„Im Anfang …“

Buchauszug von R.C. Sproul
14. März 2023 — 10 Min Lesedauer

Der erste Satz der Heiligen Schrift stellt die Behauptung auf, auf die sich alles andere gründet: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“ (1Mose 1,1). In diesem ersten Satz der Schrift werden drei grundlegende Aussagen gemacht: 1. Es gab einen Anfang; 2. es gibt einen Gott; und 3. es gibt eine Schöpfung. Man sollte meinen, dass, wenn der erste Punkt nachgewiesen werden kann, die beiden anderen in logischer Konsequenz folgen müssen. Mit anderen Worten: Wenn es tatsächlich einen Anfang des Universums gab, dann muss es etwas oder jemanden geben, der für diesen Anfang verantwortlich ist. Wenn es wiederum einen Anfang gab, dann muss es auch eine Art Schöpfung geben.

In den meisten Fällen, wenn auch nicht immer, erkennen säkulare Denker an, dass das Universum einen Anfang hatte. Die Befürworter der Urknalltheorie sagen zum Beispiel, dass das Universum vor fünfzehn bis achtzehn Milliarden Jahren durch eine gigantische Explosion entstand. Aber wenn das Universum sich in seine Existenz hinein explodierte, woher kam dann diese Explosion? Ist es aus dem Nichtsein heraus explodiert? Das ist eine absurde Vorstellung. Es ist ironisch, dass die meisten säkularen Denker zwar zugeben, dass das Universum einen Anfang hatte, aber die Idee der Schöpfung und der Existenz Gottes ablehnen.

So ziemlich jeder stimmt dem zu, dass es so etwas wie ein Universum gibt. Einige mögen sich darauf berufen, dass das Universum oder die äußere Realität – sogar unser Bewusstsein – nichts als eine Illusion ist. Allerdings versucht nur der hartnäckigste Solipsist (also jemand, der glaubt, dass nur sein eigenes Bewusstsein sicher existiert und dass nichts anderes sicher existiert, Anm. der Red.) zu behaupten, dass nichts existiert. Man muss existieren, um die Behauptung aufstellen zu können, dass nichts existiert. Angesichts der Tatsache, dass etwas existiert und dass es ein Universum gibt, haben Philosophen und Theologen bereits vor langer Zeit gefragt: „Warum gibt es etwas und nicht nichts?“ Dies ist vielleicht die älteste aller philosophischen Fragen. Diejenigen, die versucht haben sie zu beantworten, haben erkannt, dass es nur drei grundlegende Möglichkeiten gibt, die Realität, wie wir sie in unserem Leben erfahren, zu erklären.

Die erste Möglichkeit ist, dass das Universum aus sich selbst heraus existiert und ewig ist. Es wurde bereits festgestellt, dass die überwältigende Mehrheit von Säkularisten glaubt, dass das Universum einen Anfang hatte und nicht ewig ist. Die zweite Möglichkeit ist, dass die materielle Welt aus sich selbst heraus existiert und ewig ist. Dieses Argument wurde in der Vergangenheit angeführt und wird bis heute verwendet. Diese Optionen haben ein wichtiges gemeinsames Element: Beide behaupten, dass etwas aus sich selbst heraus existiert und ewig ist.

Die dritte Möglichkeit ist, dass das Universum sich selbst erschaffen hat. Diejenigen, die diese Option vertreten, glauben, dass das Universum plötzlich und dramatisch aus eigener Kraft entstanden ist. Befürworter dieser Ansicht sprechen allerdings nicht von Selbsterschaffung, weil sie wissen, dass ein solches Konzept einen logischen Widerspruch enthält. Damit etwas sich selbst erschaffen kann, muss es sein eigener Schöpfer sein, was bedeutet, dass es existieren müsste, bevor es war. Das bedeutet, dass es zur gleichen Zeit und im gleichen Verhältnis sein und nicht sein müsste. Das verstößt gegen das grundlegendste Gesetz der Vernunft – den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Daher ist das Konzept der Selbsterschaffung offensichtlich unsinnig, widersprüchlich und irrational. An einer solchen Auffassung festzuhalten, ist schlechte Theologie und ebenso schlechte Philosophie und Wissenschaft, denn sowohl Philosophie als auch Wissenschaft beruhen auf den unumstößlichen Gesetzen der Vernunft.

Einer der Hauptaspekte der Aufklärung des 18. Jahrhunderts war die Annahme, dass die „Gotteshypothese“ als Erklärung für die Existenz des äußeren Universums überflüssig geworden war. Bis dahin hatte die Kirche im philosophischen Bereich Respekt genossen. Im Mittelalter waren Philosophen nicht in der Lage gewesen, die rationale Notwendigkeit einer ewigen ersten Ursache abzustreiten. Zur Zeit der Aufklärung war die Wissenschaft jedoch so weit fortgeschritten, dass eine alternative Erklärung für das Vorhandensein des Universums genutzt werden konnte. Dabei musste man sich nicht mehr auf eine transzendente, aus sich selbst heraus existierende und ewige erste Ursache oder auf Gott berufen.

Es geht hierbei um die Theorie der Spontanentstehung – die Vorstellung, dass die Welt aus sich selbst heraus entstanden ist. Dies unterscheidet sich allerdings nicht von der widersprüchlichen Sprache der Selbsterschaffung, sodass alternative Konzepte aufkamen, als die Theorie der Spontanentstehung in der wissenschaftlichen Welt ad absurdum geführt wurde. In einem Aufsatz eines mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Physikers gab dieser zu, dass die Spontanentstehung zwar eine philosophische Unmöglichkeit sei, dies aber nicht für die allmähliche Spontanentstehung gilt. Er stellte die These auf, dass das Nichts, wenn es genügend Zeit habe, irgendwie die Kraft aufbringen könne, etwas ins Leben zu rufen.

Für gewöhnlich wird anstelle von Selbsterschaffung von zufälliger Schöpfung gesprochen, wobei hier ein weiterer logischer Fehlschluss ins Spiel kommt – der Fehlschluss der Äquivokation bzw. „Mehrdeutigkeit“. Der Trugschluss der Äquivokation tritt auf, wenn die Schlüsselbegriffe in einem Argument ihre Bedeutung ändern, was sehr subtil vor sich gehen kann. Dies geschah mit dem Wort Zufall. Der Begriff des Zufalls ist in wissenschaftlichen Untersuchungen nützlich, weil er mathematische Möglichkeiten beschreibt. Wenn sich fünfzigtausend Fliegen in einem geschlossenen Raum befinden, kann die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sich eine bestimmte Anzahl von Fliegen zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Quadratzentimeter des Raums befinden, angegeben werden. Im Bestreben, wissenschaftliche Vorhersagen zu treffen, ist das Ausarbeiten komplexer Gleichungen mit Wahrscheinlichkeitsverhältnissen also eine wichtige und legitime Aufgabe.

Nun ist es eine Sache, den Begriff Zufall zu verwenden, um eine mathematische Möglichkeit zu beschreiben. Es ist jedoch eine ganz andere, den Gebrauch des Begriffs zu verlagern, um sich auf etwas zu beziehen, das tatsächlich schöpferische Kraft hat. Damit der Zufall irgendeine Wirkung auf irgendetwas in der Welt haben kann, müsste er eine Sache sein, die Macht besitzt, aber der Zufall ist keine Sache. Der Zufall ist lediglich ein intellektuelles Konzept, das mathematische Möglichkeiten beschreibt. Da er kein Wesen hat, hat er auch keine Macht. Zu sagen, dass das Universum durch Zufall entstanden sei – dass der Zufall eine gewisse Macht ausgeübt hat, um das Universum ins Leben zu rufen – führt deshalb lediglich zurück zur Idee der Selbstschöpfung, denn der Zufall ist nichts.

Wenn man dieses Konzept vollständig ausschließt – was die Vernunft verlangt –, bleibt nur eine der ersten beiden Möglichkeiten: dass das Universum aus sich selbst heraus existiert und ewig ist oder dass die materielle Welt aus sich selbst heraus existiert und ewig ist. Wie bereits erwähnt, stimmen beide Optionen darin überein, dass, wenn irgendetwas jetzt existiert, auch irgendwo etwas aus sich selbst heraus existieren muss. Wäre dies nicht der Fall, könnte in der Gegenwart nichts existieren. Ein absolutes Gesetz der Wissenschaft lautet ex nihilo nihil fit, was bedeutet: „Von nichts kommt nichts“. Wenn alles, was wir haben, nichts ist, dann ist das auch alles, was wir jemals haben werden, denn nichts kann nichts hervorbringen. Wenn es jemals eine Zeit gab, in der es absolut nichts gab, dann können wir absolut sicher sein, dass es auch heute, in diesem Moment, absolut nichts geben würde. Etwas muss aus sich selbst heraus existieren. Etwas muss die Kraft des Seins besitzen, damit überhaupt etwas existieren kann.

„Gott ist etwas. Gott existiert in seinem Wesen aus sich selbst heraus und ist ewig. Er allein hat die Fähigkeit, Dinge aus dem Nichts zu erschaffen.“
 

Beide Möglichkeiten werfen viele Probleme auf. Wie bereits festgestellt, sind sich fast alle einig, dass das Universum nicht ewig existiert, sodass die erste Option unbrauchbar ist. Gleichermaßen, da nahezu alles, was wir in der materiellen Welt untersuchen, Zufälligkeit und Mutation aufweist, widerstrebt es Philosophen zu behaupten, dieser Aspekt des Universums existiere aus sich selbst heraus und bestehe ewig. Der Grund dafür ist, dass was aus sich selbst heraus und ewig existiert, keinen Mutationen oder Veränderungen unterliegt. Es wird deshalb argumentiert, dass irgendwo in den Tiefen des Universums ein verborgener, pulsierender Kern oder eine Energieversorgung liegt, die aus sich selbst heraus existiert und ewig ist, und dass alles andere im Universum seinen Ursprung diesem Ding verdankt. An diesem Punkt argumentieren Materialisten, dass es keinen transzendenten Gott braucht, um das materielle Universum zu erklären, weil der ewige, pulsierende Kern der Existenz im Inneren des Universums gefunden werden kann, nicht in der Transzendenz.

An diesem Punkt wird ein sprachlicher Fehler gemacht. Wenn die Bibel von Gott als transzendent spricht, beschreibt sie nicht den Ort, an dem sich Gott befindet. Sie sagt nicht, dass Gott irgendwo „da oben“ oder „da draußen“ lebt. Wenn gesagt wird, dass Gott über dem Universum steht, meint dies, dass er von seinem Wesen her über dem Universum steht und es transzendiert. Er ist ontologisch transzendent. Alles, was die Kraft des Seins in sich selbst hat und aus sich selbst heraus existiert, muss von allem unterschieden werden, was davon abstammt und abhängig ist. Wenn es also im Kern des Universums etwas aus sich selbst heraus Existierendes gibt, transzendiert es von Natur aus alles andere. Es interessiert nicht, wo Gott lebt. Es geht um sein Wesen, sein ewiges Sein und die Abhängigkeit von allem anderen im Universum von ihm.

Die klassische christliche Sicht der Schöpfung besagt, dass Gott die Welt ex nihilo, „aus dem Nichts“, geschaffen hat, was dem absoluten Gesetz ex nihilo nihil fit, „von nichts kommt nichts“, zu widersprechen scheint. Genau aus diesem Grund haben einige gegen die Schöpfung ex nihilo argumentiert. Wenn christliche Theologen jedoch sagen, dass Gott die Welt ex nihilo erschaffen habe, ist das nicht dasselbe wie zu sagen, dass es mal nichts gab und dann aus diesem Nichts etwas entstanden sei. Die christliche Sichtweise lautet: „Im Anfang schuf Gott …“. Gott ist nicht nichts. Gott ist etwas. Gott existiert in seinem Wesen aus sich selbst heraus und ist ewig. Er allein hat die Fähigkeit, Dinge aus dem Nichts zu erschaffen. Gott kann Welten ins Leben rufen. Das ist die Macht der Kreativität in ihrem absoluten Sinn und nur Gott hat sie. Er allein hat die Fähigkeit, Materie zu erschaffen und sie nicht nur aus bereits vorhandenem Material neu zu formen.

Ein Künstler kann einen quadratischen Marmorblock nehmen und ihn zu einer schönen Statue formen oder eine schlichte Leinwand nehmen und sie durch die Anordnung von Farbpigmenten in ein schönes Muster verwandeln, doch so hat Gott das Universum nicht geschaffen. Gott rief die Welt ins Leben, und seine Schöpfung war in dem Sinne absolut, dass er nicht einfach Dinge umgestaltete, die bereits existierten. Die Heilige Schrift gibt uns nur eine kurze Beschreibung, wie er es tat. Wir finden darin den „göttlichen Imperativ“ oder den „göttlichen Befehl“, mit dem Gott durch die Macht und Autorität seines Befehls erschuf. Gott sagte: „Es werde …“, und es geschah. Das ist der göttliche Imperativ. Nichts kann sich dem Befehl Gottes widersetzen, der die Welt und alles in ihr ins Leben gerufen hat.

Dieser Auszug stammt aus Everyone's A Theologian von R.C. Sproul. Der Verlag Verbum Medien arbeitet aktuell an einer Veröffentlichung auf Deutsch.