Sein ranken:

  1. Das Single-Sein ist zu schwer.
  2. Das Single-Sein bedarf einer besonderen Berufung.
  3. Das Single-Sein bedeutet: keine Vertrautheit und Nähe.
  4. Das Single-Sein bedeutet: keine Familie.
  5. Das Single-Sein ist ein Hindernis für den Dienst.
  6. Das Single-Sein ist eine Verschwendung der Sexualität.
  7. Das Single-Sein ist leicht.

Indem Allberry über Jesus redet – den sündlosen, berühmtesten Single der Welt –, wirbt er für eine richtige Sichtweise auf den nach wie vor stigmatisierten Familienstand „ledig“. Im Anhang wendet sich der erfahrene Seelsorger hauptsächlich an die Zielgruppe junger, verheirateter Männer und zeigt ihnen anhand von Beispielen aus seiner langjährigen Praxis im Gemeindedienst vier Wege auf, wie sie sexuelle Sünde – konkret Ehebruch – vermeiden können.

Das Ziel des Buches ist, der ganzen Gemeinde bewusst zu machen, dass das Single-Dasein gut ist. Das sollen nicht nur Alleinstehende wissen, sondern auch alle anderen, zumal die biblische Lehre über das Single-Sein der ganzen Gemeinde gegeben wurde. Warum? Weil wir erstens als ein Leib alle zusammengehören und das, was einem von uns geschieht, somit Auswirkungen auf alle hat. Und weil zweitens auch Verheiratete früher oder später wieder alleinstehend sind. Singles sollen also ermutigt und die restliche Gemeinde angespornt werden, das Netzwerk aus Familien auf eine große, liebevolle Familie aus Ehepaaren und Singles auszuweiten. Das Buch ist für Gemeindeleiter, Singles und Verheiratete gleichermaßen instruktiv.

Die Gemeinde tut sich schwer mit Singles

„Bist du verheiratet?“ „Hast du Familie?“ Gekonnt führt uns der Autor gleich in der Einleitung seines Buches das Stigma des Single-Seins in christlichen Gemeinden vor Augen:

„[B]ei einer negativen Antwort wissen die Leute oft nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen. Die Unterhaltung gerät ins Stocken. In einem Gespräch ist das Thema Ehe so etwas wie eine Kreuzung, von der aus mehrere interessante Diskussionsstraßen abgehen. Das Stichwort ‚Single‘ ist dagegen eher wie eine Sackgasse, aus der man sich umständlich wieder herausmanövrieren muss.“ (S. 12)

Während die Vorzüge und Freiheiten des Single-Seins im säkularen Kontext gefeiert werden (und die Sologamie, d.h. die „Heirat“ mit sich selbst, gerade en vogue ist), bilden Singles im Gemeindekontext nach wie vor eine Gruppe von Menschen, denen das Image des Verlierers anhängt und mit denen man nicht so recht umzugehen weiß. Auf dem von Ehe- und Ehevorbereitungsliteratur überschwemmten Büchermarkt sind sie kaum vertreten – schließlich gibt es ja auch nichts Erhabenes über sie zu schreiben, oder? Das Single-Dasein wird meist negativ beschrieben und kann im besten Fall erträglicher gemacht werden. Jedenfalls definiert es sich über das Fehlen von etwas. Es ist der Zustand eines Mangels, der Zustand des Nicht-verheiratet-Seins.

„Wenngleich Paulus mit seinem Zustand als Single durchaus gerungen haben mag, hat Gott ihn doch zu einem außerordentlichen Dienst befähigt und ihm die Kraft gegeben, denselben zum Gewinn für Menschen rund um den Erdball auszuüben.“
 

Obwohl die Zahl an Singles in Deutschland und auch unter Christen kontinuierlich ansteigt, spielen Singles in Gemeinden nach wie vor eine untergeordnete Rolle. In seinen Ausführungen hierzu spricht Allberry die Tatsache an, dass alleinstehende Pastoren nur schwer eine Stelle finden. „Sobald ich sage, dass ich alleinstehend bin und nie verheiratet war, höre ich nie wieder von ihnen“, zitiert Allberry einen befreundeten Pastor. Er merkt an, dass diesem Umstand wohl weniger gottgemäße Erwägungen zugrunde liegen als viel mehr der Verdacht, dass mit einem unverheirateten Pastor etwas nicht stimmt. Dass Single-Sein ein Hindernis für den Dienst sein soll, widerlegt der Autor anhand einschlägiger Bibelstellen, in denen Paulus etwa eheliche Treue im Falle des Verheiratet-Seins betont, ein Verheiratet-Sein an sich aber nicht für den Dienst voraussetzt. Ansonsten müssten, so Allberry, auch Pastoren ohne Kinder – oder gar solche mit weniger als zwei Kindern – vom Dienst ausgeschlossen werden.

Es tut also Not, dass sich ein Pastor traut, das missliebige Thema der Singles aufzugreifen und den Gemeinden vorzulegen. Allberry tut das nicht aus sicherer Distanz, sondern als direkt Betroffener. Auch wenn sich die heutige Gemeinde mit Singles vielleicht noch schwertut, tut Gott sich nicht schwer mit ihnen. Wenngleich Paulus mit seinem Zustand als Single durchaus gerungen haben mag, hat Gott ihn doch zu einem außerordentlichen Dienst befähigt und ihm die Kraft gegeben, denselben zum Gewinn für Menschen rund um den Erdball auszuüben.

Verschwendete Sexualität? Wahre Freundschaft!

Gleich zu Beginn unterscheidet der Autor daher zwischen der Situation eines gläubigen Singles und eines Singles im säkularen Kontext. Letzterer ist zwar unverheiratet, muss jedoch durchaus nicht auf Sex verzichten. Im Gegensatz dazu betrifft einen Single im christlichen Kontext das landläufig als ungesund geltende Konzept der Keuschheit sehr konkret, soll er doch sexuell enthaltsam leben.

Es ist für den Leser, den das Thema direkt betrifft, schwierig, die Aussage, das Single-Sein sei eine gute Gabe Gottes, mit der Lehre der langfristigen Enthaltsamkeit zu vereinen, ohne von der Frage eingeholt zu werden, ob da nicht etwas Bedeutsames und von Gott Erschaffenes im Leben komplett verschwendet wird: die Sexualität. Dieser Frage wird von jenen verheirateten Geschwistern in der Gemeinde Nachdruck verliehen, die Singles hinter vorgehaltener Hand vorwerfen, in Sünde zu leben, weil sie dem Schöpfungsauftrag Gottes nicht nachkommen würden. Die Vorstellung, Gott führe Singles in eine Situation, die Sünde erzwingt, widerspricht jedoch der vollkommenen Einheit und Integrität Gottes. Dem geht Allberry mit großer Ernsthaftigkeit und Konsequenz nach. Er bemängelt, dass Jesus zu diesem Thema immer wieder abgeschwächte Worte in den Mund gelegt werden, um seine unbequeme Lehre über Sex und Ehe gesellschaftsverträglich zu machen – schließlich ist ein Leben ohne Sex unzumutbar und ein verpfuschtes obendrein, nicht?

Während Menschen in der säkularen Welt zwar immer später heiraten, ist das Heiraten unter Christen immer noch eine Art Initiationsritus, ein Zeichen des Erwachsenwerdens. So werden nicht nur die eigenen Erwartungen nicht erfüllt, sondern auch die der anderen enttäuscht, wenn eine solche Heirat nicht stattfindet. Der Autor gibt jedoch zu bedenken, dass die Kirchengeschichte selbst Uneinigkeit in der Frage aufweist, ob nun Ehe oder Single-Sein erstrebenswerter oder geistlicher ist.

„Die Ehe soll nicht der persönlichen Erfüllung zweier Ehepartner auf Erden dienen, sondern auf denjenigen hinweisen, der allein Lebenserfüllung schenken kann: Christus.“
 

Eine auf das Evangelium ausgerichtete Sicht des Single-Seins ist also gerade hier dringend nötig. Die Bibel sagt, dass die Ehe nicht das Letzte ist, sondern auf kommende Dinge hinweist. Sie soll nicht der persönlichen Erfüllung zweier Ehepartner auf Erden dienen, sondern auf denjenigen hinweisen, der allein Lebenserfüllung schenken kann: Christus. Für Singles und Verheiratete gilt also gleichermaßen, dass sexuelle Sehnsüchte als eingebauter Instinkt den Menschen zurück zu Gott führen.

Der Vergötterung von Sexualität stellt Allberry weiter das Ausleben wahrer Freundschaft entgegen. Dabei denkt er an die Art von Freundschaft, die im Buch der Sprüche als Bestandteil der Weisheit beschrieben wird und die von Beständigkeit, Ehrlichkeit, Verletzlichkeit, Vertrautheit und vollkommener Offenheit dem anderen gegenüber geprägt ist. Auch hier erscheint Jesus als der wahre Freund, der sich nicht zu gut ist, seine Jünger Freunde zu nennen.

Der Single: nützliches Accessoire im Leben der anderen?

Nachdem Allberry auf unterschiedliche Art und Weise aufgezeigt hat, dass das Single-Sein unterbewertet wird, thematisiert er nun unter dem letzten Mythos (Single-Sein ist leicht) die Schwierigkeiten und leidvollen Momente im Leben eines jeden Singles. Er schildert alltägliche Schwierigkeiten, mit denen sich Singles konfrontiert sehen und veranschaulicht anhand von persönlich Erlebtem die Urängste, die Singles befallen und quälen können, wie z.B. der Wegzug enger Freunde, oder der eigene, von der restlichen Welt unbemerkte Tod.

„Es ist ernüchternd für den Single, bei Verheirateten ab und an als Gast in deren Leben auftauchen zu dürfen, ohne dass ein wirkliches Interesse daran besteht, im Gegenzug seine Welt kennenzulernen.“
 

Umso mehr ist der Single auf tiefe Freundschaften angewiesen. So ist es ernüchternd für den Single, bei Verheirateten ab und an als Gast in deren Leben auftauchen zu dürfen, ohne dass ein wirkliches Interesse daran besteht, im Gegenzug seine Welt kennenzulernen. Das immerwährende Gefühl, nicht wirklich oder nur auf Zeit dazuzugehören, wird auf erdrückende Weise bestätigt, wenn Familien aufgrund besserer Jobangebote oder eben aus „familiären Gründen“ wegziehen. Wer wechselt schon für einen alleinstehenden Freund seinen Wohnort? Mit sehr persönlichen und ergreifenden Worten lässt uns der Autor an seinen Erfahrungen rund um die altbekannte Metapher der Zugbrücke teilhaben, die hochgezogen wird, sobald Ehepartner, Kinder und Eigenheim (man füge evtl. noch Hund und Auto an) sicher „hinter den dicken Burgmauern“ untergebracht worden sind, und die dem Single konstant seine Rolle als reines, zuweilen nützliches, Accessoire im Leben der anderen vor Augen führt.

Fazit

Während Allberry dem Leser mit brillantem, durch die Schrift untermauertem Stil aufzeigt, dass Verheiratete und Singles geistlich gesehen gleichwertig sind, ist seine Anwendung dieser Wahrheit auf die Praxis meiner Ansicht nach stellenweise weniger gelungen. Allberry geht etwa zu Recht davon aus, dass ein Single natürlich kürzere Entscheidungswege als ein Verheirateter hat. Dass jeder Single deswegen aber generell mehr Zeit hat und daher automatisch als kostenlose Hilfe in Familien bemüht werden kann, kommt für mich einer Verfestigung bereits vorhandener Stigmata gleich, die er eigentlich abbauen möchte: dass der Single vorwiegend im Zudienen sowohl Wert als auch Kompensation für seinen Mangel findet.

Dennoch ist Allberry ein herausforderndes, sehr lesenswertes Werk über das Single-Sein gelungen, welches von jedem Christen, dem an einem guten Miteinander in der Gemeinde gelegen ist, studiert werden sollte. Folgende seiner Worte möchte ich als abschließende Aussage wiedergeben:

„Wenn uns die Ehe ein Bild des Evangeliums zeigt, so zeigt uns das Single-Dasein, dass das Evangelium völlig ausreicht. Darum braucht die Gemeinde Singles. Nicht als nie versiegende Quelle potenzieller Babysitter, sondern um uns daran zu erinnern, dass die Freude und die Erfüllung der Ehe in diesem Leben nur Stückwerk und zwangsläufig vorübergehend sind. Singles in der Gemeinde, die ihre Bedeutung und Erfüllung in Christus finden, sind ein sichtbares, greifbares Zeugnis für die Tatsache, dass letztendlich alle unsere Sehnsüchte in Jesus gestillt werden.“ (S. 138–139)

Buch

Sam Alberry, Sieben Mythen über das Single-Sein, Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft, 2022, 208 Seiten, ca. 17,90 Euro.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.